Streidl, Paul, Naturrecht, Staatswissenschaften und Politisierung bei Gottfried Achenwall (1719-1772). Studien zur Gelehrtengeschichte Göttingens in der Aufklärung (= Beiträge zur Geisteswissenschaft). Utz, München 2003. 315 S. Besprochen von Gerhard Köbler., ZRG GA 127 (2010)
Streidl, Paul, Naturrecht, Staatswissenschaften und Politisierung bei Gottfried Achenwall (1719-1772). Studien zur Gelehrtengeschichte Göttingens in der Aufklärung (= Beiträge zur Geisteswissenschaft). Utz, München 2003. 315 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die im Jahre 2000 von der Universität München angenommene, bis Ende 2002 überarbeitete Dissertation des vielen Einsagern und Beiständen dankenden Verfassers. Sie beginnt mit einer Auktion in Göttingen im März 1773, auf der Johann Stephan Pütter eine Milchkanne aus der haushälterischen Nachlassenschaft seines 1772 verstorbenen Freundes ersteigert und Sophie Achenwall einen Teil ihrer Garderobe aus dem Nachlass ihres nach zehnjähriger Ehe verschiedenen Ehemanns zurückkauft. Das Ziel des Verfassers ist die Erarbeitung eines neuen Verständnisses zu dem unverschuldeten bzw. schuldenfreien Professor, obwohl das Naturrecht der frühen Neuzeit in der kurzen Zeitspanne von drei Jahren nicht nur nach einem Eingeständnis des Leipziger Rechtsgelehrten Johann Jacob von Ryssel vom Ende des 17. Jahrhunderts kaum richtig in seiner ganzen Bedeutung erkannt werden könne.
Gegliedert ist die Untersuchung in sechs Abschnitte. Die Einleitung beschreibt zunächst die Aufklärung als politische Reformbewegung. Danach erläutert der Verfasser den Forschungsstand, die Quellenlage, die Methoden und sein Ziel der systematischen Aufarbeitung der Positionen Achenwalls im Prozess der Politisierung des späten 18. Jahrhunderts an Hand des in Göttingen liegenden umfangreichen Nachlasses.
Den Beginn bildet Achenwall als Gelehrter und Publizist, den der Verfasser biographisch betrachtet. Besonderes Gewicht erhalten dabei die sozialen und religiösen Wertvorstellungen. Gründlich überprüft wird der Literaturkanon von den Periodika mit deutlichem Übergewicht der deutschsprachigen Zeitungen, Intelligenzblätter und Jahreschroniken über antike und ältere Autoren bis zu den eigenen Zeitgenossen.
Danach verfolgt der Verfasser das System der Staatswissenschaften von Naturrecht über Statistik, Geschichte und Politik bis zu den Cameralwissenschaften. Als Grundlagendisziplin zeigt sich dabei das Naturrecht. Themenfelder der Politisierung sind England als Vorbild, Patriotismus, die Reform von Justiz und Recht, Freiheit, Eigentum und Gleichheit sowie der Bogen zwischen Reichsstaatsrecht und Widerstandsrecht.
Dabei erweist sich Achenwall in seinen unveröffentlichten Arbeiten als ein Aufklärer, der mit seinen Staatswissenschaften häufiger Reformen und spätere Grundrechte überdachte als Staaten und ihre Macht analysierte. Als Kritiker des aufgeklärten Absolutismus empfing er ständig eine große Zahl von ohne Unterlass kommentierten Nachrichten aller Art. Dadurch, dass er jedoch universal gültige Empirie und ewige Moral zu vereinen suchte, geriet er in ein unlösbares Dilemma, das der Verfasser in die von Achenwall nicht überzeugend beantwortete Frage kleidet: Wie sollten die empirischen Daten der Wilden aus Übersee mit dem durch Christian Wolffs Methode und Gottes Dogmen universal und überirdisch gültigen Naturrecht in Einklang gebracht werden?
Innsrbuck Gerhard Köbler