Empell, Hans-Michael, Gutenberg vor Gericht. Der Mainzer Prozess um die erste gedruckte Bibel (= Rechtshistorische Reihe 372). Lang, Frankfurt am Main 2008. 284 S. Besprochen von Reinhard Schartl., ZRG GA 127 (2010)
Empell, Hans-Michael, Gutenberg vor Gericht. Der Mainzer Prozess um die erste gedruckte Bibel (= Rechtshistorische Reihe 372). Lang, Frankfurt am Main 2008. 284 S. Besprochen von Reinhard Schartl.
Am 6. November 1455 errichtete der öffentliche Notar Ulrich Helmasperger eine Urkunde. Darin bezeugte er, dass ihm Johannes Fust ein Schriftstück (zedel) übergeben und dessen Inhalt eidlich als gancz war vnd gerecht bestätigt habe, womit er einer Beweiszuteilung durch einen Rechtsspruch des Mainzer Gerichts in einem gegen Johannes Gutenberg geführten Rechtsstreit nachkam. Zuvor war ein Gerichtsbrief über Fusts und Gutenbergs Vortrag in jenem Verfahren sowie den Rechtsspruch verlesen worden, was der Notar referierend in die Urkunde aufnahm. Dieses Notariatsinstrument, das der Verfasser nicht ohne Grund als das wichtigste Dokument zu Gutenbergs Leben und Werk bezeichnet, ist in der Gutenberg-Literatur seit 1681 vielfach erörtert und interpretiert worden. Empell unterzieht die Urkunde erstmals einer überfälligen Untersuchung aus rechtshistorischer Sicht und unter Anwendung der Erkenntnisse zum mittelalterlichen Mainzer Gerichtsverfahren. Seine Arbeit unterteilt sich in neun Abschnitte. Nach einem einleitenden Abschnitt, unter anderem zu den bisherigen Auslegungen des Notariatsinstruments und zur Methode seiner Untersuchung, stellt der Verfasser im folgenden Teil zunächst die Mainzer Gerichtsverfassung im späten Mittelalter dar. Dabei unterscheidet er neben dem geistlichen Gericht ein weltliches Gericht, die beide dem Erzbischof als dem Stadtherrn unterstellt waren, sowie den vom Erzbischof unabhängigen Rat der Stadt. Das weltliche Gericht bestand aus dem vom Erzbischof ernannten Kämmerer, dem Schultheißen und vier Richtern, die zudem Schöffen hinzuzogen. Obwohl das mit dem Rechtsstreit befasste Gericht in der Helmasperger’schen Urkunde nicht erwähnt wird, schließt Empell überzeugend, dass die notwendig vor dem weltlichen Gericht zu erhebende Klage nicht, was an sich möglich gewesen wäre, an den Rat verwiesen, sondern vom weltlichen Gericht entschieden wurde. Das Verfahrensrecht vor dem Mainzer Gericht rekonstruiert der Autor anhand der von Leopold Hallein am Ende des 19. Jahrhunderts herausgegeben Mainzer Gerichtsformeln sowie durch Analogien zu anderen Stadtrechten. Danach dürfte sich das Mainzer Verfahrensrecht nicht wesentlich von demjenigen der anderen mittelrheinischen Gerichte unterschieden haben. Empell vermutet im Anschluss an Hallein, dass – wie auch für viele andere Gerichte im Reich belegt ist – der Richter (in Mainz dürfte dies der Kämmerer oder der Schultheiß gewesen sein) von den Schöffen das Urteil erfragte, denen somit die nach Ansicht des Verfassers aus politischen Gründen nur sekundäre Rechtsfindung oblag. Zu dem Verfahren Fusts gegen Gutenberg geht aus dem Notariatsinstrument hervor, dass Fust seinem Gegner gemäß der wohl zutreffenden Annahme des Verfassers mündlich zugesprochen hatte, worauf Gutenberg antwortete. Dieser Vortrag der Parteien und der ergangene Rechtsspruch sind, wie der Verfasser entgegen anderen Ansichten überzeugend vertritt, in dem Gerichtsbrief nur inhaltlich (mit den vnd viel andern worten) wiedergegeben. Das Urteil nennt bezüglich des Parteivortrages noch widered vnd nachrede, wobei in der Gutenbergforschung spekuliert wird, was darin weiter angeführt worden sei. Empell vermutet zu Recht, dass das Urteil ebenfalls mündlich erging und nicht überlieferte Fristen für die zuerkannte Beweisführung festlegte. Dass Fust den ihm auferlegten Eid nicht vor dem Richter, sondern vor dem öffentlichen Notar Helmasperger ablegte, erklärt der Autor damit, dass Helmasperger entweder Schreiber am weltlichen Gericht war und dieses, eine Praxis der geistlichen Gerichtsbarkeit übernehmend, ihn mit der Eidesabnahme beauftragt haben könnte. Dafür spreche, dass die Eidesleistung am „endlichen Tag“ stattfand, also offenbar an einem noch zum Gerichtsverfahren gehörenden Termin. Falls Helmasperger nicht Schreiber am weltlichen Gericht gewesen sein sollte, hätte die Eidesabnahme nach Abschluss des Verfahrens durch das Urteil außergerichtlich stattgefunden. Der dritte Abschnitt der Arbeit behandelt den ersten der beiden Streitpunkte des Verfahrens. Dabei verlangte Fust aufgrund eines schriftlichen Vertrages (wiederum: zettel, zedel) Rückzahlung eines Darlehens über 800 Gulden sowie 6 % Zinsen jährlich, die bis dahin auf 250 Gulden aufgelaufen waren. Aus der Wendung vnd furdert ym solchs als an sin schaden ußzurichten vnd beczalen folgert Empell, dass Fust eine – wenn auch nicht gewöhnliche und bloß formelle – Schadensklage erhoben habe. Dies bleibt allerdings in Frage zu stellen, da sich im mittelalterlichen Verfahrensrecht eine Klage nur dann als Schadensklage identifizieren lässt, wenn der Schaden anstelle einer anderen zu fordernden Leistung (Erfüllung, Herausgabe, Unterlassung etc.) geltend gemacht wurde. Hier verlangte Fust in erster Linie aber gerade die Primärleistung der Darlehensrückzahlung nebst Zinsen. Der Zusatz an sin schaden, den der Autor richtig mit „ohne seinen schaden“ übersetzt, besagt wohl nur formelhaft, dass die geforderte Zahlung keinen weiteren Schaden oder Nachteil verursachen dürfe, also beispielsweise das Geld nicht vom Gläubiger abzuholen, sondern ihm zu bringen sei. Gutenberg erwiderte, dass Fust ihm die 800 Gulden nicht vollständig ausgezahlt und ihm zugesagt habe, die vereinbarten Zinsen nicht nehmen zu wollen. Empell widerspricht zu Recht der Auffassung, Gutenberg habe die Zahlung verweigert, weil er zahlungsunfähig gewesen sei, und sei deshalb vom Gericht zur Entrichtung verurteilt worden. Zuzustimmen ist ihm ferner darin, dass die Pflicht zur Rückzahlung der Darlehenssumme, abgesehen von einem nicht bezifferten, wohl nur geringen Teil der Valuta, in dem Rechtsstreit unstreitig war und Gutenberg den angeblich nicht valutierten Teil des Darlehens nicht bezifferte, weil er diese Tatsache nicht zur Verteidigung gegen den Rückzahlungsanspruch, sondern nur zur Untermauerung seiner weiteren Behauptung anführte, Fust habe – ebenso wie er das Darlehen verspätet und unvollständig ausgezahlt habe – auf die Zinsen verzichtet. Dass der Rechtsspruch auf die Frage des Zinserlasses nicht eingeht, insbesondere nicht Gutenberg den Beweis dafür zuteilt, lässt sich abweichend von Empell nicht damit erklären, dass die Behauptung des Zinserlasses im Laufe des Rechtsstreits unstreitig geworden oder von Gutenberg zurückgenommen worden sei, sondern damit, dass er keinen tauglichen Beweis, nämlich zwei Zeugen, angeboten hatte. Zur Begründung seiner Forderung auf Zahlung der Zinsen behauptete Fust ferner, er habe selbst ein Darlehen gegen Zinsen aufgenommen, um Gutenberg den Kredit zu gewähren. Mit dieser Begründung wollte Fust, wie der Verfasser überzeugend erklärt, dem gegen das Zinsennehmen gerichteten Wucherverbot entgehen. Weiterhin verlangte Fust die Erstattung von Zinsen (36 Gulden), weil er ein weiteres Darlehen habe aufnehmen müssen, um seinerseits Zinsen zahlen zu können. Empell qualifiziert dies zu Recht nicht – wie bisher häufig angenommen worden ist – als Zinseszinsen, sondern als Verzugsschaden. Der im vierten Abschnitt behandelte zweite Komplex in Fusts Klage betraf einen Gesamtbetrag von wiederum 800 Gulden, den Fust Gutenberg gezahlt (verlacht) hatte. Gutenberg erwiderte dazu, dass Fust ihm jährlich 300 Gulden vor kosten geben vnd auch gesinde lone, huß zinse, permet papier, dinte etc. und begehrte, Fust ein rechnung zuthun. Der Autor interpretiert die Worte vor kosten entgegen einem Teil der Literatur mit überzeugenden Gründen nicht als die gesamten Kosten des Buchdruckunternehmens, sondern als die Kosten der Verpflegung (Kost) des Personals, während Fust die sonstigen Kosten (Löhne, Mietzins, Papier, Tinte etc.) selbst zu bezahlen hatte. Empell folgt Gutenbergs Verteidigung, dass zwischen den Parteien ein Gesellschaftsvertrag und kein zweites Darlehensverhältnis bestanden habe. Das Gericht ließ zu diesem Klagepunkt, ohne darüber ausdrücklich zu entscheiden, Gutenberg zu einer Abrechnung zu („Wann Johann Guttenberg sin rechnung gethain hat…“), indem es urteilte, dass er eine Rechnung zu tun habe von allem innehmen vnd ußgeben, dass er uff daz werck zu ihrer beider nocz ußgeben hait. Der übrig gebliebene oder fehlende Betrag sollte dem Darlehen über die ersten 800 Gulden hinzugerechnet bzw. davon abgezogen werden. Einleuchtend interpretiert der Verfasser die im Rechtsspruch erwähnten Einnahmen in der von Gutenberg vorzunehmenden Abrechnung als diejenigen 800 Gulden, die Fust ihm für die Verpflegung des Personals gegeben hatte. Nicht zu teilen ist allerdings die Einschätzung, bei der Rechnung habe es sich um ein Beweismittel gehandelt. Auch wenn nach den Überlieferungen anderer Gerichte der Einwand des Beklagten, eine Rechnung tun zu dürfen, dazu führte, dass das Gericht eine solche außergerichtliche Abrechnung zwischen den Parteien anordnete und der Schuldner zur sofortigen Bezahlung des errechneten Betrages verpflichtet war, gehört die Abrechnung nicht zu den Beweismitteln. Vielmehr dürfte die Verbindlichkeit des Abrechnungssaldos allein auf der gemeinsamen Feststellung des Ergebnisses durch beide Streitteile beruht haben. Im fünften Abschnitt stellt die Untersuchung zunächst klar, dass das Urteil des Mainzer Gerichts nicht über eine Zahlungspflicht Gutenbergs entschied, sondern als Beweisurteil Fust den Beweis darüber zuteilte, dass er das Darlehen selbst gegen Zinsen aufgenommen habe. Dass Gutenberg das Darlehen zurückzuzahlen hatte, war offenbar als unstreitig nicht zu entscheiden gewesen und wird in dem Rechtsspruch schlicht vorausgesetzt. In Befolgung dieser Auflage leistete Fust vor dem Notar Helmasperger den protokollierten Eid. Der erste Teil des Rechtsspruchs ließ – wie der Verfasser zu Recht feststellt – unbeantwortet, ob der zweite von Fust gezahlte Betrag von 800 Gulden für die Verköstigung des Personals als Darlehen gegeben worden war. Zutreffend weist Empell die Ansicht zurück, dass das Gericht nur ein Zwischenurteil erlassen habe und es noch zu einem nicht überlieferten Endurteil gekommen sei. Er kann dabei auf das Charakteristikum des mittelalterlichen deutschen Verfahrensrechts verweisen, wonach häufig ein Beweisurteil als Endurteil erging. Er verwirft auch die Darstellung in einem Lobgedicht des Johannes Arnold auf die Erfindung der Druckerkunst aus dem Jahre 1541, der Prozess sei bis dahin vom Richter noch nicht entschieden worden (hodie pendet iudicis in’que sinu). In einer Bewertung des Urteils kommt die Arbeit überzeugend zu dem Ergebnis, dass das Gericht Fust die Beweisführung bezüglich seines Zinsschadens entsprechend dem damaligen Verfahrensrecht zuteilte. Empell erklärt diese Beweiszuteilung auch damit, dass Fust sich wegen seines Zinsanspruchs auf einen schriftlichen Darlehensvertrag (zedel) stützen konnte. Dies erscheint allerdings zweifelhaft, da das Beweisthema nicht den beurkundeten Zinsanspruch als solchen, sondern die Behauptung zum Gegenstand hatte, Fust habe die Valuta uff gulte ußgenummen vnd nit von sinem eigen gelde dar geluhen. Zu folgen ist aber der Gesamtbewertung der Untersuchung, entgegen älteren Ansichten habe weder Gutenberg den Rechtsstreit verloren noch könne von einer Parteilichkeit des Gerichts zulasten Gutenbergs die Rede sein. In ihrem sechsten Abschnitt geht die Arbeit der Frage nach, ob Fusts Klage aus weiteren Artikeln bestand, die in dem Notariatsinstrument nicht erwähnt werden. Der Ausgangspunkt für dahingehende Vermutungen liegt darin, dass die Urkunde von dem ersten artickel siner ansprach berichtet, aber keine weiteren Artikel mehr aufzählt. Die Untersuchung kommt zu dem naheliegenden Ergebnis, dass mit dem ersten Artikel Fusts Anspruch wegen der Zinsen für das Darlehen von 800 Gulden gemeint war und seine Forderungen aufgrund der kreditierten weiteren 800 Gulden für die Verköstigung des Personals einen zweiten Artikel bildeten. Im siebten Abschnitt untersucht der Verfasser, ob Fust die Absicht hatte, sich mit Hilfe des Gerichtsverfahrens Gutenbergs Druckerwerkstatt anzueignen. Er stellt dazu fest, dass Gutenberg, da der Vertrieb der gedruckten Bibeln bereits abgeschlossen war, zahlungsfähig gewesen sein müsse, und findet keinen Nachweis für eine solche Absicht seines Kontrahenten. Den letzten Abschnitt widmet der Verfasser dem Brief des kaiserlichen Diplomaten Enea Silvio de’ Piccolomini vom 12. März 1455 an Kardinal Juan de Carvajal. Das wichtige Dokument zur Erfindung des Buchdrucks bestätigt, dass zu dieser Zeit in Frankfurt am Main bereits gedruckte Bibelexemplare angeboten wurden. Aus dem Brief kann Empell entnehmen, dass der Bibeldruck bereits 1453 oder in der ersten Jahreshälfte 1454 abgeschlossen worden war. Dies weist darauf hin, dass der Rechtsstreit Fust gegen Gutenberg ebenfalls schon 1453 oder 1454 begonnen hatte.
Die Untersuchung besticht durch die vollständige Aufarbeitung der internationalen Literatur zu dem Rechtsstreit, der als hauptsächliches Zeugnis zur Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern gilt. Empell macht sich die Erkenntnisse der Rechtsgeschichte zum mittelalterlichen Verfahrens- und Wirtschaftsrecht zunutze und kann mit deren Hilfe zahlreiche umstrittene Fragen klären. Für den Leser sehr hilfreich ist der Abdruck des Notariatsinstruments im Anhang.
Bad Nauheim Reinhard Schartl