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Löhr, Diana, Zur Mitwirkung der Laienrichter im Strafprozess. Eine Untersuchung über die rechtsgeschichtliche und gegenwärtige Bedeutung der Laienbeteiligung im Strafverfahren (= Studien zur Rechtswissenschaft 219). Kovač, Hamburg 2008. XIII, 353 S. Besprochen von Heinz Müller-Dietz., ZRG GA 127 (2010)

Löhr, Diana, Zur Mitwirkung der Laienrichter im Strafprozess. Eine Untersuchung über die rechtsgeschichtliche und gegenwärtige Bedeutung der Laienbeteiligung im Strafverfahren (= Studien zur Rechtswissenschaft 219). Kovač, Hamburg 2008. XIII, 353 S. Besprochen von Heinz Müller-Dietz.

 

Seit einiger Zeit ist der Diskurs über die Gründe und die Legitimation der Laienbeteiligung im Strafprozess verstärkt in Gang gekommen. Dabei ist gerade die rechtsgeschichtliche Frage von einiger Bedeutung, ob und inwieweit die Argumente, die - namentlich im 19. Jahrhundert - zur Mitwirkung von Geschworenen und Schöffen an der Hauptverhandlung in Strafsachen in Deutschland geführt haben, in der heutigen Situation noch tragfähig sind und jenes Institut noch zu rechtfertigen vermögen - oder ob zu dessen Beibehaltung neue Gesichtspunkte herangezogen werden müssen. Diana Löhr geht dieser Problematik in ihrer Kölner Dissertation (2007) auf der Grundlage einer rechtsgeschichtlichen Darstellung nach, die dann - in ihrem zweiten Teil - in eine detaillierte Analyse der gegenwärtigen deutschen Rechtslage mündet.

 

Im historischen Teil, der von der germanischen Zeit bis zu den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts reicht, hat sich die Verfasserin weitgehend auf (straf-)rechtsgeschichtliche Gesamtdarstellungen und Quellenstudien gestützt. Den Schwerpunkt ihrer Untersuchung haben - was angesichts der Rechtsentwicklung nicht weiter überraschen kann - vor allem das 19. und das 20. Jahrhundert gebildet. Für die germanische Zeit hat Löhr als Element der Beteiligung des Volkes an der Gerichtsbarkeit die Volksversammlung des Things in Anspruch genommen. Ein Wandel hat dann bereits zu Beginn der fränkischen Zeit eingesetzt. In zunehmendem Maße traten mit der Wahrnehmung des Richteramtes betraute Amtsträger an die Stelle der Volksrichter. Am Ausgang des Mittelalters war das volkstümliche Element aus der Rechtspflege weitgehend verbannt. Charakteristisch für diese Entwicklung ist namentlich die Gründung des Reichskammergerichts im Jahre 1495 geworden. Gelehrte Juristen traten nach und nach an die Stelle ungelehrter Schöffen. Erst die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 knüpfte wieder an die Volksgerichtsbarkeit des alten deutschen Rechts an, indem sie die Mitwirkung von Schöffen vorsah. Im absolutistischen Staat hingegen lag die Rechtspflege ausschließlich in den Händen beamteter Richter, die im Dienst des Landesherrn standen und von ihm abhängig waren.

 

Ein grundlegender Wandel bahnte sich insoweit im Aufklärungszeitalter an. Mit der Entdeckung des Individuums verband sich dessen Anspruch auf Teilhabe an den Staatsfunktionen. Bereits Justus Möser glaubte 1774 die Frage, ob es – selbst nach der Peinlichen Halsgerichtsordnung - billig sei, „daß Gelehrte die Kriminalurteile sprechen“, mit einem entschiedenen Nein beantworten zu können. Die Einführung der Anklage- und Urteilsjury nach englischem Vorbild in Frankreich (1791) im Gefolge der französischen Revolution sowie des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung bedeutete eine völlige Abkehr vom bisherigen Inquisitionsprozess.

 

Doch zeichneten sich schon damals Fehlentwicklungen in der Entwicklung der Laiengerichtsbarkeit in Form politischer Einflussnahme auf die Besetzung der Geschworenenbank ab. Wenn auch Feuerbach - wiewohl aus anderer Perspektive - grundsätzliche Kritik am französischen Schwurgericht übte, so erwies er sich, wie seine Sympathie für die englische Erscheinungsform erkennen ließ, keineswegs als Gegner dieser Institution schlechthin - deren Einführung selbst Hegel in seiner Rechtsphilosophie von 1821 befürwortete. Für andere Philosophen - wie etwa Schopenhauer  hingegen stand die fachliche Inkompetenz von Laien fest. Ihre Kritik an Geschworenengerichten fand jedoch wenig öffentliches Gehör, zumal das Misstrauen gegenüber dem beamteten Richter weit verbreitet war. In der Folgezeit wurde denn auch die Forderung nach Schaffung von Schwurgerichten - namentlich unter dem Vorzeichen des aufblühenden Frühliberalismus - zu einer zentralen strafprozessualen Reformforderung. Sie fand dementsprechend - ungeachtet so mancher Einwände und Kritiker  sowohl auf dem Lübecker Germanistentag von 1847 als auch in der Frankfurter Nationalversammlung 1848 ihre beredten Fürsprecher - und Anklang. In vielen deutschen Partikularstaaten wurden daher unter dem Einfluss der Märzrevolution Schwurgerichte eingeführt.

 

Freilich traten alsbald Mängel des rheinisch-französischen Jurymodells zutage. Sie kulminierten vor allem in Problemen, die auch die weitere Reformdiskussion bis ins 20. Jahrhundert hinein beeinflussen und schließlich zur Verwirklichung der Schöffengerichtsverfassung durch die sog. Lex Emminger von 1924 führen sollten: Im Mittelpunkt standen vor allem das Verfahren der Auswahl der Geschworenen, die Trennung von Tatfrage und Rechtsfrage und der daran geknüpfte Fragemodus. Die Bedeutung der Fragestellung hat sich etwa in dem allerdings aus anderen Gründen (eben seiner Irrtumsproblematik wegen) legendären Fall Rose/Rosahl gezeigt (S. 114 Fn. 613). Einmal mehr spielte in der Diskussion auch der Zusammenhang mit dem Beweisrecht, insbesondere mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung, eine mehr oder minder gewichtige Rolle.

 

Besondere Aufmerksamkeit haben in der Darstellung der weiteren Rechtsentwicklung begreiflicherweise die Vorarbeiten zu den Reichsjustizgesetzen von 1877, die inhaltliche Neugestaltung der Gerichtsverfassung und des Strafverfahrens durch das Gerichtsverfassungsgesetz und die Strafprozessordnung gefunden. Am Kompromisscharakter der beiden Gesetze – die ja das System der Schöffengerichte mit demjenigen der Schwurgerichte verknüpften – entzündete sich alsbald Kritik, die entsprechende Reformforderungen und Reformversuche nach sich zog. Freilich konnten sich die Bestrebungen, einer stärkeren Laienbeteiligung zum Durchbruch zu verhelfen, weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik durchsetzen. Das traf schon auf Reformansätze in der Zeit zwischen 1919 und 1923 zu. So sprach sich z. B. der Entwurf Heinze (1923) aus Kostengründen für eine „Ersparnis an Laienrichtern“ aus (S. 131). Die Lex Emminger (1924) beseitigte gar noch das Schwurgericht und reduzierte dadurch die Laienbeteiligung, dass sie die Zuständigkeit des Einzelrichters erweiterte - was einmal mehr auf Kritik stieß. Zu den - wenigen - als solche weitgehend anerkannten Fortschritten der Weimarer Zeit zählte wohl die 1922 erfolgte Zulassung von Frauen zum Schöffen- und Geschworenenamt.

 

Das NS-Regime erblickte in der Mitwirkung von Laien an der Rechtspflege - die als „Volksrichter“ bezeichnet wurden - eine willkommene Gelegenheit, Einfluss auf die Besetzung der Gerichte zu nehmen und sie ideologisch zu indoktrinieren. Besonders deutlich wurde dies an der Besetzung des Volksgerichtshofs, der 1944 über 173 ehrenamtliche, der Partei angehörende oder ihr nahe stehende Richter verfügte. Pläne über weiteren Ausbau der Laienbeteiligung fielen freilich dem zweiten Weltkrieg zum Opfer; 1939 wurde die Mitwirkung von Laien in der ordentlichen Gerichtsbarkeit beseitigt (S. 156).

 

Nach Kriegsende fiel die Justizhoheit wieder an die Länder zurück. Von 1946 an amtierten wieder Schöffen und Geschworene. Das „Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet der Gerichtsverfassung“ von 1950 knüpfte großenteils, wenn auch nicht völlig an die Rechtslage vor dem „Dritten Reich“ an. Spätere strafprozessuale Neuregelungen - wie etwa das „Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts“ von 1974 - hielten grundsätzlich an der Laienbeteiligung fest. Die Strafprozessänderungsgesetze von 1979 und 1987 trafen Neuregelungen hinsichtlich der Auswahl und Heranziehung der Schöffen. Durch das „Rechtspflegentlastungsgesetz“ von 1993 wurde freilich die Zuständigkeit des Einzelrichters zu Lasten des Schöffengerichts erweitert.

 

Den zweiten Teil ihrer Studie hat Diana Löhr einer überaus detaillierten Darstellung und Analyse der Schöffengerichtsverfassung gewidmet, wie sie dem nunmehr (2007) geltenden Recht zugrunde liegt. Er läuft praktisch auf eine Kommentierung sämtlicher Regelungen des GVG, zum Teil auch des Deutschen Richtergesetzes, unter Heranziehung der einschlägigen Judikatur und Literatur hinaus, die Auswahl, Qualifikationen, Eignung, Rechtsstellung, Mitwirkung, Befugnisse und Pflichten von Schöffen zum Gegenstand haben. Dabei werden die Vielzahl der Fragen, aber auch deren unterschiedliches Gewicht deutlich, die jene Vorschriften und ihre Handhabung durch die Praxis aufwerfen. Hier können und sollen nur einige wenige herausgegriffen werden, die besonderes Interesse beanspruchen.

 

Dass die Verfasserin die Ungleichbehandlung von Schöffen in puncto Akteneinsicht für ungerechtfertigt hält (S. 208ff.), verdient Zustimmung. Ebenso spricht viel für die Lösung des geltenden Rechts, die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter auf die Hauptverhandlung zu beschränken (S. 216ff.). Mit der Verfasserin kann man auch der Auffassung sein, dass das Grundgesetz Änderungen des GVG entgegensteht, die Ausländer und Unionsbürger zum Schöffenamt zulassen würden (S. 223). Dass ein Schöffe die deutsche Sprache – die ja Gerichtssprache ist – beherrschen muss (S. 233), versteht sich wohl von selbst. Vom Schöffenamt soll mangels Eignung ausgeschlossen werden, wer gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat (S. 240ff.). Das gilt einem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zufolge auch für den Fall fehlender Verfassungstreue (NJW 2008, 2568; der Gesetzgeber sollte diesen Fall freilich explizit regeln, vgl. Anger, NJW 2008, 3041). Die Wahrnehmung des Schöffenamtes darf niemand, bei dem die gesetzlichen Voraussetzungen für die Berufung vorliegen, unter Hinweis auf Gewissensgründe ablehnen; schließlich ist eine solche Tätigkeit Bürgerpflicht (S. 257).

 

In ihrem Resümee, das Diana Löhr aus der bisherigen Rechtsentwicklung zieht, konstatiert sie unterschiedliche Tendenzen. Auf der einen Seite stellt sie fest, dass die Laienbeteiligung im Laufe der verschiedenen Epochen zunehmend eingeschränkt worden ist. Der Umstand, dass die historischen Gründe, die im 19. Jahrhundert zur Einführung der Institution geführt haben, weitgehend entfallen waren, hat den Kritikern entsprechenden Auftrieb gegeben. Die Verfasserin glaubt denn auch der Dogmengeschichte keine zwingenden Argumente für die Beibehaltung der Einrichtung mehr entnehmen zu können. Auf der anderen Seite verweist sie aber auf aktuelle Reformschritte, die gerade einer Stärkung der Institution dienen und für deren Fortdauer sprechen könnten. In diesem Sinne seien die 2004 erfolgte Verbesserung der Entschädigung ehrenamtlicher Richter und das 2005 wirksam gewordene sog. Benachteiligungsverbot zu sehen (S. 174). Auch lasse ein rechtsvergleichender Blick erkennen, dass viele europäische Länder an der Laienbeteiligung festhielten (S. 176). Die Gründe, die unter den heutigen Umständen die Mitwirkung von Laien an der Rechtsprechung rechtfertigen könnten, erblickt Diana Löhr vor allem in der Repräsentation und Partizipation des Volkes und damit im Demokratieprinzip. Letztlich verkörpert für sie die Gretchenfrage nach Beibehaltung oder Abschaffung der Laienbeteiligung - die offensichtlich nicht im Zentrum ihres Erkenntnisinteresses gestanden hat - ein Problem der rechtspolitischen Entscheidung (S. 172ff., 311).

 

Saarbrücken                                                               Heinz Müller-Dietz