Kramer, Susanne, Vom lästigen Publikum zum mündigen Darsteller. Die Entwicklung der Beteiligungsrechte im Recht der öffentlichen Vorhaben seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland, Frankreich und England (= Europäische Hochschulschriften 2, 4743). Lang, Frankfurt am Main 2008. 175 S. Besprochen von Gerhard Köbler., ZRG GA 127 (2010)
Kramer, Susanne, Vom lästigen Publikum zum mündigen Darsteller. Die Entwicklung der Beteiligungsrechte im Recht der öffentlichen Vorhaben seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland, Frankreich und England (= Europäische Hochschulschriften 2, 4743). Lang, Frankfurt am Main 2008. 175 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die von Michael Stolleis betreute, 2008 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt am Main angenommene Dissertation der von der Studienstiftung des deutschen Volkes geförderten, rasch hintereinander als Rechtsanwältin, Staatsanwältin und Richterin tätigen Verfasserin. Ihr in der Einleitung geschilderter Untersuchungsgegenstand ist ansprechend. Hinsichtlich der Materiallage impliziert die Fragestellung nach der überzeugenden Einschätzung der Verfasserin einen Schwerpunkt auf der Gesetzgebungsgeschichte, die sie unter Berücksichtigung der Gesetzgebungsmaterialien analysiert, wobei auch archivalisches Material einbezogen wird.
Gegliedert ist die Arbeit in fünf sachliche Teile. Dabei beginnt die Verfasserin mit einer Bestandsaufnahme unter dem Titel Beteiligungsrechte im Rahmen immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren zwischen Verwaltungseffizienz und „environmental democracy“ im geltenden deutschen, französischen und englischen Anlagenzulassungsrecht. Als Wirkungen des Beteiligungsverfahrens ermittelt sie Präklusion, Entscheidungskonzentration und Privatrechtsgestaltung.
Der zweite Teil befasst sich mit frühen Verfahren mit Beteiligungsmöglichkeiten. Dabei fragt die Verfasserin einleuchtend nach der tatsächlichen Mitwirkungsmacht des Nachbarn als Vorläufer institutionalisierter Beteiligungsrechte. Besonderes Gewicht misst sie den Gewerbekonzessionen bei.
Der dritte Teil konzentriert sich auf Preußen. Hier verfolgt die Verfasserin die Beteiligungsrechte im gewerbepolizeilichen Genehmigungsverfahren vom Allgemeinen Landrecht (1794) über die allgemeine Gewerbegesetzgebung (1845) und die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund (1869) bis zur Reichsgewerbeordnung. Auch wenn sie in diesem Zusammenhang Kodifikation nur in Anführungszeichen verwendet, liegt kaum eine wirkliche Kodifikation vor.
Der vierte Teil widmet sich dem goldenen Zeitalter der Beteiligungsrechte im französischen besonderen Verwaltungsrecht. Dieses beginnt mit dem Gesetz bezüglich der Trockenlegung der Sümpfe von 1807 und einem anschließenden Decret vom 15. 10. 1810, das die Verfasserin ganz modern als Immissionsschutzgesetz versteht. Der Weg führt danach bis zum Umweltgesetzbuch, das aber nicht mehr wirklich sichtbar gemacht wird.
Der fünfte Teil führt danach nach England. Hier steht die Privatgesetzgebung als rechtlicher Motor der Industrialisierung im Mittelpunkt. Von den Grundzügen des Gesetzgebungsverfahrens im Bereich der Privatgesetzgebung aus erschließt die Verfasserin die Funktionen der Beteiligungsrechte in diesem Private Bill Procedure-Verfahren.
Im Ergebnis stellt die Verfasserin fest, dass die gegenwärtige Ausgestaltung der Beteiligungsrechte im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren sich auf eine jahrhundertelange Tradition gründet. Dabei war nicht allein der Wille des Gesetzgebers maßgebend, sondern spielten die politischen, sozialen, wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Verhältnisse eine gewichtige Rolle. Beweggrund für die im 19. Jahrhundert einsetzende gesetzliche Zubilligung von Beteiligungsrechten war nach den Erkenntnissen der Verfasserin vorrangig das Bemühen um eine gute, effiziente und fachkompetente Verwaltungstätigkeit einschließlich einer zukunftsgerichteten „modernen“ Flanke.
Innsbruck Gerhard Köbler