Weber, Hermann, Juristensöhne als Dichter. Hans Fallada, Johannes R. Becher und Georg Heym. Der Konflikt mit der Welt ihrer Väter in ihrem Leben und ihrem Werk. BWV - Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2009. 9, 149 S., 37 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.
Weber, Hermann, Juristensöhne als Dichter. Hans Fallada, Johannes R. Becher und Georg Heym. Der Konflikt mit der Welt ihrer Väter in ihrem Leben und ihrem Werk. BWV - Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2009. 9, 149 S., 37 Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.
Die Schriftsteller Johannes R.(obert) (eigentlich: Hans) Becher (1891-1958), Hans Fallada (Pseudonym für Rudolf Ditzen, 1893-1947) und Georg Heym (1887-1912) zählen zu den bekannten Namen der deutschen Literaturgeschichte. Einer Generation zugehörig, erlebten sie ihre Sozialisation in der literarischen Epoche des Expressionismus, die unter anderem durch den Topos des Aufbegehrens gegen die als verstaubt und überlebt interpretierte „Welt der Väter“ charakterisiert wird.
Alle drei entstammen wohlsituierten Familien mit Vätern, die in der Justiz Karriere gemacht hatten. Heinrich Becher (1865-1941) brachte es bis 1924 zum Rat am Bayerischen Obersten Landesgericht in München und trat auch durch einschlägige zivilrechtliche Publikationen hervor. 1908 krönte Wilhelm Ditzen (1852-1937), der später eine viel beachtete Monografie zum Beweis im Strafverfahren veröffentlichte, seine Berufslaufbahn als Reichsgerichtsrat in Leipzig. Hermann Heym (1850-1920) war zunächst Staatsanwalt und bekleidete ab 1900 das Amt eines Reichsmilitärgerichtsanwalts am Reichsmilitärgericht in Berlin.
In Opposition zur bedrückend empfundenen bürgerlichen Lebenswelt des Elternhauses gerieten Johannes R. Becher und Hans Fallada, deren Biografien erstaunliche Parallelen aufweisen, auf die „schiefe Bahn“, die beide über schulisches Versagen, Drogenerfahrungen und Selbstmordversuche bis hin zu vom Verfasser als „Pubertätstragödien“ (S. 38ff. und 58ff.) bezeichneten Kapitalverbrechen (Becher erschießt eine Geliebte, Fallada einen Freund) führen sollte, welche jedoch wegen festgestellter „krankhafter Störung der Geistestätigkeit“ jeweils nach § 51 StGB „außer Verfolgung gesetzt“ wurden. Im Ersten Weltkrieg waren sie nicht militärdiensttauglich. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs sollte Becher, der nach seinem Moskauer Exil in der Deutschen Demokratischen Republik zum Präsidenten der Akademie der Künste und zum Minister für Kultur avancierte, Fallada persönlich begegnen und den durch Suchtmittelmissbrauch und ein chaotisches Familienleben beeinträchtigten Schriftstellerkollegen wohlwollend unterstützen. Der Lebenslauf des vitalen Georg Heym ist durch seinen frühen Tod geprägt. Im Gegensatz zu Becher und Fallada war er selbst – wahrscheinlich sogar promovierter – Jurist, machte jedoch seinem Unmut über die ungeliebte Profession in weitläufigen Hasstiraden unflätigster Diktion Luft.
Obwohl nicht gesagt werden kann, dass die Väter ihre Söhne in der Not nicht unterstützt hätten, ja, sie sogar für deren künstlerische Ambitionen ein gewisses Verständnis bis hin zum Stolz aufbrachten, war es die klar ersichtliche Unmöglichkeit einer offenen Kommunikation im Elternhaus, die auf der einen Seite typisch für die Zeit und auf der anderen Seite durch die überlegene, von juristischer Sachlichkeit dominierte Position des Familienoberhaupts gekennzeichnet war, welche die jungen Künstler an ihrer Situation verzweifeln ließ. Eine spätere Aufarbeitung dieser Erfahrungen ist an verschiedenen literarischen Figuren in ihren Werken nachzuweisen, die im Rückgriff auf das persönlich Erlebte mit der entsprechenden dichterischen Freiheit gezeichnet wurden und die Gestalt des „schweinernen“ (so Georg Heym; S. 127) Juristen-Vaters in einem breiten Spektrum vom kaltherzigen Staatsanwalt und Teilnehmer an Hinrichtungen (wie in Bechers Roman „Levisite“) bis zum ebenso nüchternen, aber gerechten und – weil eine verfolgte Jüdin selbstlos aufnehmend - gütigen Kammergerichtsrat (in Falladas „Jeder stirbt für sich allein“) darstellen. Die Ambivalenz in den Urteilen ist augenscheinlich.
Einige wenige Fotografien (von Hermann Heym ist eine solche offenbar nicht auf uns gekommen) und faksimilierte Schriften der Protagonisten bereichern den Text und verleihen ihm zusätzliche Authentizität.
Kapfenberg Werner Augustinovic