Bismarcks Mitarbeiter, hg. v. Gall, Lothar/Lappenküper, Ulrich (= Otto-von-Bismarck-Stiftung Wissenschaftliche Reihe 10). Schöningh, Paderborn 2009. XV, 205 S. Besprochen von Werner Augustinovic.
Bismarcks Mitarbeiter, hg. v. Gall, Lothar/Lappenküper, Ulrich (= Otto-von-Bismarck-Stiftung Wissenschaftliche Reihe 10). Schöningh, Paderborn 2009. XV, 205 S. Besprochen von Werner Augustinovic.
„War Bismarcks Politik Bismarcks Politik?“ Im Frühjahr 2007 hat sich eine Gruppe von Forschern im Rahmen der fünften Tagung der Otto-von-Bismarck-Stiftung dieser Frage angenommen, ein vor einhundert Jahren artikuliertes Desideratum Arthur von Brauers nach der biographischen Erforschung der maßgeblichen Zuarbeiter im Umfeld des Kanzlers aufgreifend. Ihre Ergebnisse sind nun in dem vorliegenden schmalen Sammelband nachzulesen, der knappe Skizzen des privaten und beruflichen Werdeganges mehrerer dieser Männer – denn ausschließlich um solche handelt es sich in einer Epoche, in der Frauen in derlei Positionen so gut wie nicht präsent waren – anbietet. Die Herausgeber, Lothar Gall und Ulrich Lappenküper, steuern selbst die Einführung und eine erhellende Betrachtung „Bismarck, Preußen und die nationale Einigung“ bei. Offenkundig ist, dass das Buch auch gleichsam als ein Nebenprodukt des großen Editionsprojekts „Neue Friedrichsruher Ausgabe“ zu sehen ist, denn ein nicht unerheblicher Teil jener die Schriften und Briefe Bismarcks in Auswahl versammelnden Werkausgabe ist Material, das nicht unter Bismarcks eigenem, sondern unter den Namen von ihm beauftragter und autorisierter Gehilfen firmiert.
In folgender Reihenfolge und im Durchschnitt auf jeweils weniger als zwanzig Druckseiten präsentieren zehn Autoren – manche unter ihnen Mitherausgeber oder Bearbeiter im Editionsprojekt, andere laut Autorenverzeichnis an verschiedenen deutschen Universitäten lehrend - biographische Abrisse der folgenden zehn Mitarbeiter Bismarcks: Hermann Wagener, „die ‚Nebensonne‘ in der Pflicht“ (Henning Albrecht); Heinrich Abeken (Wolfgang Frischbier); Rudolph Delbrück (Rudolf Morsey); Theodor Lohmann und die „Gesetzgebungskunst im politischen Prozess“ (Florian Tennstedt); Friedrich von Holstein (Hans Fenske); Paul von Hatzfeldt, „ein ‚ambassadeur ideál‘, jedoch den Anstrengungen des ministeriellen Dienstes nicht gewachsen“ (Vera Niehus); Herbert von Bismarck, „der Sohn als zuverlässigster Gehilfe“ (Konrad Canis); Moritz Busch, „Bismarcks willfähriger publizistischer Gehilfe“ (Eberhard Kolb); Lothar Bucher, „unter den Treuen der Treuste“ (Christoph Studt); Horst Kohl, „ein ‚bienenfleißiger‘ Hagiograph Bismarcks“ (Michael Epkenhans). Mit Ausnahme der Theologen Abeken und Busch sowie des Pädagogen Kohl handelt es sich bei diesen „Gehilfen“ ausschließlich um ausgebildete Juristen.
Die gewählte Abfolge der einzelnen Lebensläufe ergibt sich aus einer inhaltlichen Ordnung. Zwei Mitarbeiter (Wagener, der einstige Chefredakteur der Kreuzzeitung und wichtige Impulsgeber der staatlichen Sozialpolitik; Abeken, der auf die preußische Politik um Schleswig-Holstein ebenso wie auf das Verhältnis des Ministerpräsidenten zum späteren Kaiser Wilhelm I. Einfluss genommen hat) stehen für Bismarcks politische Frühphase, zwei weitere für den Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik (Delbrück als bedeutender Gestalter der preußischen Zoll- und Freihandelspolitik und der Bundesverhältnisse; Lohmann als Verfasser der Krankenversicherungsgesetze), drei waren Spitzenbeamte des Auswärtigen Amts (Holstein, Hatzfeld und Herbert von Bismarck, denen der Kanzler allesamt keine allzu große individuelle Handlungsfreiheit zu geben bereit war) und weitere drei sogenannte Skribenten (Busch und Kohl, die sich beide unter Verzicht auf kritische Distanz um die Verbreitung des Bismarck-Mythos Meriten erwarben und dennoch bei der Familie in Ungnade fielen; Bucher, der langjährige Weggefährte, Betreiber und Redakteur der Memoiren des Reichskanzlers).
Da Bismarck gemäß der Verfassung kraft seiner Ämter stets die Alleinverantwortung für die gesamten Regierungsgeschäfte zukam, ist der Spielraum, den er seinen Mitarbeitern zuzubilligen bereit war, nicht leicht auszuloten. Er scheint in innenpolitischen Fragen größer gewesen zu sein als auf dem Feld der Außenpolitik, das der Kanzler als seine ureigene Domäne betrachtete. Des Weiteren lassen sich in den Einstellungen mancher Helfer Bewegungen der Zuwendung wie auch der Entfremdung ausmachen, wobei letztere dann regelmäßig irgendwann zum Bruch und zum Verlust der Einflusssphäre führten. Ulrich Lappenküper mit Bezug auf Lothar Gall: „Bismarck (hat) in seinem Kampf um den Erhalt des preußischen Machtstaates die Unterstützung von Hilfskräften ‚unabhängig von ihrer Provenienz‘ gesucht, sie aber bedenkenlos wieder fallen gelassen […], wenn sein Ziel erreicht worden sei.“ (Einführung S. IX/X) Die Skribenten vom Schlag eines Horst Kohl galten ihm ohnehin nur als „nützlich(e) Idiot(en)“ (S. 195).
Insgesamt ist daher die Frage, wie weitreichend der Einfluss war, den „Mitarbeiter“ im weitesten Sinn - lassen sich so unterschiedliche Persönlichkeiten und Funktionsbereiche, wie sie der Vollblutjurist Theodor Lohmann auf der einen und der unkritische, aufdringliche Kult-Inszenator Kohl auf der anderen Seite des Spektrums verkörpern, wirklich sinnvoll in eine Reihe stellen? – auf Bismarcks Einstellungen und politische Entscheidungen nehmen konnten und nahmen, bei weitem noch nicht geklärt. Um dies zu leisten, bedürfte es zunächst einer engeren Definition des Mitarbeiter-Begriffes und in weiterer Folge klarer Analysen der politischen Entscheidungsprozesse in konkreten historischen Kontexten, verbunden mit einer noch eingehenderen biographischen Beschäftigung mit den maßgeblichen Persönlichkeiten. In dieser Richtung hat Wolfgang Frischbier mit seiner umfangreichen, 2008 ebenfalls in der hier vorliegenden Reihe publizierten Studie über Heinrich Abeken, der nun auch eine ausführliche Darstellung Henning Albrechts über Hermann Wagener und die preußischen Sozialkonservativen gefolgt ist, bereits erste Akzente gesetzt.
Von den genannten Einschränkungen abgesehen, vermittelt das Werk einen gut lesbaren ersten Eindruck von den wichtigsten Figuren im Umfeld des Kanzlers und liefert implizit auch einiges an Information zum besseren Verständnis des später ausufernden, sich in mannigfaltigem Kitsch manifestierenden populären Bismarck-Mythos, der sich an seine Person und sein Wirken knüpft.
Kapfenberg Werner Augustinovic