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Lacey, Helen, The Royal Pardon. Access to Mercy in Fourteenth-Century England. York Medieval Press, York 2009. VIII, 260 S. Besprochen von Susanne Jenks., ZRG GA 127 (2010)

Lacey, Helen, The Royal Pardon. Access to Mercy in Fourteenth-Century England. York Medieval Press, York 2009. VIII, 260 S.

 

Das Recht der Krone, Gnade walten zu lassen, gehört mit zu den wichtigsten Hoheitsrechten nicht nur eines mittelalterlichen Herrschers. Dennoch wurde diesem Aspekt, von der Studie Naomi D. Hurnards (The King’s Pardon for Homicide before AD 1307, Oxford 1969) einmal abgesehen, bislang relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Daher ist das hier zu besprechende Buch zu begrüßen, das sich mit den für Individuen, für Gruppen sowie für alle Untertanen ausgestellten königlichen Begnadigungsakten (pardons) unter Zuhilfenahme von normativen Texten, Parlamentsdebatten, Rechtstraktaten und literarischen Texten (wie Protestliteratur) beschäftigt.

 

Der erste Teil widmet sich den pardons, die sich nur auf eine bestimmte Person und den von dieser Person verübten Verbrechen und Vergehen bezogen, und die ohne Rücksprache mit dem König (de cursu, zum Beispiel bei Notwehr) oder - in ungewöhnlichen Fällen - nach Konsultation des Monarchen (de gratia) durch die Kanzlei in Form eines Patentbriefes (letter patent) ausgestellt wurden, und schildert die Rolle, die der Antragsteller, Befürworter (intercessors) und der König hierbei spielten. Circa 500 Petitionen, in denen um ein pardon gebeten wurde, sind für das 14. Jahrhundert erhalten (überliefert in London in The National Archives: Public Record Office, SC 8, alle zur Zeit noch kostenlos online einzusehen und herunterzuladen unter http://www.nationalarchives.gov.uk/documentsonline, unter „other records“ findet man die Ancient Petitions Henry III – James I). Da diese Bittschriften recht standardisiert waren, vermutet Lacey, dass sie von professionellen, in den Grafschaften tätigen Anwälten (county lawyers) verfasst wurden.

 

Die Rolle der Befürworter wurde in einem Statut aus dem Jahr 1353 näher definiert: Es wurde bestimmt, dass der Patentbrief den Grund für die Begnadigung und den Namen der Person enthalten musste, die sich für die Begnadigung eingesetzt hatte (allerdings nur, wenn eine Felony begnadigt werden sollte, worauf Lacey jedoch nicht hinweist). Königinnen und hochrangige Adlige traten besonders als intercessors hervor, wie betont wird (allerdings gibt es hier keine konkreten Quellenangaben, sondern nur der Verweis auf Anhang 4), doch muss es auch andere intercessors gegeben haben, denn zwischen 1390 und 1393 wurden von diesen je nach Rang (von Erzbischof und Herzog bis hin zu clerk, bachelor oder einem Mitglied des lesser estate) gestaffelte Gebühren erhoben, falls sie sich erfolgreich für pardons für bestimmte Arten von Tötungsdelikten (murder, death of a man slain by await, assault, or malice), Hochverrat oder Vergewaltigung einsetzten (nach Lacey handelte es sich hierbei um Strafgebühren für falsche Angaben, doch geht dies aus dem Wortlaut des Statuts von 1390 nicht explizit hervor). Daneben gab es weitere ‚Mittelsmänner’, nämlich die Bürgen, die seit 1336 nach einer Begnadigung für das zukünftige Wohlverhalten zu stellen waren. Jedoch wurde diese Auflage zunehmend missachtet, wie Lacey in Anlehnung an eine Veröffentlichung von T. F. T. Plucknett aus dem Jahr 1940 meint. Meine eigenen Forschungen auf der Grundlage der an die Kanzlei zurückgesandten Bürgschaftsbelege (TNA:PRO, C 237) zeigen allerdings, dass die im Statut geforderte Bürgschaft im 14. und 15. Jahrhundert durchaus gestellt wurde, und dass diese Aufgabe zunehmend von professionellen Bürgen übernommen wurde, weshalb ich auch bezweifeln möchte, dass die Bürgen für zukünftiges Wohlverhalten Einfluss auf die Ausstellung des Begnadigungsschreibens ausübten, zumal sie mitunter lange nach dem Erlass des pardons beigebracht wurde (vergleiche Susanne Jenks, Die Bürgschaft im mittelalterlichen englischen Strafrecht, 2003, S. 315-328).

 

Die meisten (nämlich 312) der Bittschriften aus dem 14. Jahrhundert, in denen eine Begnadigung erbeten wurde, waren allein an den König adressiert, weitere 150 an den „König im Kronrat“ und sieben an den „König im Parlament“, doch scheint der Monarch nur in den seltensten Fällen vollkommen allein entschieden zu haben. Zudem reagierte er nicht nur auf Bitten hin, sondern wurde manchmal auch aus eigenem Antrieb aktiv. So verhinderte er durch die Ausstellung eines Pardons die Wiederholung der Hinrichtung, wenn der Delinquent den ersten Versuch der Hinrichtung überlebt hatte. Lacey spricht in diesem Zusammenhang auch die Begnadigungen an, die verurteilte schwangere Frauen erhielten und nennt sechzehn Fälle, die sie in den Calendar of Patent Rolls gefunden hat. Drei dieser Quellen belegen aber eindeutig, dass die Begnadigung auf Fürsprache der Königin zustande kam (CPR 1381-5, S. 243, CPR 1392-6, S. 8 und S. 28) und können daher kaum Belege für aufgrund der Eigeninitiative des Monarchen erlassene Begnadigungen sein.

 

Obwohl das Hoheitsrecht des Königs als solches nie in Frage stand, wurden seitens des Parlaments Versuche unternommen, dieses Vorrecht einzuschränken. Jedoch blieben alle diesbezüglichen Initiativen (Statuten von 1278, 1309, 1311, 1328, 1330, 1334, 1336) ohne den gewünschten Erfolg, weshalb seit 1353 ein anderer Weg eingeschlagen wurde: statt den Monarchen zu reglementieren, sollte nun der Missbrauch der Begnadigungen durch die Begünstigten verhindert werden.

 

Der zweite Teil des Buches widmet sich den für bestimmte Bevölkerungsgruppen (group pardons: zum Beispiel politische Amnestien oder als Gegenleistung für Militärdienst erteilte Begnadigungen beziehungsweise Erlass von Geldstrafen) und den für alle Untertanen (gegebenenfalls mit namentlich erwähnten Ausnahmen) erteilten Begnadigungen (general pardons). In beiden Fällen lag die Initiative bei der Krone, und beide hatten eine politische Komponente. Während group pardons als Akt der Versöhnung mit bestimmten Bevölkerungsgruppen (political reconciliation) anzusehen sind oder der Rekrutierung dienten (conditional pardons in return for service), wurden die general pardons, die 1377 erstmalig auftauchten und die politischen Amnestien ersetzen, im Laufe des 14. Jahrhunderts immer mehr zu einer politischen Waffe und letztlich zu einem Zeichen königlicher Autorität und Stärke. Die general pardons „allowed the government to portray the use of the prerogative as an unforced act of mercy“ (S. 179). Drei dieser general pardons und ihre historischen Umstände behandelt Lacey eingehender. Das allererste general pardon wurde zum 50. Jahrestag der Thronbesteigung Edwards III. im Jahr 1377 erlassen und musste für jeweils 18s. 4d. bis zum 24. Juni 1377 käuflich erworben werden. Individuelle Ausführungen dieser Begnadigung wurden für 2439 Personen ausgestellt, doch wurden laut Lacey nur in fünfzehn Fällen die Pardons im Rahmen eines Verfahrens in der King’s Bench vorgelegt. Obwohl diese Zahl definitiv zu gering ist (folgende Belege über Pardons, ausgestellt zwischen 12. März und 13. Juni 1377, wurden übersehen: KB 27/470 mm 10 Rex, 10d Rex, 11 Rex, KB 27/471 m 10 Rex, KB 27/528 m 13 Rex, KB 27/505 m 14 Rex, KB 27/529 m 8d Rex, KB 27/530 mm 4 Rex, 14 Rex, KB 27/547 m 25 Rex), ist sicherlich richtig, dass nicht jeder, der sich darum bemühte, eine solche Begnadigung tatsächlich nötig hatte. Allerdings gab es zwei Ausführungen dieses pardons, was Lacey dem Leser freilich erst 30 Seiten später mitteilt: um die komplette Begnadigung bemühten sich nur 438 Empfänger (darunter den Bischof von Lincoln und verschiedene Städte), während 2001 Personen für eine verkürzte Version (Begnadigung aller Felonies außer Hochverrat, Mord, Diebstahl und Vergewaltigung) zahlten. Das zweite näher beleuchtete general pardon wurde von Richard II. nach der Peasants’ Revolt 1381 ausgestellt. Dieser Teil des Buches greift auf Laceys 2008 veröffentlichten Aufsatz zurück (Grace for Rebels: The Role of the Royal Pardon in the Peasants’ Revolt of 1381, in: Journal of Medieval History 34, 2008, S. 36-63) und betont die Balance zwischen Gnadenerweisen und strenger Bestrafung der Rebellen, die keineswegs als Widerspruch empfunden wurde, und König Richards II. Rückgriff auf die von Edward III. entwickelte Krisenbewältigungsstrategie (Gewährung eines general pardons) statt sein Heil in einer Verwaltungsreform zu suchen. Das letzte analysierte general pardon wurde 1398 während der „tyrannischen Phase“ Richards II. erlassen. Dieses Kapitel wiederholt Argumente des 2006 erschienenen Aufsatz („Mercy and Truth Preserve the king“: Richard II’s Use of the Royal Pardon, in Fourteenth Century England IV, hg. J. Hamilton, Woodbridge 2006, S. 124-135), dass nämlich diese Begnadigung von Richard als Mittel der Anklage und der Einschüchterung genutzt wurde.

 

Die Anhänge zeigen graphisch die jährliche Verteilung der pardons (wobei nicht erläutert wird, weshalb das späte 13. Jahrhundert berücksichtigt wurde), die zeitliche Verteilung der an den Militärdienst gekoppelten pardons, die regionale Verteilung von general pardons und Begnadigungen von Rebellen (wohl auf 1381 bezogen, und nach Grafschaften, nicht Regionen geordnet) sowie eine alphabetisch und nach Jahren geordnete Tabelle mit den Namen der Befürworter von pardons (die aber nicht sonderlich hilfreich ist, wenn man bestimmte Begnadigungen ansehen möchte, die durch die Einflussnahme dieser Personen ausgestellt wurden, da die Quellenbelege fehlen).

 

Dieses Buch will nicht viel mehr bieten als einen Überblick über die Art und Weise, wie königliche Gnade im 14. Jahrhundert wahrgenommen, ausgeübt und interpretiert wurde. Dies tut es in komprimierter Form, zum Teil auf der Grundlage von Beispielen aus früheren oder späteren Jahrhunderten. Allerdings gibt es einige inhaltliche Fehler: Neben den oben erwähnten ist darauf hinzuweisen, dass Tötungen durch Minderjährige (slaying by infants) nicht zu den justifiable homicides gehörte, wie auf S. 23 behauptet, sondern zu den excusable homicides, für die ein pardon notwendig war. Der Hinweis auf Bracton II, S. 375, 388 ist in diesem Zusammenhang wenig hilfreich, da dieser Aspekt auf den angegebenen Seiten nicht erwähnt wird. Bractons Definition von justifiable homicide (ein Begriff, der in dem Traktat allerdings nicht benutzt wird) findet sich in Band II auf S. 340 (die Tötung eines rechtmäßig verurteilten Verbrechers). Diese Begriffe wurden von Hurnard, King’s Pardon of Homicide, S. 68-170 verwendet, auf die ebenfalls Bezug genommen wird, und die korrekt unterscheidet, aber von Lacey falsch zitiert wird. Ärgerlich ist zudem, dass aus den Plea Rolls der King’s Bench nicht korrekt zitiert wurde. Obwohl alle Belege auf den Rex-Membranen zu finden sind, fehlt dieser Zusatz bei der Quellenangabe, obwohl er wichtig ist, da die beiden Hauptteile der Plea Rolls (communia placita; placita regis) nicht durchgängig nummeriert sind. Alles in allem genommen ist dieses Buch daher nur mit Einschränkungen zu empfehlen.

 

London                                                                                                                      Susanne Jenks