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Hierholzer, Vera, Nahrung nach Norm. Regulierung von Nahrungsmittelqualität in der Industrialisierung 1871-1914 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 190). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010. 399 S., 6 Abb., 5 Tab. Besprochen von Gerhard Köbler.

Hierholzer, Vera, Nahrung nach Norm. Regulierung von Nahrungsmittelqualität in der Industrialisierung 1871-1914 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 190). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010. 399 S., 6 Abb., 5 Tab. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die einer modernen, interessanten Thematik geltende Arbeit ist die infolge des Genusses von Schokolade mit Enthusiasmus geschriebene, von Werner Plumpe betreute, im Rahmen der zwischen 1999 und 2004 bestehenden Nachwuchsgruppe Recht in der industriellen Revolution entstandene, im Mai 2006 an der Universität Frankfurt am Main angenommene, danach für den Druck deutlich gekürzte Dissertation der Verfasserin. Sie geht unter einer Karikatur eines modernen (chemophilen) Weinbergs aus den fliegenden Blättern von 1874 von der Wahrnehmung der (beklagenswerten) Nahrungsmittelqualität im deutschen Kaiserreich von 1871 aus, welche die Verfasserin in spaltenlangen Auslassungen der großen deutschen Tageszeitungen, Provinzblättern und Fachzeitschriften in den 1870er Jahren aufspürt. Ziel ist die Ermittlung der zur Bewältigung der Probleme gewählten Lösungswege.

 

Dazu bildet die Verfasserin insgesamt sieben Kapitel. Sie beginnt mit den ökonomischen, sozialen und wissenschaftlichen Faktoren der öffentlichen Sensibilisierung auf der Grundlage der Entschlüsselung der menschlichen Ernährung und der Veränderung der Ernährung unter dem Einfluss der Industrialisierung unter Hervorhebung von Fleischextrakt und Tengelmann, woraus sich ein wachsendes allgemeines Misstrauen gegenüber der allgemeinen Nahrungsmittelqualität ergab. Danach schildert sie die Nahrungsmittelregulierung bis zum frühen Kaiserreich unter besonderer Berücksichtigung des Musterstaats Bayern und des rückständigen Preußens unter Einbeziehung der Regelungen des Reichsstrafgesetzbuchs.

 

An die Spitze der staatlichen Gefahrenabwehr stellt sie das Nahrungsmittelgesetz von 1879 mit den späteren Korrekturen durch Verordnungen und Sondergesetze sowie die Margarinegesetze von 1887 und 1897. Danach verfolgt sie nach Anwälten der Verbraucher fragend die wissenschaftlichen Regulierungen der Nahrungsmittelchemie, stellt die Regulierungsstrategien der Nahrungsmittelwirtschaft vor (Qualität als Verkaufsargument, Gesundheit, Natürlichkeit, Fortschrittlichkeit) und betrachtet den (unmündigen? und jedenfalls den Unternehmern grundsätzlich unterlegenen) Verbraucher zwischen Belehrung und Selbsthilfe. Im Ergebnis stuft sie auf einer beeindruckenden Breite ungedruckter und gedruckter Quellen die Nahrungsmittelregulierung ansprechend als plurale und arbeitsteilige Normsetzung der unterschiedlichen Beteiligten (Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Verbraucher) ein.

 

Innsbruck                                                                                                                  Gerhard Köbler