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Koop, Volker, Himmlers letztes Aufgebot. Die NS-Organisation „Werwolf“. Böhlau, Köln 2008. 309 S. Besprochen von Martin Moll., ZRG GA 127 (2010)

Koop, Volker, Himmlers letztes Aufgebot. Die NS-Organisation „Werwolf“. Böhlau, Köln 2008. 309 S. Besprochen von Martin Moll.

 

Der Nationalsozialismus war sowohl vor als auch nach seiner Machtübernahme in Deutschland Ende Januar 1933 eine zutiefst in archaischen Mythen verhaftete Weltanschauung, in der Ideen einer nationalen Wiedergeburt ebenso ihren Platz hatten wie phantastische (Wahn-)Vorstellungen von angeblichen jüdischen Rasseschändern und einer jüdisch-bolschewistisch-plutokratischen Weltschwörung. Weniger bekannt dürfte sein, dass das NS-Regime in seiner Endphase bzw. sogar nach seiner definitiven Beseitigung neue und nicht weniger langlebige Mythen in die Welt setzte, die zu einem erheblichen Teil selbst heute noch zirkulieren: Das Regime hätte gegen Kriegsende über Wunderwaffen verfügt, Hitler selbst und sein Adlatus Martin Bormann hätten das Ende in Berlin im April/Mai 1945 überlebt und sich mittels Flugzeugen und U-Booten nach Südamerika abgesetzt, es habe nach Kriegsende eine überaus effiziente Hilfsorganisation ehemaliger SS-Angehöriger namens „Odessa“ gegeben usw.

 

Derlei Legenden sind von der seriösen Forschung längst entweder ins Reich der Fabel verwiesen oder nachhaltig relativiert worden – die von der NS-Propaganda vielbeschworenen Wunderwaffen, etwa Raketen und Düsenjäger, gab es zwar tatsächlich, sie konnten jedoch wegen ihres viel zu späten und marginalen Einsatzes den Kriegsverlauf nicht beeinflussen oder gar zugunsten Nazi-Deutschlands verändern. All diesen Mythen gemeinsam ist das Element der Verzweiflung, des letzten Aufbäumens eines Regimes, das seinen Untergang vor Augen hatte, sich jedoch mit allen Mitteln, koste es was es wolle, dagegen auflehnte.

 

Es war diese vom nahenden Untergang bestimmte Atmosphäre, die im letzten Kriegsjahr in Deutschland – oder was noch davon übrig war – allerhand phantastische Ideen ins Kraut schießen ließ, wie man den Sieg der Alliierten verhindern könne. Paradoxerweise tendierte das NS-Regime in seiner Agonie nun dazu, jene unliebsamen Erfahrungen gegen die künftigen Sieger anzuwenden, die man selbst mit den Partisanenbewegungen in den einst von Deutschland okkupierten Gebieten gemacht hatte: Eine im Untergrund operierende, aus dem Hinterhalt zuschlagende, die gegnerischen Verbindungslinien störende und dessen Besatzungstruppen ständig verunsichernde Widerstandsbewegung, organisiert in kleinen und kleinsten Gruppen und daher schwer aufzuspüren, sollte dem Gegner mittels Nadelstichen ständig zusetzen und ihn daran hindern, die unangefochtene Herrschaft über das von ihm eroberte Gebiet auszuüben.

 

Typisch für das NS-Regime, wurde für diese Idee – bevor noch organisatorische und personelle Fragen zur Entscheidung anstanden – erst einmal ein vermeintlich zugkräftiger Name geboren: Der Werwolf. Es gehört zu den besonderen Verdiensten der hier zu besprechenden Arbeit, endlich einmal die Wortgeschichte dieses nebelumhafteten Begriffs wenigstens in groben Zügen nachgezeichnet zu haben. Der Terminus reichte weit ins 19. Jahrhundert zurück und war nie auch nur annähernd definiert, dafür umso mehr von Mythen umschlungen, so dass er sich ideal anbot, als das NS-Regime daranging, angesichts der von Ost und West ins Reichsgebiet einbrechenden Gegner eine den eigenen leidvollen Erfahrungen mit bodenständigen Partisanen adäquate, deutsche Untergrundbewegung ins Leben zu rufen. Was damit beabsichtigt war, ist auch nach den Forschungen Koops noch immer nicht klar: Ging es darum, die dauerhafte Herrschaft der Sieger auf deutschem Boden zu behindern oder – wenigstens auf lange Sicht – eine Renaissance des Nationalsozialismus vorzubereiten?

 

Derlei Unsicherheiten resultieren, wenig verwunderlich, aus dem mit dem Ende der NS-Herrschaft einhergehenden Chaos – einer Situation, in der, wie Koop aufzeigt, die bürokratischen Apparate wohl noch (scheinbar) funktionierten, ihre Anordnungen jedoch kaum noch auf Resonanz, geschweige denn Befolgung hoffen konnten. Immerhin scheint nach Koops Recherchen klar, dass der Werwolf eine von der SS-Führung (wirklich oder ansatzweise) ins Leben gerufene Einrichtung war, während Einflüsse der Partei-Kanzlei der NSDAP unter Martin Bormann oder des Reichsleiters der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, kaum mehr zum Tragen kamen. Immerhin wird deutlich, dass selbst während der Agonie des NS-Regimes der notorische polykratische Kompetenzkampf nicht zum Erliegen kam.

 

Derlei Urteile sind freilich mehr als vorläufig, denn die chaotische Situation gegen Kriegsende ließ keine geschlossene, eindeutig interpretierbare Aktenlage mehr entstehen.Was Koop also auswerten konnte, ist und bleibt Stückwerk. Kein Wunder, dass er sich bei seiner Darstellung streckenweise weit von seinem Gegenstand entfernt und mehr ein Gesamtbild NS-Deutschlands im letzten Kriegsjahr liefert, worin der Werwolf lediglich eine marginale Rolle einnimmt.

 

Zu den Stärken der Arbeit Koops gehört, dass er von Fall zu Fall kritisch fragt, welche scheinbare Werwolf-Aktionen wirklich dem Werwolf zuzurechnen sind, gab es doch daneben weitgehend unkoordinierte Aktivitäten von Volkssturm, HJ und diversen SS-Einheiten, die in der Perspektive der alliierten Sieger nach dem Kriegsende nur allzu leicht – wenngleich irrig – zu Werwolf-Aktionen verschmolzen. Auch die von den Alliierten angestrengten Nachkriegsprozesse, auf die der Verfasser breit eingeht, vermochten nur selten Licht ins Dunkel zu bringen. Selbiges gilt von den zeitgenössischen Quellen, die ebenso das Durcheinander diverser NS-Organisationen spiegeln.

 

Wie aus der hier vorzustellenden Arbeit erhellt, war der Werwolf nicht bloß eine Chimäre, aber doch weit weniger real und bedrohlich, als die Zeitgenossen, allen voran die alliierten Sieger, anzunehmen schienen. Leider geht Koop auf den bis heute in der amerikanischen Populärkultur virulenten Werwolf-Mythos nicht mehr ein, sein Zeitrahmen endet mit der gerichtlichen Aburteilung jener, die zu Recht oder zu Unrecht nach 1945 mit dem Werwolf in Verbindung gebracht wurden. Paradoxerweise scheint der Verfasser somit seinen eigenen Gegenstand nicht ernst genug zu nehmen.

 

Gleichwohl liegt hier eine Arbeit vor, die sich zwar nicht vollständig aus dem Bannkreis des Werwolf-Mythos zu lösen vermag, die jedoch erstmals eine nüchterne Bestandsaufnahme der überaus spärlichen Quellenlage vornimmt und auf dieser Basis wenigstens versucht, zu halbwegs ausgewogenen Urteilen zu gelangen. Das letzte Wort über den Werwolf und die zahlreichen sich um ihn rankenden Gerüchte ist damit sicherlich noch nicht gesprochen.

 

Graz                                                                                       Martin Moll