AAAKöbler, Gerhard, italienisch in Bismarcks Gedanken und Erinnerungen, 2016
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Abs. 523 [1-152] der ersten Klasse enthielten auch den Namen der an dem betreffenden Tische vorsitzenden Dame. Diese Tische waren auf 15 bis 20 Personen eingerichtet. Ich erhielt beim Eintreten eine solche Karte zu dem Tische der Gräfin Walewska und später im Saale noch zwei von zwei andern Patronesses-Damen der Diplomatie und des Hofes. Es war also kein genauer Plan für die Placirung der Gäste gemacht worden. Ich wählte den Tisch der Gräfin Walewska, zu deren Departement ich als auswärtiger Diplomat gehörte. Auf dem Wege zu dem betreffenden Saale stieß ich auf einen preußischen Offizier in der Uniform eines Garde-Infanterie-Regiments, der eine französische Dame führte und sich in lebhaftem Streit mit einem der kaiserlichen Haushofmeister befand, der beide, weil sie mit Karten nicht versehn waren, nicht passiren lassen wollte. Nachdem mir der Offizier auf mein Befragen die Sachlage erklärt und mir die Dame als eine Herzogin mit italienischem Titel aus dem ersten Empire bezeichnet hatte, sagte ich dem Hofbeamten, ich hätte die Karte des Herrn, und gab ihm eine der meinigen. Der Beamte wollte nun aber die Dame nicht passiren lassen, ich gab daher dem Offizier meine zweite Karte für seine Herzogin. Der Beamte bedeutete mich, "mais vous ne passerez pas sans carte"; als ich ihm die dritte vorgezeigt hatte, machte er ein verwundertes Gesicht und ließ uns alle drei durch. Ich empfahl meinen beiden Schützlingen, sich nicht an die Tische zu setzen, die auf den Karten angegeben waren, sondern zu sehn, wo sie sonst unterkämen, habe auch keine Reclamation über meine Kartenvertheilung zu hören bekommen. Die Unregelmäßigkeit war so groß, daß unser Tisch nicht voll besetzt wurde, was sich aus dem Mangel einer Verabredung der dames patronesses erklärt. Der alte Fürst Pückler hatte entweder keine Karte erhalten oder seinen Tisch nicht finden können; nachdem er sich an mein ihm bekanntes Gesicht gewandt hatte, wurde er von der Gräfin Walewska auf einen der leer gebliebenen Plätze eingeladen. Das Souper war trotz der Dreitheilung weder nach dem Material, noch nach der Zubereitung auf der Höhe dessen, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 677 [1-204] Gleichwohl wurde er nach Frankfurt ernannt. Daß ich ihm mit meinem Urtheil nicht Unrecht gethan, bewies sein späteres Verhalten in Turin und Florenz. Er posirte gerne als Stratege, auch als "verfluchter Kerl" und tief eingeweihter Verschwörer, hatte Verkehr mit Garibaldi und Mazzini und that sich etwas darauf zu Gute. In der Neigung zu unterirdischen Verbindungen nahm er in Turin einen angeblichen Mazzinisten, in der That östreichischen Spitzel, als Privatsekretär an, gab ihm die Akten zu lesen und den Chiffre in die Hände. Er war Wochen und Monate von seinem Posten abwesend, hinterließ Blanquets, auf welche die Legationssekretäre Berichte schrieben; so gelangten an das Auswärtige Amt Berichte mit seiner Unterschrift über Unterredungen, die er mit den italienischen Ministern gehabt haben sollte, ohne daß er diese Herrn in der betreffenden Zeit gesehn hatte. Aber er war ein hoher Freimaurer. Als ich im Februar 1869 die Abberufung eines so unbrauchbaren und bedenklichen Beamten verlangte, stieß ich bei dem Könige, der die Pflichten gegen die Brüder mit einer fast religiösen Treue erfüllte, auf einen Widerstand, der auch durch meine mehrtägige Enthaltung von amtlicher Thätigkeit nicht zu überwinden war und mich zu der Absicht brachte, meinen Abschied zu erbitten 1). Indem ich jetzt nach mehr als 20 Jahren die betreffenden Papiere wieder lese, befällt mich eine Reue darüber, daß ich damals, zwischen meine Ueberzeugung von dem Staatsinteresse und meine persönliche Liebe zu dem Könige gestellt, der erstern gefolgt bin und folgen mußte. Ich fühle mich heut beschämt von der Liebenswürdigkeit, mit welcher der König meine amtliche Pedanterie ertrug. Ich hätte ihm und seinem Maurerglauben den Dienst in Florenz opfern sollen. Am 22. Februar schrieb mir S. M.: "Ueberbringer dieser Zeilen [Cabinetsrath Wehrmann] hat mir Mittheilung von dem Auftrage gemacht, den Sie ihm für Sich gegeben haben. Wie können Sie nur daran denken, daß ich auf (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 759 Während des italienischen Krieges glaubte ich noch an die Möglichkeit, in der Stellung eines Gesandten in Petersburg, wie ich es von Frankfurt aus mit wechselndem Erfolge versucht hatte, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 772 In der ersten Hälfte des Juni 1859 machte ich einen kurzen Ausflug nach Moskau. Bei diesem Besuche der alten Hauptstadt, der in die Zeit des italienischen Krieges fiel, war ich Zeuge einer merkwürdigen Probe von dem damaligen Hasse der Russen gegen Oestreich. Während der Gouverneur Fürst Dolgoruki mich in einer Bibliothek umherführte, bemerkte ich auf der Brust eines subalternen Beamten unter vielen militärischen Decorationen auch das eiserne Kreuz. Auf meine Frage nach dem Erwerb desselben nannte er die Schlacht von Kulm, nach welcher Friedrich Wilhelm III. eine Anzahl etwas abweichend gestalteter eiserner Kreuze an russische Soldaten hatte vertheilen lassen, das sogenannte Kulmer Kreuz. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 796 Während dieser Wochen regten der Fürst von Hohenzollern und Rudolf von Auerswald bei dem Regenten meine Ernennung zum Minister des Auswärtigen an. Es fand infolge dessen im Palais eine Art von Conseil statt, das aus dem Fürsten, Auerswald, Schleinitz und mir bestand. Der Regent leitete die Besprechung mit der Aufforderung an mich ein, das Programm zu entwickeln, zu welchem ich riethe. Ich legte dasselbe in der Richtung, die ich später als Minister verfolgt habe, in so weit offen dar, daß ich als die schwächste Seite unsrer Politik ihre Schwäche gegen Oestreich bezeichnete, von der sie seit Olmütz und besonders in den letzten Jahren während der italienischen Krisis beherrscht gewesen sei. Könnten wir unsre deutsche Aufgabe im Einverständniß mit Oestreich lösen, um so besser. Die Möglichkeit würde aber erst vorliegen, wenn man in Wien die Ueberzeugung hätte, daß wir im entgegengesetzten Falle auch den Bruch und den Krieg nicht fürchteten. Die zur Durchführung unsrer Politik wünschenswerthe Fühlung mit Rußland zu bewahren, würde gegen Oestreich leichter sein als mit Oestreich. Unmöglich aber schiene mir das auch im letztern Falle nicht, nach meiner in Petersburg gewonnenen Kenntniß des russischen Hofes und der dort leitenden Einflüsse. Wir hätten dort aus dem Krimkriege und den polnischen Verwicklungen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 935 [1-276] nach der Juli-Revolution mehr als ein Jahr, um den Verfall seiner Heereseinrichtungen so weit auszubessern, daß es eben nur seine italienischen Interessen zu schützen im Stande war. Die östreichische Politik war unter Metternich geschickt genug, um jede Entschließung der drei östlichen Großmächte so lange zu verschleppen, bis Oestreich sich hinlänglich gerüstet fühlte, um mitzureden. Nur in Preußen functionirte die militärische Maschine, so schwerfällig sie war, mit voller Genauigkeit, und hätte die preußische Politik eigne Entschlüsse zu fassen vermocht, so würde sie Kraft genug gefunden haben, die Lage von 1830 in Deutschland und den Niederlanden nach ihrem Ermessen zu präjudiciren. Aber eine selbständige preußische Politik hat in der Zeit von 1806 bis in die vierziger Jahre überhaupt nicht bestanden; unsre Politik wurde abwechselnd in Wien und in Petersburg gemacht. So weit sie in Berlin von 1786 bis 1806 und 1842 bis 1862 selbständig ihre Wege suchte, wird sie vor der Kritik vom Standpunkte eines strebsamen Preußen kaum Anerkennung finden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 946 Die nächste günstige Situation nach dem Krimkriege bot unsrer Politik der italienische Krieg. Ich glaube freilich nicht, daß König Wilhelm schon als Regent 1859 geneigt gewesen sein würde, in plötzlicher Entschließung den Abstand zu überschreiten, der seine damalige Politik von derjenigen trennte, welche später zur Herstellung des Deutschen Reichs geführt hat. Wenn man die damalige Stellung nach dem Maßstabe beurtheilt, den die Haltung des auswärtigen Ministers von Schleinitz in dem demnächstigen Abschluß des Garantievertrages von Teplitz mit Oestreich und in der Weigerung der Anerkennung Italiens bezeichnet, so kann man mit Recht bezweifeln, ob es damals möglich gewesen sein würde, den Regenten zu einer Politik zu bewegen, welche die Verwendung der preußischen Kriegsmacht von Concessionen in der deutschen Bundespolitik abhängig gemacht hätte. Die Situation wurde nicht unter dem Gesichtspunkte einer vorwärts strebenden preußischen Politik betrachtet, sondern in dem gewohnheitsmäßigen Bestreben, sich den Beifall der deutschen Fürsten, des Kaisers von Oestreich und zugleich der deutschen Presse zu erwerben, in dem unklaren Bemühn um einen idealen Tugendpreis für Hingebung an Deutschland, ohne irgend eine klare Ansicht über die Gestalt des Zieles, die Richtung in der, und die Mittel, durch die es zu suchen wäre. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 947 Unter dem Einflusse seiner Gemalin und der Wochenblattspartei war der Regent 1859 nahe daran, sich an dem italienischen Kriege zu betheiligen. Wäre das geschehn, so wurde der Krieg vou einem östreichisch-französischen in der Hauptsache zu einem preußisch-französischen am Rhein. Rußland in dem damals noch sehr lebendigen Hasse gegen Oestreich würde mindestens gegen uns demonstrirt, und Oestreich, sobald wir in Krieg mit Frankreich verwickelt waren, würde, am längern Ende des politischen Hebels stehend, erwogen haben, wie weit wir siegen durften. Was zu Thuguts Zeit Polen, war damals Deutschland auf dem Schachbrett. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1162 Nicht ohne Bedeutung für den Werth dualistischer Politik war die Frage, auf welches Maß von Sicherheit im Innehalten dieser Linie wir bei Oestreich rechnen konnten. Wenn man sich die Plötzlichkeit vergegenwärtigte, mit welcher Rechberg in der Verstimmung über den Mangel an Folgsamkeit der Mittelstaaten mit diesen gebrochen und sich mit uns ohne und gegen sie verbündet hatte, so konnte man die Möglichkeit nicht abweisen, daß ein Mangel an Uebereinstimmung mit Preußen in Einzelfragen ebenso unerwartet zu einer neuen Schwenkung führen könnte. Ueber Mangel an Aufrichtigkeit habe ich bei dem Grafen Rechberg nie zu klagen gehabt, aber er war, wie Hamlet sagt, spleenetic and rash in einem ungewöhnlichen Grade; und wenn die persönliche Verstimmung des Grafen Buol über unfreundliche Formen des Kaisers Nicolaus mehr als über politische Differenzen hingereicht hatte, die östreichische Politik in der Linie der bekannten Schwarzenbergischen Undankbarkeit (Nous étonnerons l'Europe par notre ingratitude) dauernd festzuhalten, so durfte man sich der Möglichkeit nicht verschließen, daß die sehr viel schwächern Bindemittel zwischen dem Grafen Rechberg und mir von irgend welcher Fluthwelle weggeschwemmt werden könnten. Der Kaiser Nicolaus hatte zu dem Glauben an die Zuverlässigkeit seiner Beziehungen zu Oestreich viel stärkere Unterlagen als wir zur Zeit des dänischen Krieges. Er hatte dem Kaiser Franz Joseph einen Dienst erwiesen, wie kaum je ein Monarch seinem Nachbarstaat gethan 1), und die Vortheile der gegenseitigen Anlehnung im monarchischen Interesse der Revolution gegenüber, der italienischen und ungarischen so gut wie der polnischen von 1846, fielen für Oestreich bei dem Zusammenhalten mit Rußland noch schwerer in das Gewicht als bei dem mit Preußen 1864 möglichen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1164 [1-350] Bunde. Der Kaiser Franz Joseph ist eine ehrliche Natur, aber das östreichisch-ungarische Staatsschiff ist von so eigenthümlicher Zusammensetzung, daß seine Schwankungen, denen der Monarch seine Haltung an Bord anbequemen muß, sich kaum im Voraus berechnen lassen. Die centrifugalen Einflüsse der einzelnen Nationalitäten, das Ineinandergreifen der vitalen Interessen, die Oestreich nach der deutschen, der italienischen, der orientalischen und der polnischen Seite hin gleichzeitig zu vertreten hat, die Unlenksamkeit des ungarischen Nationalgeistes und vor Allem die Unberechenbarkeit, mit der beichtväterliche Einflüsse die politischen Entschließungen kreuzen, legen jedem Bundesgenossen Oestreichs die Pflicht auf, vorsichtig zu sein und die Interessen der eignen Unterthanen nicht ausschließlich von der östreichischen Politik abhängig zu machen. Der Ruf der Stabilität, den die letztre unter dem langjährigen Regimente Metternichs gewonnen hatte, ist nach der Zusammensetzung der Habsburgischen Monarchie und nach den bewegenden Kräften innerhalb derselben nicht haltbar, mit der Politik des Wiener Cabinets vor der Metternichschen Periode garnicht, und nach derselben nicht durchweg in Uebereinstimmung. Sind aber die Rückwirkungen der wechselnden Ereignisse und Situationen auf die Entschließungen des Wiener Cabinets für die Dauer unberechenbar, so ist es auch für jeden Bundesgenossen Oestreichs geboten, auf die Pflege von Beziehungen, aus denen sich nöthigen Falls andre Combinationen entwickeln ließen, nicht absolut zu verzichten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 149 Wenn der Krieg fortgesetzt würde, so wäre der wahrscheinliche Kampfplatz Ungarn. Die östreichische Armee, die, wenn wir bei Preßburg über die Donau gegangen, Wien nicht würde halten können, würde schwerlich nach Süden ausweichen, wo sie zwischen die preußische und die italienische Armee geriethe und durch ihre Annäherung an Italien die gesunkene und durch Louis Napoleon eingeschränkte Kampflust der Italiener neu beleben würde; sondern sie würde nach Osten ausweichen und die Vertheidigung in Ungarn fortsetzen, wenn auch nur in der Hoffnung auf die in Aussicht stehende Einmischung Frankreichs und die durch Frankreich vorbereitete Desinteressirung Italiens. Uebrigens hielte ich auch unter dem rein militärischen Gesichtspunkte nach meiner Kenntniß des ungarischen Landes die Fortsetzung des Krieges dort für undankbar, die dort zu erreichenden Erfolge für nicht im Verhältniß stehend zu den bisher gewonnenen Siegen, also unser Prestige vermindernd — ganz abgesehn davon, daß die Verlängerung des Krieges der französischen Einmischung die Wege ebnen würde. Wir müßten rasch abschließen, ehe Frankreich Zeit zur Entwicklung weitrer diplomatischer Action auf Oestreich gewönne. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 158 [2-49] Politik und gab ihre antiöstreichische Gesinnung dadurch zu erkennen, daß sie im Hause ihres Gesandten Herrn von Scherff mich, nicht ohne Unhöflichkeit gegen den östreichischen Präsidial-Gesandten Baron Prokesch, tendenziös auszeichnete, zu einer Zeit, wo Louis Napoleon noch Hoffnung auf ein preußisches Bündniß gegen Oestreich hegte und den italienischen Krieg bereits im Sinne hatte. Ich lasse unentschieden, ob schon damals die Vorliebe für das Napoleonische Frankreich allein die Politik der Königin von Holland bestimmte, oder ob nur das unruhige Bedürfniß, überhaupt Politik zu treiben, sie zu einer Parteinahme in dem preußisch-östreichischen Streit und zu einer auffällig schlechten Behandlung meines östreichischen Collegen und Bevorzugung meiner bewog. Jedenfalls habe ich nach 1866 die mir früher so gnädige Fürstin unter den schärfsten Gegnern meiner in Voraussicht des Bruches von 1870 befolgten Politik gefunden. Im Jahre 1867 wurden wir zuerst durch amtliche französische Kundgebungen verdächtigt, Absichten auf Holland zu haben, namentlich in der Aeußerung des Ministers Rouher in einer Rede gegen Thiers, 16. März 1867, daß Frankreich unser Vordringen an die „Zuider-See“ nicht dulden könne. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Zuider-See von dem Franzosen selbständig entdeckt worden und sogar die Orthographie des Namens in der französischen Presse ohne fremde Hülfe richtig gegeben worden ist: man darf vermuthen, daß der Gedanke an dieses Gewässer von Holland aus dem französischen Mißtrauen suppeditirt worden war. Auch die niederländische Abstammung des Herrn Drouyn de Lhuys berechtigt mich nicht, eine so genaue Localkenntniß in der Geographie außerhalb der französischen Grenzen bei seinem Collegen vorauszusetzen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 167 Die Haltung Italiens war nach der Fügsamkeit gegen Napoleon, die wir 1866 kennen gelernt hatten, unberechenbar, sobald französischer Druck stattfand. Der General Govone war, als ich in Berlin im Frühjahr 1866 mit ihm verhandelte, erschrocken, als ich den Wunsch äußerte, er möge zu Haus anfragen, ob wir auch gegen Napoleonische Verstimmungen auf Italiens Vertragstreue rechnen dürften. Er sagte, daß eine solche Rückfrage an demselben Tage nach Paris telegraphirt werden würde, mit der Anfrage, „was man antworten solle?“ In der öffentlichen Meinung Italiens konnte ich auf sichern Anhalt nicht rechnen, nach der Haltung der italienischen Politik während des Krieges, nicht blos (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 295 [2-103] Es ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen, zu welchen Entschließungen man in Wien und Florenz gelangt sein würde, wenn bei Wörth, Spichern, Mars la Tour der Erfolg auf Seite der Franzosen oder für uns weniger eclatant gewesen wäre. Ich habe zur Zeit der genannten Schlachten Besuche von republikanischen Italienern gehabt, die überzeugt waren, daß der König Victor Emanuel mit der Absicht umginge, dem Kaiser Napoleon beizustehn, und diese Tendenz zu bekämpfen geneigt waren, weil sie von der Ausführung der dem Könige zugeschriebenen Absichten eine Verstärkung der ihrem Nationalgefühl empfindlichen Abhängigkeit Italiens von Frankreich befürchteten. Schon in den Jahren 1868 und 1869 waren mir ähnliche antifranzösische Anregungen von italienischer und nicht blos republikanischer Seite vorgekommen, in denen die Unzufriedenheit mit der französischen Suprematie über Italien scharf hervortrat. Ich habe damals wie später auf dem Marsche nach Frankreich in Homburg (Pfalz) den italienischen Herrn geantwortet: wir hätten bisher keine Beweise davon, daß der König von Italien seine Freundschaft für Napoleon bis zum Angriffe auf Preußen bethätigen werde; es sei gegen mein politisches Gewissen, eine Initiative zum Bruch zu ergreifen, welche Italien Vorwand und Rechtfertigung feindlicher Haltung gegeben hätte. Wenn Victor Emanuel die Initiative zu dem Bruche ergriffe, so würde die republikanische Tendenz derjenigen Italiener, welche eine solche Politik mißbilligten, mich nicht abhalten, dem Könige, meinem Herrn, zur Unterstützung der Unzufriedenen in Italien durch Geld und Waffen, welche sie zu haben wünschten, zu rathen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 297 [2-104] zurückgeschreckt war, würde ich auch den der italienischen Republikaner für annehmbar gehalten haben, wenn es sich um Verhütung der Niederlage und um Vertheidigung unsrer nationalen Selbständigkeit gehandelt hätte. Die Velleitäten des Königs von Italien und des Grafen Beust, die durch unsre ersten glänzenden Erfolge zurückgedrängt waren, konnten bei der Stagnation vor Paris um so leichter wieder aufleben, als wir in den maßgebenden Kreisen eines so gewichtigen Factors wie England über zuverlässige Sympathien und namentlich über solche, welche bereit gewesen wären, sich auch nur diplomatisch zu bethätigen, keineswegs verfügen konnten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 349 In Versailles hatte ich vom 5. bis 9. November mit dem Grafen Ledochowski, Erzbischofe von Posen und Gnesen, Verhandlungen gehabt, die sich vorwiegend auf die territorialen Interessen des Papstes bezogen. Gemäß dem Sprichwort „Eine Hand wäscht die andre“ machte ich ihm den Vorschlag, die Gegenseitigkeit der Beziehungen zwischen dem Papste und uns zu bethätigen durch päpstliche Einwirkung auf die französische Geistlichkeit im Sinne des Friedensschlusses, immer in Sorge, wie ich war, daß eine Einmischung der neutralen Mächte uns die Früchte der Siege verkümmern könne. Ledochowski und in engern Grenzen Bonnechose, Cardinal-Erzbischof von Rouen, machten bei verschiedenen Mitgliedern des hohen Clerus den Versuch, sie zu einer Einwirkung in dem bezeichneten Sinne zu bestimmen, hatten mir aber nur von einer kühlen, ablehnenden Aufnahme ihrer Schritte zu berichten, woraus ich entnahm, daß es der päpstlichen Macht entweder an Stärke oder an gutem Willen fehlen müsse, uns im Sinne des Friedens eine Hülfe zu gewähren, werthvoll genug, um die Verstimmung der deutschen Protestanten und der italienischen Nationalpartei und der letztern Rückwirkung auf die zukünftigen Beziehungen beider Völker (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 350 [2-124] Vierundzwanzigstes Kapitel: Culturkampf. in den Kauf zu nehmen, die das Ergebniß eines öffentlichen Eintretens für die päpstlichen Interessen bezüglich Roms sein mußte. In den Wechselfällen des Krieges ist unter den streitenden italienischen Elementen Anfangs der König als der für uns möglicherweise gefährliche Gegner erschienen. Später ist uns die republikanische Partei unter Garibaldi, die uns bei Ausbruch des Krieges ihre Unterstützung gegen Napoleonische Velleitäten des Königs in Aussicht gestellt hatte, auf dem Schlachtfelde in einer mehr theatralischen als praktischen Erregtheit und in militärischen Leistungen entgegengetreten, deren Formen unsre soldatischen Auffassungen verletzten. Zwischen diesen beiden Elementen lag die Sympathie, welche die öffentliche Meinung der Gebildeten in Italien für das in der Geschichte und in der Gegenwart parallele Streben des deutschen Volkes hegen und dauernd bewahren konnte, lag der nationale Instinct, der denn auch schließlich stark und praktisch genug gewesen ist, mit dem frühern Gegner Oestreich in den Dreibund zu treten. Mit dieser nationalen Richtung Italiens würden wir durch ostensible Parteinahme für den Papst und seine territorialen Ansprüche gebrochen haben. Ob und in wie weit wir dafür den Beistand des Papstes in unsern innern Angelegenheiten gewonnen haben würden, ist zweifelhaft. Der Gallicanismus erschien mir stärker, als ich ihn 1870 der Infallibilität gegenüber einschätzen konnte, und der Papst schwächer, als ich ihn wegen seiner überraschenden Erfolge über alle deutschen, französischen, ungarischen Bischöfe gehalten hatte. Bei uns im Lande war das jesuitische Centrum demnächst stärker als der Papst, wenigstens unabhängig von ihm; der germanische Fractions- und Parteigeist unsrer katholischen Landsleute ist ein Element, dem gegenüber auch der päpstliche Wille nicht durchschlägt. Desgleichen lasse ich dahingestellt, ob die am 16. desselben Monats vor sich gegangenen Wahlen zum preußischen Landtage durch das Fehlschlagen der Ledochowskischen Verhandlungen beeinflußt worden sind. Die letztern wurden in etwas andrer Richtung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 459 Graf Harry Arnim vertrug wenig Wein und sagte mir einmal nach einem Frühstücksglase: „In jedem Vordermanne in der Carrière sehe ich einen persönlichen Feind und behandle ihn dementsprechend. Nur darf er es nicht merken, so lange er mein Vorgesetzter ist.“ Es war dies in der Zeit, als er nach dem Tode seiner ersten Frau aus Rom zurückgekommen, durch eine italienische Amme seines Sohnes in roth und gold Aufsehn auf den Promenaden erregte und in politischen Gesprächen gern Macchiavell und die Werke italienischer Jesuiten und Biographen citirte. Er posirte damals in der Rolle eines Ehrgeizigen, der keine Scrupel kannte, spielte hinreißend Klavier und war vermöge seiner Schönheit und Gewandheit gefährlich für die Damen, denen er den Hof machte. Diese Gewandheit auszubilden, hatte er frühzeitig begonnen, indem er als Schüler des Neustettiner Gymnasiums von den Damen einer wandernden Schauspielertruppe sich in die Lehre nehmen ließ und das mangelnde Orchester am Clavier ersetzte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 479 [2-169] bei dem Friedensschlusse die Interessen der katholischen Kirche in Preußen nicht unberücksichtigt lassen würde, wie der Kaiser von Rußland Friedensschlüsse zu benutzen pflegte, um sich seiner Glaubensgenossen im Oriente anzunehmen. Es würden sich die gesta Dei per Francos vielleicht um einige neue Fortschritte der päpstlichen Macht bereichert haben, und die Entscheidung der confessionellen Kämpfe, die nach der Meinung katholischer Schriftsteller (Donoso Cortes de Valdegamas) schließlich „auf dem Sande der Mark Brandenburg“ auszufechten sind, würde durch eine übermächtige Stellung Frankreichs in Deutschland nach verschiedenen Richtungen hin gefördert worden sein. Die Parteinahme der Kaiserin Eugenie für die kriegerische Richtung der französischen Politik wird schwerlich ohne Zusammenhang mit ihrer Hingebung für die katholische Kirche und den Papst gewesen sein; und wenn die französische Politik und die persönlichen Beziehungen Louis Napoleons zur italienischen Bewegung es unmöglich machten, daß Kaiser und Kaiserin dem Papste in Italien in befriedigender Weise gefällig waren, so würde die Kaiserin ihre Ergebenheit für den Papst im Falle des Sieges in Deutschland bethätigt und auf diesem Gebiete eine allerdings unzulängliche fiche de consolation für die Schäden gewährt haben, die der päpstliche Stuhl in Italien unter und durch Napoleons Mitwirkung erlitten hatte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 740 [2-249] Wilhelm I. giebt nach. Verträge zwischen Großstaaten. nationaler oder confessioneller Natur sich stärker als bisher zeigen, wenn russische Versuchungen und Anerbietungen auf dem Gebiet der orientalischen Politik wie zur Zeit Katharinas und Josephs II. hinzutreten, wenn italienische Begehrlichkeiten Oestreichs Besitz am Adriatischen Meere bedrohn und seine Streitkräfte in ähnlicher Weise wie zu Radetzkys Zeit in Anspruch nehmen sollten: dann würde der Kampf, dessen Möglichkeit mir vorschwebt, ungleicher sein. Es braucht nicht gesagt zu werden, wie viel gefährdeter Deutschlands Lage erscheint, wenn man sich auch Oestreich, Herstellung der Monarchie in Frankreich, im Einverständniß beider mit der Römischen Curie, im Lager unsrer Gegner denkt mit dem Bestreben, die Ergebnisse von 1866 aus der Welt zu schaffen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 751 Directe Bedrohung des Friedens zwischen Deutschland und Rußland ist kaum auf anderm Wege möglich, als durch künstliche Verhetzung oder durch den Ehrgeiz russischer oder deutscher Militärs von der Art Skobelews, die den Krieg wünschen, bevor sie zu alt werden, um sich darin auszuzeichnen. Es gehört ein ungewöhnliches Maß von Dummheit und Verlogenheit in der öffentlichen Meinung und in der Presse Rußlands dazu, um zu glauben und zu behaupten, daß die deutsche Politik von aggressiven Tendenzen geleitet worden sei, indem sie das östreichische und dann das italienische Defensivbündniß abschloß. Die Verlogenheit war mehr polnisch-französischen, die Dummheit mehr russischen Ursprungs. Polnisch-französische Gewandheit hat auf dem Felde der russischen Leichtgläubigkeit und Unwissenheit den Sieg über den Mangel solcher Gewandheit davongetragen, in dem je nach den Umständen eine Stärke oder Schwäche der deutschen Politik liegt. In den meisten Fällen ist eine offne und ehrliche Politik erfolgreicher als die Feinspinnerei früherer Zeiten, aber sie bedarf, wenn sie gelingen soll, eines Maßes von persönlichem Vertrauen, das leichter zu verlieren als zu erwerben ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 753 [2-254] ist. Die bei Gestaltung derselben mitwirkenden Factoren sind ebenso mannigfaltig wie die Völkermischung; und zu der ätzenden und gelegentlich sprengenden Wirkung dieser kommt der unberechenbare Einfluß, den je nach dem Steigen oder Fallen der römischen Fluth das confessionelle Element auf die leitenden Persönlichkeiten auszuüben vermag. Nicht blos der Panslavismus und Bulgarien oder Bosnien, sondern auch die serbische, die rumänische, die polnische, die czechische Frage, ja selbst noch heut die italienische im Trentino, in Triest und an der dalmatischen Küste, können zu Krystallisationspunkten für nicht blos östreichische, sondern auch europäische Krisen werden, von denen die deutschen Interessen nur insoweit nachweislich berührt werden, als das Deutsche Reich mit Oestreich in ein solidarisches Haftverhältniß tritt. In Böhmen ist die Spaltung zwischen Deutschen und Czechen stellenweis schon so weit in die Armee eingedrungen, daß die Offiziere beider Nationalitäten in einigen Regimentern nicht mit einander verkehren und getrennt essen. Für Deutschland unmittelbar existirt die Gefahr, in schwere und gefährliche Kämpfe verwickelt zu werden, mehr auf seiner Westseite infolge der angriffslustigen, auf Eroberung gerichteten Neigungen des französischen Volks, die von den Monarchen seit den Zeiten Kaiser Karls V. im Interesse ihrer Herrschsucht im Innern sowohl wie nach Außen groß gezogen worden sind. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 755 [2-255] der Monarchie in Frankreich würde die durch die italienische Rivalität nicht mehr abgeschwächte gegenseitige Anziehung der beiden katholischen Großmächte unternehmende Politiker in Versuchung führen können, mit der Wiederbelebung derselben zu experimentiren. In der Beurtheilung Oestreichs ist es auch heut noch ein Irrthum, die Möglichkeit einer feindseligen Politik auszuschließen, wie sie von Thugut, Schwarzenberg, Buol, Bach und Beust getrieben worden ist. Kann sich nicht die Politik für Pflicht gehaltner Undankbarkeit, deren Schwarzenberg sich Rußland gegenüber rühmte, in andrer Richtung wiederholen, die Politik, die uns von 1792 bis 1795, während wir mit Oestreich im Felde standen, Verlegenheit bereitete und im Stiche ließ, um uns gegenüber in den polnischen Händeln stark genug zu bleiben, die bis dicht an den Erfolg bestrebt war, uns einen russischen Krieg auf den Hals zu ziehn, während wir als nominelle Verbündete für das Deutsche Reich gegen Frankreich fochten, die sich auf dem Wiener Congreß bis nahe zum Kriege zwischen Rußland und Preußen geltend machte? Die Anwandlungen, ähnliche Wege einzuschlagen, werden für jetzt durch die persönliche Ehrlichkeit und Treue des Kaisers Franz Joseph niedergehalten, und dieser Monarch ist nicht mehr so jung und ohne Erfahrung, wie zu der Zeit, da er sich von der persönlichen Rancüne des Grafen Buol gegen den Kaiser Nicolaus zum politischen Druck auf Rußland bestimmen ließ, wenig Jahre nach Vilagos; aber seine Garantie ist eine rein persönliche, fällt mit dem Personenwechsel hinweg, und die Elemente, die die Träger einer rivalisirenden Politik zu verschiedenen Epochen gewesen sind, können zu neuem Einflusse gelangen. Die Liebe der galizischen Polen, des ultramontanen Clerus für das Deutsche Reich ist vorübergehender und opportunistischer Natur, ebenso das Uebergewicht der Einsicht in die Nützlichkeit der deutschen Anlehnung über das Gefühl der Geringschätzung, mit dem der vollblütige Magyar auf den Schwaben herabsieht. In Ungarn, in Polen sind französische Sympathien auch heut lebendig, und im Clerus der habsburgischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)