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Zrenner, Petra, Die konservativen Parteien und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (= Rechtsgeschichte und Rechtsgeschehen 6). Lit, Berlin 2008. XIII, 403 S. Besprochen von Werner Schubert., ZRG GA 127 (2010)

Zrenner, Petra, Die konservativen Parteien und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs (= Rechtsgeschichte und Rechtsgeschehen 6). Lit, Berlin 2008. XIII, 403 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Über die Mitwirkung der politischen Parteien am Zustandekommen des Bürgerlichen Gesetzbuchs liegen bereits unter Berücksichtigung des vollständigen Quellenmaterials Arbeiten über die Sozialdemokratie (Thomas Vormbaum) und das Zentrum (Michael Damnitz und Michael Wolters; Nachweise bei Zrenner, S. 4) vor. Petra Zrenner setzt diese Arbeiten mit einer detaillierten Untersuchung über die Aktivitäten der konservativen Parteien in den Beratungen über das BGB im Reichstagsplenum und in der BGB-Reichstagskommission im Jahre 1896 fort. Zunächst geht Zrenner der Entstehung und dem Werdegang der konservativen Parteien nach (S. 8-46). Die Deutsch-Konservative Partei war 1876 aus den preußischen Altkonservativen hervorgegangen, von denen sich 1866/67 die Freikonservative Partei (Reichspartei) abgespalten hatte. Erstere hatte ihren Schwerpunkt im Militär und im ostelbischen Adel, während die Reichspartei von Anfang an hinter Bismarck stand und ihre Wählerschaft außer im landwirtschaftlichen auch im gewerblichen Bereich hatte. Damit nahm diese Partei eine Zwischenstellung zwischen den Nationalliberalen und den Hoch-(Deutsch-)Konservativen ein. Als dritte konservative Gruppierung stellt Zrenner die Deutsche Reformpartei (sog. Antisemiten) heraus, die ihren Ausgangspunkt in der von Stöcker 1878 gegründeten Christlich-sozialen Arbeiterpartei hatte (S. 32ff.). Die geschlossenste Struktur wies die Deutsch-Konservative Partei auf, deren Tivoli-Programm (1892) bis 1918 das offizielle Programm blieb (wiedergegeben S. 376f.). Von den für die BGB-Reichstagsverhandlungen dominierenden Persönlichkeiten stellt Zrenner den Mecklenburger Gerhard von Buchka (deutsch-konservativ) und den Freiherrn von Stumm-Halberg (freikonservativ) heraus. Eng verbunden insbesondere mit den Deutsch-Konservativen war der 1893 begründete Bund der Landwirte, der sich allerdings als nicht parteipolitisch gebundene Interessengruppierung der Landwirtschaft verstand. In dem für die Verabschiedung des BGB maßgebenden Reichstag von 1895/1898 verfügten die Deutsch-Nationalen über 58, die Reichspartei über 26 und die Reformpartei über 13 Sitze, die zusammen nicht ganz so stark wie das Zentrum mit 100 Sitzen waren. Im dritten Kapitel (S. 47ff.) behandelt Zrenner die Beweggründe und Grundtendenzen der konservativen Parteien bei den Beratungen des BGB. Im Einzelnen stellt Zrenner die Interessenvertretung der Landwirtschaft, die Wahrung von Besitzstand und Vermögen sowie das Streben nach Sicherung traditioneller Wertvorstellungen bei der Eheschließung, der Ehescheidung sowie beim Adelsrecht und beim Namensrecht heraus. Der Kampf gegen die Sozialdemokratie und die Verteidigung der Rechte der herrschenden Gesellschaftsklasse einte die Deutsch-Nationalen und Freikonservativen, während die Reformpartei mit ihrer Ausrichtung auf den Mittelstand und den Arbeiterstand sich oft außerhalb der Honoratiorenkreise der großen konservativen Parteien bewegte.

 

Den Kern der Arbeit bildet die Darstellung der einzelnen Themenbereiche (S. 68-311), die für die konservativen Parteien von Wichtigkeit waren und zu Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen politischen Kräften führten. Im Einzelnen werden behandelt der Wildschadensersatz, die Tierhalterhaftung, familienrechtliche und erbrechtliche Fragen (Eheschließung, Scheidungsgrund der Geisteskrankheit, Ehemündigkeit, eheliches Güterrecht, eigenhändiges Testament und gesetzliches Erbrecht der Ehegatten), das Gesinderecht, das Vereinsrecht, die Vertragsfreiheit in Bezug auf die Regelungsmaterien der späteren §§ 134 und 138 BGB, das Grundpfandrecht und partikulare und feudalistische Sonderinteressen (u. a. Fideikommisse, Pfandbriefe, Adelsrecht). Im Einzelnen arbeitet Zrenner zu diesen Rechtsgebieten anhand der Quellen (Plenarverhandlungen des Reichstags in 1., 2. und 3. Lesung; Verhandlungen der BGB-Reichstagskommission) die Positionen der drei konservativen Parteien im Vergleich zu den Stellungnahmen insbesondere des Zentrums und der Sozialdemokraten heraus. Auf einem ureigenen Interessengebiet befanden sich die Deutschkonservativen und Freikonservativen bei der Frage des Wildschadensersatzes. Die Reichstagskommission hatte auf Antrag von Gröber (Zentrum) den Anspruch auf Wildschadensersatz auch auf den durch Hasen und Fasane angerichteten Schaden ausgedehnt (S. 77ff.). Ferner beschloss die Kommission, bei Wildwechsel von Schwarzwild und Rotwild den Regress des Jagdberechtigten gegen den Waldbesitzer zuzulassen, in dessen Revier das Wild ursprünglich seinen Stand hatte. Diese Beschlüsse riefen den erbitterten Widerstand der Deutsch-Konservativen hervor, die mit der Drohung, das BGB im Ganzen scheitern zu lassen, das Zentrum auf ihre Seite zogen. In der 2. Lesung im Plenum stimmten nur noch 69, in der 3. Lesung 85 Abgeordnete für die Schadensersatzverpflichtung hinsichtlich des von Hasen angerichteten Schadens. Zrenner arbeitet detailliert die Einstellung der Konservativen zur Jagd heraus (Jagdrecht als Wirtschaftsfaktor, Statussymbol und Refugium, Jagd als Erholung und Geselligkeit sowie Verbindung der Jagd mit der Politik). In diesem Zusammenhang stellt sie fest, dass die Jagd für die konservative Elite ein Vorrecht und ein Lebensgestaltungsprinzip gewesen sei. Demzufolge hätte das Ansinnen, „dem ,kleinen Manne’ den durch die Hasen verursachten Wildschaden ausgleichen zu müssen …, von den Konservativen als schlechthin vernichtender Angriff auf ihre Standesehre erlebt werden“ müssen (S. 88).

 

Hinsichtlich der Tierhalterhaftung gelang es den Konservativen zunächst (S. 111ff.), die verschuldensunabhängige Haftung des Halters für Berufstiere zu Fall zu bringen; jedoch scheiterte dieses Vorhaben schließlich an einem Formfehler, so dass erst 1908 eine Einschränkung der Gefährdungshaftung für Berufstiere zustande kam. Ferner trugen die konservativen Parteien mit dazu bei, dass das partikulare Gesinderecht im Wesentlichen bestehen bleiben konnte (S. 217ff.). Für das Eherecht traten die Deutsch-Konservativen für die fakultative Zivilehe, für die Ehemündigkeit erst ab 25 Jahren und den Wegfall des Ehescheidungsgrundes der Geisteskrankheit ein. Da sie jedoch nicht am Kompromiss zwischen der Reichsregierung und den Nationalliberalen, dem Zentrum sowie den Freikonservativen beteiligt waren, konnten sie ihre Vorstellungen auf diesem Gebiet nicht durchsetzen. Gleiches gilt für das Vereinsrecht, das ebenfalls Gegenstand des genannten Kompromisses war. Mit seinen Anträgen zur Gleichberechtigung der Frau mit ihrem Ehemann in vermögensrechtlicher Hinsicht agierte von Stumm-Halberg im Wesentlichen als Einzelkämpfer. Allerdings dürfte von Stumm mit seinem Antrag, als gesetzlichen Güterstand die Gütertrennung vorzusehen, lediglich eine Verbesserung der Position der Ehefrau unter „rein pragmatisch-wirtschaftlichen Gesichtspunkten“ zum Zweck der Vermögenssicherung der Familie, nicht eine wirkliche Gleichstellung der Frau bezweckt haben. Denn Stumm galt im Übrigen als „Inbegriff von Autorität und Herrschsucht“ (S. 192), die in einigen seiner Stellungnahmen zu den von konservativer Seite zur Sprache gebrachten Rechtsfragen zum Ausdruck kamen. Sein Eintreten für das holographische Testament, das die Deutsch-Konservativen ablehnten, beruhte auf seinen guten Erfahrungen mit dem französischen Recht, das insoweit erlaube, rasch auf Veränderungen der familiären und unternehmerischen Situation zu reagieren (S. 202).

 

Während die Deutsch-Konservativen vornehmlich als „Bewahrer des überkommenen – hauptsächlich preußischen – Rechts und der altbekannten Traditionen“ (S. 310) auftraten, reagierten die Freikonservativen flexibler und ließen sich auch von gemäßigt-liberalen Erwägungen leiten. In der Schlussabstimmung stimmten von Deutsch-Konservativen 35, von den Freikonservativen 17 Abgeordnete und von der Reformpartei nur ein Abgeordneter für die Annahme des BGB; die anderen Abgeordneten enthielten sich der Stimme oder blieben der Abstimmung fern. In der „abschließenden Würdigung“ (S. 286-311) fasst Zrenner die Standpunkte der drei konservativen Parteien präzise zusammen. Nach ihrer Meinung konnten die Deutsch-Konservativen „im Ganzen genommen“ mit dem Ergebnis der Gesetzgebungsarbeiten zufrieden sein. Sie hätten „ihre gewohnten Privilegien, ihre althergebrachten Lebens- und Moralanschauungen und ihre Führungsposition in das Gesetz hinüberretten und dort erneut verankern können“ (S. 310). Dies ist insoweit zutreffend, als es ihnen gelang, dass die gesellschaftspolitisch relevanten Grundlagen der BGB-Vorlage nicht angetastet wurden. Auf der anderen Seite ist es ihnen aber auch nicht gelungen, diese Grundlagen zu verfestigen, während es auf der anderen Seite dem Zentrum gelang, kleinere Veränderungen durchzusetzen. Das Werk wird abgeschlossen mit der Wiedergabe von Quellen aus dem „Umfeld der konservativen Parteien“ (S. 315-384). Besonders aufschlussreich sind die Berichte von 1896 aus der konservativen Tageszeitung: „Die Post“. Nützlich wäre ein Personen- und Sachregister gewesen. Nicht primär Gegenstand der Untersuchungen waren die Stellungnahmen der konservativen Parteien und der konservativen Presse zur lex Lasker von 1873 und zum 1. BGB-Entwurf, eine Thematik, die primär von parteiengeschichtlichem und politikgeschichtlichem Interesse ist (für das Zentrum vgl. die nachträglich erschienene Arbeit Dorothea Steffens, Bürgerliche Rechtseinheit und politischer Katholizismus, 2008). Nach Abschluss der Arbeit Zrenners ist noch erschienen das für die Einordnung der Anträge von Stumm-Halbergs nicht unwichtige Werk Pamela-Carina Riedels: „Gleiches Recht für Mann und Frau. Die bürgerliche Frauenbewegung und die Entstehung des BGB“ (Köln 2008). Insgesamt liegt mit dem Werk Zrenners eine erschöpfende und zuverlässige Darstellung der Aktivitäten der konservativen Parteien in der parlamentarischen Phase des BGB vor. Eine ähnlich breite Darstellung der Position der liberalen Parteien zum BGB steht noch aus.

 

Kiel

Werner Schubert