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Harrecker, Stefanie, Degradierte Doktoren. Die Aberkennung der Doktorwürde an der Ludwig-Maximilians-Universität München während der Zeit des Nationalsozialismus (= Beiträge zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München 2). Herbert Utz Verlag, München 2007. 409 S. Besprochen von Hans-Michael Empell., ZRG GA 127 (2010)

Harrecker, Stefanie, Degradierte Doktoren. Die Aberkennung der Doktorwürde an der Ludwig-Maximilians-Universität München während der Zeit des Nationalsozialismus (= Beiträge zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München 2). Herbert Utz Verlag, München 2007. 409 S. Besprochen von Hans-Michael Empell.

 

Die Autorin, die Geschichte und Germanistik studiert hat und mit der Arbeit „Der Landwirtschaftliche Verein in Bayern 1810-1870/71“ im Jahre 2003 zum Dr. phil. promoviert wurde, war als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Universitätsarchiv München tätig. In diesem Zusammenhang ist die vorliegende Untersuchung entstanden. Nach einem knappen Kapitel über „Doktorwürde und Doktorentzug vor 1933“ (S. 19ff.) wendet sich die Verfasserin dem „Doktorentzug ab 1933“ zu (S. 33ff.). Zunächst stellt sie die rechtlichen Grundlagen dar, die geschaffen wurden, um den Doktorgrad in sehr viel größerem Umfang, als dies zuvor möglich war, entziehen zu können. Ausschlaggebend war das am 14. 7. 1933 in Kraft getretene „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit“, das zunächst gegen ins Ausland geflohene Politiker und Publizisten angewandt wurde mit der Begründung, sie hätten ihre „Treuepflicht“ gegenüber dem deutschen Volk verletzt, indem sie „der feindseligen Propaganda gegen Deutschland Vorschub“ geleistet hätten; später waren auch Flüchtlinge ohne prominenten Status betroffen. Durch eine Verordnung vom 25. 11. 1941 wurden dann alle im Ausland lebenden deutschen Juden kollektiv für ausgebürgert erklärt. Anlässlich des Gesetzes von 1933 wurde der in München lebende Jura-Student und „Führer der Deutschen Studentenschaft“, Karl Gengenbach, aktiv. In einem Brief an den bayerischen Kultusminister Hans Schemm (18. 9. 1933) forderte er, den Ausgebürgerten müsse auch der Doktorgrad entzogen werden. Seine Initiative führte dazu, dass der Kultusminister die bayerischen Universitäten und Hochschulen anwies, dementsprechend zu verfahren. Daraufhin änderten die Fakultäten der Münchener Universität innerhalb weniger Wochen ihre Promotionsstatuten und erweiterten sogar noch den Anwendungsbereich der neuen Regelung über den Entzug von Doktortiteln hinaus: Auch die Ehrendoktorwürde, ferner Diplomabschlüsse und alle sonstigen akademischen Grade und Ehrungen, zum Beispiel der „Dr. habil.“ und die Stellung eines Ehrenbürgers der Universität, konnten den Ausgebürgerten aberkannt werden. Ab 1935 war der Entzug des Doktortitels zwingend vorgeschrieben. Seit 1936 war ein Ausschuss tätig, bestehend aus Rektor und Dekanen, der für die Entziehung des Doktorgrades zuständig war. Die Verfasserin schildert im Folgenden den „Doktorentzug in der Praxis“ (S. 77ff.). Sie unterscheidet zwei Gruppen von Fällen: Personen, denen die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, und solche, die ein Gericht strafrechtlich verurteilt hatte. Was die erste Gruppe angeht, so wurde der genannte Ausschuss nur aktiv, wenn er vom Reichswissenschaftsministerium entsprechende Namenslisten erhalten hatte mit dem Auftrag, tätig zu werden. Personen, die strafrechtlich verurteilt worden waren, musste der Doktorgrad entzogen werden, falls ein Gericht ihnen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt hatte. In anderen strafrechtlich relevanten Fällen hatte der Ausschuss einen Ermessensspielraum. Insgesamt wurde in 183 Fällen der Doktortitel entzogen. Die Verfasserin behandelt noch den „Umgang mit akademischen Ehrenwürden“ (S. 139ff.) sowie die „Behinderung von Promotionen und Verweigerung des  Doktortitels“ (S. 153ff.) und wendet sich dann der Nachkriegszeit zu (S. 169ff.). In den meisten Fällen war das Verhalten der Universität von dem Bemühen geprägt, einer Entscheidung über die Wirksamkeit der Entziehung des Doktortitels auszuweichen; später geriet dieses Kapitel der Universitätsgeschichte ganz in Vergessenheit. Erst im Jahre 1996 wurden alle Aberkennungen, die aus „politischen oder rassischen“ Motiven erfolgt waren, für rechtswidrig und wirkungslos erklärt. Es folgt ein umfangreicher „Dokumentationsteil“ (S. 251ff.), in dem sämtliche Fälle ausführlich geschildert werden; manche Fälle wurden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes anonymisiert (sofern der Entzug des Doktortitels strafrechtlich begründet worden war). Bekannte Persönlichkeiten werden angeführt, wie der Philosoph Kurt Huber, der im Zusammenhang mit der Aktion der Geschwister Scholl angeklagt und hingerichtet worden ist; ferner der später in den USA lehrende Politikwissenschaftler George Wolfgang Hallgarten (in seiner Jugend Nachbar und Freund der Familie Thomas Manns, dem die philosophische Fakultät der Universität Bonn im Jahre 1936 den Titel eines Ehrendoktors entzog) und der Jurist und Politikwissenschaftler Karl Löwenstein, der später nach Deutschland zurückkehrte und 1956 zum ordentlichen Professor für Politische Wissenschaften und Rechtspolitik an der Universität München ernannt wurde. Vor allem aber ist zu begrüßen, dass gerade auch die Verfahren beschrieben werden, die gegen – zumindest einer breiteren Öffentlichkeit –  unbekannt gebliebene Personen durchgeführt wurden. So wird der betroffenen Menschen in würdevoller und einfühlsamer Weise gedacht. Der Autorin ist für eine akribisch gearbeitete und gut geschriebene Untersuchung zu danken.

 

Heidelberg                                                      Hans-Michael Empell