Köhler, Ingo, Die „Arisierung“ der Privatbanken im Dritten Reich. Verdrängung, Ausschaltung und die Frage der Wiedergutmachung (= Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 14). Beck, München 2005. 602 S. Besprochen von Gerhard Köbler., ZRG GA 127 (2010)
Köhler, Ingo, Die „Arisierung“ der Privatbanken im Dritten Reich. Verdrängung, Ausschaltung und die Frage der Wiedergutmachung (= Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 14). Beck, München 2005. 602 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die überarbeitete Fassung der von Dieter Ziegler betreuten, von Stiftungen großzügig geförderten, im November 2003 von der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum angenommenen Dissertation des danach als wissenschaftlicher Angestellter im Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Göttingen tätigen Verfassers. Sie geht davon aus, dass die Bankengruppe Privatbankiers mit einer gemeinsamen Bilanzsumme von rund 53 Milliarden DM 1998 nur noch ein halbes Prozent des Geschäftsvolumens aller deutschen Banken auf sich vereinigen konnte. Demgegenüber sei es unbestritten, dass die Privatbanken einen grundlegenden Beitrag bei der Entwicklung Deutschlands zu einem modernen Industriestaat geleistet haben, so dass es sich frage, ob ihr Niedergang gesetzmäßig erfolgt sei oder andere Ursachen habe.
Hierfür klärt der Verfasser als erstes die Begriffe Privatbank und Privatbankier. Die strenge juristische Abgrenzung erweist sich ihm dabei als unzulänglich. Vielmehr fasst er in der Rechtsform von Einzelunternehmen und Personengesellschaften betriebene Bankgeschäfte mit ursprünglich als Privatbanken gegründeten, die eigenständige persönliche Geschäftsführung beibehaltenden Kapitalgesellschaften zu einer Einheit zusammen.
Bei der Betrachtung des Forschungsstands und des Erkenntnisinteresses weist er überzeugend darauf hin, dass die Sammelklagen von Opfern der nationalsozialistischen Verfolgung vor amerikanischen Gerichten, die öffentliche Diskussion um die Verstrickung deutscher und Schweizer Geschäftsbanken beim Handel mit NS-Raubgold und die Debatten um den elimatorischen Antisemitismus der Deutschen das Interesse an der Geschichte der deutschen Wirtschaft während der nationalsozialistisch beherrschten Zeit neu belebt haben. Wegen der klar aufgezeigten Lücken der bisherigen Literatur setzt er sich selbst eine sektorale Analyse der Verdrängung und Arisierung von Privatbanken in Deutschland zum Ziel, bei der die Ursachen und Folgen ohne regionale und betriebsgrößenspezifische Eingrenzungen für eine ganze Branche untersucht werden sollen. Seinen Anfangspunkt findet er dabei in der empirischen Erfassung sämtlicher zur Beginn des Jahres 1933 im Deutschland bestehender Bankhäuser nichtarischer Bankiers, deren Quellengrundlage er ausführlich darlegt.
Im zweiten seiner insgesamt sechs Abschnitte verfolgt er die wirtschaftlichen und ordnungspolitischen Vorbedingungen 1929 bis 1934. Dabei geht er von der Weltwirtschaftskrise und ihren Auswirkungen auf die Privatbanken bis 1932 aus und schätzt die Verringerung der Privatbanken von 1925 (rund 2500) bis 1932 auf beinahe die Hälfte aller Unternehmen. Danach betrachtet er die neue Bankenpolitik in den Jahren 1933 bis 1934 einschließlich der Bankenquete, des Kreditwesengesetzes und der Gleichschaltung des Bankenverbands mit (1936) rund 1000 Privatbanken als Mitgliedern.
Im dritten Abschnitt schildert er eindrucksvoll die diskriminierenden Rahmenbedingungen und den zeitlichen Verlauf der Verdrängung zwischen 1933 und 1938. Dabei zeigt er, dass von den rund 1000 Privatbanken knapp die Hälfte „jüdisch“ war. Besonders hoch war hierbei die Konzentration in den Finanzzentren Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main. Bis 1938 wurden sie vollständig „arisiert“ und liquidiert, davon allein die Hälfte im letzten Jahr.
Sehr detailliert behandelt der Verfasser danach im vierten Abschnitt die „Arisierungen“ und Liquidationen gewerblicher Vermögen im Privatbankwesen in einer Fallstudienanalyse. Dabei unterscheidet er vor allem Geschäftsübernahmen durch „arische“ Kreditinstitute, Inhaberwechsel und „Entjudungen“ sowie verfolgungsbedingte Liquidationen und Geschäftsaufgaben „jüdischer“ Privatbanken. Als Nachgeschichte der „Arisierungen“ ordnet er die Konfiskation privater Vermögen jüdischer Privatbankiers durch den nationalsozialistischen Staat ein.
Verhältnismäßig kurz legt er danach die Wiedergutmachung von „Arisierungsschäden“ im Privatbankenwesen nach dem zweiten Weltkrieg dar. Innerhalb des gesetzlichen Rahmens stellt er die „private“ Wiedergutmachung der Wiedergutmachung nach dem Entschädigungsrecht gegenüber. Das Ergebnis erweist sich als verhältnismäßig bescheiden und mit einem negativen Beigeschmack behaftet.
In der Zusammenfassung zeigt sich die Verdrängung der jüdischen Privatbankiers aus der Wirtschaft als ein vielschichtiger Prozess, in dem soziale Diskriminierung, wirtschaftliche Ausgrenzung, persönliche Entrechtung und der Entzug gewerblichen Eigentums Hand in Hand gingen. Für den Ablauf erkennt der Verfasser drei sich gegenseitig bedingende und überlagernde Ebenen. Dabei radikalisierte sich das Verhalten der Genehmigungs- und Begutachtungsinstanzen zunehmend.
Insgesamt liegt damit eine wichtige, selbständige und weiterführende Leistung vor. Sie wird abgerundet durch einen Anhang mit Quellen- und Literaturverzeichnis, Verzeichnis der 20 erarbeiteten Tabellen, Verzeichnis der „jüdischen“ Privatbanken im Altreich und ein Firmen- und Personenverzeichnis. Zu den bleibenden Ergebnissen des die Praxis der Besitzübertragung, das Verhalten der Akteure und die Frage der Motive, Handlungsmuster und Interessenlagen überzeugend behandelnden Werkes zählt nicht zuletzt die Begründung der geringen Bedeutung der Privatbankiers in der gegenwärtigen deutschen Wirtschaft.
Innsbruck Gerhard Köbler