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Die Zisterzienser und ihre Bibliotheken. Buchbesitz und Schriftgebrauch des Klosters Altzelle im europäischen Vergleich, hg. v. Graber, Tom/Schattkowsky, Martina (= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 28). Leipziger Universitäts-Verlag, Leipzig 2008. 420 S., 51 Abb. Besprochen von Harald Winkel., ZRG GA 127 (2010)

Die Zisterzienser und ihre Bibliotheken. Buchbesitz und Schriftgebrauch des Klosters Altzelle im europäischen Vergleich, hg. v. Graber, Tom/Schattkowsky, Martina (= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 28). Leipziger Universitäts-Verlag, Leipzig 2008. 420 S., 51 Abb. Besprochen von Harald Winkel.

 

Die Beiträge des anzuzeigenden Sammelbandes gehen – ergänzt um zwei weitere Aufsätze (Bünz; Hlaváček) – auf die vom Dresdner Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde gemeinsam mit den Staatlichen Schlössern, Burgen und Gärten Sachsen – Klosterpark Altzella/Schloss Nossen im Mai 2006 veranstaltete Tagung zurück. Der 500 Jahre zuvor unter dem humanistisch gebildeten Abt Martin von Lochau (1495–1522) vorgenommene Umbau des Altzeller Konversendormitoriums zu Räumlichkeiten, die fortan die berühmte Bibliothek des Zisterzienserklosters beherbergen sollten, wurde als Anlass genommen, Buchbesitz und Schriftgebrauch Altzelles an historischer Stätte – der ehemalige Bibliotheksraum diente als Tagungssaal – in den Blick der internationalen Zisterzienserforschung zu nehmen. Altzelle hat hinsichtlich seiner einstigen Bibliothek zudem unlängst Schlagzeilen gemacht, hat doch die vor Kurzem publizierte These des Münchener Rechtshistorikers Peter Landau, wonach das Zisterzienserkloster als der Entstehungsort des Sachsenspiegels zu identifizieren sei, wahrscheinlich gemacht, dass der Spiegler Eike von Repgow in der dortigen Klosterbibliothek seine hauptsächlichen theologischen und juristischen Quellen vorgefunden hat (Deutsches Archiv 61, 2005). Darüber hinaus gebührt der circa 25 Kilometer westlich von Dresden gelegenen Abtei im Mittelalter ganz allgemein der Rang einer der bedeutendsten monastischen Institutionen Mitteldeutschlands: Die imponierende Entfaltung zisterziensischen Wirtschaftslebens, die eindrucksvolle geistig-kulturelle Ausstrahlung – insbesondere die in den Beiträgen des Sammelbandes deutlich werdende hervorragende Funktion als Träger und Vermittler mittelalterlicher Schriftlichkeit sowie die spätmittelalterliche Bedeutung als zisterziensische Bildungsstätte – sowie auch besonders die Funktion als Hauskloster der Stifterfamilie, der Wettiner, in deren Gefolge die Abtei auch Memorialstätte vieler markmeißnischer Adelsfamilien wurde, sind Faktoren, die zu einem äußerst beeindruckenden Gesamtbild verschmelzen.

 

Den Reigen der Beiträge eröffnet die grundlegende Bestandsaufnahme von Elke Goez zur Schriftlichkeit im Zisterzienserorden, in der ein weiter Bogen von den umfangreichen schriftlichen Ordensrichtlinien über pragmatisches Verwaltungsschriftgut, Urkundenwesen und die Anlage von Klosterarchiven, das Verhältnis der weißen Mönche zu Büchern und Buchmalerei bis zu ihrer Einstellung zu Studium, Wissenschaft und dem Aufbau von Bibliotheken gespannt wird. Hierauf folgen drei thematische Blöcke zur Baugeschichte der Zisterzienserbibliotheken, zu Buchbesitz und Schriftgebrauch in Altzelle sowie zu Zisterzienserbibliotheken im europäischen Vergleich.

 

Im ersten Themenblock lokalisiert Heinrich Magirius zunächst das romanische Armarium im nordwestlichen Bereich des nördlichen Querhausarms der Altzeller Klosteranlage und streicht des weiteren in seiner Beschreibung von Baugestalt und architektonischer Formensprache die bauliche Ausnahmestellung des spätgotischen Bibliotheksgebäudes in der meißnischen Abtei heraus, die im Obergeschoss des Konversenhauses, dem einstigen Dormitorium der Laienbrüder, ihren Platz fand und „sich zur neuen Nutzung als „Studienbibliothek“ in geradezu idealer Weise“ (74) angeboten habe. In seiner Untersuchung zu Baugestalt und architektonischem Kontext zisterziensischer Klosterbibliotheken beschäftigt sich Matthias Untermann mit den verschiedenen Raumlösungen, die von den mittelalterlichen Anfängen bis in die Barockzeit für die Unterbringung zisterziensischer Büchersammlungen gefunden wurden, und präzisiert dabei die Sonderstellung Altzelles dahingehend, dass der Umbau des frühen 16. Jahrhunderts „weniger der Umnutzung überflüssig gewordener Räume als der Schaffung einer „öffentlichen“ Bibliothek“ gedient habe, „die nicht nur von der Klausur her, sondern auch vom Klosterhof aus zugänglich sein sollte“ (53).

 

Diese wichtige Beobachtung leitet zu einem zentralen Beitrag des zweiten Themenblocks „Buchbesitz und Schriftgebrauch im Kloster Altzelle“ über: Mit geradezu detektivischem Scharfsinn geht Christoph Mackert in seiner bestandshistorischen Untersuchung der Frage nach, ob es eine frühe öffentliche Bibliothek in Altzelle gegeben habe. Ausgehend von Besitzvermerken der Codices gelingt es ihm, eine Bestandsgeschichte der Altzeller Bibliothek nachzuzeichnen, die wohl als die größte mittelalterliche Bibliothek des östlichen Mitteldeutschlands gelten darf. Deutlich wird dabei, dass es dort zeitweise neben einer klosterinternen Büchersammlung für Gottesdienst und Pastoralaufgaben „eine dezidiert humanistisch geprägte Studienbibliothek“ im von außen zugänglichen Konversengebäude gab, „die gelehrtes Schrifttum für alle akademischen Disziplinen versammelte“ (124). Der Nutzerkreis dieser von Abt Martin von Lochau begonnenen, unter seinen Nachfolgern aber nicht weiterverfolgten Konzeption verweist auf die „progressive akademische Bildungskultur“ (129) im Umfeld der Leipziger Universität sowie das dortige Bernhardskolleg. Der Untersuchung ist im Anhang ein umfangreiches Verzeichnis der nachweisbaren Bände aus der Altzeller bibliotheca publica beigegeben (133-170). Insbesondere durch das bald nach 1411 in Leipzig errichtete zisterziensische Studienkolleg, das wie anderenorts der Universitätsgründung folgte, bestand, wie die instruktive Untersuchung von Enno Bünz zeigt, eine enge Verbindung Altzelles zur Leipziger Universität. Das Generalkapitel hatte dem Altzeller Abt die Einrichtung des Bernhardskollegs anvertraut und ihn mit umfangreichen Aufsichts- und Jurisdiktionsrechten versehen. In den Beständen der bibliotheca publica befanden sich auch Codices aus dem Besitz des Freiberger Arztes Nikolaus Münzmeister. Münzmeister schenkte, so Anette Löffler in ihrer Untersuchung seiner medizinischen Bibliothek, dieselben den Altzeller Mönchen vermutlich zur Beförderung seines Seelenheils, anstatt sie etwa seiner Leipziger Alma Mater zu vermachen. Ist allgemein das Vorkommen deutschsprachiger Literatur im monastischen Kontext, zumal in Zisterzienserbibliotheken, bis ins Spätmittelalter hinein selten, so ist für Altzelle auffälligerweise eine ganze Gruppe solcher Handschriften zu belegen. Michael Rupp deutet diese Bestände als „Überreste eines Unterweisungsprogramms für Laienbrüder“ (210), das angesichts der Hussitenunruhen betrieben worden sei, ihnen als Lateinunkundige einen ersten „Zugang zu theologischem Basiswissen“ (207) eröffnen sollte und dergestalt „im zisterziensischen Rahmen wohl singulär war“ (210). Frank Erich Zehles widmet sich den Osterpredigten Abt Leodegars (Ludegers) von Altzelle (1209–1211; 1224–1234), dessen umfangreiches Predigtwerk einen wichtigen Markstein am Übergang von der monastischen zur scholastischen Theologie darstellt. Marius Winzeler würdigt in seiner aufschlussreichen Studie die Bibliothek der 1248 als Altzeller Filialgründung ins Leben gerufenen Oberlausitzer Zisterzienserinnenabtei St. Marienstern (bei Kamenz) und zeigt ihre Beziehungen zu der Bibliothek der Vaterabtei auf.

 

Der abschließende Themenblock „Zisterzienserbibliotheken im europäischen Vergleich“, der über die meißnisch-sächsische Perspektive hinaus Anfertigung, Sammlung und Aufbewahrung von Schriftgut seitens der Zisterzienser beleuchtet, rundet den äußerst ergiebigen, sorgfältig und bibliophil gestalteten Band gelungen ab. Zunächst führt Peter Landau, ausgehend von seiner Untersuchung verschiedener zisterziensischer Büchersammlungen (Clairvaux, Orval, Altzelle, Lilienfeld, Zwettl u. a.), den bedeutenden Anteil vor Augen, den die Zisterzienser an der europäischen Verbreitung des kanonischen Rechts im 12. und 13. Jahrhundert hatten, ehe ihnen die Bettelorden nach 1240 in dieser Beziehung den Rang abliefen. Jens Rüffer richtet seinen Blick auf die Schriftkultur der Zisterzienser im hochmittelalterlichen England und untersucht die Unterbringung von Büchern, die Zusammensetzung der Bibliotheken sowie Skriptorien und Handschriften ausgewählter Klöster. Rafał Witkowski widmet sich den mittelalterlichen Bibliotheken der Zisterzienserabteien in Schlesien, Polen, Pommern und Pommerellen, Ivan Hlaváček beschreibt die Lage der böhmischen Zisterzienserbibliotheken in und nach den Wirren der hussitischen Revolution. Jan Zdichynec schließlich berichtet über das bislang unbekannte Bibliotheksverzeichnis des nordwestböhmischen Zisterze Ossegg aus dem Jahre 1580.

 

Gießen                                                                                               Harald Winkel