Wirtschaftsgeschichte der mittelalterlichen Juden. Fragen und Einschätzungen, hg. v. Toch, Michael unter Mitarbeit v. Müller-Luckner, Elisabeth (= Schriften des historischen Kollegs 71). Oldenbourg, München 2008. VIII, 218 S., 1 Abb. Besprochen von Hans-Peter Benöhr., ZRG GA 127 (2010)
Wirtschaftsgeschichte der mittelalterlichen Juden. Fragen und Einschätzungen, hg. v. Toch, Michael unter Mitarbeit v. Müller-Luckner, Elisabeth (= Schriften des historischen Kollegs 71). Oldenbourg, München 2008. VIII, 218 S., 1 Abb. Besprochen von Hans-Peter Benöhr.
I. Recht und Wirtschaft sind auf einander angewiesen. Ebenso sind die Geschichte des Rechts und die Geschichte der Wirtschaft aufeinander angewiesen. Das gilt auch für das Zusammenleben der Juden mit den Christen im Mittelmeerraum und im Reich während des Mittelalters. Für diesen Bereich erhält der Rechtshistoriker mit den vorliegenden Aufsätzen wichtiges Tatsachenmaterial - vor allem zu den Fragen der Effektivität der Rechtssätze, zum Umfang der gewährten Darlehen, zur tatsächlichen Höhe der Zinsen und zu den vielfältigen Arten und Problemen der Kreditsicherheiten. Gelegentlich trifft man auf gleichartige Probleme und sogar übereinstimmende Lösungen in den jüdischen und den christlichen Rechts- und Wirtschaftsordnungen – so zu den Fürsorgemaßnahmen, zum Wucherverbot und zur Buchführung. Die Beiträge zum Mittelmeerraum berufen sich gern auf die in Kairo aufgefunden jüdischen Dokumente (Genizah). Die Beiträge zum Raum des Heiligen römischen Reichs basieren häufig auf jüdischen Urkunden und Responsa, die nur zu einem kleinen Teil (namentlich von von Mutius) übersetzt sind. Zu diesen Quellen und Realien haben viele Rechtshistoriker mangels Wirtschafts- oder Sprachkenntnissen keinen direkten Zugang.
Die Geschichte bekommt durch die hier mitgeteilten Casestudies und die Berichte über Einzelschicksale Farbe. Die drei Aufsätze zum Mittelmeerraum und vor allem der große Aufsatz des Herausgebers Michael Toch zu den Wirtschaftsaktivitäten deutscher Juden geben Übersichten zu den Verhältnissen in größeren Gebieten und Zeitsabschnitten. Besonders Toch ist kritisch gegenüber allen überkommenen Behauptungen, indem er die bekannten, meist nicht jüdischen Quellen neu sichtet, neue jüdische Quellen auswertet und beim gänzlichen Fehlen von Quellen die gängigen Annahmen überprüft.
Erwartungsgemäß setzen die Studien an die Stelle eines einheitlichen, geschlossenen Bildes sehr differenzierte Ansichten. Mit der Veränderung der Verhältnisse im Laufe der Jahrhunderte hätte man schon ohne Weiteres rechnen müssen. Überraschend sind aber die großen Unterschiede der jüdischen Verhältnisse in derselben Epoche, so die Höhe der Zinsen zu derselben Zeit in den verschiedenen Teilen des Reichs und in Europa, die Teilnahme am Luxusgütergeschäft im Mittelmeerraum oder die Verhältnisse der Juden zu derselben Zeit in verschiedenen venezianischen Gebieten.
In bestimmten Perioden wurden jüdische Händler oder Handwerker oder Geldverleiher herbeigerufen, um die Wirtschaft zu fördern. Dann wieder wurden sie vertrieben, manchmal von der Obrigkeit gegen den Willen der Bevölkerung, oder sie wurden ermordet, oft entgegen den Gesetzen der Obrigkeit. Die erfolgreichste Periode gemeinsamen jüdisch-christlichen Wirtschaftens im Reich dürfte das 13. und 14. Jahrhundert gewesen sein. Mehrere Autoren rechnen mit der Begrenztheit oder Erschöpfung der jüdischen Kapitalien gegen Ende des 14. Jahrhunderts. Abgesehen von den Darlehensregelungen deuten die Verfasser die antijüdischen Maßnahmen am Ende des 14. Jahrhunderts nur an: die Einführung des Gülden Pfennig (und damit der Beginn des Leibzolls) 1342 durch Ludwig den Bayern und die Einziehung jüdischer Kapitalien, beginnend 1375 in Österreich. Die weitaus größte Judenverfolgung, der Hunderttausende zum Opfer fielen, wälzte sich 1348/1349 zur Zeit der Großen Pest durch Europa. Danach verlagerte sich das jüdische Kapital in das Ausland, vor allem nach Norditalien.
II. Der Band enthält die folgenden Beiträge: Giacomo Todeschini (Triest), Christian Perceptions of Jewish Economic Activity in the Middle Ages (1-16); Hans-Georg von Mutius (München), Taking Interest from Non-Jews – Main Problems in Traditional Jewish Law (17-24); David Jacoby (Jerusalem), The Jews in Byzantium and the Eastern Mediterranean: Economic Activities from the Thirteenth to the Mid-Fifteenth Century (25-48); David Abulafia (Cambridge), The Jews of Sicily and Southern Italy: Economic Activity (49-62); Reinhold C. Mueller (Venedig), The Status and Economic Activity of Jews in the Venetian Dominions during the Fifteenth Century (63-92); Joseph Shatzmiller (Durham, USA), Church Articles: Pawns in the Hands of Jewish Moneylenders (93-102); Annegret Holtmann (Griesheim), Medieval „Pigeonholes“. The Jewish Account Books from Vesoul and Medieval Bookkeeping Practices (103-120); Markus J. Wenninger (Klagenfurt), Juden als Münzmeister, Zollpächter und fürstliche Finanzbeamte im mittelalterlichen Aschkenas (121-138); Rainer Barzen (Trier), „Was der Arme benötigt, bist Du verpflichtet zu geben“. Forschungsansätze zur Armenfürsorge in Aschkenas im hohen und späten Mittelalter (139-152); Martha Keil (St. Pölten), Mobilität und Sittsamkeit: Jüdische Frauen im Wirtschaftsleben des spätmittelalterlichen Aschkenas (153-180); Michael Toch (Jerusalem), Economic Activities of German Jews in the Middle Ages (181-210). Praktischerweise werden auch die E-Mail-Adressen der Autoren mitgeteilt.
III. Die ersten beiden Beiträge betreffen das Wucherverbot auf der Grundlage gelehrter Quellen: Giacomo Todeschini, Christian Perceptions of Jewish Economic Activity in the Middle Ages (1-16). Die christlichen Schriftsteller des 4. bis 11. Jahrhunderts verdammen die dispersio rerum ecclesiarum. Sie folgern daraus die Verurteilung der Simonie und vergleichen den simoniacus mit Judas, der Christus für Geld verraten hat. Der Reichtum der Juden sei illegal, weil er aus der Gemeinschaft mit christlichen Simonisten gewonnen sei. Deswegen erlaubte 1146 Petrus Venerabilis, Abt von Cluny, Ludwig VII. die Enteignung der Juden, um den Kreuzzug zu finanzieren. Der Weg bis zu Gratian ist charakterisiert durch das Verbot von usurae und durch die Offenheit der Definition amplius requiritur quam datur.
Hans-Georg von Mutius, Taking Interest from Non-Jews – Main Problems in Traditional Jewish Law (17-24). Seit der Spätantike war das richtige Verständnis der entscheidenden Bibel-Stelle Deut. 23, 21, kontrovers: „muss“ oder „darf“ der Jude von einem Nichtjuden Zinsen verlangen? Während Maimonides die erste Auffassung vertrat, erklärten sich Jacob Ben Ascher aus Toledo (14. Jahrhundert) und Josef Caro in dem maßgebenden Schulchan Aruch (16. Jahrhundert) für die zweite Alternative.
Es folgen, auf dokumentarischer Grundlage, drei fakten- und zahlengesättigte Beiträge zu den Wirtschaftstätigkeiten im Mittelmeerraum, zuerst: David Jacoby, The Jews in Byzantium and the Eastern Mediterranean: Economic Activities from the Thirteenth to the Mid-Fifteenth Century (25-48). Die jüdischen Kaufleute versorgten zunächst ihre eigene Gemeinschaft mit Käse, Wein und anderen koscheren Waren.
In dem weiteren Bereich des Austauschs mit nicht-jüdischen Handelsleuten waren ihnen besondere Aktivitäten von Rechts wegen weder vorbehalten noch verschlossen. Jedoch war der Handel in Luxusgütern durch die venezianische und genuesische Oberschicht monopolisiert, und die Juden hielten sich von der Investition in Schiffe fern. In den venezianischen Kolonien litten sie seit dem 14. Jahrhundert unter der zunehmenden Steuerlast. Außerdem beschränkten die Verbote des Landerwerbs den Kreditverkehr.
David Abulafia, The Jews of Sicily and Southern Italy: Economic Activity (49-62). Die sizilianischen Juden nahmen im 10. und 11. Jahrhundert am internationalen Luxusgüterhandel (Seide, Lapislazuli, Gold, Gewürze) und an der Versorgung mit koscheren Waren teil. Aber um 1150 verloren sie die Nutzung der großen Handelswege und sanken auf das Niveau der Juden in Süditalien ab. In Notarakten erscheinen sie um 1300 als lokale Kaufleute, Handwerker, gelegentlich als Weinbauern auf eigenem Land und als Käufer muslimischer Sklaven. In Süditalien waren die Juden durchaus integriert, beschäftigt mit Textilverarbeitung, Schlachterei, Weinproduktion. Gerade als Handwerker hatten die Juden einen erheblichen Anteil an dem wirtschaftlichen Wiederaufschwung im 15. Jahrhundert. Juden wie Christen waren nicht sehr stark im Kreditgeschäft engagiert. Um 1400 breitete sich das jüdische Pfandwesen aus. Daneben gab es eine jüdische Elite aus Medizinern und Druckern. In Malta wurden sie in jeder Hinsicht wie die anderen Bürger behandelt. 1492 beriefen sie sich sogar darauf, königliche Sklaven zu sein, um kirchliche lokalen Eingriffe abzuwehren.
Reinhold C. Mueller, The Status and Economic Activity of Jews in the Venetian Dominions during the Fifteenth Century (63-92). Mueller liefert präzise Beobachtungen über „Steuern“ und „Zwangsanleihen“. Die Fähigkeit, jährliche Steuern an die Zentralregierung (hier: Venedig) zu zahlen, stand unter den Bedingungen, dass die Juden nicht außerdem örtliche Steuern zu bezahlen hatten, dass ihnen genügend Kapital zur Befriedigung des lokalen Kreditbedarf verblieb, und dass ihnen die gesetzlich bewilligten Zinshöchstsätze (zwischen 14 und 25 %) ein genügendes Einkommen sicherten. Die Signoria brauchte die Gelder für die Kriegsführung. Desgleichen nahmen condottieri Steuern und verzinste Zwangsanleihen auf, um ihre Heere zu bezahlen. Schuldner waren auch Juristen, die etwa ihren „Degesto vechio“ zum Pfand gaben. Kleine Schuldner liehen sich nicht selten Geld, um die Steuern zu bezahlen. Die wenigen Juden auf dem Festland treten vor allem als Bankiers, nicht zuletzt als Pfandleiher und als Händler mit den verfallenen Pfändern, hervor. Ihre prekäre Aufenthaltssituation ist verbunden mit erheblicher Mobilität und weiten Netzwerken. Auffällig ist die aktive ökonomische Rolle aschkenasischer Frauen aus Deutschland.
In den venezianischen Besitzungen, im Stato da Mar, besonders auf Kreta und Korfu, mit zehnmal größeren jüdischen Gemeinden, waren die Rechte der Juden weniger beschränkt, der Geldverleih trat zurück, sie übten ungehindert auch alle anderen kaufmännischen und handwerklichen Tätigkeiten aus, mussten aber - seit etwa 1325 - in bestimmten Teilen der Städte, ebraiké, judaiche oder giudecche, leben.
Die folgenden sechs Artikel betreffen verschiedene Einzelaspekte, beginnend mit: Joseph Shatzmiller, Church Articles: Pawns in the Hands of Jewish Moneylenders (93-102). Bis in die Zeit Karls des Großen verkauften Kleriker Messgeräte, Reliquien und andere kirchliche Sachen an Juden. Im 12. Jahrhundert beanstandete es Petrus Venerabilis, dass geheiligte Gegenstände an Juden verpfändet worden waren. Regionalsynoden verboten im 13. Jahrhundert Christen wie Juden derartige Geschäfte. Trotzdem verpfändeten die Kommunen Assisi (1385) und Bologna (1435) für größere Darlehen Kelche, Marienstatuen, Textilien mit Goldfäden oder Perlen, Messbücher und andere kirchliche Sachen an jüdische Gläubiger.
Die Juden selbst waren sich der Unruhe bewusst, die der Besitz kirchlicher Gegenstände in ihren Händen hervorrief. Eine Rabbinersynode um die Mitte des 12. Jahrhunderts und jüdische Autoritäten warnten vor der Hereinnahme derartiger Sachen „wegen der Gefahr“. Andere jüdische Autoritäten hingegen gestatteten Pfandnahme, Kauf und Verkauf kirchlicher Gegenstände mit gewissen Ausnahmen, zu denen immer Weihrauchgefäße und meistens auch Statuen und Bilder gehörten.
Annegret Holtmann, Medieval „Pigeonholes“. The Jewish Account Books from Vesoul and Medieval Bookkeeping Practices (103-120). A. Holtmann macht eine Quellenedition des 19. Jahrhunderts für neue Forschungen fruchtbar. Es handelt sich um zwei jüdische Rechnungsbücher aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts aus der Franche Comté. Der Vergleich mit den zahlreicher erhaltenen Rechnungsbüchern christlicher Kaufleute und Gesellschaften, etwa der Familie Holzschuher, zeigt die weitgehende Übereinstimmung der Buchführungsmethode.
Die Kredite gingen an Kunden aus allen Bevölkerungsschichten, 70 % der Kredite lagen unter 1 Pfund, der Kreditzeitraum betrug nur wenige Wochen, war aber verlängerbar. Bei Geschäften mit dem Adel ging es meistens um höhere Summen. Die Sicherheit bestand in Bürgschaften, in der Verpfändung der künftigen Weinernte oder der Belastung der Weingärten (113).
Markus J. Wenninger, Juden als Münzmeister, Zollpächter und fürstliche Finanzbeamte im mittelalterlichen Aschkenas (121-138). Trotz dem Ämterverbot des IV. Laterankonzils verpachteten die Fürsten noch hundert Jahre später Zölle und Münzstätten an Juden, die sogar Münzen mit hebräischen Schriftzeichen und Symbolen ausgaben.
Rainer Barzen, „Was der Arme benötigt, bist Du verpflichtet zu geben“. Forschungsansätze zur Armenfürsorge in Aschkenas im hohen und späten Mittelalter (139-152). Die Armenkassen wurden vornehmlich aus Spenden, Geldstrafen und dem Zehnten gespeist. Am Ende des 11. Jahrhunderts verfügten die großen jüdischen Zentren am Rhein über eine organisierte Fürsorge, die sich auch der Armen von außerhalb annahm. Armenhäuser und Refugien für Leprakranke sind seit etwa 1200 nachgewiesen.
Martha Keil, Mobilität und Sittsamkeit: Jüdische Frauen im Wirtschaftsleben des spätmittelalterlichen Aschkenas (153-180). Die Frauen bewältigten ein Viertel des jüdischen Darlehensgeschäfts, vor allem nach dem Tod ihres Ehemannes. Ihre Geschäfte unterschieden sich in nichts von denen in männlicher Hand. Durch große Unternehmungen kamen auch sie zu hohem Ansehen. Nicht anders als die Männer waren auch die Frauen unbegründeter Haft und anderer Erpressungen sowie Vermögensverlusten durch sogenannte Schuldentilgungen ausgesetzt. Wer reich war, lebte gefährlich: mehrere Geschäftsfrauen wurden in ihren eigenen Häusern ermordet. Farbe enthält der Vortrag durch Kurzporträts der wichtigsten aschkenasischen Geldverleiherinnen des 13. bis 15. Jahrhunderts (Die bekannte Glückel aus Hameln lebte erst in einer späteren Epoche, 1646 bis 1724. Neu: A. Brummer-Brebeck u. a., Jüdische Frauen in Mitteleuropa, Frankfurt am Main 2008).
Geschäfte und Wallfahrten an die Gräber von Vorfahren, Rabbinern oder Märtyrern oder sogar nach Jerusalem veranlassten Reisen, zu Fuß, im Reisewagen oder zu Pferde. Die damit verknüpften Gefahren für die weibliche Sittsamkeit beschäftigten wiederholt die Rabbiner. Aber tatsächlich drohten den Frauen Diebstahl, Abgabenerpressung, Vergewaltigung und Mord. Allgemeine Landfrieden und individuelle Geleitbriefe boten nur geringen Schutz. Weiterer Schutz wurde in Verkleidungen – von den Gelehrten entgegen der Tora erlaubt - und im Zusammenschluss zu Gruppen mit bewaffneter Begleitung gesucht.
Den Höhepunkt und Abschluss dieser Vortragssammlung bildet der Beitrag des Herausgebers selbst: Michael Toch, Economic Activities of German Jews in the Middle Ages (181-210). Zuerst kamen die Juden als Kaufleute nach Deutschland, wie Gershom ben Jehudah, „Licht des Exils“, um 1000 n. Chr. konstatierte. Seit dem 11. Jahrhundert geben hierüber Responsa aus Mainz und Worms Auskunft. Die Juden handelten vor allem mit Wein, Getreide, Salzfisch, Vieh, Häuten, Fellen, Textilien, Metallgefäßen und anderen Massengütern, weniger mit Sklaven. Die meisten Waren wurden im Inland, vor allem auf der Kölner Messe, gekauft und hauptsächlich auf dem Rhein transportiert. Weitere Verkehrsrouten wurden im 12. Jahrhundert nach Westen und Osten erschlossen. An diesen Straßen etablierten sich jüdische Niederlassungen. Auslandsreisen waren aber die Ausnahme. Man könne die Juden nicht als die Wegbereiter für Handel und Wirtschaft im mittelalterlichen Deutschland ansehen. Im 11. Jahrhundert begannen die Italiener den Fernhandel zu dominieren. Die Darlehensgewährung spielte anfangs nicht die Hauptrolle, machte aber schon früh die Geldbeschaffung unter Juden trotz bestehendem biblischem Zinsverbot notwendig und führte auch zur Geldaufnahme bei wohlhabenden Christen.
Das Hochmittelalter des späten 11. bis zum Ende des 13. Jahrhunderts brachte für Christen und Juden eine Wirtschaftsrevolution mit Bevölkerungsschub und Urbanisierung. Die Juden waren hiervon noch nicht durch die christlichen Kaufmannsgilden ausgeschlossen - wie vielfach behauptet -, sondern sie waren nach Zahl und Kapitalkraft den neuen Anforderungen für Produktion und Handel nicht mehr gewachsen.
Im 12. Jahrhundert gewinnt das jüdische Zinsdarlehen an Bedeutung, zuerst vor allem an Schuldner aus der Oberklasse. Im 14. Jahrhundert bilden Bauern und Landhandwerker die zahlenmäßig größte Schuldnergruppe, dass diese jedoch in dieser Zeit aus barer Not Schulden machten, lässt sich nicht beweisen. In einigen Gebieten traten neben die Juden als berufsmäßige Geldverleiher die sogenannten Lombarden und Cahorsen. Es kam auch zum Zusammenwirken christlicher und jüdischer Financiers. Die erforderlichen Garantien waren vielfältig. Dazu ergingen die besonderen Regeln einerseits zur Anerkennung der Pfänder dubioser Herkunft in jüdischen Händen (sogenanntes Judenprivileg), andererseits zum Verbot bestimmter Pfandsachen. Nach der kaiserlichen Steuerliste von 1241 erbrachten die Juden - ohne die Einbeziehung der wichtigsten Gemeinden zu Köln, Mainz, Würzburg und Regensburg - 13 % aller Steuern. Ausgehend von dem wachsenden Finanzbedarf der Obrigkeiten lassen diese und andere Beobachtungen auf den hohen Gewinn und Umsatz an Zinsdarlehen, auf den entsprechenden Bedarf der Schuldner und schließlich auf die entsprechende Förderung durch die Obrigkeiten mittels Gesetz, Gericht und bewaffneten Arm schließen.
Zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurde der Geldverleih zur Haupteinnahmequelle der Juden. Eine Zeit lang gewährten die Städte und Territorialherren nur noch jüdischen Geldverleihern und Ärzten die Aufenthaltserlaubnis. Die Obrigkeiten waren auf ihre Steuern und Darlehen angewiesen, desgleichen nahmen immer mehr Einzelpersonen Darlehen in Anspruch. Der Höhepunkt der jüdischen Wirtschaftsaktivitäten wird um 1350 gelegen haben.
Im 15. Jahrhundert gingen die Darlehen an Städte und Fürsten zurück. Stattdessen nahmen einzelne Bürger und Bauern, zunehmend aus der unteren Mittelschicht oder gar aus der Unterschicht, jüdisches Geld in Anspruch. 1427 waren von den etwa 2500 Einwohnern in Bingen am Rhein 142 Frauen und Männer bei Juden, meistens mit kleinen Summen unter 10 Gulden, verschuldet. Es wurde nicht immer Geld verliehen, sondern oft auch Getreide, Mehl oder Wein. Noch öfter wurde Rückzahlung in Naturalien oder Leistungen, z. B. Transport von Wein von Bingen nach Mainz oder von Bier nach Köln vereinbart, und diese Naturalien wurden wiederum von den Juden veräußert. Gleichzeitig schwand der obrigkeitliche Schutz, der die jüdischen Gläubiger früher gedeckt hatte.
Die vielen Gesetze über Höchstzinsen legten meistens niedrigere Sätze für die Einheimischen und höhere oder gar unbegrenzte für Auswärtige fest. Aber in der Praxis mussten die Schuldner ein Drittel mehr an Zinsen entrichten als erlaubt. Dabei zahlten - aus verschiedenen Gründen - wohlhabende Kredtinehmer oder gar Obrigkeiten erheblich geringere Zinsen als arme Leute. Tatsächlich betrugen die Zinsen im Spätmittelalter zwischen 24% bis zu 91% pro Jahr. Im Detail informiert Toch auch über die diversen Kreditsicherheiten und die diese betreffenden obrigkeitlichen Maßnahmen. Vom 13. bis 15. Jahrhundert wandte sich die öffentliche Meinung zunehmend gegen die angebliche, damals sogenannte „Zinsknechtschaft“ (vielleicht das Spiegelbild zu der den Juden auferlegten „Kammerknechtschaft“?), und vor allem gegen den Zinseszins und sonstigen Missbrauch.
Mit dem 15. Jahrhundert widmeten sich die übrig gebliebenen Juden wieder stärker dem Handel, nicht zuletzt als Nebenprodukt des Pfandleihgeschäftes, und dem Weinhandel. Jetzt aber hatten sie gegenüber den mächtigen christlichen Kaufmannsgilden nur noch geringe Chancen.
Beschäftigungen außerhalb von Handel und Geldverleih sind im Wesentlichen nur noch von Ärzten nachgewiesen. Ein Drittel der jüdischen Bevölkerung wird im Dienst für die Gemeinde oder für andere Juden tätig gewesen sein (205).
IV. Anna Gutgarts (Jerusalem) hat erfreulicherweise einen sehr sorgfältigen Index zur Erschließung des in diesem Band enthaltenen Schatzes erstellt (211 – 218). Ein weiterer Schatz liegt in den neuesten Forschungsergebnissen, auf die in den Anmerkungen in reichem Maße verwiesen wird.
Während die Geschichte der Neuzeit besser erschlossen ist und ihre Erforschung durch das Projekt der Policeyordnungen des Max-Planck-Instituts in Frankfurt a. M. weiter erleichtert wird, bedurfte das Mitelalter der Erleuchtung. Hierfür war der Herausgeber, Michael Toch, als Professor für mittelalterliche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem und als Forschungsstipendiat des Historischen Kollegs in München im Jahr 2004-2005, besonders prädestiniert. Ihm sei Dank für die Organisation der Vorträge, die hier als Aufsätze erscheinen.
Berlin Hans-Peter Benöhr
Anmerkung für den Drucksatz: Es wäre mir lieb, wenn zwischen den Mitteilungen über die einzelnen Autoren und ihrem Aufsatz jeweils eine „richtige“ Leerzeile gelassen werden könnte, im Unterschied zu dem bloßen Neuanfang einer Zeile, evtl.mit „kleiner“ Leerzeile zwischen den sonstigen Absätzen.