Magna Carta and the England of King John, hg. v. Loengard, Janet S. Boydell Press, Woodbridge/Suffolk 2010. IX, 189 S. Besprochen von Susanne Jenks.
Magna Carta and the England of King John, hg. v. Loengard, Janet S. Boydell Press, Woodbridge/Suffolk 2010. IX, 189 S. Besprochen von Susanne Jenks.
Der vorliegende Band ist das Ergebnis einer im März 2008 abgehaltenen Tagung „Magna Carta and the World of King John“. Da die Beiträge stark englandzentriert sind, wurde allerdings ein neuer Titel gewählt.
Vier Autoren beschäftigen sich mit der Persönlichkeit König Johns und zeichnen ein ausgewogenes Bild dieses Herrschers. Ralph V. Turner (England in 1215: An Authoritarian Angevin Dynasty Facing Multiple Threats, S. 10-26) bewertet John im Vergleich zu seinem Vater Henry II und seinem Bruder Richard I und kommt zu dem Ergebnis, dass allen dreien wichtige Attribute eines ‚guten Königs‘ fehlten. Doch selbst wenn sie nicht gierig und grausam gewesen wären, hätten sie sich angesichts der Größe ihres Reiches vor einer diffizilen Aufgabe gestellt gesehen, die nur schwer zu meistern war, zumal es ihnen nicht gelang, eine enge Beziehung zu dem Adel aufzubauen oder bei ihren Untertanen ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen zu lassen. John Gillingham (The Anonymous of Béthune, King John and Magna Carta, S. 27- 44) argumentiert überzeugend, dass der aus dem Umfeld Roberts of Béthume stammende Autor der kurz nach 1220 verfassten Histoire des ducs de Normandie et des rois d'Angleterre, der den König aus zum Teil zeitgenössischer und zudem weltlicher Sicht beschreibt, seine Ansicht über John im Laufe der Zeit änderte. Gillingham differenziert zwei Teile der Histoire: der erste (bis Mai 1213), der nur vage Daten gibt und generell weniger gut informiert ist, enthält Anekdoten und beschreibt den Charakter des Königs, während der zweite Teil (Mai 1213 bis September 1217) präzise Daten benennt und daher auf zeitgenössischen Notizen basieren dürfte. Obwohl der Chronist sich in unmittelbarer Nähe zum König (im Gefolge Robert de Béthunes) befunden haben dürfte, gibt dieser Teil der Histoire wenig Einblicke in den Charakter des Herrschers und wenn, dann wird dieser überwiegend als gut informierter, besonnener Mann geschildert. Während das Bild des Königs in der Zeit von Mai 1213 bis Mai 1215 durchaus positiv war, änderte sich dies allerdings später, was Gillingham unter anderem auf die Magna Carta zurückführt, die vom Chronisten dreimal als „la vilaine pais“ bezeichnet wird. David Crouch (Baronial Paranoia in King John's Reign, S. 45-62) sieht im Misstrauen, das sich Adel und König entgegenbrachten, den Grund für die „paranoia which triggered the Barons' Rebellion of 1215“ und nicht den Willen zur Reform. Die Barone organisierten ihren Widerstand erst 1213 und damit zu einem Zeitpunkt, als König John nach dem vereitelten Attentatsversuch des Jahres 1212 versuchte, die Sympathien des Adels zu gewinnen, was ihm allerdings aufgrund seines zum Teil brutalen Verhaltens in der Zeit zuvor nicht gelang. Auf eine besonders grausame Episode aus dieser Zeit, in deren Verlauf die Frau und der Sohn eines seiner engsten Vertrauten, der ihm eine beträchtliche Summe Geldes schuldete, als Geiseln des Königs auf Schloss Windsor verhungerten, geht David Crouch in einem weiteren Beitrag besonders ein (The Complaint of King John against William de Briouze [c. September 1210], S. 168-179).
Zwei Aufsätze beschäftigen sich mit dem Einfluss des ius commune. James Brundage (The Managerial Revolution in the English Church, S. 83-98) schildert die Übernahme der Führungsrolle in der Kirche durch im ius commune ausgebildete Kleriker und die dadurch hervorgerufenen Veränderungen (unter anderem bei den Kirchengerichten), während John Hudson (Magna Carta, the ius commune, and English Common Law, S. 99-119) nur bei wenigen Paragraphen (§§ 1, 9, 22, 27, 55) der Magna Carta einen direkten Einfluss des ius commune erkennt und die Bedeutung von altem Gewohnheitsrecht und der Praxis deutlich höher einschätzt, was er anhand § 20 der Magna Carta ausführlich belegt (Anhang, S. 118-119).
James Masschaele (The English Economy in the Era of Magna Carta, S. 151-167) argumentiert, dass England in den Jahrzehnten vor der Magna Carta eine wirtschaftliche Expansion erlebte, die im Bereich der Städte- und Marktgründungen sowie an den Innovationen im Transportwesen abzulesen ist und sich in einigen Bestimmungen der Magna Carta (§§ 13, 23, 30, 33, 35, 41) wiederfindet. Der König profitierte von dieser Entwicklung am meisten, wodurch die Ressentiments geschürt wurden, die dann letztlich zur Konfrontation mit dem Herrscher führten. Janet S. Loengard (What did Magna Carta mean to widows?, S. 134-150) untersucht den Hintergrund zu den Paragraphen 7 und 8 der Magna Carta und belegt, dass es die Barone waren, denen die Morgengabe und die Wiederheirat ihrer Frauen am Herzen lagen, während sich die Einflussnahme des Königs in Grenzen hielt. David Crook (The Forest Eyre in the Reign of King John, S. 63-82) gibt einen Überblick über alle zwischen 1166 und 1212 abgehaltenen Forest Eyres, in denen Klagen verhandelt wurden, bei denen es um den Schutz der königlichen Hirsche und ihres Lebensraumes ging. Diese Eyres halfen, den enormen Finanzbedarf des Königs zu decken (Verteidigung, später Rückeroberung der Normandie), sie wurden jedoch nach der Aufdeckung der Attentatsabsichten im Jahr 1212 beendet und erst 1222 wiederaufgenommen. Die Beschwerden der Barone im Zusammenhang mit der Durchsetzung des Forest Laws fanden Eingang in § 44 der Magna Carta und wurden (als § 2) in die Charter of the Forest von 1217 unverändert übernommen. Während alle bislang genannten Beiträge einen mehr oder minder deutlichen Bezug zur Magna Carta herstellen, ist dies - außer im Titel - bei Barbara Hanawalt (Justice without Judgment: Criminal Prosecution before Magna Carta, S. 120-133) nicht der Fall. Sie bestätigt in diesem Überblick, dass Gerichte im frühen 13. Jahrhundert vornehmlich dazu benutzt wurden, für einen „showdown with their adversary“ zu sorgen, oder die Gegenseite zu einer außergerichtlichen Einigung zu bewegen, und stützt sich auf die edierten Lincolnshire Assize Rolls von 1202.
Der Band, der mit einer die Beiträge zusammenfassenden Einleitung Janet S. Loengards (Introduction, S. 1-9) beginnt und durch einen Index erschlossen ist, bringt durchaus neue Erkenntnisse zu König John und seine Zeit und kann daher zur Lektüre empfohlen werden.
London Susanne Jenks