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Guthke, Thorsten, Die Herausbildung der Strafklage. Exemplarische Studien anhand deutscher, französischer und flämischer Quellen (= Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas - Fallstudien 8). Böhlau, Köln 2009. 289 S. Besprochen von Harald Maihold.

Guthke, Thorsten, Die Herausbildung der Strafklage. Exemplarische Studien anhand deutscher, französischer und flämischer Quellen (= Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas - Fallstudien 8). Böhlau, Köln 2009. 289 S. Besprochen von Harald Maihold.

 

Thorsten Guthke legt mit dem vorliegenden Buch eine vergleichende Untersuchung zur Ausdifferenzierung der Strafklage vor. Anhand ausgewählter Quellen zeigt er, wie sich vom 13. bis zur ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die „Strafklagen“ von den „Zivilklagen“ und innerhalb der Strafklagen „strafrechtliche“ Sanktionen von „zivilrechtlichen“ unterschieden haben. Dabei geht es ihm, wie er in Einleitung deutlich macht, nicht um eine detaillierte Auseinandersetzung mit allen Einzelproblemen, sondern um die Darstellung der wesentlichen Hauptlinien der Entwicklung anhand ausgewählter Quellen. Zwei Themenkomplexe stehen im Vordergrund: zum einen die Abgrenzung bzw. das Verhältnis des „Geldstrafrechts“ zu „zivilrechtlichen“ Geldsanktionen einer Tat, zum anderen die Herausbildung des Inquisitionsprozesses und seine Durchsetzung gegenüber dem akkusatorischen Parteiprozess.

 

In drei Hauptkapiteln untersucht Guthke die Entwicklung in Deutschland (S. 24-161), Frankreich (S. 162-244) und Flandern (S. 245-267), wobei jeweils der Entwicklungsstand im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit gegenübergestellt wird. In dieser zweifach, nämlich historisch und regional vergleichenden Zusammenschau, die wichtige Unterschiede, aber auch zahlreiche Parallelen in der Entwicklung deutlich macht, liegt der größte Gewinn der Arbeit. Allzu lange hat die deutsche Strafrechtsgeschichte sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Der Blick nach Frankreich und in die Niederlande sowie auf die gemeinsamen kirchenrechtlichen Wurzeln vermag die Mär vom „deutschrechtlichen“ Charakter des modernen Strafprozesses, wie sie von einer durch nationalistische Ideologien und Vorurteile nicht unbeeinflusst gebliebenen Strafrechtsgeschichtsschreibung geglaubt wurde, wirkungsvoll zu widerlegen.

 

Das Ergebnis der Untersuchung lässt sich im Wesentlichen darin fassen, dass sich Institutionen öffentlicher Strafverfolgung und öffentlich-strafrechtliche Verfahrensmaximen in Frankreich schon früh herausgebildet haben, während die Entwicklung in Deutschland, wohl aufgrund der fehlenden Zentralgewalt, erst verzögert eingesetzt und man sich hier zunächst einer Reihe von Hilfskonstruktionen (Ausweitung des Handhaftverfahrens, Rügeverfahren, Klageerzwingung etc.) bedient hat, um das Fehlen einer systematischen öffentlichen Strafverfolgung zu kompensieren. Flandern spielt dabei nach Ansicht des Autors die Rolle eines Vermittlers.

 

Das Buch bietet zudem für die drei Sprachgebiete eine nützliche Zusammenfassung des jeweiligen Forschungsstandes, geht freilich in der Einzeldarstellung selten über diesen hinaus und lässt zum Teil auch eine klare Stellungnahme zu Streitfragen vermissen. Dies liegt wohl daran, dass die Forschung gerade zur Strafrechtsgeschichte, wie neueste Publikationen vor allem zum deutschen Mittelalter[1] zeigen, mehr denn je im Fluss ist. Die Tatsache, dass Guthke für seine Darstellung des frühneuzeitlichen Deutschlands sowie für Frankreich und Flandern meist auf Werke des 19. Jahrhunderts zurückgreifen muss, weil es an aktuellen Gesamtdarstellungen fehlt, offenbart ein Forschungsdefizit, das eine einzelne Arbeit nicht ausfüllen kann. Es ist Guthkes Arbeit zu danken, dass sie immerhin das Programm dafür liefert.

 

Angesichts dieser Sachlage verwundert es nicht, dass die Quellenauswahl exemplarischen Charakter trägt. Für Deutschland wählt Guthke als Ausgangspunkt den Sachsenspiegel, als Fluchtpunkt die Carolina, für Frankreich die Coutumes und die Ordonnanz von 1539, für Flandern die Corte instructie in materie criminele von Filips Wielant von 1518, die durch das Plagiat Joos de Damhouders in der Mitte des 16. Jahrhunderts weite Verbreitung fand. Damit sind sicher die wichtigsten Quellen angesprochen. Dennoch hätte die Quellenbasis auch bei einer exemplarischen Auswahl größer sein können. Zum Sachsenspiegel zieht Guthke die Buchsche Glosse und die Spruchpraxis hinzu sowie den ebenfalls von Johann von Buch stammenden Richtsteig Landrechts. Auf andere mittelalterliche Rechtsbücher wie den Schwabenspiegel, den Deutschenspiegel oder das Rechtsbuch Ruprechts von Freising geht Guthke dagegen nicht ein, und auch die Stadtrechte finden nur selten Erwähnung. Für das deutsche Mittelalter beschränkt sich die Arbeit damit im Wesentlichen auf das ländliche Sachsen, andere deutsche Gebiete kommen nur am Rande zur Sprache. Dadurch wird die besondere Entwicklung, welche die Entwicklung strafrechtlicher Verfahrenselemente gerade in Sachsen genommen hat und die der Autor auch mehrfach andeutet (vgl. etwa S. 38), eher verdeckt als betont. Im Ergebnis hält Guthke fest, dass Johann von Buch im sächsischen Recht die römisch-rechtliche Einteilung der Klagen in peinliche, bürgerliche und gemischte eingeführt habe, eine Einteilung, die das französische und flandrische Recht noch deutlicher und früher vornehmen. Allerdings fehlt in der Arbeit eine kritische Darstellung des römischen Rechts und auch eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur[2], was hilfreich gewesen wäre, um die angedeuteten Differenzen zwischen den Interpretationsanstößen Johanns von Buch und seinen sächsischen und justinianischen Vorlagen besser zu verstehen. Zur Carolina beschränkt sich Guthke zudem im Wesentlichen auf den Gesetzestext, während sich Hinweise auf die zahlreichen vom 16. bis 18. Jahrhundert zur Carolina erschienenen Kommentare nur vereinzelt finden, so dass der Einfluss auf die zeitgenössische Wissenschaft und Praxis kaum deutlich werden kann.

 

Trotz dieser offenen Wünsche bieten aber auch schon die Quellen, die Guthke für seine Darstellung heranzieht, ein differenziertes Bild. Vor allem die Auswirkungen der Herausbildung der Strafklage auf die einzelnen prozessrechtlichen Fragen von der Zuständigkeit bis zu den Rechtsmitteln werden für alle drei Länder kenntnisreich und detailliert behandelt. Auf diese Weise bietet die Arbeit nicht nur einen Überblick über den Zwischenstand, sondern auch einen hervorragenden Ausgangspunkt für weitere Forschungstätigkeiten auf dem Gebiet der Geschichte des Strafverfahrens.

 

Basel                                                                          Harald Maihold

[1]  Guthke bezieht sich vor allem auf die Arbeiten von Nehlsen-von Stryk und Lück sowie auf die Publikationen des DFG-Projekts zur Entstehung des öffentlichen Strafrechts. Nicht mehr berücksichtigt wurden etwa Arnd Koch, Denuntiatio, Frankfurt am Main 2006; Barbara Frenz, Frieden, Rechtsbruch und Sanktion in deutschen Städten vor 1300, Köln u.a. 2003.

[2]  Vgl. etwa Ernst Levy, Privatstrafe und Schadenersatz im klassischen römischen Recht, Berlin 1915; Hermann Lange, Schadensersatz und Privatstrafe in der mittelalterlichen Rechtstheorie, Münster u. a. 1955.