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Böse, Christian, Die Entstehung und Fortbildung des Reichserbhofgesetzes (= Rechtshistorische Reihe 378). Lang, Frankfurt am Main 2008. 534 S. Besprochen von Gerhard Otte.

Böse, Christian, Die Entstehung und Fortbildung des Reichserbhofgesetzes (= Rechtshistorische Reihe 378). Lang, Frankfurt am Main 2008. 534 S. Besprochen von Gerhard Otte.

 

Der Verfasser hat sich mit seiner von Jörn Eckert angeregten und nach dessen Tod von Werner Schubert betreuten Dissertation das Ziel gesetzt, die Entstehung und das weitere Schicksal des Reichserbhofgesetzes (REG) nachzuzeichnen. Das Thema ist nicht neu. Über die Tendenz der nationalsozialistischen Erbhofgesetzgebung haben zuletzt Kannewurf (Die Höfeordnung vom 24. April 1947, 2004, passim) und Buchenroth (Die Heimatzuflucht nach § 30 Absatz 3 Reichserbhofgesetz, 2004, S. 60ff.) geschrieben. Letzterer hat auch die zum Preußischen Bäuerlichen Erbhofrecht vom 15. 3. 1933 und zum Reichserbhofgesetz vom 29. 9. 1933 führenden Gesetzgebungsverfahren dargestellt (aaO. S. 67ff. und 99ff.). Grundsätzlich neue Einsichten waren daher nicht zu erwarten. Böse hat aber nicht nur das gesamte zeitgenössische Schrifttum zum Erbhofrecht, sondern vor allem auch unfangreiches Aktenmaterial aus dem Reichsjustizministerium und dem preußischen Justizministerium ausgewertet und dadurch das bisherige Bild vom Erbhofrecht mit einer Fülle von Einzelheiten anreichern und das Urteil über dieses Recht festigen können.

 

Böse behandelt in acht Kapiteln (1.) den Weg vom Anerbenrecht vor 1900 über das REG hin zu den dieses Gesetz vielfach ändernden Verordnungen der Jahre 1934-1944, (2.) das Verfahren der „Anerbenbehörden“ (gemeint ist, der Erbhofgerichte), (3.) den Begriff des Erbhofs, (4.) die Bauernfähigkeit, (5.) die Erbfolge, (6.) die Problematik der Ehegattenhöfe, (7.) die Veräußerungs- und Belastungsbeschränkungen und (8.) – knapp – das Ende des Erbhofrechts, das heißt dessen Aufhebung durch den Alliierten Kontrollrat und Ersetzung in der britischen Besatzungszone durch die Höfeordnung.

 

Im Anhang (S. 447-534) sind dankenswerter Weise die einschlägigen Rechtsnormen abgedruckt, nicht nur das REG, sondern in wesentlichen Auszügen auch die drei Durchführungsverordnungen der Jahre 1933 und 1934, die Erbhofrechtsverordnung (EHRV) und die Erbhofverfahrensordnung (EHVfO) – beide vom 21. 12. 1936 – sowie die Erbhoffortbildungsverordnung (EHFV) vom 30. 11. 1943.

 

Die Darstellung ist gut lesbar, aber sehr breit. Der Verfasser meint, manchmal auch Selbstverständlichkeiten dem Leser ausdrücklich nahe bringen zu müssen, und wiederholt klar Gesagtes an späteren Stellen mehrfach. Zu bedauern ist, dass er als Quellen die Rechtsprechung der Erbhofgerichte nicht zumindest gleichwertig neben der Literatur heranzieht. So bleibt in vielen Zusammenhängen (Ausnahmen: Ehrbarkeit und Wirtschaftsfähigkeit als Voraussetznngen der Bauernfähigkeit, S. 183 und 186f.) unklar, ob der Meinungsstand im Schrifttum die Rechtwirklichkeit wiedergab oder nur „law in books“ war.

 

Einige Ausführungen des Verfassers können nicht ohne kritische Anmerkungen bleiben: Wer den „entscheidenden politischen Durchbruch“ zur Bauernbefreiung in den Stein- und Hardenbergschen Reformen sieht (so S. 25), steht immer noch im Banne preußischer Geschichtsverklärung; im größeren Teil Deutschlands hatten die Bauern das Glück, nicht nach preußischem, sondern nach französischem Recht oder Vorbild befreit zu werden. – Was es heißen sollte, den Erbhof als „konkrete Ordnung“ zu verstehen, kann nicht schon durch Zitate aus der damaligen Literatur (S. 73ff.) deutlich gemacht werden; hier hätte man sich gewünscht, dass der Verfasser konkrete Folgerungen aufgezeigt oder, falls das nicht gelänge, die Zitate als leere Phrasen erwiesen hätte. - Die Meinung, nur wenige Juden hätten Landwirtschaft betrieben (S. 177), ist aus der Sicht eines aus Norddeutschland stammenden Autors erklärbar; in Franken und in Südwestdeutschland waren aber jüdische Landwirte keine Seltenheit.

 

Diese Bemerkungen sollen den Wert der Arbeit nicht in Frage stellen. Der Leser erfährt eine Fülle rechts- und zeitgeschichtlich interessanter Details. Um nur einige Beispiele zu nennen: Die Behandlung polnischer Landwirte in Oberschlesien, denen zunächst mit der Begründung, Slawen seien mit Deutschen „stammesgleichen Blutes“ (§ 13 REG), das Erbhofrecht aufgedrängt, nach dem Polenfeldzug aber, um die Höfe der nach BGB-Erbrecht drohenden Aufteilung zuzuführen, die Bauernfähigkeit abgesprochen wurde (S. 166ff.); die Folgen der starren Obergrenze von 125 Hektar (§ 3 REG), die nicht nur weitestgehend den adeligen Großgrundbesitz, sondern auch viele bäuerliche Betriebe, deren Fläche Heide, Moor oder Ödland umfasste, von der Anwendung des Gesetzes ausschloss (S. 112-118); der Versuch Hindenburgs, für sein Gut Neudeck die gesetzliche Zubilligung einer fideikommissartigen Nachfolgeordnung zu erlangen (S. 119); die Ineffizienz des Rechtsinstituts der Abmeierung (S. 188ff.); die Empörung in der Bevölkerung über den anerbenrechtlichen Vorrang der Brüder des Bauern vor den Töchtern (§ 20 Nr. 3 und 4 REG) in einem Staat, der später dafür verantwortlich war, dass in vielen Fällen der einzige Sohn des Bauern im Krieg sein Leben lassen musste, eine Regelung, die schließlich auch auf Drängen des Oberkommandos der Wehrmacht, wenn auch nur befristet, abgeändert wurde (S. 68, 223ff.).

 

Böse stellt die geringe Akzeptanz des REG deutlich heraus. Zeitweise waren über 100.000 Einsprüche gegen die Eintragung oder auch gegen die Ablehnung eines Antrags auf Eintragung in die Höferolle anhängig (S. 151). Die nahezu gänzliche Beseitigung der Testierfreiheit (hierzu vor allem S. 265ff.), das Teilungsverbot auch in Regionen, wo man mit der Realteilung verantwortlich umzugehen wusste (S. 217f.), das notwendigen Modernisierungen im Wege stehende Belastungsverbot (S. 399ff.), namentlich aber der – offenbar diskussionslos beschlossene (S. 311) - Ausschluss der Ehegattenhöfe vom Erbhofrecht (§ 17 Abs. 1 REG) mussten auf Unverständnis stoßen. Auffällig war hier die Beliebigkeit der Verwendung des Traditionsarguments bei Propagierung des neuen Rechts: Wurde der zwingende Charakter des Anerbenrechts mit (angeblicher) „deutscher Erbsitte“ begründet (S. 212ff.), so wurde der Hinweis, dass die eheliche Gütergemeinschaft doch ebenfalls deutschrechtlicher Tradition entspreche, mit der Begründung abgetan, dass sich in der Ehe das „Führertum des Mannes“ durchzusetzen habe (S. 312). Der Ausschluss von Ehegattenerbhöfen war wohl der ärgste Missgriff des REG-Gesetzgebers. In Gebieten, wo Gütergemeinschaft Tradition war, wurde er als ungerechtfertigte Benachteiligung des in einen Erbhof einheiratenden Ehegatten empfunden (S. 336ff.). Eine bei Inkrafttreten des REG bereits bestehende Gütergemeinschaft führte dazu, dass der Hof nicht Erbhof werden konnte und infolge der Aufhebung der bisherigen Anerbengesetze (§ 60 REG) nun beim Erbfall dem BGB-Pflichtteilsrecht ausgesetzt war (S. 313f.). Schon die 1. DVO zum REG versuchte hier Abhilfe zu schaffen (S. 315ff.), und die EHFV ließ endlich Ehegattenerbhöfe umfassend zu (S. 339).

 

Daran, dass die Ziele, die sich der Gesetzgeber gesteckt hatte, vom REG nicht erreicht wurden, lässt Böse mit Recht keinen Zweifel. Die sachlichen, persönlichen und rechtlichen Voraussetzungen, die das Gesetz für die Qualifizierung eines land- oder forstwirtschaftlichen Besitzes als Erbhof aufgestellt hatte, bewirkten, dass ein Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe nicht unter das Gesetz fiel. 1939 zählte man knapp 700.000 Erbhöfe, die nicht einmal 40% der gesamten land- und forstwirtschaftlichen Betriebsfläche umfassten (S. 151). Was das Schicksal der Betriebe, die draußen vor blieben, bei längerer Geltungsdauer des nationalsozialistischen Landwirtschaftsrechts gewesen wäre, kann man nur vermuten. Dass das Erbhofrecht die deutsche Landwirtschaft insgesamt stärken würde, blieb unerfülltes Wunschdenken.

 

In einer ausführlichen „Schlussbetrachtung“ (S. 409-421) rechnet Böse mit dem REG ab. Sein Urteil könnte man mit den Worten zusammenfassen, das Gesetz sei ein Produkt aus Ideologie und Ignoranz. Das Buch bietet dem, der sich mit dem Erbhofrecht befassen will, zu fast jeder Frage Informationen, hat aber auch darüber hinaus seinen Wert, weil es nationalsozialistische Gesetzgebung und die Mentalität der für sie verantwortlichen Ministerialbürokratie veranschaulicht. Wes Geistes Kind die Gesetzesverfasser waren, zeigte sich noch im Januar 1943, als schon der Kampf um Stalingrad tobte und in Berlin ernsthaft erwogen wurde, das Verbot, mehrere Erbhöfe zu besitzen, vorübergehend aufzuheben im Hinblick auf „die Gewinnung deutschen Lebensraumes im Osten“ (S. 214).

 

Bielefeld                                                                                                         Gerhard Otte