Ramm, Arnim, Der 20. Juli vor dem Volksgerichtshof (= Schriften zur Rechtswissenschaft 80). Wissenschaftlicher Verlag Berlin, Berlin 2007. 541 S. Besprochen von Gerhard Köbler., ZRG GA 127 (2010)
Ramm, Arnim, Der 20. Juli vor dem Volksgerichtshof (= Schriften zur Rechtswissenschaft 80). Wissenschaftlicher Verlag Berlin, Berlin 2007. 541 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die von Jörn Eckert bzw. Werner Schubert betreute, im November 2006 von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Kiel angenommene Dissertation des Verfassers. Sie behandelt einen wichtigen, in der bisherigen Literatur zu wenig erörterten Gegenstand. Sie gliedert sich nach einer Einleitung in vier Kapitel.
Das erste Kapitel hat den Weg des Widerstands zum Staatsstreichversuch des 20. Juli 1944 zum Gegenstand. Dabei befasst sich Ramm zunächst mit dem militärischen Widerstand von 1933 bis 1944. Danach ermittelt er als zivile Widerstandskreise den Kreisauer Kreis, die Beziehungen des Widerstands ins Ausland und den Widerstandskreis um Carl Goerdeler.
Das zweite Kapitel betrifft die Maßnahmen des nationalsozialistischen Regimes nach dem 20. Juli 1944. Dabei beginnen Gegenaktionen noch am gleichen Tag. Bezüglich des Ermittlungsverfahrens dient ein eigener Punkt der Beleuchtung der Folter.
Das dritte Kapitel bringt den Verfasser zu seinem eigentlichen Thema. In diesem Rahmen beschreibt er zunächst den Volksgerichtshof, die Strafnormen und die Prozessbeteiligten. Dabei sind die Richter Roland Freisler und Richter nach Freislers Tod.
Beteiligt sind weiter hauptamtliche Beisitzer, ehrenamtliche Beisitzer, Ersatzrichter, die Reichsanwaltschaft, die ausgeschlossene und durch ausgesuchte Zuschauer ersetzte Öffentlichkeit, die Verteidiger und die Angeklagten. Diese hatten zwar der Form nach die in der Strafprozessordnung verbürgten Rechte. Es war ihnen jedoch nicht möglich, diese Rechte ausreichend wahrzunehmen, obgleich nach den Erkenntnissen des Verfassers die nationalsozialistische Justiz grundsätzlich bemüht war, das Bild eines ordentlichen Verfahrens aufrecht zu erhalten.
Anschließend untersucht der Verfasser die wichtige Frage der Verfahrensmäßigkeit der Prozesse. Allerdings standen ihm die Verhandlungsprotokolle nicht zur Verfügung. Deswegen kann er die aufgeworfene Frage nur verallgemeinernd beantworten.
Das vierte Kapitel erörtert die juristische Aufarbeitung der Verfahren in der Nachkriegszeit: Ermittlungsverfahren gegen Richter und hauptamtliche Beisitzer kann der Verfasser gegen Günther Nebelung, Johannes Köhler, Erich Schlemann, Hans-Joachim Rehse und weitere Richter, ehrenamtliche Beisitzer (Hermann Reinecke, Georg Seubert, Bernhard Heinrich Ahmels, Emil Winter, Hans Fritz Kaiser) und weitere ehrenamtliche Richter sowie gegen Ernst Lautz, Kurt Schultze und weitere Anklagevertreter ermitteln. Als Prozesse kann er darstellen den Huppenkothen-Prozess, den Rehse-Prozess, den Prozess gegen Helene Schwärzel, den Prozess gegen Karl Neuhaus und den Remer-Prozess.
Insgesamt gelangt er zu dem Ergebnis, dass es in der Bundesrepublik Deutschland lange gedauert habe, bis der Widerstand vom 20. Juli 1944 die ihm gebührende Würdigung erfahren habe. Erst allmählich sei die Überzeugung von der Legitimität des Widerstands gegen das nationalsozialistische Regime gereift. Dementsprechend seien die Urteile des Volksgerichtshofs gegen die Widerstandskämpfer erst 1998 pauschal durch den Bundestag aufgehoben worden.
Die Anlagen ergänzen die beeindruckende Arbeit in bedeutsamen Hinsichten. Sie nennen etwa als Angeklagte Erwin von Witzleben, Erich Hoepner, Hellmuth Stieff, Albrecht von Hagen, Paul von Hase, Robert Bernardis, Friedrich Karl Klausing, Peter Graf Yorck von Wartenburg, Erich Fellgiebel, Alfred Kranzfelder, Georg Alexander Hansen, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg, Berthold Schenk Graf von Stauffenberg, Bernhard Klamroth, Johannes Georg Klamroth, Egbert Hayessen, Wolf-Heinrich Graf von Helldorf, Adam von Trott zu Solz, Hans-Bernd von Haeften, Ludwig Freiherr von Leonrod, Friedrich Jaeger, Joachim Sadrozinski, Ulrich Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld, Fritz Thiele, Cäsar von Hofacker, Carl-Heinrich von Stülpnagel, Günther Smend, Karl Ernst Rathgens, Hans-Otfried von Linstow, Eberhard Finckh, Kurt Hahn, Gerhard Knaak, Max Ulrich Graf von Drechsel, Hans Erdmann, Heinrich Graf von Lehndorff, Carl Friedrich Goerdeler, Wilhelm Leuschner, Josef Wirmer, Ulrich von Hassell, Paul Lejeune-Jung und viele andere. Ingesamt eine späte, aber sachgerechte Aufarbeitung eines bedrückenden, etwa 100 nachgewiesene Todesurteile umschließenden Kapitels deutscher Geschichte.
Innsbruck Gerhard Köbler