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Muñoz Conde, Francisco, Edmund Mezger - Beiträge zu einem Juristenleben. Aus dem Spanischen von Moritz Vormbaum (= Juristische Zeitgeschichte, Abteilung 4 Leben und Werk, 10). BWV Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2007. IX, 132 S. Besprochen von Bernd Rüthers., ZRG GA 127 (2010)

Muñoz Conde, Francisco, Edmund Mezger - Beiträge zu einem Juristenleben. Aus dem Spanischen von Moritz Vormbaum (= Juristische Zeitgeschichte, Abteilung 4 Leben und Werk, 10). BWV Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2007. IX, 132 S. Besprochen von Bernd Rüthers.

 

Der spanische Strafrechtslehrer und Rechtshistoriker Muñoz Conde (Universität Sevilla), Humboldt-Stipendiat bei Claus Roxin in München 1971, mit der deutschen Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus wohl vertraut, hat ein bemerkenswertes deutsches Juristenleben im 20.Jahrhundert zum Gegenstand einer anschaulichen, in mancher Hinsicht exemplarischen Studie für europäische juristische Lebensläufe im 20. Jahrhundert gemacht. Es war das Jahrhundert der zahlreichen Verfassungsumbrüche nicht nur in Deutschland. Hier gab es 1918/1919, 1933, 1945/1949 und 1989 vier einschneidende „Wendezeiten“ (Kaiserreich/Weimar/NS-Staat/ Besatzungsregime/Bundesrepublik und SED-Staat sowie die vereinte Bundesrepublik mit wachsender Dominanz EU-rechtlicher Überformungen). Aber auch viele andere europäische Staaten haben grundlegende Verfassungswechsel erlebt, etwa die früheren Staaten des Sowjetblocks (Polen, Tschechien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Albanien), aber auch Spanien, Portugal, Italien u. a.

 

Sein Lebensbericht gilt einer in der Fachwelt als bedeutend angesehenen Persönlichkeit. Der 1883 geborene Edmund Mezger war bei der Machtübernahme durch Hitler 50 Jahre alt, also wie Carl Schmitt und Julius Binder kein junger ‚Aufsteiger‘. Der Sohn einer angesehenen deutschen Kaufmannsfamilie in Basel hatte in Tübingen, Berlin und Leipzig Jura studiert. Er war Richter, Staatsanwalt und Ministerialsekretär im Justizministerium in Stuttgart gewesen, bevor er sich 1918 bei Ernst Beling in Tübingen im Strafrecht habilitierte. Ab 1922 außerordentlicher Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und internationales Recht in Tübingen, wurde er 1925 o. Professor in Marburg, 1932 Nachfolger seines Lehrers Beling in München. Er lehrte dort Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie, ab 1942 auch Kriminologie. Mezger war reisefreudig, weltläufig und hatte fachübergreifende Interessen, insbesondere im Bereich der Psychologie, Psychiatrie und Medizin.

 

Nach dem Urteil des Verfassers war Mezger einer der besten Strafrechtsdogmatiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein 1931 zuerst erschienenes Lehrbuch des Strafrechts wurde – in mehrere Sprachen übersetzt - ein Standardwerk.

 

Muñoz Conde beschreibt eindrücklich die bemerkenswerte Entwicklung des 1933 bereits renommierten und durch eine umfangreiche Liste erfolgreicher Fachveröffentlichungen ausgewiesenen Wissenschaftlers bürgerlicher Herkunft im neuen autoritären Führerstaat. Mezger stellte sich vorbehaltlos hinter die rechtspolitischen Ziele der totalitären Diktatur Hitlers. So findet sich im Vorwort seines Buches „Kriminalpolitik und ihre kriminologischen Grundlagen“ (Stuttgart 1934) der Satz: „Der neue totale Staat baut sich auf den beiden Grundgedanken von Volk und Rasse. Auch das Strafrecht wird von dieser Umwälzung tiefgehend berührt werden.“

 

Im Folgenden werden eingehend die Beiträge Mezgers zu der völkisch-rassischen Erneuerung des Strafrechts im Nationalsozialismus nachgezeichnet. Dabei wird ausführlich dessen Engagement bei der Vorbereitung des Gesetzes gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 dargelegt, ein erstes Beispiel für das in der Folgezeit umfassend ausgebaute, nationalsozialistische „Feindstrafrecht“.

 

Auf der Strafrechtslehrertagung 1935 verkündete Mezger, der einzige Ursprung des Strafrechts und seiner Dogmatik könne nichts anderes als der ‚Führerwille‘ sein, formulierte und begründete ein Programm, das darauf gerichtet war „zu beweisen, dass der einzige Ursprung des Strafrechts und die einzige Basis dieser Dogmatik nichts anderes sein könnten[M1]  als der „Führerwille“. Die NSDAP sei „als Instrument in der Hand des Führers zur Gestaltung und Formung des deutschen politischen Wollens besonders berufen. Ihr ist die bewusste Bildung der ,gesunden Volksanschauung‘ als eine besondere Aufgabe übertragen, und insofern ist sie allerdings entscheidend mit daran beteiligt zu bestimmen, was materielle Rechtswidrigkeit ist … kein Richter der Zukunft kann sich auf den Wortlaut des Gesetzes berufen, um damit im Blick auf die gesunde Volksanschauung unvernünftige Ergebnisse zu rechtfertigen.“ (E. Mezger, Die materielle Rechtswidrigkeit im kommenden Strafrecht, Ziste 55, 1936, S. 1ff.).

 

Muñoz Conde sieht darin zutreffend ein Plädoyer für die interpretative Aufhebung des Analogieverbotes zu Ungunsten des Angeklagten. Eine Position, die Carl Schmitt bereits 1934 als neuen Rechtsatz des „nationalsozialistischen Gerechtigkeitsstaates“ gegen den formalen Rechtsstaat verkündet hatte: Das „Nulla poena sine lege“ müsse durch ein „Nullum crimen sine poena“ ersetzt werden!

 

Mezger, der während des Zweiten Weltkrieges zur Strafrechtskommission unter Reichsjustizminister Franz Gürtner und Roland Freisler gehörte, behandelte in seinem Buch „Kriminalpolitik und ihre kriminologischen Grundlagen“ die angeblich hohe Kriminalität der Juden: „Gerade bei der besonderen Kriminalität der Juden leiden die älteren Untersuchungen an einer ungenügenden Unterscheidung zwischen Rasse und Konfession ... In der Rassengesetzgebung des neuen Staates findet die neue Rasse selbst nunmehr ihre genügende Berücksichtigung“ (Vgl. dazu Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Fischer Taschenbuch 2005, S. 410; Klaus Rehbein[M2] , in: Marburger Universitätszeitung, Nr. 230/1992). Ebenso forderte er „rassehygienische Maßnahmen zur Ausrottung krimineller Stämme“ und die „Ausmerzung volks- und rasseschädlicher Teile der Bevölkerung“ (E. Mezger, Kriminalpolitik und ihre kriminologischen Grundlagen, 3. Aufl., Stuttgart 1944, S. 26)[M3] .

 

Als weiteren Beitrag Mezgers zur Verschärfung des Feindstrafrechts im Nationalsozialismus nennt Muñoz Conde den von ihm entwickelten Begriff der Lebensführungsschuld, der in Abkehr von der bis dahin herrschenden Lehre eine „Vorsatzstrafe“ auch bei bestehendem Verbotsirrtum des Beschuldigten ermöglichte. Muñoz Conde verweist auf die Zielgruppen hin, die Mezger mit dieser neuen Begriffsbildung verschärft strafrechtlich erfassen wollte: Homosexuelle, „Rassenschänder“ und Abtreibungsbeteiligte, die er unter dem Sammelbegriff „crimina odiosa“ zusammenfasste (E. Mezger, Rechtsirrtum und Rechtsblindheit, in: Festschrift für Kohlrausch 1944 S. 180f.). Ihnen sollte, wenn sie „unter Ausnutzung der Kriegsverhältnisse gehandelt hatten“, die Todesstrafe drohen.

 

Als den Höhepunkt seines vorbehaltlosen „Kampfeinsatzes“ für Hitler und seine Rassenpolitik schildert Muñoz Conde ausführlich Mezgers Anteil am Zustandekommen des Entwurfs einesGesetzes über die Behandlung Gemeinschaftsfremder“ noch im Jahr 1944. Die SS und ihr Chef Himmler waren mit dem Resultat der Maßregeln, die das „Gewohnheitsverbrechergesetz“ von 1933 vorsah (z. B. der Sicherungsverwahrung, Sterilisation oder Kastration von Sexualtätern), nicht zufrieden. In dem tobenden „totalen Krieg“ gegen den äußeren Feind wollte der Chef der SS und Geheimen Staatspolizei eine gesetzliche Handhabe auch für einen „totalen Krieg“ gegen den inneren Feind schaffen. Diese sollte der Polizei freie Hand verschaffen, jeden potentiellen Gegner des Regimes (Feinde politischer, sozialer oder rassischer Art) ohne Verfahrenshindernisse eliminieren zu können. Schon seit 1941 wurde von den Innen- und Justizministerien ein Gesetzentwurf erarbeitet, um die eugenische Selektion derjenigen, die beschönigend als „Gemeinschaftsfremde“ bezeichnet wurden, zu forcieren und damit die Kontrolle über diesen Personenkreis zu verstärken. Unter „Gemeinschaftsfremden“ verstand man verschiedene Gesellschaftsgruppen, zumeist soziale Randgruppen wie Landstreicher, Bettler, Taugenichtse, Liederliche etc., gegen die man energischer und ohne juristische Schranken vorgehen können wollte. Auf die Einladung zur Mitwirkung bei der Formulierung dieses Entwurfes sagte Mezger im Februar 1943 erfreut zu. Ihm war voll bewusst, dass hier ein neues „Sonderstrafrecht“ geschaffen werden sollte, dass es künftig ein Strafrecht für die Allgemeinheit und ein ganz anderes für die „Gemeinschaftsfremden“ geben sollte.

 

Hier gewinnt das Buch des Verfassers eine brennende Aktualität, weil gegenwärtig erneut über die Einführung eines speziellen „Feindstrafrechts“ und eines Notstandssonderrechts gegen nicht resozialisierbare „Staatsfeinde“ diskutiert wird(vgl. dazu Francisco Muñoz-Conde, Über das „Feindstrafrecht“, Münster 2007; ferner mit weiteren Nachweisen B. Rüthers, Rezension zu Wolfgang Hetzer, Rechtsstaat oder Ausnahmezustand? – Souveränität und Terror, ZRG GA 127 [2010] im Druck).

 

Der Entwurf wurde inhaltlich maßgeblich, wie die zahlreich von Muñoz Conde nachgewiesenen Unterlagen beweisen, von Edmund Mezger und seinem Münchener Freund und Kollegen, dem Kriminologen Franz Exner, beeinflusst (vgl. dazu Francisco Muñoz Conde, Edmund Mezger y el derecho penal de su tiempo, 4. Aufl., Valencia 2004). Der Entwurf sah ein ganzes Programm der Bestrafung, Vernichtung und Ausmerzung von Personengruppen vor, die unter dem Sammelbegriff „Gemeinschaftsfremde“ fallen sollten:

-                     Menschen, „die nicht den Mindestanforderungen der Volksgemeinschaft“ genügten,

-                     Menschen, die nicht für sich sorgen konnten,

-                     Menschen, die einen „unwirtschaftlichen“ oder „unsteten Lebenswandel“ führten,

-                     „Liederliche“,

-                     Personen, die eine „Neigung zum Betteln oder Landstreichen“ aufwiesen,

-                     Menschen, die Unterhaltszahlungen nicht beglichen,

-                     so genannte „Neigungsverbrecher“, also Menschen, die schon mehrmals durch kleinere Straftaten wie etwa Diebstahl aufgefallen waren;

-                     gleichgestellt waren die „Gemeinschaftsfeindlichen“,

-                     so genannte „Sittlichkeitsverbrecher“, worunter unter anderem auch Tierquäler, der Körperverletzung Schuldige, „Unzüchtige“, Homosexuelle, Mörder aus Geschlechtslust, Vergewaltiger und der „Schändung“ Schuldige fielen.

 

Die vorgesehenen Strafen waren hart; sie reichten von der Unterbringung in einer „Besserungsanstalt“ oder in einem Polizeigefängnis über Zuchthausstrafe und unbefristeter Gefängnisstrafe bis zur Todesstrafe. So genannte „Sittlichkeitsverbrecher“ konnten entmannt bzw. unfruchtbar gemacht werden.

 

Der von Mezger und Exner bearbeitete und kommentierte Entwurf wurde am 28. Februar 1944 im zuständigen Ausschuss der Akademie für Deutsches Recht mit einem Referat von Mezger vorgestellt, beraten und für gut befunden.

 

Zur Unterstützung bei der Ausarbeitung des Entwurfs wurde Mezger im Frühjahr 1944 von der SS eine Besichtigung des KZ Dachau vermittelt, die ihm die Möglichkeit geben sollte, „gewisse Menschentypen“ unter den Häftlingen „an Ort und Stelle ansehen“ zu können. Im Sommer 1944 hat er dann als Leiter eines Einführungskurses über das geplante neue Gesetz den Eröffnungsvortag gehalten und die Teilnehmer (Richter, Polizisten, SS-Leute) über seine Eindrücke in Dachau informiert.

 

Das „Gesetz über die Behandlung Gemeinschaftsfremder“ sollte nach den Plänen der NS-Führung am 30. Januar 1945 in Kraft treten und auch in den neu eingegliederten Ostgebieten gelten. Durch die Kriegsereignisse wurde dies verhindert.

 

Der unverminderte „wissenschaftliche“ Einsatz Mezgers und anderer Kollegen (etwa von Carl Schmitt u. a.) für den NS-Staat noch nach 1942 erweckt besondere Aufmerksamkeit. Die deutschen Juristen hatten durch die von C. Schmitt organisierte und geleitete Tagung „Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist“ im Oktober 1936 erfahren, wohin das Regime zielte. Die Brandstiftungen an mehr als zweihundert Synagogen in deutschen Städten unter dem Schutz der Polizei und der Feuerwehren sowie die Verwüstungen tausender jüdischer Wohnungen und Geschäfte im ganzen Reich geschahen in aller Öffentlichkeit. Das Terrorregime der Gestapo und das der SS in den Konzentrationslagern waren im Grundsatz allgemein bekannt. Das gleiche gilt für die massenhafte Deportation jüdischer Familien, die wie in Berlin-Grunewald von öffentlichen Bahnhöfen inmitten von Wohngebieten ihren Ausgang nahm. Spätestens seit der verlorenen Schlacht um Stalingrad im Winter 1942/43 war zudem für jeden Einsichtswilligen auch die Hoffnung auf den „Endsieg“ gestorben. Zum Wissen der deutschen Bevölkerung um die Verbrechen des NS-Staates ein vom Verfasser (S. 12 f,; zitiert nach DER SPIEGEL 34/1998, S. 183) angeführter Privatbrief Konrad Adenauers aus dem Jahr 1946:

 

„Das deutsche Volk, auch Bischöfe und Klerus zum großen Teil, sind auf die nationalsozialistische Agitation eingegangen. Es hat sich fast widerstandslos, ja zum Teil mit Begeisterung…gleichschalten lassen. Im übrigen hat man aber auch gewußt – wenn man auch die Vorgänge in den Lagern nicht in ihrem vollen Umfang gekannt hat –, daß die persönliche Freiheit, alle Rechtsgrundsätze mit Füßen getreten wurden, daß in den Konzentrationslagern große Grausamkeiten verübt wurden, daß die Gestapo, unsere [M4] SS und zum Teil auch unsere Truppen in Polen und Rußland mit beispiellosen Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung vorgingen. Die Judenpogrome 1933 und 1938 geschahen in aller Öffentlichkeit. Die Geiselmorde in Frankreich wurden von uns offiziell bekanntgegeben. Man kann also wirklich nicht behaupten, daß die Öffentlichkeit nicht gewußt habe, daß die nationalsozialistische Regierung und die Heeresleitung ständig aus Grundsatz gegen das Naturrecht, gegen die Haager Konvention und gegen die einfachsten Gebote der Menschlichkeit verstießen.“

 

Unter diesen Umständen drängt sich die Frage auf, ob neben die ideologische Verblendung selbst bei fachlich hochbegabten Akteuren jener Epoche auch intellektuelle Defizite eine wichtige Rolle spielten.

 

Vor diesem Hintergrund gewinnt das erstaunliche Nachkriegsschicksal von Mezger, das Muñoz Conde anschaulich schildert, besonderes Interesse. Er wurde zunächst auf Weisung der Militärregierung im Oktober 1945 seines Amtes enthoben und später, ohne angeklagt zu sein, im Rahmen des Nürnberger Hauptprozesses einige Wochen inhaftiert, weil er im Verdacht stand, dem Sicherheitsdienst der SS („verbrecherische Organisation“ im Sinne der Nürnberger Urteile) angehört zu haben. Im Verfahren der „Entnazifizierung“ wurde er von der Spruchkammer X München im Februar 1947 in die Gruppe der „Mitläufer“ eingestuft und musste 2000 RM an den Wiedergutmachungsfond zahlen.

 

Bereits 1948 kehrte er wieder auf seinen Lehrstuhl zurück, den er bis zu seiner Emeritierung am 1. April 1952 behielt. Zu seinem 70. Geburtstag erhielt er 1953 eine Festschrift. Herausgeber waren die fachlich hochangesehenen Kollegen Maurach und Engisch, die ihm – nicht unzutreffend – eine fachliche „Mehrdimensionalität“ bescheinigten und ihn als „einen der bedeutendsten Förderer der Strafrechtswissenschaft“ feierten. Auffällig ist die verbreitete, unbefangene und unverminderte Kollegialität und Wertschätzung gegenüber einem Kollegen, der ‚wissenschaftlich‘ aktiv an der „Ausmerzung“ der „inneren Feinde“ des Terrorregimes mit gewirkt hatte. Seine dazu erbrachten Förderbeiträge werden in der Festschrift nicht erwähnt. Erstaunlich ist im Vergleich zu den „Warteschleifen“ weniger durch die NS-Zeit belasteter Kollegen (Forsthoff, Huber, Feine, Hartung, Wohlhaupter) seine überaus schnelle, ja reibungslose Wiedereingliederung in die Universität.

 

1954 wurde Mezger vom damaligen Bundesjustizminister Neumayer (FDP) in die sog. Große Strafrechtskommission zur Reform des Strafrechts berufen und zeitweilig deren stellvertretender Vorsitzender. Er blieb nicht zuletzt durch viele Auflagen seines zweibändigen Lehrbuches zum Strafrecht einer der führenden Köpfe der deutschen Strafrechtswissenschaft mit großem Einfluss auf Generationen von Juristen und erhielt Ehrendoktortitel der Universitäten Tübingen, Athen und Coimbra.

 

Das Buch von Muñoz Condes ist eine lehrreiche, wichtige Lektüre zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft und zugleich der Situation in der frühen Bundesrepublik. Durch seine akribische Nachzeichnung des Einzelschicksals von Mezger ist dem Verfasser zugleich ein Zeitpanorama der ganzen Epoche und ein vertiefter Einblick in die genuinen ideologischen Verstrickungen des Rechts und der Rechtswissenschaft in „Wendezeiten“ gelungen.

 

Erschwert wird das Lesen des Buches durch den durchgängig moralisierenden Unterton der Darstellung und die permanente Empörung des Verfassers. Die Erfassung der Rahmenbedingungen, der Ursachen und Zusammenhänge historischer Abläufe wird durch ständige vorder- und hintergründige (Vor-?)Urteile des Historikers nicht erleichtert. Im Gegenteil: Die moralische Verurteilung eines Einzelnen ist geeignet, den Blick zu trüben für die Tatsache, dass Mezger nur ein besonders ausgeprägtes Beispiel für eine nicht eben kleine Gruppe fachlich hervorragend ausgewiesener juristischer Kollegen seiner Generation in allen juristischen Teildisziplinen darstellt. Zu nennen sind etwa Richard Lange, Friedrich Schaffstein, Georg Dahm, Hans Welzel u. a. im Strafrecht; Karl Larenz, Wolfgang Siebert, Heinrich Lange, Justus Wilhelm Hedemann u. v. a. im Zivilrecht, Carl Schmitt, Reinhard Höhn, Ernst Rudolf Huber, Ulrich Scheuner, Theodor Maunz u. v. a. im öffentlichen Recht. Als das entscheidende Moment an dem Gesamtvorgang der wissenschaftlich betriebenen Rechtsperversion im Nationalsozialismus erscheint die Tatsache, dass dieser Vorgang nicht primär in dem moralischen Versagen Einzelner seine maßgebliche Ursache hatte, sondern in dem nur zum Teil demagogisch bewirkten Kultur- und Werteverfall einer ganzen Generationskohorte, die sich in Teilen auch nach dem Zusammenbruch noch innerlich verbunden wusste.

 

Die Verdienste des Autors und der ihm gebührende Dank werden durch diese Anmerkung nicht geschmälert. Deutschland steht mit den individuellen und kollektiven „Wendeabenteuern“ seiner Juristen nicht allein. Der Autor als Kenner der Materie erscheint wie berufen, als Vorbild und Mitstreiter einer europaweiten Aufarbeitung totalitärer Rechtsperversionen zu wirken, etwa auch in Spanien und Portugal, wo die Sympathie für deutsche NS-Kronjuristen noch heute groß, die Reflexion der einschlägigen eigenen Rechtsgeschichte steigerungsfähig zu sein scheint. Das Buch erinnert erneut daran: Die Vergangenheit vergeht nicht. Sie lässt sich auch nur zeitweise verdrängen. Das gilt für das staatliche Unrecht und seine Gehilfen in allen Ländern.

 

Konstanz                                                                    Bernd Rüthers

 [M1]Können oder könnten?

 [M2]Aufsatztitel?

 [M3]Oben verweisen sie auf eine ältere Auflage von 1934.

 [M4]Schrieb Adenauer tatsächlich „unsere SS“?