Maetschke, Matthias, Ursprünge der Zwangskartellgesetzgebung. Der Entwurf eines Gesetzes über den Absatz von Kalisalzen vom 12. Dezember 1909 (= Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte 5). Nomos, Baden-Baden 2008. 275 S. Besprochen von Klaus Richter., ZRG GA 127 (2010)
Maetschke, Matthias, Ursprünge der Zwangskartellgesetzgebung. Der Entwurf eines Gesetzes über den Absatz von Kalisalzen vom 12. Dezember 1909 (= Rheinische Schriften zur Rechtsgeschichte 5). Nomos, Baden-Baden 2008. 275 S. Besprochen von Klaus Richter.
Die vorliegende Arbeit, eine von Mathias Schmoeckel betreute Bonner Dissertation, befasst sich mit einem in der Kartellrechtsgeschichte bislang eher am Rande behandelten Thema, nämlich den Ursprüngen der Zwangskartellierung. Diese Thema ist rechtshistorisch von großem Interesse, da die Zwangskartellierung in Form der Zwangskartellgesetzgebung vor allem in der Wirtschaftsgeschichte des Dritten Reichs eine wesentliche Rolle spielt und Ursachenforschung gerade in diesem Bereich für das Verständnis der Wirtschaftsgeschichte des Dritten Reiches und auch für die Kartellgesetzgebung nach dem Zweiten Weltkrieg von entscheidender Bedeutung ist. Der Verfasser lotet die theoretischen Hintergründe der Zwangskartellgesetzgebung aus, die ihre Wurzeln in der Nationalökonomie des späten 19. Jahrhunderts haben und deren – zumindest theoretisches – Ziel es war, die Probleme der Kartellbildung in den Griff zu bekommen. Erinnern wir uns: Seit dem Wiener Börsencrash des Jahres 1873 und der Schutzzollgesetzgebung des Jahres 1879 blühte in der deutschen Wirtschaft das Kartellwesen auf. 1897 sicherte das Reichsgericht mit seiner berühmten Entscheidung zum sächsischen Holzstoffkartell die Kartellverträge rechtlich ab (RGZ 38, 155). Wissenschaftliche Rückendeckung erhielt das Kartellwesen von Anfang an durch die Nationalökonomie, wobei sich hier insbesondere die Vertreter der jüngeren historischen Schule der Nationalökonomie mit der Betonung des volkswirtschaftlichen Nutzens der Kartelle hervortaten. Dennoch war nicht zu übersehen, dass die Kartellbildung zu Problemen führte: In vielen Industriezweigen kam es erst gar nicht zur Kartellbildung, Kartelle brachen recht bald nach ihrer Gründung wieder auseinander oder sie waren – wie das Rheinisch-Westfälische Kohlen-Syndikat -, einer ständigen Anpassung und Erneuerung der Kartellverträge unterworfen. Den Zeitgenossen war durchaus bewusst, dass einem Kartell von Anfang an ein selbstzerstörerisches Element innewohnt, denn der Vertragsschluss vermochte Mitglieder der Kartelle nicht daran zu hindern, an den vertraglichen Vereinbarungen vorbei eigene Interessen zu verfolgen. Als Lösung bot sich – aus der Sicht der Nationalökonomie – das Zwangskartell an, da mit der zwangsweisen Zusammenschließung von Unternehmern eines Wirtschaftszweiges die Hoffnung verbunden wurde, die Herstellung und den Absatz von Gütern zu regulieren. Hier gelingt es dem Verfasser in vorbildlicher Weise, die Aussagen zeitgenössischer Nationalökonomen wie Friedrich Kleinwächter, Arnold Steinmann-Bucher, Karl Wasserrab oder Gustav Schmoller darzustellen und auszuwerten. Sodann wendet sich der Verfasser umfassend und sehr gründlich den Plänen zur Zwangskartellierung in der Kaliindustrie auf der Grundlage eines – letztlich zum Scheitern verurteilten – Entwurfes eines Gesetzes über den Absatz von Kalisalzen vom 12. Dezember 1909. Dieser Entwurf war eine unmittelbare Reaktion des preußischen Gesetzgebers auf das Auseinanderbrechen eines Kartells in der Kaliindustrie im gleichen Jahr dar. Interessant sind die Gründe, warum ein Gesetzgeber erstmals erwogen hat, hier mit einer Zwangsmaßnahme zu reagieren. Hier ist der Verfasser an einen Punkt angelangt, an dem er methodisch Farbe bekennen muss. Völlig korrekt stellt er nicht einfach nur auf die rechtlichen Fragestellungen ab, sondern er stellt klar und deutlich heraus, dass es hier auf das Zusammenspiel zwischen Recht und Wirtschaft in der Rechtsgeschichte ankommt. Die Idee der Einbeziehung wirtschaftlicher – genauer gesagt: sozialwissenschaftlicher – Elemente in die rechtshistorische Forschung, ist nicht neu; sie findet ihren Anfang zu Beginn der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts und ist – trotz der Kritik durch Vertreter einer eher „traditionellen“ Rechtsgeschichte, aus der modernen Wirtschaftsrechtsgeschichte nicht mehr wegzudenken. Das Bewusstsein des Zusammenspiels von Wirtschaft und Recht ersetzt noch keine Methodik – das ist dem Verfasser auch bewusst: Er greift auf ordoliberale Arbeiten aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zurück, nach denen das Recht eine Handelnsordnung für die Wirtschaft festlegt, indem es regelt, wer über bestimmte wirtschaftliche Fragen entscheiden darf und wie der Zugang zu Märkten gestaltet wird. Ob die Wahl des Ordoliberalismus als methodischer Ansatz geglückt ist, mag mit Blick auf die Neue Institutionenökonomik bezweifelt werden, die einen – auch für die Rechtsgeschichte nutzbaren – präzisen methodischen Ansatz verfolgt, der sich auch – gerade – für das vom Verfasser untersuchte Thema anbietet. Andererseits bewegt sich der Verfasser auf sicherem Boden, wenn er einen ordoliberalen Weg einschlägt. Einerseits bedeutet die Wahl eines institutionenökonomischen Ansatzes eine intensive und sehr zeitaufwendige Beschäftigung mit einem wissenschaftlichen Denkstil, der dem Juristen fremd ist, andererseits besteht die Gefahr, dass Leser und Rezensenten den methodischen Ansatz nicht verstehen und deshalb Bewertungen treffen, die gefährlich an der Thematik vorbeigehen oder die durch die Einbeziehung der Wirtschaftswissenschaft gefundenen Ergebnisse schlicht für banal halten und damit die Arbeit auf das Niveau einer mittelmäßigen Seminararbeit herabstufen. Erfreulich an der vorliegenden Arbeit ist, dass der Verfasser sich auch über die wirtschaftlichen Zusammenhänge bewusst ist und diese auch sorgfältig eingearbeitet hat. Zusammenfassend gesagt hat der Verfasser eine Arbeit vorgelegt, die ein wesentlicher und wichtiger Beitrag zur Kartellrechtsgeschichte ist und die wegen der Qualität und Sorgfalt der vorgenommenen Untersuchung mit den grundlegenden kartellrechtlichen Arbeiten Rainer Schröders[1] und Knut Wolfgang Nörrs[2] in einer Reihe stehen dürfte.
Berlin Klaus Richter
[1] R a i n e r S c h r ö d e r, Die Entwicklung des Kartellrechts und des kollektiven Arbeitsrechts durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts vor 1914, Ebelsbach 1988.
[2] K n u t W o l f g a n g N ö r r, Die Leiden des Privatrechts, Tübingen 1994.