150 Jahre Geschichtsforschung im Spiegel der Historischen Zeitschrift (= Historische Zeitschrift Band 289 Heft 1). Oldenbourg, München 2009. 259 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
150 Jahre Geschichtsforschung im Spiegel der Historischen Zeitschrift (= Historische Zeitschrift Band 289 Heft 1). Oldenbourg, München 2009. 259 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
1959 erschien, herausgegeben von Theodor Schieder, ein Sonderheft der Historischen Zeitschrift unter dem Titel „Hundert Jahre Historische Zeitschrift 1859-1959 - Beiträge zur Geschichte der Historiographie in den deutschsprachigen Ländern“ mit zwei ursprünglich vorgesehenen, aber nicht erschienenen Beiträgen Heinrich Sybels (1817-1895) und Hermann Onckens sowie fünf zum Teil sehr umfangreichen Aufsätzen zur Historiegraphiegeschichte Deutschlands, Österreichs und der Schweiz. Dabei wurde die dem Ausscheiden Friedrich Meineckes aus der Herausgeberschaft und dem Eintritt Alexander von Müllers im Jahre 1935 folgende Zeit nur sehr knapp erfasst. Herausgeber und Beirat der Zeitschrift nehmen dies und die seit 1959 vergangenen weiteren fünfzig Jahre zum Anlass, 150 Jahre Geschichte im Spiegel der Historischen Zeitschrift (einschließlich der von 1943 bis 1948/1949 reichenden Einstellung) der Öffentlichkeit in Erinnerung zu rufen.
Dies geschieht in Form insgesamt achter Aufsätze. Sie eröffnet Lothar Gall mit dem weitgespannten Beitrag 150 Jahre Historische Zeitschrift, der sich auf Alexander von Müller, Ludwig Dehio und Theodor Schieder konzentriert und Willy Andreas, Rudolf Stadelmann, Karl Dietrich Erdman(n), Fritz Fischer, Percy Ernst Schramm, Hermann Aubin, Hermann Heimpel, Wolfgang Mommsen, Helmut Berve, Theodor Mayer, Karl Bosl und Johannes Vogt als Autoren der ersten Bände nach dem Wiedererscheinen besonders namhaft macht. Seine Bilanz der vergangenen fünfzig Jahre hebt überzeugend hervor, dass trotz eines Schwerpunkts auf der neueren Geschichte alle historischen Zeitabschnitte erfasst sind und dass sich in der Zeitschrift die Hauptthemen und Hauptentwicklungslinien der Geschichtswissenschaft trotz Gründung neuer Zeitschriften gespiegelt haben.
Dem schließt Hartmut Leppin seine Untersuchung über die alte Geschichte und die Anfänge der Historischen Zeitschrift an. Danach stand im Mittelpunkt des klaren Programms von Anfang an der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, der sich vom Antiquarentum und vom politischen Engagement abgrenzt. Dementsprechend sollte es vor allem um Themen gehen, welche mit dem Leben der Gegenwart einen noch lebenden Zusammenhang haben, ohne dass die alte Geschichte ausgeschlossen sein sollte.
Auf dieser Grundlage befasst sich Uwe Walter mit Althistorie und allgemeiner Geschichte nach der Katastrophe. Er verfolgt sie in erster Linie an Hand der Beiträge Alfred Heuß’ in der Zeitschrift. Dabei gelangt er zu dem Ergebnis, dass das, was Heuß (zwischen 1933 und 1945) sagte, zwar in keiner Weise den Erwartungen der Machthaber genügte, dass dabei aber gleichwohl die Integrität der politischen Biographie nicht ganz ohne Schaden bleiben konnte.
Johannes Fried betrachtet das frühere und hohe Mittelalter und beginnt mit Christian von Ditfurths Durchsuchung aller Räume, in denen sich außer Staub und Gerümpel nichts findet als eine Ausgabe der Historischen Zeitschrift aus dem Jahr 1988, aus der er den Schluss zieht, dass die Zeitschrift im Laufe ihrer langen Geschichte literaturfähig geworden ist. Zu Recht weist er besonders darauf hin, dass das frühere Mittelalter in der Gründungszeit der Zeitschrift, zumindest im Hintergrund, als Zeit nationaler Einheit und Größe und deutscher Weltgeltung, aber auch als Zeit verspielter Chancen, aus denen es zu lernen galt, durchaus politische Aktualität hatte. Insgesamt freilich gingen die Früh- und Hochmittelalterforschung gegenüber den früheren Jahrzehnten ihrer langen Geschichte und im Vergleich zu neuzeitlichen und zeitgeschichtlichen Studien deutlich zurück, ohne dass die sich im Angebot darstellende Verlagerung des allgemeinen Interesse auf die neueste Geschichte und die Zeitgeschichte eine Befreiung von Staub und Gerümpel abgelegener Zeiten sichern kann.
Frank Rexroth stellt die Frage: Geschichte erforschen oder Geschichte schreiben. Sie beantwortet er an Hand der deutschen Historiker und ihres Spätmittelalters zwischen 1859 und 2009. Dabei erkennt er eine Überlagerung der Bereitschaft, die Bühne der Historischen Zeitschrift zu betreten und die Disziplin vom eigenen Tun zu überzeugen, durch den Publikationsdruck des Tagungswesens, obwohl wahrscheinlich kein Tagungsband jemals eine auch nur annähernd vergleichbare Publizität herbeiführen kann wie ein einziger Beitrag zu Sybels Zeitschrift.
Im Anschluss hieran bieten Georg/Eckert und Gerrit Walther die Geschichte der Frühneuzeitforschung in der Historischen Zeitschrift von 1859-2009. Sie ermitteln eine Grundtendenz behutsamer Revision bei Wahrung der Fundamente deutscher Geschichte, die sich in einer Konstanz von Inhalten und einer Einheit der Betrachtungsweise äußert. Das Politische bildet dabei die Klammer über die einzelnen zeit- und fachhistorischen Binnenzäsuren hinweg, in denen sich die Blickwinkel des Faches verlagerten.
Andreas Fahrmeir stellt den Ort des Konsenses fragend der historischne Streitschrift gegenüber. Danach ist es richtig, dass neue Themen und Tendenzen vor allem seit den 1960er Jahren bisweilen mit einer gewissen Verzögerung Eingang in die Historische Zeitschrift fanden. Dessenungeachtet zeigt er, dass die Historische Zeitschrift trotz klarer thematischer Schwerpunkte hinsichtlich der politischen und intellektuellen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zu kaum einer Zeit ein mit einer Stimme sprechendes, eine einheitliche politische oder methodische Position vertretendes Organ war.
An diese naheliegende chronologische Gliederung fügt Werner Plumpe einen Überblick über die Wirtschaftsgeschichte in der Historischen Zeitschrift an. Dabei weist er einen bis zur Gegenwart anhaltenden Konflikt zwischen einer eher strukturgeschichtlichen Richtung und einer eher historisch orientierten Wirtschaftsgeschichtsschreibung nach. Gleichwohl ist mit ihm zu hoffen, dass die Historische Zeitschrift sowohl ein produktives Forum wie auch ein Ort bleibt, an dem die Wirtschaftsgeschichte ihre Forschungsergebnisse weiterhin in die historische Diskussion einbringen kann.
Insgesamt gewährt so der 289. Band der überaus erfolgreichen, dem Historischen Jahrbuch (128. Jahrgang 2008) gegenüberstehenden Zeitschrift in seinem ersten Heft einen interessanten, aufschlussreichen Rückblick auf deutschsprachige Geschichtswissenschaft der letzten 150 Jahre. Vielleicht hätte er ausnahmsweise auch Register verdient. Möge er eine überzeugende Grundlage der Selbstvergewisserung für eine lange Zukunft bieten.
Innsbruck Gerhard Köbler