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Liebner, Katrin, Wucher und Staat. Die Theorie des Zinswuchers im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts (= Schriften zur Rechtsgeschichte 144). Duncker & Humblot, Berlin 2009. 372 S. Besprochen von Hans-Peter Benöhr.

Liebner, Katrin, Wucher und Staat. Die Theorie des Zinswuchers im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts (= Schriften zur Rechtsgeschichte 144). Duncker & Humblot, Berlin 2009. 372 S. Besprochen von Hans-Peter Benöhr.

 

„So lange Cultur existiert, so lange existieren Wucher, Klage über Wucher, Gesetze wider Wucher, und Klage, daß diese Gesetze ihren Zweck nicht erfüllen“. Mit diesem Zitat von 1790 eröffnet Katrin Liebner ihre „Einleitung“. Sie untersucht in der von Diethelm Klippel betreuten Bayreuther Dissertation „den Wandel sowohl des Wucherbegriffs als auch der zeitgenössischen Lösungskonzepte zur Verhinderung wucherischer Rechtsgeschäfte“ sowie die wechselseitige Beeinflussung von Diskussion und Gesetzgebung.

 

Katrin Liebner hält sich glücklicherweise nicht mit der oft kolportierten Geschichte der Wucherbekämpfung in Antike, Mittelalter und früher Neuzeit auf. Wir erfahren erst im Laufe der Arbeit, dass „in der katholischen Moraltheologie“ des 19. Jahrhunderts mehrheitlich von dem absoluten Zinsverbot des Mittelalters Abschied genommen, dass jedoch ein staatliches Einschreiten gegen übermäßiges Zinsennehmen für notwendig gehalten wurde.

 

Entschlossen beginnt sie gleich in den ersten drei Kapiteln mit der Diskussion in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (23-154), mit den Schwerpunkten der absolutistisch-kameralistischen Staatswissenschaften, der Kritik Benthams und Turgots sowie der Wucherpreisfrage Josephs II. Die Kapitel 4 bis 7 sind der Diskussion im 19. Jahrhundert gewidmet (155-295). Den Abschluss bildet „Die Wuchergesetzgebung im Norddeutschen Bund und im Deutschen Reich bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts“ (296-324). Die Ergebnisse werden in der „Zusammenfassung“ von vier Seiten rekapituliert (325-328).

 

„Die Bekämpfung des Wuchers in den absolutistisch-kameralistischen Staatswissenschaften der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts“ (1. Kapitel) wurde mit der „Schädlichkeit hoher Zinsen“ für die Staatsfinanzen begründet. Als Gegenmaßnahmen wurden nach Zinsmaxima mit Strafandrohung, auch die angemessene Steuerung des Geldumlaufs, die Vergabe zinsgünstiger Darlehen sowie Rechtsreformen vorgeschlagen. John Lockes „Considerations“ von 1692, welche die praktische Durchsetzbarkeit zinssenkender Gesetze verneinten, sich aber nicht auf die Freiheit der Kontrahenten beriefen, wurden zuerst zurückgewiesen und später anscheinend weitgehend vergessen. In den Naturrechtslehren standen Eigentumsrecht, Vertragsvereinbarung und freie Bestimmung der Leistungswerte (Thomasius und Gundling) dem gesetzlichen Zwang der objektiven Wertgleichheit (Grotius, Pufendorf und Wolff) gegenüber. In der Praxis des Reiches und der meisten Territorialstaaten galten Zinstaxen von 5 oder 6 Prozent, die im Wesentlichen mit Geldstrafen bewehrt waren.

 

„Die Kritik Benthams und Turgots an obrigkeitlichen Zinsreglementierungen“ (2. Kapitel) ging von der Ansicht aus, dass Wuchergesetze die Bereitschaft zur Kreditvergabe senkten und zu einer Unterversorgung der Wirtschaft mit Krediten führten, während der freie Commerce de l’argent die Konkurrenz und einen niedrigen Zinssatz fördere. Adam Smith hingegen propagierte keineswegs die grenzenlose, staatsfreie ökonomische Freiheit des Individuums, sondern erklärte sich für die Normierung eines knapp über dem Marktzins liegenden Maximums. Denn er befürchtete die Konzentration der ausgegebenen Darlehen in den Händen von Verschwendern und windigen Projektemachern. Gegenüber Smith verteidigte Jeremy Bentham den Wucher, wie er 1787 schon in dem Titel seines Werkes ankündigte, und zwar mit einer solchen Überzeugungskraft, dass angeblich Adam Smith daraufhin seine Meinung änderte, jedoch diese Änderung nicht mehr publizierte.

 

„Die Wucherpreisfrage Josephs II. von 1789“ (3. Kapitel) nimmt mit 70 Seiten den Hauptteil der Dissertation ein. Denn seit dem theresianischen Wucherpatent von 1751 kam die österreichische Wuchergesetzgebung eineinhalb Jahrhunderte lang nicht zur Ruhe. Joseph II. beseitigte die Strafbarkeit der Überschreitung der Zinsmaxima und beließ es bei zivilrechtlichen Folgen. Aber innerhalb eines halben Jahres sank der landesübliche Zinsfuß nicht, sondern stieg. Als die Oberste Justizstelle und die Kompilationskommission hierfür unterschiedliche Ursachen sahen und entgegengesetzte Abhilfen vorschlugen, trat der Kaiser mit der Preisfrage an die Öffentlichkeit. Zu den vielen Befürwortern von Zinsgesetzen gehörte Sonnenfels, zu den wenigen Gegnern Keeß.

 

Katrin Liebner stellt die Argumente und Gegenargumente zur „Recht- und Zweckmäßigkeit gesetzlicher Maximalzinsen“ zusammen: die Fragen der Bemessung des Höchstzinses, der Durchsetzbarkeit des Gesetzes, der Auswirkungen auf die Wirtschaft, der Eigentumsbefugnisse, der Vertragsfreiheit sowie der Rechtsgleichheit der Darlehensgeber mit den anderen Unternehmern. Ebenso vielfältig sind die vorgeschlagenen „Maßnahmen zur Verhinderung des Wuchers“ wie öffentliche Kreditanstalten, Ausgabensenkung beim Staat und bei den Untertanen, Erziehung zur Sparsamkeit, Schutz der besonders gefährdeten Verschwender, Minderjährigen und Beamten, Zulassung der Juden zu den bisher den Christen vorbehaltenen Berufen, Begrenzung der Wechselfähigkeit auf den Handelsstand sowie Reform des Hypothekenrechts und des Justizwesens. Einige der Vorschläge sind neu, fast alle werden bei den künftigen Diskussionen wiederholt (auch noch am Ende des 19. Jahrhunderts im deutschen Reichstag), als seien sie die neuesten Erkenntnisse. Gewinner der Preisfrage war der Hamburger Jurist und Leiter einer Armenanstalt Johann Arnold Günther, der sich entgegen der Mehrheit der Einsender für die freie Zinsvereinbarung eingesetzt hatte. „Der Einfluss der Preisschriften auf die österreichische Gesetzgebung“ war gering.

 

In dem vierten Kapitel, betreffend den „Zinswucher in der politischen Theorie an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert“, gibt Katrin Liebner den heute weniger bekannten deutschen Naturrechtslehrern aus der Zeit nach der Französischen Revolution das Wort. Diese  - wie schon zuvor Achenwall und Pütter - sprachen sich trotz der grundsätzlichen Eigentums- und Vertragsfreiheit für Wuchergesetze aus. Die staats- und polizeiwissenschaftlichen Autoren fanden zudem, dass wucherische Zinsen die Eigentumsrechte der Darlehensnehmer verkürzten. Allgemeines Landrecht (1794) und Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (1811/1812) hielten an Zinsbeschränkungen fest. Ihre Aufhebung im Code civil (1804), unter dem ausdrücklichen Vorbehalt entgegengesetzter Gesetzgebung, wurde schon 1807 wieder zurückgenommen.

 

In der Diskussion über „Wuchergesetze in der Nationalökonomie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ (5. Kapitel) forderten die weitaus meisten Ökonomen die Abschaffung der Zinsgesetze und die Durchführung positiver staatlicher Maßnahmen, wie sie schon im Ancien Régime vorgeschlagen worden waren, um den Gewerbetreibenden in dieser Phase der Vor- und Frühindustrialisierung zu zinsgünstigen Krediten zu verhelfen.

 

Katrin Liebner findet im Jahre 1783 bei von Soden zum erstenmal den Vorschlag, den Begriff des Wuchers auf diejenigen Fälle einzuschränken, in denen der Darleiher die dringende Not der Armen oder den Leichtsinn und die Unerfahrenheit der Jugend des Entlehners missbraucht hat. Sie weist jetzt kurz, aber sehr genau die höchst unterschiedlichen Regeln über den „Zinswucher in der Strafgesetzgebung“ des 19. Jahrhunderts nach.

 

Dass es auch für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts unausgeschöpfte Quellen gibt, zeigen die letzten beiden Kapitel der Dissertation. Interessant ist sowohl der Gleichklang der meisten europäischen Gesetzgebungen, die in der Jahrhundertmitte die bisherigen Wuchergesetze aufhoben, als auch die Verschärfung des Wuchergesetzes in Frankreich im Jahre 1850. Bemerkenswert ist weiter, dass mehrere Staaten in der Weltwirtschaftskrise von 1857 bis 1859 ihre Wuchergesetze vorübergehend suspendiert hatten, während sie in der Großen Depression seit 1873 Wuchergesetze wieder einführten.

 

In der „Debatte über die Berechtigung von Wuchergesetzen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ (6. Kapitel) beriefen sich Gegner wie Befürworter von Zinsbeschränkungen auf die Jahrhunderte langen Erfahrungen mit diesem Instrument, auf die fast ein Jahrhundert zurückliegende Kontroverse zwischen Smith und Bentham, auf den Kampf gegen die Sozialismus und auf den Schutz der Landwirtschaft. Wie immer wurde es auch thematisiert, dass die Wuchergesetze in der Praxis kaum durchgesetzt würden, und es wurde nun auch ausgesprochen, dass sich der Staat allzu oft über die von ihm selbst gesetzten Höchstsätze stellte (so wie auch die Kurie im Mittelalter Bankenprivilegien erteilt und selbst Darlehen gegen Zinsen aufgenommen hatte).

 

Jetzt gewann wieder der Gedanke an Gewicht, den Wucher vom Zivilrecht aus zu bekämpfen. Schon Josef II. hatte 1787 die gerichtliche Zuerkennung der ungesetzlichen Zinsen ausgeschlossen. Jetzt sollte der Schutz gegen den Wucher nicht mittels der als zu unbestimmt geltenden Kriterien von Not und Leichtsinn erfolgen, sondern zumeist durch den Ausschluss der Geschäftsfähigkeit der Verschwender, Geistesschwachen und Minderjährigen. Brauer hatte im Rahmen des Badischen Landrechts von 1810 „die Reichweite der angestrebten Zinsfreigabe“ hinsichtlich der Kreditsicherheiten, des Konkursanspruchs und der Kündigungsfristen beschränkt. Andere Gesetzgeber stellten Formerfordernisse auf.

 

Das letzte (7.) Kapitel ist der „Wuchergesetzgebung im Norddeutschen Bund und im Deutschen Reich bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts“ gewidmet. Der Norddeutsche Bund hatte – zusammen mit anderen Liberalisierungsgesetzen - 1867 alle Wuchervorschriften aufgehoben. Doch sorgten Zentrum und Konservative dafür, dass 1880 Wuchervorschriften in das Reichsstrafgesetzbuch eingefügt wurden. Der Bundesrat führte dazu die zivilrechtliche Ungültigkeit wucherischer Darlehensverträge und in diesem Fall die Pflicht zur Rückzahlung erhaltener Zinsen ein. 1893 wurden diese Strafvorschriften noch erweitert. Dem Zentrum ist sodann im Wesentlichen der heutige § 138 Absatz 2 BGB zu verdanken.

 

Der „Wandel des Wucherbegriffs“, dem Katrin Liebner auf die Spur kommen wollte, erfolgte anscheinend erst im 19. Jahrhundert: Der Gesetzgeber sanktionierte nicht mehr das Übertreten des totalen Zinsverbotes oder das Überschreiten eines gesetzlich vorgegebenen Höchstsatzes, sondern das Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Außerdem sah man als Wucher nicht nur den Kreditwucher an, sondern jedes Geschäft, mit dem die Schwächesituation des Schuldners ausgebeutet wurde.

 

Die Dissertation liefert übrigens ein erneutes Beispiel für die früher selbstverständliche Internationalität der Diskussion, zwischen dem Reich und seinen Territorien, Frankreich und England. Liest man die von Befürwortern wie Gegnern der Vertragsbegrenzungen seit Jahrhunderten vorgebrachten Gründe, so wird der Leser leicht zu dem Eindruck der Wiederkehr, nicht der Rechtsfiguren (so die nicht unumstrittene Beobachtung Mayer-Malys), sondern - noch erstaunlicher - der Argumente gelangen.

 

Katrin Liebner hat die von Klippel aufgebaute Sammlung naturrechtlicher Schriften des 18. und 19. Jahrhunderts in erfreulicher Weise genutzt. Daher brauchte sie sich nicht auf die noch heute bekannten „großen Namen“ zu beschränken, sondern konnte ihre Untersuchung auf eine breite Quellengrundlage stellen. Gründliche und dennoch prägnante Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels („Fazit“ genannt) und zum Schluss der Arbeit insgesamt resümieren die Hauptpunkte. Das Quellen- und Literaturverzeichnis von 40 Seiten belegt ihren Fleiß. Das „Sachverzeichnis“ erleichtert weitergehende Forschungen, auch wenn es auf seinen knapp vier Seiten die Fülle des Materials nicht ausschöpft. Es ist ein Vergnügen, diese inhaltsreiche, klar gegliederte, angenehm formulierte Dissertation zu lesen.

 

Berlin                                                                                                 Hans-Peter Benöhr