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Stolleis, Michael, Sozialistische Gesetzlichkeit. Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR (= Beck’sche Reihe 1924). Beck, München 2009. 172 S., Ill. Besprochen von Gerhard Köbler.

Stolleis, Michael, Sozialistische Gesetzlichkeit. Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in der DDR (= Beck’sche Reihe 1924). Beck, München 2009. 172 S., Ill. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Geschichte des öffentlichen Rechts ist lang und wird täglich länger. Michael Stolleis hat sie bisher von den Anfängen um 1600 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs umfassend, detailliert und souverän durchmessen. Allerdings nimmt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts die Verrechtlichung des menschlichen Lebens stärker als je zuvor zu, so dass noch viel Arbeit vor ihm liegt und die Vollendung der großen Aufgaben noch nicht vollständig gelungen ist.

 

Einen weiteren wichtigen Teilbereich hat er inzwischen an einem eigenen Ort in Angriff genommen. Er betrifft die Staatsrechtswissenschaft und die Verwaltungsrechtswissenschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Sachlich handelt es sich um eine erste Gesamtdarstellung der Staatsrechtslehre, Verwaltungsrechtslehre und Völkerrechtslehre in der sowjetischen Besatzungszone und der darauf gründenden DDR seit 1945.

 

Er beginnt mit einem kurzen Vorwort, in dem er eindringlich darauf hinweist, dass es zwanzig Jahre nach der Implosion der DDR, die ihre ökonomischen und politischen Probleme im Kontext eines sich auflösenden Ostblocks nicht mehr bewältigt habe, an der Zeit ist, sich der Geschichte ihrer Rechtswissenschaft intensiver anzunehmen. Vierzig bzw. 45 Jahre strenger Abschottung gegenüber dem Westen und Hinwendung zur Sowjetunion haben ein eigenes Ergebnis mit sich gebracht. Zu verstehen, wie einerseits die Rechtswissenschaft der DDR in den Kernbereichen des öffentlichen Rechtes funktionierte und welche Spielräume andererseits innerhalb des von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands oktroyierten und stetig kontrollierten Rahmens bestanden, ist die selbst gesetzte Aufgabe.

 

Im Anschluss hieran wird die Forschungslage geschildert. Dabei verweist der Verfasser sowohl darauf, dass Bundesrepublik Deutschland und Deutsche Demokratische Republik Erben des Nationalsozialismus waren, auch wenn die DDR das Erbe verwarf und seine Spuren in Biografien ebenfalls zu tilgen versuchte, wie auch darauf, dass fast das gesamte Gebiet der DDR vom grenzüberschreitenden Fernsehen der Bundesrepublik erreicht wurde. Dementsprechend setzte sich westliche Werbung, begleitet von westlichen Nachrichten, trotz östlicher Gegenpropaganda immer mehr durch und Glasnost und Perestroika erleichterten sie noch.

 

Nach 1989 öffnete sich der historischen Forschung ein weites Feld. Auf ihm spielt die Rechtsgeschichte allerdings eine eher unbedeutende Rolle, weil in der DDR Rechtswissenschaft und Rechtsgeschichte marginalisiert waren und sich auch im Westen nur wenige Spezialisten für die Einzelheiten der östlichen, als höchst problematisch empfundenen Rechtsordnung interessierten. Seit 1990 hat sich diese Lage, wie sieben Fußnoten dokumentieren, deutlich gebessert.

 

Im Anschluss hieran wendet sich Stolleis auf knappem Raum der sowjetischen Besatzungszone und der Deutschen Demokratischen Republik zu. Danach schildert er ausführlicher das Rechtssystem, bei dem es zunächst in erster Lage um Reorganisation und Neuaufbau der Justiz ging, wobei schätzungsweise 95 Prozent des akademisch gebildeten Justizpersonals (vier Fünftel aller Richter und Staatssnwälte) und der größte Teil der Verwaltungsjuristen entlassen wurden. Schritt für Schritt verlor auch die freie Advokatur an Boden, während eine Verfassungsgerichtsbarkeit gar nicht erst errichtet wurde.

 

Die Einheitspartei beharrte auf dem Primat der Politik vor dem instrumental verstandenen Recht, so dass das Recht für die von der Partei gefällten Entscheidungen durchlässig war. Dementsprechend ordnet Stolleis die DDR als Normenstaat ein, der kein Rechtsstaat war. Auch hier gab es also einen Doppelstaat mit Parallelität von regelgeleiteter Ordnung und regelwidriger Maßnahme im Sinne bürokratisierter Rechtlosigkeit.

 

Folglich sieht es der Verfasser als Gebot der Redlichkeit an, auch die Opfer zu benennen. Dem schließt er alle an, die es wagten, Partei und Staat offen gegenüberzutreten und sie von innen zu delegitimieren, wobei freilich erst spät eine Art Kaskadeneffekt eintrat. Das Gebot der Redlichkeit für die Benennung von Vorgängen wendet er im Übrigen auch auf den Westen an.

 

Auf dieser Grundlage betrachtet Stolleis im vierten Abschnitt die Rahmenbedingungen der Hochschulpolitik unter besonderer Berücksichtigung der juristischen Fakultäten. Dabei unterscheidet er überzeugend drei Phasen. Besonderes Gewicht misst er der Babelsberger Konferenz zu.

 

Eigens sorgfältig dargestellt werden die Rahmenbedingungen wissenschaftlichen Arbeitens. Dabei werden Publikationswesen und Zeitschriften, Dissertationen und Habilitationen sowie Gratifikationen unterschieden. Dabei zeigt sich, dass Juristen zwar auch routinemäßig wie andere Gruppen mit Auszeichnungen bedacht wurden, aber alles in allem eher am Rande standen.

 

Detailliert betrachtet der Verfasser danach die vier Universitäten in Berlin, Halle-Wittenberg, Jena und Leipzig. In der Folge geht er umsichtig auch auf die Deutsche Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft Walter Ulbricht in Potsdam- Babelsberg. Hieran schließt sich die Untersuchung von Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Völkerrecht nach Babelsberg an, so dass sich insgesamt sachliche Ordnung und chronologische Abfolge stützend durchdringen.

 

Das knappe Ende weist auf die nunmehr gegebenen Möglichkeiten hin. Bisher hat die Rechtsgeschichte als Wissenschaftsgeschichte diese Stoffe noch kaum entdeckt. Umso begrüßenswerter ist der gelungene, mit einem Register der vielleicht 250 erfassten Personen abgerundete Zugriff, der hoffentlich ein wichtiger Schritt auf dem langen Weg zur Vollendung der umfassenden Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland aus einer Hand bilden wird.

 

Innsbruck                                                                                                       Gerhard Köbler