Weckner, Falk, Strafrecht und Strafrechtspflege für Afrikaner und ihnen gleichgestellte Farbige in Deutsch-Ostafrika (= Rechtsgeschichtliche Studien 32). Kovač, Hamburg 2010. XXXV, 337 S. Besprochen von Werner Schubert.
SchubertWecknerstrafrecht20100204 Nr. 13059 ZRG GA 128 /2010) 68
Weckner, Falk, Strafrecht und Strafrechtspflege für Afrikaner und ihnen gleichgestellte Farbige in Deutsch-Ostafrika (= Rechtsgeschichtliche Studien 32). Kovač, Hamburg 2010. XXXV, 337 S. Besprochen von Werner Schubert.
Bei dem Werk Weckners handelt es sich um die erste eingehende Untersuchung der Strafrechtspflege gegenüber den Afrikanern in Deutsch-Ostafrika auf der Basis der Auswertungen der Akten im Nationalarchiv von Tansania in Daressalam und ergänzend der Akten im Bundesarchiv Berlin (Bestand Reichskolonialamt). Weckner stellt zunächst die politische und wirtschaftliche Entwicklung von Deutsch-Ostafrika dar, der größten deutschen Kolonie mit 997.000 qkm Fläche und mit ca. 7,5 Millionen Afrikanern (S. 7ff., 35). Es folgt ein Abschnitt über die juristische Einordnung der Schutzgebiete (S. 65ff.) und die Kolonialverwaltung (S. 73ff.). An der Spitze der Verwaltung stand der Gouverneur, dem als Lokalverwaltungen die Bezirksämter und Militärstationen unterstanden. Der Gouverneur war zunächst der Kolonialpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, ab 1907 dem neu geschaffenen Reichskolonialamt gegenüber verantwortlich. 1914 waren in der Verwaltung von Deutsch-Ostafrika insgesamt 450 Deutsche beschäftigt, von denen 80 der Zentralverwaltung angehörten (S. 79). Im zweiten Teil behandelt Weckner zunächst die Strafrechtspflege unter dem Reichskommissar Wissmann von 1889-1891, der 1890 bereits detaillierte „Gesichtspunkte über die Handhabung der Rechtspflege bei Ausländern und bei der eingeborenen Bevölkerung“ erließ (Text S. 284ff.). Für die Strafrechtspflege in der Zeit der Reichsverwaltung waren eine Gouverneursverordnung von 1891 und zwei Verfügungen des Reichskanzlers von 1896 maßgebend (sämtlich wiedergegeben S. 289ff.). Eine grundlegende Reform des Eingeborenenstrafrechts scheiterte vor allem am Widerstand der Kolonialverwaltungen (S. 129ff.; zu den Arbeiten über die Gerichtsbarkeit für Eingeborene in der NS-Zeit vgl. W. Schubert, Akademie für Deutsches Recht, Bd. XII, Frankfurt am Main 2001, S. 504ff., 595ff.).
Die Eingeborenengerichtsbarkeit wurde grundsätzlich durch die Bezirksamtsleute und die Chefs der Militärstationen bzw. deren Unterbeamten wahrgenommen. Der Gouverneur als oberster Richter war nur für die endgültige Verhängung bzw. Bestätigung der Todesstrafe zuständig. Das Strafverfahren war ein reines Verwaltungsverfahren, so dass eine unabhängige Justiz nicht existierte, zumal der Bezirksamtmann grundsätzlich kein Jurist war. Die Zuziehung farbiger Berater war vorgesehen; die Urteile ergingen in der Regel in öffentlicher und mündlicher Verhandlung. Für das materielle Strafrecht existierten nur wenige Rechtsnormen. Maßgebend waren „grundlegende Tatbestände des Reichsstrafgesetzbuchs, Elemente des traditionellen Rechts der verschiedenen Eingeborenenstämme sowie die Berücksichtigung kolonialpolitischer Interessen“ (S. 280). Die zulässigen Strafen waren: Geldstrafe, Prügelstrafe, Freiheitsstrafen (Gefängnisstrafe mit oder ohne Kettenstrafe) sowie Todesstrafe. Der Vollzug der Prügelstrafe und der Freiheitsstrafen war genauer geregelt. Den Kernpunkt der Untersuchungen Weckners bildet der Abschnitt über die Praxis der Eingeborenenstrafrechtspflege mit einer detaillierten Auswertung der Urteilsstatistiken, die sich auf die gesamte Kolonie sowie auf zwei Bezirke und einen Distrikt beziehen. Die von Weckner zusammengestellten 56 statistischen Tabellen sind im Anhang S. 300ff. wiedergegeben. Die Prügelstrafe, die zwischen 1900 und 1913 bei 28 %-40 % aller Verurteilungen verhängt wurde, führte in Deutschland zu erregten Diskussionen. Jedoch war der Kampf des Reichskolonialamts und der Gouverneure um die Zurückdrängung der Prügelstrafe bis 1914 insgesamt erfolgreich; gleichzeitig wurde die Geldstrafe weiter ausgedehnt. Der Gouverneur kontrollierte die eingesandten Straflisten regelmäßig auf ungewöhnliche Härten bei der Strafverfolgung (S. 253ff.). Die Verhängung der Todesstrafe erfolgte (mit Ausnahme der Aufstandsjahre) in 0,1-0,5% der Fälle ausschließlich bei Delikten gegen das Leben. In nicht wenigen Fällen versagte der Gouverneur die Bestätigung eines Todesurteils (z. B. wurden für den Bezirk Kilwa 1908/09 nur 7 der 26 verhängten Todesstrafen bestätigt und vollzogen). Mit der Auswertung der Urteilszahlen und Urteilsstatistiken für Deutsch-Ostafrika hat Weckner ein differenziertes Bild der Strafrechtspflege für Afrikaner vorgelegt. Insoweit lässt sich für diese Kolonie das scharfe Verdikt Naukes gegen das Kolonialstrafrecht im Allgemeinen (Rechtshistorisches Journal 7, 1988, S. 297ff., 314) nicht in vollem Umfang aufrecht erhalten: Nauke sehe „im Kolonialstaat als ungezügelter Staatsgewalt das angestrebte Endziel anstatt einer situationsgebundenen Entwicklung und liegt damit nicht in der Analyse, aber in der Verortung der Motive falsch, wie auch die angesprochenen Reformtendenzen zeigten“ (S. 181). Dringend erwünscht sind, wie bereits Nauke 1988 anmerkte, nach wie vor rechtsvergleichende Darstellungen des Kolonialstrafrechts und dessen Praxis.
Kiel
Werner Schubert