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Das Rechtsbuch Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346, hg. v. Volkert, Wilhelm unter Verwendung der Vorarbeiten von Jaroschka, Walter und Lieberich, Heinz (= Bayerische Rechtsquellen 4). Beck, München 2010. XXX, 519 S., 9 Abb. Besprochen von Ulrich-Dieter Oppitz.

Das Rechtsbuch Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346, hg. v. Volkert, Wilhelm unter Verwendung der Vorarbeiten von Jaroschka, Walter und Lieberich, Heinz (= Bayerische Rechtsquellen 4). Beck, München 2010. XXX, 519 S., 9 Abb. Besprochen von Ulrich Oppitz.

 

Dem wissenschaftlichen Wettstreit zwischen dem Stadtarchiv München und dem Historischen Verein von Oberbayern einerseits und der Kommission für Bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften andererseits verdankt die rechtshistorische Forschung nach den Editionen von Hans Schlosser und Ingo Schwab (s. ZRG-GA 119, 2002, 326-342) und von Ingo Schwab allein (s. ZRG-GA 120, 2003, 600f.) nunmehr die „historisch-kritische Ausgabe des Rechtsbuchs Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346“. Sie beruht auf den Vorarbeiten Heinz Lieberichs und Jakob Gebhard Bildsteins, die bereits in den 1950er Jahren weit gediehen waren (s. ZRG-GA 76, 1959, 238) und schon zu einer Einleitung und einem Glossar führten. Walter Jaroschka setzte diese Arbeiten fort, indem er Lieberichs Ergebnisse gründlich erweiterte. Ihm verdanken wir den Variantenapparat der zehn frühesten Kodizes. Wilhelm Volkert konnte diese Vorarbeiten mit umfangreichen eigenen Ergänzungen zum Druck befördern.

 

Volkert sucht die bislang übliche Bezeichnung ‚Oberbayerisches Landrecht Kaiser Ludwigs des Bayern von 1346’ unter Verweis auf die in den Textzeugen verwandte Angabe durch die Bezeichnung als Rechtsbuch zu ersetzen. Das Oberbayerische Landrecht war ein „sehr frühes förmliches amtliches Gesetzeswerk, das von da ab nicht nur die praktische, sondern obligatorische Grundlage der Rechtsprechung“ bildete (Lieberich), welches die Aufgabe einer Sicherung der Landeseinheit hatte, und als eine der „bemerkenswertesten territorialen Rechtskodifikationen des deutschen Mittelalters“ (Jaroschka) bezeichnet wurde. Diese Zweckbestimmung grenzt den Text weiterhin aus dem seit fast 200 Jahren üblichen Begriff der deutschen Rechtsbücher des Mittelalters aus. Carl Gustav Homeyer und seine Nachfolger nahmen ab 1856 aus guten Gründen diesen Text nicht in den Kreis der Rechtsbücher auf, sondern verzeichneten die Handschriften nur dann, wenn sie mit anderen Rechtsbuchtexten in einer Handschrift überliefert wurden.

 

Schlosser/Schwab und Lieberich-Jaroschka-Volkert (LJV) legen ihren Textabdrucken übereinstimmend die Handschrift des Münchner Stadtarchivs, Zimelie 12, zugrunde. Aus der bisher bekannten Überlieferung von ca. 160 vollständig oder fragmentarisch überlieferten Handschriften des 14. bis 18. Jahrhunderts (LJV S.24) ziehen die Herausgeber Schlosser/Schwab und LJV nur 17 Textzeugen heran, wobei in beiden Ausgaben nicht klar wird, ob diese Auswahl nach einer gründlichen Sichtung sämtlicher Textzeugen erfolgte.

 

In der Einleitung (LJV S.1-242), deren Nutzbarkeit ein Register der zitierten Artikel verbessert hätte, werden Name und Bedeutung (I), Ältere Druckausgaben (II), Forschungsgeschichte (III), Auswahl der Textvorlagen (IV), Auszugshandschriften (V), Entstehungszeit des alten (ca. 1335) und des neuen Rechtsbuchs (1346) (VI) ebenso behandelt wie die Beziehungen zwischen der alten und neuen Fassung des Rechtsbuches (VII). Die Redaktion der neuen Fassung (VIII) ist ausführlich dargestellt. Der örtliche, persönliche und sachliche Geltungsbereich und die Geltungszeit (IX) sind unter Verwendung zahlreicher Archivalien gründlich und überzeugend beschrieben. Die Bedeutung des oberbayerischen Landrechts für das System der Landgerichte, Dorfgerichte und Hofmarkgerichte wird umfassend dargestellt. Die Darstellung hätte aus einer Karte zur räumlichen Erstreckung des Geltungsbereiches des Landrechts und der in diesem Gebiet handelnden Land- und Dorfgerichte sehr gewonnen. Vielleicht wird dem Folgeband mit der Beschreibung aller bekannten Textzeugen eine derartige Karte beigegeben, die dann auch bei der Klärung der Herkunft der überlieferten Handschriften Hilfe leisten kann.

 

In Quellen und Vorlagen (X) sind Übernahmen und Parallelen aus und zu dem Schwabenspiegel, dem Freisinger Rechtsbuch, dem Stadtrechtsprivileg für München (1294) und dem ober- und niederbayrischen Landfrieden (1300) belegt. Die Belege zum Einfluss des römisch-kanonischen Rechts auf die Regelungen zahlreicher Artikel zeigen, dass für dieses Landrecht die Vermutung früherer Autoren nicht aufrecht erhalten bleiben kann, das Landrecht sei vom römisch-kanonischen Recht unberührt. Die sorgfältige Arbeitsweise lässt über diesen Einzelfall hinaus die Vermutung zu, dass wohl alle umfangreicheren Rechtstexte zwischen 1200 und 1450 vom römisch-kanonischen Recht berührt sind. Das Ausmaß im Einzelnen ist jedoch erst auf der Grundlage einer detaillierten Studie in Kenntnis des römisch-kanonischen Zivil- und Prozeßrechts zu bestimmen.

 

Die Artikelkonkordanz (XI) vergleicht mit der abgedruckten Handschrift die Handschrift des Stifts Fiecht-Georgenberg, das ‚Versiegelte Buch’ des Stadtarchivs München und drei Handschriften, die Auszüge aus dem vollständig nicht überlieferten Rechtsbuch von 1335/36 enthalten (LJV S.50). Die Abweichungen dieser Handschriften werden bei den einzelnen Artikeln des Abdrucks nachgewiesen. Die Vergabe der Siglen der benutzten Handschriften folgt keinem erkennbaren System, mal erfolgt sie nach der Signatur der aufbewahrenden Bibliothek, mal nach den Orten der aufbewahrenden Bibliothek und mal nach den Orten, in denen mit der Handschrift gearbeitet worden sein kann.

 

Die Artikelbezifferung aus der Edition Maximilian von Freybergs (1834) wird, auch bei Umstellungen der Reihenfolge der Artikel, beibehalten, mit der Ausnahme der Art. 169/170. Soweit in der Einleitung Artikel erwähnt werden, ist jeweils ‚L’ vor die Artikelziffer gesetzt. 16 Zusatzartikel, die Freyberg in seine Edition nicht aufgenommen hatte, weil sie in den frühen Handschriften fehlten, sind aus anderen Handschriften aufgenommen, sie sind mit dem Zusatz ‚a’ oder ‚b’ versehen (LJV S.22). In der Artikelkonkordanz ist von diesen Artikeln nur L 184a berücksichtigt.

 

Angesichts der Tatsache, dass Freybergs Edition nicht in einem Nachdruck verfügbar ist, fragt es sich, ob eine historisch-kritische Edition nicht besser beraten gewesen wäre, eine eigene durchgängige Artikelzählung einzuführen, die ohne Rückgriffe auf eine Edition, die weit entfernt von der Qualität historisch-kritischer Editionen ist, auskommt. Das Argument, es sei, angesichts der zahlreichen vorhandenen Arbeiten, die Freybergs Zählung verwenden, zur Vermeidung einer Konfusion unabweisbar gewesen, die Zählung beizubehalten, überzeugt nicht. Eine Erweiterung der Artikelkonkordanz um die Editionen von Freyberg, Schlosser/Schwab und Schwab hätte diese Probleme einfach gelöst. Daneben hätte ein Vergleich der Artikelfolge Freybergs mit der vorliegenden Edition einen leichten Vergleich erlaubt. Gerade im Vergleich zu Abdrucken einzelner Textzeugen hat eine historisch-kritische Ausgabe auch den Sinn, für den zukünftigen Umgang mit einem Text Vorgaben zu setzen.

 

Der Herausgeber hat die ausführliche Beschreibung der ca. 160 Textzeugen bewusst einem weiteren Band vorbehalten. Dorthin verweist er auch die Klassenzuordnung und weitere Angaben über spezielle Fassungen und deren Ableitung. Diesem Band könnte auch der Unterschied der Texte in den Inkunabeln M 16923 und M 16924 zu entnehmen sein. Zu wünschen ist, dass dieser Band zügig fertig gestellt wird und bald erscheinen kann.

 

Besondere Aufmerksamkeit verdient das nach dem phonetischen Alphabet geordnete umfangreiche Register-Glossar (LJV S.407-506), das weitgehend von Lieberich erarbeitet wurde. Auf ihn gehen die Lemmata und die Kommentaranmerkungen zurück. Es erfuhr spätere Ergänzungen. Neun farbige Abbildungen aus einer Inkunabel, Handschriften und Urkunden beschließen die Ausgabe.

 

Da es selten ist, dass eine Handschrift des Mittelalters in kurzer Zeit zwei Abdrucke erlebt, soll noch ein Vergleich des Wertes der beiden Editionen versucht werden. Unbestritten haben beide Editionen nebeneinander ihren Wert. Ohne den Druck von Schlosser/Schwab gäbe es wohl heute noch nicht die Edition LJV. Die Einleitung von LJV und der juristische Kommentar bei Schlosser/Schwab sind für zukünftige Arbeiten über das oberbayerische Landrecht und andere mittelalterliche Rechtsquellen unverzichtbar. Soweit mit Einzelregelungen des Rechts gearbeitet wird, empfiehlt es sich, beide Editionen zur Hand zu haben und in strittigen Fragen zu konsultieren.

 

Neu-Ulm                                                                                                          Ulrich-Dieter Oppitz