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Das Meißner Rechtsbuch. Historischer Kontext, linguistische Analyse, Edition. bearb. und eingel. v. Spáčil, Vladimír/Spáčilová, Libuše. Nakladatelství Olomouc. Olmütz 2010. 835 S. Besprochen von Peter Oestmann.

Das Meißner Rechtsbuch. Historischer Kontext, linguistische Analyse, Edition. bearb. und eingel. v. Spáčil, Vladimír/Spáčilová, Libuše. Nakladatelství Olomouc. Olmütz 2010. 835 S. Besprochen von Peter Oestmann.

 

Vor drei Jahren äußerte ein Rezensent in dieser Zeitschrift den Wunsch, nach dem Leobschützer Rechtsbuch weitere spätmittelalterliche sächsische Rechtsdenkmäler zu edieren – bis hin zu einer historisch-kritischen Neuausgabe des Meißner Rechtsbuches[1]. Zu dieser Zeit arbeiteten Vladimír Spáčil und Libuše Spáčilová bereits an ihrer Edition, die es hier anzuzeigen gilt. Geradezu demütig ist vorweg die gelungene Überwindung der Sprachbarriere anzuerkennen. Zwei tschechische Wissenschaftler legen hier einen deutschen spätmittelalterlichen Rechtstext vor, für tschechische Leser gibt es immerhin kurze Übersetzungen der Kapitelüberschriften und Distinktionenanfänge. Mit den einführenden Texten verhält es sich umgekehrt. Hier sind die umfangreichen tschechischen Fassungen durch ausführliche deutsche Zusammenfassungen ergänzt. Das Register ist durchweg zweisprachig mittelhochdeutsch/tschechisch. Das Buch, das mit zweisprachigem Titel erschien, steht damit sowohl der deutschen als auch der tschechischen Wissenschaft offen. Leider werden der Erscheinungsort und der hierzulande unbekannte Verlag die Verbreitung in Deutschland hemmen. Das ist schade, denn es handelt sich um eine wichtige Quelle in vorbildlich historisch-kritischer Aufbereitung.

 

Das Meißner Rechtsbuch als eine der bekanntesten spätmittelalterlichen sächsischen Rechtsaufzeichnungen bedarf an dieser Stelle nicht vieler Worte. Etwa einhundert Handschriften sind noch vorhanden und bezeugen die enorme Verbreitung des zwischen 1357 und 1387 entstandenen Rechtsbuchs nicht nur im mitteldeutschen Raum, sondern auch in Preußen, Böhmen und Mähren. Spáčil und Spáčilová entschieden sich dafür, nicht eine bestmögliche Fassung zu rekonstruieren, sondern das in Olmütz geltende Recht darzustellen. Aus diesem Grunde wählten sie für ihre Edition vier Handschriften aus, die entweder in Olmütz entstanden oder zumindest zeitweise dort vorhanden waren. Die älteste dieser Handschriften (W: Nationalbibliothek Wien Cvp 14869) weist aufgrund ihrer Handschrift und sprachlicher Merkmale bis in die Entstehungszeit des Meißner Rechtsbuches zurück und entstand wohl auch im Raum Meißen. Ein nicht näher bekannter Schreiber Heller fertigte sie an. Diese Handschrift diente als Vorlage für drei in Olmütz selbst entstandene Fassungen. In geradezu detektivischer Kleinstarbeit gelingt es den Herausgebern, zwei Handschriften (O2: Landesarchiv Troppau/Olmütz CO 403; B: Landesarchiv Brünn G 10) als Werk des städtischen Olmützer Kanzleischreibers Michael Dybin zu identifizieren. Dessen Familie kam einige Jahrzehnte zuvor aus dem Meißener Land nach Olmütz, und so liegt die Vermutung nahe, die Verbindungen der Familie Dybin in ihre alte Heimat könnten zur Übersendung des Meißner Rechtsbuches geführt haben. In den Olmützer Abschriften lässt sich durch linguistische Analyse ein allmählicher Wandel von der ostmitteldeutschen Vorlage hin zum eher ostoberdeutschen mährischen Dialekt nachweisen. Damit steht zugleich fest, dass die sicher auf 1403 datierbare Handschrift O2 älter sein muss als die ebenfalls von Dybin erstellte Handschrift B. Zugleich ist die Fassung B am vollständigsten und lieg deshalb der Edition zugrunde. Im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts erstellte sodann der Olmützer Stadtschreiber Nikolaus Fenix, der Nachfolger Dybins, eine weitere Abschrift (Handschrift O1: Landesarchiv Troppau/Olmütz, Stadtarchiv Olmütz Sign. 1304). Erneut diente die älteste Handschrift V als Vorlage. Diese jüngste Fassung trägt zugleich die markantesten ostoberdeutschen Züge, hatte sich sprachlich also am deutlichsten vom Meißner Dialekt entfernt. Wenn die Herausgeber bescheiden mitteilen, die Vermutungen von František Schwarz von 1971/1987 zur Verwandtschaft der überlieferten Handschriften seien damit widerlegt, verweisen sie damit zugleich auf die hierzulande unbekannte ältere innertschechische Diskussion.

 

Neben einer Übersicht über die erhaltenen Handschriften des Meißner Rechtsbuches bietet die Einleitung eine Aufschlüsselung zu der Einteilung des Stoffes in Bücher mit ihrem jeweiligen Umfang. Die Olmützer Handschriften gehören zu denjenigen, die in sieben Bücher gegliedert sind. Sehr verdienstvoll ist die bis zu den einzelnen Distinktionen gehende Konkordanz der vier Olmützer Handschriften mit der von Ortloff 1836 edierten Jenaer Handschrift. Eine zweite Konkordanz vergleicht die Olmützer Handschrift B distinktionenweise mit dem Sachsenspiegel, dem Goslarer Stadtrecht sowie dem Magdeburger Recht von 1261, dem Weichbildrecht sowie mit dem Zwickauer Rechtsbuch von 1348. Die jeweiligen Abhängigkeiten werden damit sehr anschaulich. Die Edition selbst ist übersichtlich gegliedert, die einzelnen Distinktionen sind klar voneinander abgehoben. Der Fußnotentext weist die Abweichungen der Handschriften V, O1 und O2 vollständig nach. Ganz selten sind offensichtlich fehlende Wörter in eckigen Klammern ergänzt oder Wortverdoppelungen hervorgehoben.

 

Natürlich bleiben immer Wünsche offen. So wäre es schön gewesen, wenn Spáčil und Spáčilová in ihre Konkordanzübersichten, vielleicht sogar in die Fußnoten, die Unterschiede zu den in der Druckfassung des sog. Leobschützer Rechtsbuches bereits zugänglich gemachten Fassungen des Meißner Rechtsbuches, darunter auch einer wichtigen Wolfenbütteler Handschrift, eingearbeitet hätten. Vermutlich hätte dies das Unternehmen jedoch erheblich verzögert. Im Literaturverzeichnis fällt auf, dass den Herausgebern die Überlegungen Peter Landaus zur Entstehung des Sachenspiegels unbekannt geblieben sind. Die umfangreiche Monographie Hiram Kümpers zum Sachsenrecht erschien wohl zu spät, um sie noch zu berücksichtigen. Hilfreich wäre es auch gewesen, in das Register nicht nur mittelalterliche Begriffe, sondern zumindest wenige neuhochdeutsche Suchwörter mit aufzunehmen. Die Benutzbarkeit setzt jetzt jedenfalls eine gewisse Erfahrung mit der älteren sächsischen Rechtssprache voraus.

 

Im Ergebnis allerdings ist den beiden Herausgebern für ihre wichtige Arbeit zu danken. Die Erschließung der spätmittelalterlichen sächsischen Rechtsquellen ist damit ein wichtiges Stück vorangekommen.

 

Münster                                                                                             Peter Oestmann

[1] Hiram Kümper, Besprechung von: Das Leobschützer Rechtsbuch, bearb. v. Gunhild Roth, hg. v. Winfried Irgang, 2006, in: ZRG Germ. Abt. 125 (2008), S. 651-652.