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AAAKöbler, Gerhard, Kirche in Bismarcks Gedanken und Erinnerungen, 2016

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Abs. 41 Aus meiner ständisch-liberalen Stimmung, für die ich in Pommern kaum Verständniß und Theilnahme, in Schönhausen aber die Zustimmung von Kreisgenossen wie Graf Wartensleben-Karow, Schierstädt-Dahlen und Andern fand, denselben Elementen, die zum Theil zu den später unter der neuen Aera gerichtlich verurtheilten Kirchen-Patronen gehörten, aus dieser Stimmung wurde ich wieder entgleist durch die mir unsympathische Art der Opposition des Ersten Vereinigten Landtags, zu dem ich erst für die letzten sechs Wochen der Session wegen Erkrankung des Abgeordneten von Brauchitsch als dessen Stellvertreter einberufen wurde. Die Reden der Ostpreußen Saucken-Tarputschen, Alfred Auerswald, die Sentimentalität von Beckerath, der rheinisch-französische Liberalismus von Heydt und Mevissen und die polternde Heftigkeit der Vinckeschen Reden waren mir widerlich, und auch wenn ich die Verhandlungen heut lese, so machen sie mir den Eindruck von importirter Phrasen-Schablone. Ich hatte das Gefühl, daß der König auf dem richtigen Wege sei und den Anspruch darauf habe, daß man ihm Zeit lasse und ihn in seiner eignen Entwicklung schone. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 51 Am 20. meldeten mir die Bauern in Schönhausen, es seien Deputirte aus dem dreiviertel Meilen entfernten Tangermünde angekommen, mit der Aufforderung, wie in der genannten Stadt geschehn war, auf dem Thurme die schwarz-roth-goldne Fahne aufzuziehn, und mit der Drohung, im Weigerungsfalle mit Verstärkung wiederzukommen. Ich fragte die Bauern, ob sie sich wehren wollten: sie antworteten mit einem einstimmigen und lebhaften "Ja", und ich empfahl ihnen, die Städter aus dem Dorfe zu treiben, was unter eifriger Betheiligung der Weiber besorgt wurde. Ich ließ dann eine in der Kirche vorhandene weiße Fahne mit schwarzem Kreuz, in Form des eisernen, auf dem Thurme aufziehn und ermittelte, was an Gewehren und Schießbedarf im Dorfe vorhanden (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 181 [1-47] Kind, in der Politik tapfer und hochfliegend, aber durch körperliches Phlegma gehemmt. Ich erinnere mich, daß ich in Gegenwart beider Brüder, des Präsidenten und des Generals, veranlaßt wurde, mich über den ihnen gemachten Vorwurf des Unpraktischen zu erklären und das in folgender Weise that: "Wenn wir drei hier aus dem Fenster einen Unfall auf der Straße geschehn sehn, so wird der Herr Präsident daran eine geistreiche Betrachtung über unsern Mangel an Glauben und die Unvollkommenheit unsrer Einrichtungen knüpfen; der General wird genau das Richtige angeben, was unten geschehn müsse, um zu helfen, aber sitzen bleiben; ich würde der Einzige sein, der hinunter ginge oder Leute riefe, um zu helfen." So war der General der einflußreichste Politiker in der Camarilla Friedrich Wilhelms IV., ein vornehmer und selbstloser Charakter, ein treuer Diener des Königs, aber geistig vielleicht ebenso wie körperlich durch das Schwergewicht seiner Person an der prompten Ausführung seiner richtigen Gedanken behindert. An Tagen, wo der König ungerecht oder ungnädig für ihn gewesen war, wurde in der Abendandacht im Hause des Generals wohl das alte Kirchenlied gesungen: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 354 [1-105] z. B. mit einer Restauration von Polen, einem rücksichtslosen Verfahren gegen Rußland u. s. w., sowie es keinem Zweifel unterliegt, daß Frankreich und England ihm auf der andern Seite noch leichter als uns Verlegenheiten bereiten können, sowohl in Ungarn als in Italien. Der Kaiser ist in den Händen seiner Polizei und was das heißt, habe ich in den letzten Jahren gelernt *), hat sich vorlügen lassen, Rußland habe Kossuth aufgehetzt u. s. w. Er hat damit sein Gewissen beschwichtigt, und was die Polizei nicht vermag, das leistet der Ultramontanismus, die Wuth gegen die orthodoxe Kirche und gegen das protéstantische Preußen. Daher ist auch schon jetzt von einem Königreich Polen unter einem österreichischen Erzherzoge die Rede. ... Aus allem diesem folgt, daß man sehr auf seiner Hut sein und auf alles, selbst auf einen Krieg gegen die mit Oesterreich verbündeten Westmächte gefaßt sein muß, daß den deutschen Fürsten nicht zu trauen ist u. s. w. Der Herr möge uns geben, daß wir nicht schwach befunden werden, aber ich müßte eine Unwahrheit sagen, wenn ich den Leitern unsrer Geschicke fest vertraute. Halten wir daher eng zusammen. Anno 1850 hatte Radowitz uns etwa auf denselben Punkt gebracht wie Buol jetzt passiv von drüben her 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 560 Jetzt muß ich etwas weit ausholen und zwar bis zu Karl dem Großen, also über 1000 Jahre. Damals war das Princip der europäischen Politik die Ausbreitung der christlichen Kirche. Karl der Große huldigte demselben in seinen Kriegen mit den Sarazenen, Sachsen, Avaren u. s. w., und seine Politik war wahrlich nicht unpraktisch. Seine Nachfolger stritten sich principienlos unter einander, und wieder waren es die großen Fürsten des Mittelalters, welche dem alten Princip treu blieben. Die preußische Macht wurde gegründet durch die Kämpfe der brandenburgischen Markgrafen und des deutschen Ordens gegen diejenigen Völker, welche sich dem Kaiser, dem Vicarius der Kirche, nicht unterwerfen wollten, und das dauerte, bis daß der Verfall der Kirche zu dem Territorialismus, zum Verfall des Reiches, zur Spaltung in der Kirche führte. Seitdem war nicht mehr ein allgemeines Princip in der Christenheit. Von dem ursprünglichen Princip war noch allein der (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 561 [1-167] Widerstand gegen die gefährliche Macht der Türken übrig, und Oesterreich sowie später Rußland waren wahrlich nicht unpraktisch, als sie diesem Principe gemäß die Türken bekämpften. Die Türkenkriege begründeten die Macht dieser Reiche, und wäre man diesem Princip, das türkische Reich zu bekämpfen, treu geblieben: Europa oder die Christenheit wären nach menschlichen Begriffen dem Orient gegenüber in einer besseren Lage als jetzt, wo uns von dort die größten Gefahren drohen. Vor der französischen Revolution, dem schroffen und sehr praktischen Abfall von der Kirche Christi zunächst in der Politik, war eine Politik ‚der Interessen?, des sogenannten Patriotismus, und wohin diese führte, haben wir gesehen. Etwas Elenderes als die Politik Preußens von 1778 bis zur französischen Revolution hat es nie gegeben; ich erinnere an die Subsidien, die Friedrich II. an Rußland zahlte, die einem Tribut gleichkamen, an den Haß gegen England. Bei Holland hielt 1787 noch das alte Ansehen Friedrichs II.; die Reichenbacher Convention war aber schon eine durch Abweichung von dem Princip veranlaßte Blamage. Die Kriege des Großen Kurfürsten waren im protestantischen Interesse, und die Kriege Friedrich Wilhelms III. gegen Frankreich waren recht eigentlich Kriege gegen die Revolution. Den protestantischen Charakter hatten wesentlich auch die drei schlesischen Kriege 1740-1763, wenn auch bei allem diesen die Interessen des Territorialismus und das Gleichgewicht mitspielten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 597 [1-178] Bethätigen derselben noch in dem Neuenburger Conflict, das alles hält uns nicht ab, die Beziehungen unsres Königs zu den Monarchen dieser Länder milder zu beurtheilen als diejenigen zu Napoleon III. Was steckt denn Besondres in dem Letzten und in der französischen Revolution überhaupt? Die unfürstliche Herkunft der Bonaparte thut viel, aber sie findet in Schweden auch statt, ohne dieselbe Consequenz. Liegt dieses ‚Besondre' grade in der Familie Bonaparte? Dieselbe hat weder die Revolution in die Welt gebracht, noch würde die Revolution beseitigt oder auch nur unschädlich gemacht, wenn man diese Familie ausrottete. Die Revolution ist viel älter als die Bonapartes und viel breiter in der Grundlage als Frankreich. Wenn man ihr einen irdischen Ursprung anweisen will, so wäre auch der nicht in Frankreich, sondern eher in England zu suchen, wenn nicht noch früher in Deutschland oder in Rom, je nachdem man die Auswüchse der Reformation oder die der römischen Kirche und die Einführung des römischen Rechtes in die germanische Welt als schuldig ansehn will. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1014 Gegenüber der Bewegung in Polen, die gleichzeitig mit der Umwälzung in Italien, und nicht ohne Zusammenhang mit ihr, durch die Landestrauer, die kirchliche Feier vaterländischer Erinnerungstage und die Agitation der landwirthschaftlichen Vereine begann, war man in Petersburg ziemlich lange schwankend zwischen Polonismus und Absolutismus. Die den Polen freundliche Strömung hing zusammen mit dem in der höhern russischen Gesellschaft laut gewordenen Verlangen nach einer Verfassung. Man empfand es als eine Demüthigung, daß die Russen, die doch auch gebildete Leute wären, Einrichtungen entbehren müßten, die bei allen europäischen Völkern existirten, und daß sie über ihre eignen Angelegenheiten nicht mitzureden hätten. Der Zwiespalt in der Beurtheilung der polnischen Frage erstreckte sich bis in die höchsten militärischen Kreise und führte zwischen dem Statthalter in Warschau, General Graf Lambert, und dem Generalgouverneur General Gerstenzweig, zu einer leidenschaftlichen Erörterung, die mit dem nicht aufgeklärten gewaltsamen Tode des Letztern endete (Jan. 1862). Ich wohnte seiner Beisetzung in einer der evangelischen Kirchen Petersburgs bei. Diejenigen Russen, welche für sich eine Verfassung verlangten, machten zuweilen entschuldigend geltend, daß die Polen durch Russen nicht regirbar wären und als die Civilisirteren erhöhten Anspruch auf Betheiligung an ihrer Regirung hätten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1246 Schwieriger sind die augenblicklichen Aufgaben der innern Politik. Meine Verhandlungen mit dem Nuntius ruhn seit dem Tode des Cardinals Franchi vollständig, in Erwartung von Instructionen aus Rom. Diejenigen, welche der Erzbischof von Neocäsarea mitbrachte, verlangten Herstellung des status quo ante 1870 in Preußen, factisch, wenn nicht vertragsmäßig. Derartige prinzipielle Concessionen sind beiderseits unmöglich. Der Papst besitzt die Mittel nicht, durch welche er uns die nöthigen Gegenleistungen machen könnte; die Centrumspartei, die staatsfeindliche Presse, die polnische Agitation, gehorchen dem Papste nicht, auch wenn Seine Heiligkeit diesen Elementen befehlen wollte, die Regirung zu unterstützen. Die im Centrum vereinten Kräfte fechten zwar jetzt unter päpstlicher Flagge, sind aber an sich staatsfeindlich, auch wenn die Flagge der Katholicität aufhörte sie zu decken; ihr Zusammenhang mit der Fortschrittspartei und den Socialisten auf der Basis der Feindschaft gegen den Staat ist von dem Kirchenstreit unabhängig. In Preußen wenigstens waren die Wahlkreise, in denen das Centrum sich ergänzt, auch vor dem Kirchenstreite oppositionell, aus demokratischer Gesinnung, bis auf den Adel in Westfalen und Oberschlesien, der unter der Leitung der Jesuiten steht und von diesen absichtlich schlecht erzogen wird. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 351 [2-125] aufgenommen von dem Bischof von Mainz, Freiherrn von Ketteler, zu welchem Zweck er mich bei Beginn des Reichstags, 1871, mehrmals aufsuchte. Ich war 1865 mit ihm in Verbindung getreten, indem ich ihn befragte, ob er das Erzbisthum Posen annehmen würde, wobei mich die Absicht leitete, zu zeigen, daß wir nicht antikatholisch, sondern nur antipolnisch wären. Ketteler hatte, vielleicht auf Anfrage in Rom, abgelehnt wegen Unkenntniß der polnischen Sprache. 1871 stellte er mir im Großen und Ganzen das Verlangen, in die Reichsverfassung die Artikel der preußischen aufzunehmen, welche das Verhältniß der katholischen Kirche im Staate regelten und von denen drei (15, 16, 18) durch das Gesetz vom 18. Juni 1875 aufgehoben worden sind. Für mich war die Richtung unsrer Politik nicht durch ein confessionelles Ziel bestimmt, sondern lediglich durch das Bestreben, die auf dem Schlachtfelde gewonnene Einheit möglichst dauerhaft zu festigen. Ich bin in confessioneller Beziehung jeder Zeit tolerant gewesen bis zu den Grenzen, die die Nothwendigkeit des Zusammenlebens verschiedener Bekenntnisse in demselben staatlichen Organismus den Ansprüchen eines jeden Sonderglaubens zieht. Die therapeutische Behandlung der katholischen Kirche in einem weltlichen Staate ist aber dadurch erschwert, daß die katholische Geistlichkeit, wenn sie ihren theoretischen Beruf voll erfüllen will, über das kirchliche Gebiet hinaus den Anspruch auf Betheiligung an weltlicher Herrschaft zu erheben hat, unter kirchlichen Formen eine politische Institution ist und auf ihre Mitarbeiter die eigne Ueberzeugung überträgt, daß ihre Freiheit in ihrer Herrschaft besteht, und daß die Kirche überall, wo sie nicht herrscht, berechtigt ist, über Diocletianische Verfolgung zu klagen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 352 In diesem Sinne hatte ich einige Auseinandersetzungen mit Herrn von Ketteler bezüglich seines genauer accentuirten Anspruchs auf ein verfassungsmäßiges Recht seiner Kirche, das heißt der Geistlichkeit, auf Verfügung über den weltlichen Arm. Er verwandte in seinen politischen Argumenten auch das mehr ad hominem (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 354 [2-127] Cardinal-Staatssekretärs Franchi zu denken, dahingestellt sein. Von Rußland hat man gesagt: gouvernement absolu tempéré par le régicide. Ist ein Papst, der in der Nichtachtung der in der Kirchenpolitik concurrirenden Organe zu weit ginge, vor kirchlichen „Nihilisten“ sichrer als der Zar? Gegenüber Bischöfen, die im Vatican versammelt sind, ist der Papst stark; und wenn er mit dem Jesuitenorden geht, stärker, als wenn er außerhalb seiner Residenz versucht, den Widerstand der weltlichen Jesuiten zu brechen, die die Träger des parlamentarischen Katholicismus zu sein pflegen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 359 [2-129] Richtung gehalten, ebenso dessen Sohn Anton, bei dem die persönliche Anhänglichkeit an Se. Majestät hinzukomme. Aber in dem treibenden Elemente des Hauses, den Geistlichen und dem Fürsten Boguslaw und dessen Sohn, sei das polnische Nationalgefühl stärker als jedes andre und werde gepflegt auf der Basis des Zusammengehns der polnischen mit den römisch-clericalen Interessen, auf der einzigen im Frieden gangbaren, aber auch sehr geläufig gangbaren Basis. Nun sei der Chef der katholischen Abtheilung, Krätzig, so gut wie ein Radziwillscher Leibeigner. Ein Nuntius würde die Interessen der katholischen Kirche, aber nicht die der Polen zu vertreten als seine Hauptaufgabe ansehn, werde nicht die intimen Verbindungen mit der Bürokratie besitzen wie die Mitglieder der katholischen Abtheilung, die in der Garnison der ministeriellen Citadelle unsres Vertheidigungssystems gegen revolutionäre Anläufe als staatsfeindliche Parteigänger säßen; ein Nuntius endlich werde als Mitglied des diplomatischen Corps an der Erhaltung guter Beziehungen zu seinem Souverain und an der Pflege des Verhältnisses zu dem Hofe, an dem er beglaubigt, persönlich interessirt sein. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 363 [2-131] Falk unterlag derselben Tactik, die am Hofe gegen mich nicht mit demselben Erfolge, aber mit gleichen Mitteln in Anwendung gebracht worden war; er unterlag ihr, theils weil er für Hofeindrücke empfindlicher war als ich, theils weil ihm die Sympathie des Kaisers nicht in gleichem Maße zur Seite stand wie mir. Die antiministerielle Thätigkeit der Kaiserin fand ihre ursprüngliche Quelle in der Unabhängigkeit des Charakters, welche es ihr erschwerte, mit einer Regirung zu gehn, die nicht in ihren eignen Händen lag, und welche ihr ein Menschenalter hindurch den Weg der Opposition gegen die jedesmalige Regirung anziehend machte. Sie war nicht leicht der Meinung eines Andern. Zur Zeit des Culturkampfes wurde diese Neigung gefördert durch die katholische Umgebung Ihrer Majestät, welche aus dem ultramontanen Lager Information und Anweisung erhielt. Diese Einflüsse nutzten mit Geschick und Menschenkenntniß die alte Neigung der Kaiserin aus, auf die jedesmalige Staatsregirung verbessernd einzuwirken. Ich habe Falk wiederholt seine beabsichtigten Abschiedsgesuche ausgeredet, die sich an Kaiserliche Handschreiben ungnädigen Inhalts, welche wohl nicht der eignen Initiative des hohen Herrn entsprungen waren, und an verletzendes Benehmen gegen seine Frau am Hofe knüpften. Ich empfahl ihm, sich den ungnädigen, aber auch uncontrasignirten Allerhöchsten Erlassen gegenüber, die weniger an den Culturkampf als an die Beziehungen des Cultusministers zum Oberkirchenrath und zur evangelischen Kirche anknüpften, passiv zu verhalten, allenfalls seine Beschwerden an das Staatsministerium zu bringen, dessen Anträge, wenn sie einhellig waren, der König zu berücksichtigen pflegte. Endlich aber wurde er dadurch, daß er Kränkungen ausgesetzt war, die seinem Ehrgefühl empfindlich waren, doch bestimmt, seinen Abschied zu nehmen. Alle Erzählungen, nach denen ich ihn aus dem Ministerium verdrängt haben soll, beruhn auf Erfindung, und ich habe mich gewundert, daß er selbst ihnen niemals in der Oeffentlichkeit widersprochen hat, obschon er mit mir stets in befreundeten Beziehungen geblieben ist. Aus den Vorgängen, die für seinen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 367 [2-133] entgegenkommen konnten, hatte ich mich also mit meinen Collegen zu verständigen. Der Widerstand der Gesammtheit der im Kampfe betheiligt gewesenen Ministerialräthe war dabei nachhaltiger als der meiner unmittelbaren Collegen, zunächst des Nachfolgers Falks, als welchen ich dem Könige Herrn v. Puttkamer vorschlug. Aber auch nach diesem Personenwechsel konnte es mir nicht sobald gelingen, die Kirchenpolitik zu ändern, wenn ich nicht neue, dem Könige unwillkommne und mir unerwünschte Cabinetskrisen herbeiführen wollte. Die Erinnerungen an die Zeiten der Anwerbung neuer Collegen gehören zu den unerquicklichsten meiner amtlichen Laufbahn. Um mich mit Herrn v. Puttkamer zu einigen, hätte ich die Unterstützung der culturkampfgewöhnten Räthe seines Ministeriums gewinnen müssen, und das überstieg meine Kräfte. Die Erklärung der Falkschen Kirchenpolitik ist nicht ausschließlich auf dem Gebiete des katholischen Kirchenstreits zu suchen; sie wurde gelegentlich auch durch die evangelische Kirchenfrage gekreuzt und beeinflußt. In dieser stand Herr von Puttkamer den am Hofe wirksamen Auffassungen näher als Falk, und mein Wunsch, den Kampf mit Rom auf ein engeres Gebiet einzuschränken, hätte bei meinem neuen Collegen persönlich wohl keinen Widerstand gefunden. Die Hemmnisse lagen aber theils in dem Schwergewicht der vom Zorne des Culturkampfs erregten Räthe, denen Herr von Puttkamer auch die natürliche und herkömmliche Entwicklung unsrer Orthographie zum Opfer zu bringen sich genöthigt glaubte, theils in dem Widerstreben meiner übrigen Collegen gegen jeden Anschein von Nachgiebigkeit dem Papste gegenüber. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 374 Inwieweit derselbe von Dauer sein wird und die confessionellen Kämpfe nun ruhn werden, kann nur die Zeit lehren. Es hängt das von kirchlichen Stimmungen ab und von dem Grade der Streitbarkeit nicht blos des jedesmaligen Papstes und seiner leitenden Rathgeber, sondern auch der deutschen Bischöfe und der mehr oder weniger hochkirchlichen Richtung, welche im Wechsel der Zeit in der katholischen Bevölkerung herrscht. Eine feste Grenze der römischen Ansprüche an die paritätischen Staaten mit evangelischer Dynastie läßt sich nicht herstellen. Nicht einmal in rein katholischen Staaten. Der uralte Kampf zwischen Priestern und Königen wird nicht heut zum Abschluß gelangen, namentlich nicht in Deutschland. Wir haben vor 1870 Zustände gehabt, auf Grund deren die Lage der katholischen Kirche grade in Preußen als mustergültig und günstiger als in den meisten rein katholischen Ländern auch von der Curie anerkannt wurde. In unsrer innern Politik, namentlich der parlamentarischen, haben wir aber keine Wirkung dieser confessionellen Befriedigung gespürt. Die Fraction der beiden Reichensperger gehörte schon lange vor 1871, ohne daß deshalb die Führer persönlich in den Ruf des Händelmachens verfielen, dauernd der Opposition gegen die Regirung des evangelischen Königshauses an. Bei jedem modus vivendi wird Rom eine evangelische Dynastie und Kirche als eine Unregelmäßigkeit und Krankheit betrachten, deren Heilung die Aufgabe seiner Kirche sei. Die Ueberzeugung, daß dem so ist, nöthigt den Staat noch nicht, seinerseits den Kampf zu suchen und die Defensive der römischen Kirche gegenüber aufzugeben, denn alle Friedensschlüsse in dieser Welt sind Provisorien, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 443 [2-156] Verleumders bereitwillig übernehmen? Sobald man aber vor dem eignen Gewissen und vor der Fraction sich damit decken kann, daß man im Parteiinteresse auftritt, so gilt jede Gemeinheit für erlaubt oder doch für entschuldbar. Gegen mich begannen die Verleumdungen in dem Blatte, das unter dem christlichen Symbol des Kreuzes und mit dem Motto „Mit Gott für König und Vaterland“ seit Jahren nicht mehr die conservative Fraction und noch weniger das Christenthum, sondern nur den Ehrgeiz und die gehässige Verbissenheit einzelner Redacteure vertritt. Als ich über die Giftmischereien des Blattes am 9. Februar 1876 in öffentlicher Rede Klage geführt hatte 1), antwortete mir die Kundgebung der sogenannten Declaranten, deren wissenschaftliches Contingent aus einigen Hundert evangelischen Geistlichen bestand, die in ihrem amtlichen Charakter mir in dieser Form als Eideshelfer der Kreuzzeitungslügen entgegentraten und ihre Mission als Diener der christlichen Kirche und ihres Friedens dadurch bethätigten, daß sie die Verleumdungen des Blattes öffentlich contrasignirten. Ich habe gegen Politiker in langen Kleidern, weiblichen und priesterlichen, immer Mißtrauen gehegt, und dieses Pronunciamiento einiger Hundert evangelischer Pfarrer zu Gunsten einer der frivolsten, gegen den ersten Beamten des Landes gerichteten Verleumdung war nicht geeignet, mein Vertrauen grade zu Politikern, die im Priesterrock, auch in einem evangelischen, stecken, zu stärken. Zwischen mir und allen Declaranten, von denen viele bis dahin zu meinen Bekannten, sogar zu meinen Freunden gehört hatten, war, nachdem sie sich die ehrenrührigen Beschimpfungen aus der Feder Perrots angeeignet hatten, die Möglichkeit eines persönlichen Verkehrs vollständig abgeschnitten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 468 [2-165]  mit steigender Siegeszuversicht angriff, war damals die „Spener'sche Zeitung“, die, im Absterben begriffen, ihm käuflich war. In derselben ließ er Andeutungen machen, als ob er allein ein Mittel wisse, den Kampf mit Rom siegreich zu Ende zu führen, und daß nur mein unberechtigter Ehrgeiz einen überlegnen Staatsmann wie er sei, nicht an's Ruder kommen lasse. Gegen mich hat er sich über dieses Arcanum nicht ausgesprochen. Dasselbe bestand in dem von einzelnen Canonisten vertretenen Gedanken, daß die römisch- katholische Kirche durch die Beschlüsse des Vaticanums ihre Natur verändert habe, ein andres Rechtssubject geworden sei und die in ihrem frühern Dasein erworbenen Eigenthums- und Vertragsrechte verloren habe. Ich habe dieses Mittel früher als er erwogen, glaube aber nicht, daß es eine stärkere Wirkung auf den Austrag des Streites geübt haben würde, als die Gründung der altkatholischen Kirche es vermochte, deren Berechtigung logisch und juristisch noch einleuchtender und gerechtfertigter war, als es die angerathne Lossagung der Preußischen Regirung von ihren Beziehungen zur römischen Kirche gewesen sein würde. Die Zahl der Altkatholiken giebt das Maß für die Wirkung, welche dieser Schachzug auf den Bestand der Anhänger des Papstes und des Neokatholicismus geübt haben würde. Noch weniger versprach ich mir von dem Vorschlage, den Graf Arnim in einem der veröffentlichten Berichte gemacht hat, die preußische Regirung möge „Oratores“ zur Erörterung der dogmatischen Fragen in das Concil schicken. Ich vermuthe, daß er darauf durch den Titelkopf der von Paolo Sarpi verfaßten Geschichte des Tridentiner Concils gekommen ist, auf dem die Versammlung abgebildet ist und zwei, an einem besondern Tische sitzende Personen als Oratores Caesareae Majestatis bezeichnet sind. Ist meine Vermuthung richtig, so hat Graf Arnim wissen müssen, daß „orator“ in der clericalen Latinität jener Zeit der Ausdruck für Gesandter ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 479 [2-169] bei dem Friedensschlusse die Interessen der katholischen Kirche in Preußen nicht unberücksichtigt lassen würde, wie der Kaiser von Rußland Friedensschlüsse zu benutzen pflegte, um sich seiner Glaubensgenossen im Oriente anzunehmen. Es würden sich die gesta Dei per Francos vielleicht um einige neue Fortschritte der päpstlichen Macht bereichert haben, und die Entscheidung der confessionellen Kämpfe, die nach der Meinung katholischer Schriftsteller (Donoso Cortes de Valdegamas) schließlich „auf dem Sande der Mark Brandenburg“ auszufechten sind, würde durch eine übermächtige Stellung Frankreichs in Deutschland nach verschiedenen Richtungen hin gefördert worden sein. Die Parteinahme der Kaiserin Eugenie für die kriegerische Richtung der französischen Politik wird schwerlich ohne Zusammenhang mit ihrer Hingebung für die katholische Kirche und den Papst gewesen sein; und wenn die französische Politik und die persönlichen Beziehungen Louis Napoleons zur italienischen Bewegung es unmöglich machten, daß Kaiser und Kaiserin dem Papste in Italien in befriedigender Weise gefällig waren, so würde die Kaiserin ihre Ergebenheit für den Papst im Falle des Sieges in Deutschland bethätigt und auf diesem Gebiete eine allerdings unzulängliche fiche de consolation für die Schäden gewährt haben, die der päpstliche Stuhl in Italien unter und durch Napoleons Mitwirkung erlitten hatte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 485 Auf demselben Boden erwuchs in ausschließlich evangelischen Kreisen das Interesse, welches die fremdartige Erscheinung eines Katholiken und, am Hofe, eines Würdenträgers der katholischen Kirche, damals einflößte. Es war zur Zeit Friedrich Wilhelms III. eine interessante Unterbrechung der Einförmigkeit, wenn Jemand katholisch war. Ein katholischer Mitschüler wurde ohne jedes confessionelle Uebelwollen mit einer Art von Verwunderung wie eine exotische Erscheinung und nicht ohne Befriedigung darüber betrachtet, daß ihm von der Bartholomäusnacht, von Scheiterhaufen und dem dreißigjährigen Kriege nichts anzumerken war. Im Hause des Professors von Savigny, dessen Frau katholisch war, wurde den Kindern, wenn sie 14 Jahre alt waren, die Wahl der Confession freigestellt; sie folgten der evangelischen Confession des Vaters mit Ausnahme meines Altersgenossen, des nachmaligen Bundestagsgesandten und Mitbegründers des Centrums. In der Zeit, als wir Beide Primaner oder Studenten waren, sprach er ohne polemische Färbung über die Motive der getroffenen Wahl und führte dabei die imponirende Würde des katholischen Gottesdienstes, dann aber auch den Grund an, katholisch sei doch im Ganzen vornehmer, „protestantisch ist ja jeder dumme Junge“. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)