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Langbein, John H./Lerner, Renée Lettow/Smith, Bruce, P., History of the Common Law. The Development of Anglo-American Legal Institutions. Aspen Publishers/Wolters Kluwer, New York 2009. XXVII, 1141 S. Besprochen von Frank L. Schäfer.

Langbein, John H./Lerner, Renée Lettow/Smith, Bruce, P., History of the Common Law. The Development of Anglo-American Legal Institutions. Aspen Publishers/Wolters Kluwer, New York 2009. XXVII, 1141 S. Besprochen von Frank L. Schäfer.

 

Die „History of the Common Law“ ist in jeder Hinsicht ein sehr gewichtiges Lehrbuch. Die US-amerikanischen Autoren John H. Langbein (Yale Law School), Bruce P. Smith (University of Illinois College of Law) und die US-amerikanische Autorin Renée Lettow Lerner (George Washington University Law School) legen großformatige 1141 Seiten Text vor. Dieser basiert zu großen Teilen auf Langbeins Vorlesungen über die „History of legal institutions“ und zu einem kleineren Teil auf einem unveröffentlichten Manuskript des Rechtsvergleichers John Philip Dawson. Das Werk unterteilt sich in die mittelalterlichen Ursprünge des Common Law (204 S.), die Geschichte der Equity (208 S.), die Geschichte der Jury als Geschworenengerichtsbarkeit (144 S.), die Geschichte der Strafgerichtsbarkeit und des materiellen Strafrechts (256 S.) sowie in die Besonderheiten des US-amerikanischen Rechtssystems gegenüber dem englischen Mutterrecht in den Bereichen Rechtsliteratur, Privatrecht, Ausbildung und Juristenberuf (282 S.).

 

Das Buch umfasst alle wichtigen Facetten der US-amerikanischen Geschichte und Vorgeschichte des Privat-, Straf-, Prozessrechts sowie des Juristenstandes und seiner Literatur von den Ursprüngen im englischen Common Law über das koloniale Common Law in Nordamerika bis hin zu den aktuellen Ereignissen im frühen 21. Jahrhundert. Nach der selbstgewählten Themenbegrenzung des Buchs werden auf die Verfassungsgeschichte sowie auf die Geschichte der Rechtsphilosophie, Wirtschaft und Gesellschaft nur Seitenblicke geworfen. Ebenso spielt das englische Recht nach der amerikanischen Unabhängigkeit lediglich die untergeordnete Rolle eines Kontrastmittels. Ziel des Buches soll sein, den Studierenden die historisch bedingten Unterschiede des US-amerikanischen Rechts zum europäischen Recht, vornehmlich zum englischen Common Law, vor Augen zu führen.

 

Die Darstellungsweise ist vorbildhaft und innovativ. Aus deutscher Sicht lässt sich die Form am ehesten mit Karl Kroeschells „Deutsche Rechtsgeschichte“ oder mit Mathias Schmoeckels „Auf der Suche nach der verlorenen Ordnung“ vergleichen. Jedes Kapitel wird durch einen Überblick eingeleitet. Ausführliche Zitate aus klassischen Lehrbüchern und aus der aktuellen Forschungsliteratur wechseln sich mit eigenen Passagen, vertiefenden Notizen, Fragenkatalogen, Urteilsauszügen und reichem Bildmaterial ab. Sogar die Bilderhandschriften des Sachsenspiegels und die Folterillustrationen der Theresiana kommen zum Zug. Die „History of the Common Law“ ist damit weitaus mehr als ein hermetischer Lesetext konventioneller Prägung. Man kann unmittelbar auf ausgewählte, wenn auch ins heutige Englisch übertragene Quellen zugreifen. Wie die kritischen Fragenkataloge belegen, erhält der Leser keine vorgefertigte Meinung. Er muss sich mit den vielen Zitaten aus fremder Feder auseinandersetzen und diese mit den eigenen Aussagen der drei Autoren sowie mit den Quellen vergleichen. Das schärft den Sinn für Textkritik und vergleichende Lektüre. Im Gegensatz zu manchen voluminösen Werken aus deutscher Manufaktur weist das vorliegende Werk nicht nur die Zitate, sondern auch die wesentlichen Aussagen minutiös über mehrere tausend Endnoten nach, so dass es neben der Funktion als Lehr- und Arbeitsbuch zugleich den Rang eines wissenschaftlichen Handbuchs erreicht.

 

Die „History of the Common Law“ spannt einen gewaltigen Bogen von der Spätantike bzw. vom vornormannischen England bis zur Reform der Geschworenenauswahl in Tennessee im Jahr 2009. Die Darstellung reicht also bis in die Gegenwart. Es liegt auf der Hand, dass in einer Rechtsordnung, die keine kristalline Zäsur wie das Strafgesetzbuch von 1871 oder das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 kennt, der doktrinäre, aus Sicht des Rezensenten überholte deutsche Glaubensstreit um den „Nutzen“ der Rechtsgeschichte irrelevant ist. Das Lehrbuch pflegt daher einen pragmatischen Umgang mit der Rechtsgeschichte. Jedes aktuelle Rechtsereignis, so die Autoren, werde selbst zur Rechtsgeschichte und stehe somit in einer langen historischen Tradition.

 

Wo es möglich ist, zeigt das Buch den Einfluss der Rechtsgeschichte auf die Gegenwart und illustriert den Wert rechtshistorischer Erkenntnisse für das geltende Recht. Hervorzuheben ist die Rubrik „The living law“. Sie beleuchtet u. a. die Folterproblematik nach dem 11. September 2001 und im hessischen Polizeifolter-Fall Gäfgen, ferner die Fälle Clinton v. Jones, O. J. Simpson sowie die Entwicklung der Großkanzleien und der Gehälter der Großkanzlisten. Abseits dessen kann das Buch mit der Entscheidung Boumediene v. Bush (2008) den ganz großen Bogen vom bereits 1215 in der Magna Carta angedeuteten „habeas corpus“ bis hin zum US Supreme Court spannen. Trotz aller Tagesaktualität sind sich die Autoren sehr wohl der Gefahren einer Transplantation historischer Erkenntnisse in die Gegenwart bewusst, wenn sie Oliver Wendell Holmes Warnung vor dem Bedeutungswandel historischer Normen zitieren.

 

Inhaltlich sind besonders die Partien zum Mittelalter und dabei wiederum die zum kanonischen Recht hervorzuheben. Trotz des Postulats, die Trennung von Germanistik und Romanistik resp. Kanonistik habe sich überlebt, fehlt in Deutschland Vergleichbares. Daneben dürften die Teile zur Equity, insbesondere zum Trust, zur Gerichtsverfassung und zum Prozessrecht nicht nur für die vergleichende Rechtsgeschichte, sondern auch für die aktuelle Rechtsvergleichung von Interesse sein. Zuletzt zeigen die Abschnitte zur Strafrechtsgeschichte Gemeinsamkeiten zur deutschen Strafrechtsgeschichte auf, beispielsweise kollektive Entscheidungen durch juristische Laien, aber auch große Unterschiede z. B. bei der Funktion der Folter.

 

Die Erzählung der normativen Rechtsgeschichte fällt dabei durchgehend äußerst detailliert aus. Zugleich werden für den Leser stets die allgemeinen historischen Faktoren sichtbar. Hervorzuheben ist hier der Abschnitt zur Auswirkung der spätmittelalterlichen Pestepidemie auf die englische Gerichtsbarkeit.

 

In der Gesamtwürdigung ist die „History of the Common Law“ für die US-amerikanische Rechtsgeschichte ein konkurrenzloses Werk. Sie deckt nicht nur die US-Rechtsgeschichte ab, sondern zumindest bis 1776 auch die Rechtsgeschichte des englischen Common Law. In letzterer Funktion ist sie eine willkommene Ergänzung zu dem eher dogmatisch-normativ ausgerichteten Buch „An Introduction to English Legal History“ von Sir John Baker aus Cambridge. Die „History of the Common Law“ hat zugleich Referenzstatus für die europäische Rechtsgeschichtsschreibung und ist uneingeschränkt als vertiefende Ergänzung für rechtshistorische und rechtsvergleichende Vorlesungen zu empfehlen.

 

Kiel                                                                                                    Frank L. Schäfer