Das Deutsche Rechtswörterbuch - Perspektiven, hg. v. Deutsch, Andreas (= Akademiekonferenzen 8). Winter, Heidelberg 2010. 303 S., 12 Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.
Das Deutsche Rechtswörterbuch - Perspektiven, hg. v. Deutsch, Andreas (= Akademiekonferenzen 8). Winter, Heidelberg 2010. 303 S., 12 Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.
Der nach seinem Vorwort Wigamur mit den Nachtschleichern von Weißenburg, friesische Palmenträger mit baltischen Bönhasen, vier gemästete Gänse mit Konrad von Ammenhausens Schachzabelbuch vereinende, aus einem Kolloquium der Forschungsstelle Deutsches Rechtswörterbuch an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hervorgegangene Sammelband hat es sich zum Ziel gesetzt, die Vielgestalt der Gebrauchsmöglichkeiten des bekannten Deutschen Rechtswörterbuchs aus Sicht seiner „Nutzer“ abzubilden. Da es die gesamte ältere deutsche Sprache vom Beginn der schriftlichen Überlieferung im 6. Jahrhundert bis etwa 1815 erfasst, soweit sie in weiterem Sinne rechtliche Relevanz hat, und deswegen auch alle Wörter der Alltagssprache behandelt, sofern sie in rechtlichen Kontexten auftreten, ist es ganz selbverständlich ein nützliches Instrument für (fast) jeden historisch arbeitenden Wissenschaftler und Interessierten. Aufgearbeitet werden dabei nicht nur Wörter des Hochdeutschen in all seinen Sprachstufen, sondern Berücksichtigung findet vielmehr die gesamte so genannte „westgermanische Sprachfamilie“, wozu etwa auch das Altenglische, das Altfriesische, das Mittelniederländische und natürlich - und damit last not least - das Niederdeutsche zählen.
75 Jahre nach Fertigstellung des ersten Bandes des Werkes, während gerade der 12. Band begonnen wurde und die Redaktion bald am 90000. Wortartikel feilen wird, sollte das Kolloquium unter dem neuen Leiter der Forschungsstelle eine „neue“ Möglichkeit bieten, Eindrücke, Interessen, Erwartungen und womöglich neue Kritik der Nutzer zu sammeln. Neu war dabei vor allem die Idee, auf die Nutzer mittels eines „Call for papers“ im Internet und per Rundmail unmittelbar zuzugehen. Dies erwies sich als überaus erfolgreich.
Bekannt war dabei längst außer der Zahl der verkauften Exemplare des Werkes die Zahl der Aufrufe der digitalen Version im Internet (www.deutsches-rechtswoerterbuch.de). Zu ihren auf der Startseite gezählten gut 250000 Besuchen kommen vermutlich noch sehr viel mehr Zugriffe über externe Suchmaschinen. Sie legen beredtes Zeugnis vom Wert der weltweit bekannten Einrichtung ab, deren Seiten seit Jahren zu den meistaufgerufenenen des Heidelberger Universitätsrechenzentrums zählen.
Auf den Aufruf hin meldeten sich altbekannte Freunde und Kollegen sowie noch mehr bis dahin unbekannte Nutzer. Hieraus ergab sich die bedauerliche Notwendigkeit der Auswahl. Mit dem Ziel einer möglichst repräsentativen, fachübergreifenden Themenmischung kam es daraufhin zu einer hervorragenden Besetzung.
Zu Beginn des aus den Referaten geschaffenen Sammelbandes stellt der Forschungsstellenleiter die Geschichte des Deutschen Rechtswörterbuches zusammenfassend, gründlich und übersichtlich dar, wenn er auch publikumswirksam mit einem Rippenbruch einsetzt, der sich aber nicht als Beinbruch erweist. Der anfängliche Plan, das auf nicht mehr als 600 Druckbögen doppelt gespaltenen Quartformats ausgelegte Werk unter der wissenschaftlichen Leitung des Heidelberger Rechtshistorikers Richard Schröder zwischen 1907 und 1909 abzuschließen, erwies sich freilich rasch als völlig unerfüllbar. 1911 wurde ein Verlagsvertrag mit Hermann Böhlaus Nachfolger in Weimar über ein Wörterbuch in etwa acht Bänden zu je ungefähr tausend Seiten abgeschlossen.
Die Zahl der dem Archiv zugeführten Belegzettel betrug in diesem Zeitpunkt rund 840000. Sie erhöhte sich bis 1932 auf 1,2 Millionen. Bis 1971 stieg sie infolge emsigen Fleißes auf rund 2,5 Millionen.
Unter der lenkenden Hand des seit 1905 unter Richard Schröder tätigen Eberhard Freiherr von Künßberg konnte 1912 das erste Quellenverzeichnis erscheinen und 1914 die ersten 160 Artikelspalten von Aachenfahrt bis ablegen gedruckt werden. Erst viele Jahre nach dem Tode Richard Schröders (1917) konnte Eberhard Freiherr von Künßberg 1930 drei weitere Hefte, bis 1932 den gesamten ersten Band bis Bergkasten und danach bis 1938 zwei weitere Bände bis Geleitleute vorlegen. Im Mai 1941 nahm ihm der frühe Tod im vierten Band die Feder aus der Hand.
Danach fehlte der richtige Steuermann, so dass das Unternehmen in schweren Zeiten in rauhe See geriet und zu scheitern drohte. 1971 kam es zu einer entscheidenden Korrektur. 1973 wurde unter Adolf Laufs Heino Speer neuer Forschungsleiter und brachte unter Einbeziehung moderner technischer Entwicklungen das Werk bis zu seinem Ausscheiden im Jahre 2007 bis Satzzettel in Band 11 mit insgesamt 86269 Wortartikeln voran, so dass auf dieser Grundlage Andreas Deutsch getrost die Zuversicht äußern kann, dass nach 1000 Wundern und einem gewaltigen Zettelschatz das Wörterbuch 2036 vollendet sein soll..
Im Anschluss an diesen zugleich kritischen wie optimistischen Überblick geht Klaus-Peter Schroeder auf der Grundlage einer früher veröffentlichten Studie einfühlsam und anerkennend auf die Leistungen und die Persönlichkeit Eberhard Freiherr von Künßbergs (1881-1941) ein. Ihn hatte Richard Schröder 1904 in Wien gelegentlich eines Aufenthalts kennengelernt. Als er ihn zunächst als Hilfsarbeiter für sein Unternehmen gewinnen konnte, erwies sich diese Entscheidung rasch als ein wahrer Glücksgriff für beide.
Diesen einführenden Studien folgen drei grundlegende Beiträge über das deutsche Rechtswörterbuch als Instrument und Gegenstand der Germanistik (Jochen Bär), über die Bedeutung des Altfriesischen für die Erforschung des germanischen Rechtswortschatzes und vice versa (Anne Tjerk Popkema) und Baltisch-Deutsch im DRW (Ineta Balode). Als Wörterbuch für Wörterbücher heben Anja Lobenstein-Reichmann (Frühneuhochdeutsches Wörterbuch), Susanne Baumgarte, Gerhard Diehl und Holger Runow (Wörterbuchmacher), Volker Harm (Deutsches Wörterbuch) und Falk Hess und Andreas Karg (Deutsches Rechtswörterbuch) das Deutsche Rechtswörterbuch besonders hervor. Den Nutzen des Wörterbuchs für die Editoren historischer Texte unterstreichen Pascale Sutter (Edition schweizerischer Rechtsquellen), Sabine Arend, Martin Armgart und Christian Kramer (Deutschsprachige Rechtsliteratur der frühen Neuzeit).
Am Ende erweisen Hiram Kümper, Franziska Facius, Jörg Wettlaufer, Michaela Wirsing und Nathanael Busch in eindrucksvollen Einzelstudien das Deutsche Rechtswörterbuch als wichtiges Werkzeug für Historiker, Juristen und Germanisten. Gerade in der Kooperation unterschiedlichster Disziplinen kann das wissenschaftliche Optimum gelingen. Möge das Deutsche Rechtswörterbuch bis zu seinem Abschluss und noch lange darüber hinaus seinen durch vorbildliche Forschungsleistung und durch das ertragreiche Kolloquium erwiesenen zentralen Platz in der deutschen historischen Sprachlexikographie wahren und stärken.
Innsbruck Gerhard Köbler