Original Ergebnisseite.

Äldre Västgötalagen och dess bilagor i Cod. Holm. B 59, utgivna av Föreningen för Västgötalitteratur genom Wiktorsson, Per-Axel, Del I, II. Värnamo 2011. 264, 311 S. Besprochen von Dieter Strauch.

Äldre Västgötalagen och dess bilagor i Cod. Holm. B 59, utgivna av Föreningen för Västgötalitteratur genom Wiktorsson, Per-Axel, Del I, II. Värnamo 2011. 264, 311 S. Besprochen von Dieter Strauch.

 

Das ältere Recht der schwedischen Landschaft Västergötland ist den deutschen Rechtshistorikern bekannt durch die Übersetzung, die Claudius Freiherr von Schwerin (mit Uplandslagen) im Jahre 1935 in Weimar veröffentlicht hat. Sie fußt auf der Ausgabe des altschwedischen Textes von Hans Samuel Collin/Carl Johan Schlyter, welche die beiden als ersten Band der ‚Samling av Sweriges Gamla Lagar‘ im Jahre 1827 in Stockholm herausgebracht haben[1]. Gösta Holm fügte seinem 1976 in Lund veröffentlichten Neudruck im Anhang lediglich die Arbeit Ottos von Friesen ‚Vår älsta handskrift på fornsvenska‘ [unsere älteste altschwedische Handschrift] von 1904 hinzu. Neben anderen – teils normalisierten – Ausgaben und Übersetzungen (Del[2] I, S. 39f) hat Elias Wessén im Jahre 1950 eine Faksimile-Ausgabe der Haupthandschrift B 59 aus der Königlichen Bibliothek in Stockholm vorgelegt[3]. Seitdem hat die Rechtsgeschichte viele Einzelfragen des westgötischen Rechts beleuchtet[4], aber eine eindringende Neubearbeitung und Erläuterung dieser Handschrift fehlte bisher. Diese Lücke hat nun Per-Axel Wiktorsson in Verbindung mit mehreren Sachkennern Västergötlands und dessen Geschichte durch das vorliegende Werk geschlossen.

 

Teil I beginnt nach einem Vorwort mit der Einleitung Wiktorssons (S. 1 – 73) und einem Literaturverzeichnis. Den juristischen Inhalt erschließt Göran B. Nilsson: ‚Handskriften B 59 och Yngre Västgötalagen‘ [Die Handschrift B 59 und das jüngere Westgötenrecht, Del I, S. 45 – 59]. Einen namenkundlichen Beitrag liefert Svante Strandberg: ‚Namn på allmänningsvatten i Äldre Västgötalagens bilagor‘ [Die Namen der öffentlichen Gewässer in den Beilagen des älteren Westgötenrechts, (mit Literaturverzeichnis), Del I, S. 61 – 76]. Es folgen ein ausführliches Orts- und Personenregister (Del I, S. 77 – 106) sowie der farbige Faksimile-Druck der Handschrift B 59 (Del I, S. 107 – 264). Der Teil II der Neuausgabe enthält den seiten- und zeilengetreu wiedergegebenen Text dieser Handschrift und gegenüberstehend die seitengetreue neuschwedische Übersetzung, welche Holmbäck/Wesséns neuschwedische Übertragung von 1946 ersetzt[5].

 

Als Verfasser von äldre Västgötalagen [VGL I] gilt der westgötische Rechtsprecher Eskil Magnusson, geboren um 1175, gestorben um 1227, Rechtsprecher spätestens 1217 – 1225. Er war ein älterer Bruder des Reichsregenten Birger Jarl (geb. 1210, Regent 1248 – 1266). Niedergeschrieben ist es um 1220. Ursprünglich scheint (außer dem Rechtsprecher und dem Bischof) fast jeder Hardenhauptmann in Västergötland ein Exemplar besessen zu haben, so dass es etwa dreißig gegeben haben muss. Sie sind fast alle untergegangen: Ein in einer westgötischen Kirche eingemauertes Exemplar ist bis heute nicht gefunden; ein Fragment des Rechtsbuches (B 193) von etwa 1240 verwahrt die königliche Bibliothek in Stockholm. Das einzige vollständig erhaltene Exemplar ist die hier erneut herausgegebene Hs. B 59. Sie gehörte nach Einführung der Reformation in Schweden in den 1520er Jahren zu den mittelalterlichen Codices, die in der königlichen Kanzlei in Stockholm angehäuft und gewöhnlich als Umschläge für die Berichte der königlichen Rechenkammer benutzt wurden. Diesem Schicksal ist die Handschrift offenbar nur entgangen, weil ihr Format (ca 12 x 16 cm) für diesen Zweck zu klein war. Dort ist sie von Hogenschild Bielke und von Johannes Bureus benutzt worden. Sie gelangte 1667 in das Antiquitetskolleg in Uppsala, 1692 in das Antikvitetsarchiv in Stockholm und schließlich 1786 in die dortige königliche Bibliothek, wo sie noch heute aufbewahrt wird.

 

VGL I, B 59 ist eine Sammelhandschrift, deren ältester Teil von etwa 1290 stammt und später mehrfach ergänzt wurde. Sie enthält drei Teile: Man unterscheidet B 59a, d. h. die Blätter 1 – 47, von denen die Blätter 1 – 39 den eigentlichen Text von VGL I enthalten. Er zeichnet sich dadurch aus, dass sein Schreiber für das Wort ‚Mann‘ stets die M-Rune Z benutzt. Angehängt sind weitere Urkunden, die Wiktorsson mit den Buchstaben A – R bezeichnet. B 59b, der zweite Teil der Handschrift, umfasst die Blätter 48 – 76, er enthält weitere Aufzeichnungen, von denen die Verzeichnisse der westgötischen Rechtsprecher, der christlichen Könige und der Bischöfe von Skara hervorstechen. Schließlich umfasst B 59 c nur ein Blatt, das bei einem späteren Einband des Werkes eingefügt wurde und Teile von VGL II sowie einen Auszug aus dem lateinischen Kirchenrecht (sog. latinbalken SGL I, IV: 21, 1 – 18 [S. 317ff] = Del II, fol. 77r, v [S. 310ff]) enthält. Diese Teile der Handschrift B 59 waren auch bisher schon bekannt.

 

Erhebliche Fortschritte hat Wiktorsson jedoch bei der Feststellung erzielt, welche Schreiber die verschiedenen Teile niedergelegt haben. War bisher angenommen worden, der Schreiber A (der Haupthandschrift) habe die Blätter 1 – 43 geschrieben, der Johannitermönch (Schreiber B) die Notizen auf den Blättern 18r, 27v, 30v, 37r und 37v (= Teil B), Lydekinus (Schreiber C) die Blätter 58 – 66 sowie der Priester in Vidhem (Herr Lars, Schreiber D) die Blätter 43 – 58 und 66 – 76, so gilt nach der neuen Theorie nunmehr als Verfasser von Teil A (fol. 1 – 43) der Vidhems­priester, Herr Lars; als Verfasser von Teil B (fol. 18r, 27v, 30v, 37r und 37v) ein Schreiber, der kursiv schrieb und bisher nicht ermittelt werden konnte; als Verfasser von Teil C – wie bisher – Lydekinus und als Schreiber von Teil D: Tyrgils Kristinesson.

 

Wiktorssons Untersuchungen haben ergeben, dass der Schreiber A (laurencius dyakn, Herr Lars) Teil A der Handschrift geschrieben hat, denn dyakn bedeutet nicht nur „Diakon“, sondern auch „geschickter Schreiber“. Er war Priester in Vidhem (heute: Laske-Vedum, ca 35 km südwestlich von Skara) und Eigentümer der Handschrift. Der Schreiber B (Wiktorsson nennt ihn „Kursivschreiber“) soll außer den angegebenen Stellen auch einen kursiven Abschnitt auf Blatt 50r geschrieben haben, wegen des dort erwähnten „Sankt Johannes Döparenskloster“ galt er bis heute als Johannitermönch. Wiktorsson konnte aber nachweisen, dass diese Zeilen auf fol. 50 r vom Schreiber D stammen, von Johannitischen Schreibern kann deshalb in VGL I nicht mehr die Rede sein (Del I, S. 20). Der bisher „Vidhemspräst“ genannte Schreiber D hat – wie gesagt – nicht nur die Seiten 43v – 47r in B 59a geschrieben, sondern auch in B 59b die Seiten 48r – 58v, 66v – 76v und weitere kleinere Eintragungen. Er scheint eine Art Redakteur der Hs. B 59 gewesen zu sein. Das Blatt 47r handelt von Vidhem und den Vermögensverhältnissen der Pfarre. Deshalb hatte man diese Eintragungen bis jetzt dem Schreiber A zugewiesen, da er als Gemeindepriester die hier ausgebreiteten Kenntnisse hatte und ihn zugleich mit dem Schreiber D gleichgesetzt.

 

An dieser Stelle setzen die Untersuchungen Wiktorssons über den bisher unbekannten Schreiber D ein: Er hat zahlreiche weitere mittelalterliche Urkunden verfasst, hieß Tyrgils Kristinesson und wurde um 1270 geboren. 1307 wurde er Sekretär der beiden Herzöge Erik und Waldemar, die ihr Bruder, der König Birger Magnusson (1290 – 1318) nach dem berüchtigten Gastmahl in Nyköping Ende 1318 gefangen nahm und verschmachten ließ. Später war er Sekretär von Waldemars Witwe Ingeborg, 1317 Kanoniker in Skara und 1321 in Växjö. 1326 hatte er die Allerheiligenkirche in Skänninge als Präbende inne. Die Jahre 1230/1231 sehen ihn an der päpstlichen Kurie in Avignon. Wiktorsson hat seine Handschrift in einer Reihe von Urkunden nachgewiesen (Del I, S. 27), die vornehmlich die Eintreibung des Peterspfennig in den Jahren 1333 und 1334 betreffen. Darin ging er dem päpstlichen Legaten Petrus Gervasii (Kanoniker in Saint-Vozy in Puy) zur Hand, der 1232 – 1234 den Norden bereiste, um dort diese Steuer zu erheben. Urkundlich zuletzt erwähnt ist Tyrgils Kristinesson als Teilnehmer der Bischofswahl am 12. Juni 1340 in Skara. Das Ergebnis von Wiktorssons Untersuchungen ist also, dass wir in VGL I noch immer vier Schreiber unterscheiden müssen: Geblieben sind Herr Lars (der Priester in Vidhem) und Lydekinus. Der Johannitermönche ist durch den Kursivschreiber ersetzt und Teile der Seiten, als deren Urheber bisher Herr Lars galt, sind jetzt Tyrgils Kristinesson zugewiesen.

 

Göran B. Nilsson hat sich in der Neuausgabe der Hs. B 59 der Frage gewidmet, welchen Zweck diese Sammelhandschrift gehabt haben mag (Del I, S. 45 – 59). Auf Grund der Forschungen Wiktorssons kommt er zu dem Ergebnis, es handele sich um ein Arbeitsbuch, das ursprünglich dem Domkapitel in Skara als Unterlage für die Verhandlungen über das um 1320 zustande gekommene jüngere Västgötalag (VGL II) gedient hat. Dazu war zunächst der Text von VGL I dienlich, um die gegenwärtige Rechtslage zur Hand zu haben. Als Verhandlungsgrundlage für die Anpassung des Rechtsbuches an die neuen Verhältnisse dienten für das Kirchenrecht das Statut Bischof Brynolfs von Skara von 1281 und das lateinische Kirchenrecht in SGL, Bd. I, IV: 21, S. 317 ff = Del II, fol. 66v – 74v [S. 268 – 300]), für die Friedenssicherung die Ausführungen über Heim-, Frauen-, Kirchen- und Thingfrieden in der Alsnö-Verordnung von 1279 (SGL, Bd. I, IV: 19 (S. 310 ff) = Del II, fol. 56r – 58v [S. 226 – 236]); zur Verfolgung von Schwerverbrechen und Friedenssicherung die Eidschwurgesetzgebung aus Östgötalagen (nach 1285, in SGL, Bd. I, II, Add. 7: 1 – 29 (S. 230 ff) = Del II, fol. 53r – 56r [S. 212 – 226]); zur Strafrechtsreform der Entwurf eines neuen Diebsabschnittes (SGL, Bd. I, II, Add. 7: 10 – 29 (S. 233 ff) = Del II, fol. 52r – 56r [S. 208 – 226]) und für die Prozessreform die Richterregeln (SGL, Bd. I, IV: 12 (S. 292 ff) = Del II, fol. 46r, v [S. 184 – 186])). Indirekt hilfreich waren auch der Danaholms­traktat (SGL, Bd. I, IV: 10 [S. 287 ff] = Del II, fol. 43v – 44v [S. 174 – 178]),  das Verzeichnis der Rechtsprecher (SGL, Bd. I, IV: 14 [S. 295 ff] = Del II, fol. 48r – 49r [S. 192 – 196]), die Königs- (SGL, Bd. I, IV: 15 [S. 298 ff] = Del II, fol. 49r – 50r [S. 196 – 201]) und die Bischofschronik (SGL, Bd. I, IV: 16 [S. 304 ff] = Del, II, fol. 50v – 52r [S. 202 – 208]).

 

Die vielen Zusätze zum eigentlichen Text in VGL I haben Collin und Schlyter im Abschnitt IV ihrer Ausgabe zusammengefasst (SGL, Bd. I, S. 285 ff = Del II, fol. 40r ff [S. 160 ff]). Sie bieten nicht nur Aufschlüsse über Västergötlands Ortsnamen, sondern auch über die dortigen Allmenden (SGL, Bd. II, IV: 11 [S. 290 ff] = Del II, fol. 45r ff [S. 180 ff]). Der namenkundliche Beitrag Svante Strandbergs (Del I, S. 61 – 76) klärt die Herleitung und Bedeutung der Namen öffentlicher Gewässer in Västergötland (SGL, Bd. I, IV: 11: 3 [S. 291] = Del II, Westgøta Almänningar, fol. 45r [S. 180]), so dass diese Landschaft nun auch namenkundlich erschlossen ist.

 

Die beiden Bände sind hervorragend ausgestattet (Leineneinband, säurefreies Papier, Fadenheftung) und durch ausführliche Register erschlossen. Es handelt sich um eine wichtige Neuerscheinung, die unsere Kenntnis des mittelalterlichen Schwedens und seines Rechts erheblich erweitert hat und zu weiteren Forschungen anregen wird.

 

Köln am Rhein                                                                                                           Dieter Strauch

[1]        SGL, I = Sveriges Gamla Lagar, Bd. I, bearbeitet von Hans Samuel Collin/Carl Johan Schlyter, Stockholm 1827.

[2]        Del I, II = das hier besprochene Werk.

[3]        Lex Vestro-gothico vetustior: Äldre Västgötalagen, Facsimile-Ausgabe von Elias Wessén, Corpus codicum Suecicorum medii aevi, Vol. XII, Hafniae 1950 (=Faksimile-Ausgabe von Cod. B 59 der Kgl. Bibliothek Stockholm).

[4]        Über VGL I zuletzt: Strauch, Mittelalterliches Nordisches Recht bis 1500. Eine Quellenkunde, Berlin 2011, S. 393 – 400.

[5]        Holmbäck, Åke/Wessén, Elias, Svenska Landskapslagar, femte serien: Äldre Västgötalagen, Yngre Västgötalagen, Smålandslagens kyrkobalk och Bjärköarätten, Stockholm 1946, Neudruck ebda 1979.