Schwob, Ute Monika, Spuren der Femgerichtsbarkeit im spätmittelalterlichen Tirol (= Schlern-Schriften 345). Wagner, Innsbruck 2009. 232 S. Besprochen von Reinhard Schartl.
Schwob, Ute Monika, Spuren der Femgerichtsbarkeit im spätmittelalterlichen Tirol (= Schlern-Schriften 345). Wagner, Innsbruck 2009. 232 S. Besprochen von Reinhard Schartl.
Die westfälischen Femgerichte (auch Freigerichte oder Freistühle) nahmen seit dem späten 14. Jahrhundert eine Rechtsprechungskompetenz für das gesamte deutsche Reich in Anspruch. Nachdem bereits im 20. Jahrhundert ihre Tätigkeit in den Reichsstädten Nürnberg und Frankfurt am Main sowie in der Eidgenossenschaft dargestellt wurde, wertet die zu besprechende, in drei Abschnitte gegliederte Monographie Urkunden aus, welche die Tätigkeit der Femgerichte in ihren Auswirkungen auf Tirol (Grafschaft Tirol, Hochstift Brixen und Grafschaft Görz) aufzeigen. Die Verfasserin, Historikerin und Germanistin, wurde durch ihre Arbeit an der Kommentierung der Lebenszeugnisse Oswalds von Wolkenstein auf die Thematik aufmerksam, die seit einem Zeitschriftenbeitrag Justinian Ladurners aus dem Jahre 1869 kaum noch behandelt worden war. Allgemeine Erkenntnisse des 19. und 20. Jahrhunderts über die unter dem Königsbann stehenden und mit einem Freigrafen sowie mindestens sieben Freischöffen besetzten Femgerichte fasst die Autorin in dem kürzeren zweiten Abschnitt zusammen. Im Mittelpunkt des ersten Abschnitts sowie des ersten Teiles des dritten Abschnitts steht der Tiroler Adlige und Dichter Oswald von Wolkenstein, dessen Leben in rund 700 zeitgenössischen Schriftstücken ungewöhnlich gut dokumentiert ist. Der erste Abschnitt behandelt zunächst eine im Archiv der Familie Wolkenstein-Rodenegg im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg aufbewahrte Abschrift der „Ruprechtschen Fragen“, das von Kaiser Ruprecht 1408 eingeholte Weistum über die Rechte des Königs an den Femgerichten, deren Zuständigkeit und Verfahren. Schwob begründet nachvollziehbar, dass die Abschrift aus dem Jahre 1428 von Oswald von Wolkenstein möglicherweise diktiert, aber wahrscheinlich nicht selbst angefertigt wurde. Anschließend geht die Arbeit ausführlich auf eine Reise Oswalds nach Köln und Aachen ein, die er selbst in einem vierstrophigen Gedicht beschrieben hat. Zweck seiner Reise war es, in Westfalen in die Reihen der Freischöffen aufgenommen zu werden. Schwob bespricht die Reisebeschreibung eingehend und stellt heraus, dass Oswald den Leser über seine Einweihung in die Kenntnisse des Femgerichtswesens im Dunkeln lässt und damit seiner Schweigepflicht als Freischöffe nachkommt: „Nit mer ich sprach, was mir darnach kuntlichen ward“. Mit seiner Aufnahme als Freischöffe bereitete Oswald ein Femgerichtsverfahren gegen den Tiroler Adligen Hans von Vilanders vor. Diesem hatte Oswald 1422 Sicherheiten für eine Bürgschaft gegeben, die Hans von Vilanders für ihn anlässlich seiner Entlassung aus einer Gefangennahme durch Herzog Friedrich IV. von Österreich übernommen hatte, und die Oswald nun zurückverlangte. Offensichtlich schon im Vorfeld der Auseinandersetzung hatte der Freigraf zu Arnsberg, Gert Seyner, Anfang 1429 ein Mahnschreiben an 24 Tiroler Freischöffen gesandt, mit dem er diese zur Hilfeleistung aufforderte, wenn jemand vor die Feme geladen würde. Dass dies mit Oswalds Streit mit Hans von Vilanders zusammenhing, leitet Schwob zutreffend daraus ab, dass der Freigraf eine Abschrift dem Wolkensteiner zukommen ließ. Um nun die Rückgabe dieser Sicherheiten zu erzwingen, wandte sich Oswald 1429 an den Arnsberger Freistuhl, dessen Freigraf im April einen Warnbrief an Graf Johann Meinrad von Görz und an den Brixener Fürstbischof mit der Aufforderung erließ, innerhalb von dreimal vierzehn Nächten dem Wolkensteiner zu geben, was diesem zustehe, andernfalls ein Gerichtsverfahren In den haymlichen Rechten eingeleitet werde. Da Graf Johann Meinrad dem nicht nachkam, brachte Oswald durch seinen Diener Eitel Volmar als Bevollmächtigen im September 1429, diesmal vor dem Freistuhl vor der Burg Volmarstein, eine erneute Klage gegen Hans von Vilanders ein, worauf gegen diesen sowie Graf Johann Meinrad und den Bischof von Brixen ein weiterer Warnbrief erging, in dem Hans von Vilanders aufgefordert wurde, dem Kläger gegenüber seine Pflicht zu tun, da sonst der Kläger einen Femeprozess verlange. Da der Warnbrief seitens Hans’ von Vilanders unbeachtet blieb, lud wiederum der Arnsberger Freigraf im November 1429 mit vier Freischöffen Hans von Vilanders und den Bischof von Brixen zur Verhandlung (die Vollmacht für Oswalds Diener und die Ladung sind durch Abdruck bei Karl Kroeschell, Deutsche Rechtsgeschichte Band 2, Seite 168 leicht zugänglich). Diese beiden Ladungen wurden aber – wie die Autorin überzeugend schließt – den Adressaten nie zugestellt, da sie sich noch als Originale im Wolkensteiner Archiv vorfinden. Eine zu erwartende Ladung an Graf Johann Meinrad scheint – vielleicht wegen einer schweren Erkrankung des Grafen – nicht ausgestellt worden zu sein. Wie die Verfasserin ferner feststellt, ist auch eine dritte Ladung nicht mehr ergangen. Oswald hatte seine Klage vor den Femgerichten nicht weitergeführt. Die nächsten Spuren der Femgerichtsbarkeit betreffen einen Vorfall vom 31. Oktober 1429 in der Brixener Hofburg des Bischofs Ulrich Putsch. Vorausgegangen war eine Kontroverse zwischen dem Bischof und dem Domkapitel über die Erfüllung von Wahlkapitulationen des Bischofs. Am genannten Tage suchten drei Domherren, darunter Oswald von Wolkenstein, selbst Vasall des Bischofs, und der Brixener Hofrichter Heinrich Seldenhorn, sowie 32 Schöffen (scabini) Bischof Ulrich auf. Dabei versetzte Oswald von Wolkenstein dem Bischof einen solchen Faustschlag, dass er zurücktaumelte; anschließend zwangen ihn die Erschienenen, zwei Urkunden zu schreiben, in denen er auf die Wünsche des Domkapitels eingehen musste. Während dessen entfernten sich einige Schöffen – unter ihnen, wie der Leser später erfährt, der genannte Heinrich von Seldenhorn – aus der Burg, trafen auf den Adligen Hans von Annenberg und hängten ihn auf. Der Bischof wurde noch eine Zeitlang gefangen gehalten. Über diese Vorgänge berichtete Bischof Ulrich in einem Aktenvermerk, den die Autorin wortgetreu wiedergibt. Bei den von Bischof Ulrich erwähnten scabini handelte es sich, wie die Verfasserin herausstellt, um Tiroler Freischöffen, von denen sie für die Zeit um 1430 insgesamt 38 namentlich nachweist. Um die Ursachen und Folgen der Tötung des Hans von Annenberg, der gleichfalls Freischöffe war, geht es in den restlichen Kapitels des dritten Abschnitts der Untersuchung. Die zeitgenössische Sichtweise, es habe sich bei der Tötung um eine Femehinrichtung ohne Ladung, Verhandlung und Urteil gehandelt, überrascht insofern, als dies nur bei handhafter Tat möglich war. Schwob weist zu Recht darauf hin, dass nicht einmal klar ist, welche Tat Gegenstand eines Femeverfahrens gegen den Annenberger hätte sein können. Bekannt ist lediglich, dass Hans von Annenberg in Westfalen ein Femeverfahren gegen einen Ulrich Kessler wegen Erbansprüchen geführt hatte. Gerichtlich wurde die Gewalttat an Hans von Annenberg von seinem Sohn Parzival verfolgt. Er verklagte zum einen den Diener Oswalds von Wolkenstein, Eitel Volmar, als einen der Mittäter. Überliefert ist die von Schwob mitgeteilte, mit vier Freischöffen ergangene zweite Ladung des Freigrafen Johann von Essen an Eitel Volmar zum 6. Juli 1430 nach Villigst bei Schwerte, nachdem dieser auf die erste Ladung mit zwei Freischöffen hin nicht erschienen war. Diese Ladung ging Volmar allerdings nicht zu, da auch sie im Wolkensteiner Archiv verblieb. Oswald von Wolkenstein ließ sich Ende Juli 1430 von König Sigmund ein Schreiben an alle Freigrafen ausstellen, in dem diese zur Unterstützung Oswalds in sachen die das haimlich gericht antreffend aufgefordert wurden. Eine Ladung erging ferner an Heinrich Seldenhorn, von Schwob als intellektueller Anführer der Brixener Ereignisse bezeichnet. Dieser verfasste, wohl zur eigenen rechtlichen Absicherung, eine juristische Disputation, welche die Rechtmäßigkeit der Femgerichtsbarkeit verneinte und sich insbesondere gegen die Heimlichkeit, das Verhandeln in Abwesenheit des Beklagten, die fehlende Möglichkeit, Zeugen zu widersprechen sowie die Ursachen und Gründe für das angeklagte Verhalten einwenden, die undifferenzierte Strafe des Hängens (man henkt … an ein Strick) sowie die Verfemung verjährter und schon vor offenen Gerichten verhandelter und abgebüsster Taten wandte. 1430 fand in Dortmund ein in der älteren Literatur schon behandeltes Freigrafenkapitel statt, bei dem Heinrich Seldenhorn und Parzival von Annenberg anwesend waren. Dabei wurden zunächst in Form eines Weistums allgemeine Grundsätze des Femgerichtsverfahrens wie die femerügigen Delikte und die vorrangige Anrufung öffentlicher Gerichte festgelegt. Anschließend erklärte Heinrich, dass er dem Parzival zur Rechtfertigung zur Verfügung stehe. Dieser weigerte sich aber trotz dreimaliger Aufforderung durch den Dortmunder Freigrafen, seine Klage vorzubringen, wahrscheinlich, wie Schwob vermutet, weil er schon vor Johann von Essen in Villigst eine Klage erhoben hatte. Darauf verlangte Heinrich, von der Anklage und Vorladung freigesprochen zu werden, was der Erzbischof von Köln jedoch nicht zuließ. Vorschläge aus der Mitte der Freigrafen, die Sache vor ein Schiedsgericht zu bringen oder zu vertagen, wurden von Heinrich nicht akzeptiert, so dass die Verhandlung schließlich abgebrochen wurde. Die Verhandlung zwischen den beiden Kontrahenten fand schließlich am 2. Oktober 1430 in Villigst statt, wo das heimliche Gericht mit sieben Freigrafen anstatt wie üblich nur mit sieben Freischöffen besetzt war. Die Verfasserin nimmt an, dass Heinrich Seldenhorn und die anderen Beschuldigten der Verhandlung fernblieben, da man sie ansonsten sofort hingerichtet hätte und ein überliefertes Scheiben an alle Territorialherren und Freischöffen nicht ergangen wäre, mit dem diese über die Verfemung der sieben Angeklagten unterrichtet wurden. Ein weiterer Beteiligter an der Ermordung des Johannes von Annenberg war der adlige Freischöffe Jakob Trautson. Gegen ihn war keine Verfemung mehr ergangen, da er schon am 28. März 1430 von Oswalds Bruder Michael von Wolkenstein erschlagen worden war. Die Herren von Trautson erhoben deshalb gegen Michael vor dem Freigraf von Krassenstein eine Femeklage. Noch im selben Jahr wurde die Auseinandersetzung auf Veranlassung Herzog Friedrichs IV. von Österreich, der an einer Einwirkung der Feme in seine Gerichtshoheit kein Interesse hatte, in eine Sühneverhandlung vor den Bischof von Brixen gebracht. Dort berief sich der Beklagte interessanterweise darauf, dass es ein redlicher Totschlag were, also eine Notwehrhandlung, die entgegen der Ansicht der Autorin bereits im Spätmittelalter als rechtliche Einwendung und zumindest als Strafmilderungsgrund anerkannt war. Zutreffend ist allerdings ihre Einschätzung, dass die weitere Argumentation des Wolkensteiners, hett Gott den Herrn Michl geholfen, auf ein Gottesurteil als Rechtfertigung für die Tat anspielte. Die Sache endete schließlich mit dem Urteil, dass Michael die Trautson um Vergebung bitten, für das Begräbnis sorgen und nach Rom pilgern müsse. Im zweiten Teil des dritten Abschnitts berichtet Schwob nach allgemeinen Darstellungen zur Rechtspflege in Tirol sowie der Bemühungen der Reichsfürsten und Reichsstädte um Zurückdrängung von Fememaßnahmen in ihren Territorien über weitere Zeugnisse von Femeverfahren in Tirol, so über einen Warnbrief des Freigrafen Hans von Menkhusen an Hans von Welsperg im Pustertal wegen einer Klage des Burggrafen Hugo III. von Lienz. Ausgangpunkt war anscheinend eine Geldforderung Hugos, die er 1436 erfolglos vor dem Gericht des Grafen Heinrich von Görz geltend gemacht hatte, wo ihm angeblich sein Recht verweigert worden war. Im Gegenzug erhob Hans von Welsperg eine Klage wegen der Kosten durch bisherige Prozesse, deren dritten Termin die Autorin aufgrund eines überlieferten ausführlichen Verhandlungsprotokolls referiert. Da Hugo vor dem Görzer Grafen nicht zu seinem Recht kam, wandte er sich durch einen Freischöffen an die westfälischen Gerichte. Nach einer Ladung erschien zur Verhandlung am 5. Oktober 1439 indes nur Hans von Welsperg, was dazu führte, dass er der Ladung quitt und ledig erklärt wurde, da der Kläger säumig war und es um einen schon vor dem zuständigen Landesherrn verhandelten Schuldbrief gehe, eine Sache aber nicht ein zweites Mal vor einen Femstuhl gebracht werden könne. Weitere Zeugnisse zur Femgerichtsbarkeit aus dem späteren 15. Jahrhundert betreffen Nikolaus von Kues als Brixener Bischof, der sich von der Feme am Leben bedroht fühlte, oder eine Ladung des Schwazer Landrichters und des Bergrichters sowie weiterer Schwazer Amtspersonen wegen eines falschen Urteils. Zusammenfassend stellt Schwob fest, dass die Tätigkeit der westfälischen Feme in Tirol quellenmäßig zwischen 1425 und 1490 belegt ist, wobei sich sieben einzelne Femeklagen identifizieren lassen. Allerdings schätzt sie die Vorteile einer Verhandlung im weit entfernten Westfalen als gering ein, weshalb die Kläger überwiegend ihre Klagen nicht weiterverfolgten. Zunehmend wurden die Femeverfahren auch durch Richter und Gerichtherren in ihren Bezirken unterbunden, so dass nur von zwei Tiroler Femeprozessen eine letzte Sentenz bekannt ist. Die Untersuchung interpretiert die meist nur fragmentarische Überlieferung überaus sorgfältig und entwickelt so ein anschauliches Bild der Ereignisse und ihrer historischen Kontexte. Für jede vorkommende Person liefert die Autorin zudem eine biografische Skizze. Ergänzt wird die Studie durch den Abdruck von 12 wichtigen, im Text behandelten Urkunden sowie von 13 Regesten aus den Lebenszeugnissen Oswalds von Wolkenstein.
Bad Nauheim Reinhard Schartl