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Die bayerische Konstitution von 1808. Entstehung - Zielsetzung - Europäisches Umfeld, hg. v. Schmid, Alois (= Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Beiheft 35). Beck, München 2008. VIII, 368 S. Besprochen von Werner Schubert., ZRG GA 127 (2010)

Die bayerische Konstitution von 1808. Entstehung - Zielsetzung - Europäisches Umfeld, hg. v. Schmid, Alois (= Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Beiheft 35). Beck, München 2008. VIII, 368 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Der Band enthält die Vorträge, die auf dem von der Bayerischen Kommission für Landesgeschichte bei der Bayerschen Akademie der Wissenschaften veranstalteten Symposion vom 27.-29.2.2008: „Die bayerische Konstitution von 1808“ gehalten wurden. Die Verfassung von 1808 steht noch immer im Schatten insbesondere der Verfassung von 1818, obwohl sie die „erste genuin deutsche Konstitution“ und in einigen Beziehungen „moderner“ war als die Verfassung von 1818 (Möckl, S. 337). Mit der Veröffentlichung der Beiträge soll die Frühzeit der konstitutionellen Bewegung in Bayern stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung gerückt werden. Zu diesem Zweck wird die bayerische Entwicklung zunächst in das zugehörige historische und europäische Umfeld eingebettet. Der Beitrag Alois Schmids: „Der lange Weg zum Parlamentarismus und Konstitutionalismus in Bayern“ (S. 17) wirft einen Blick, ausgehend von der Begriffsgeschichte des Wortes „parlamentum“, in die Ansätze bzw. Vorstufen zum Parlamentarismus in Bayern im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit unter Einbeziehung des Verfassungsdiskurses um 1799/1800. Der Beitrag Ulrike Müßigs stellt die europäische Verfassungsdiskussion und Praxis im 18. Jahrhundert in England, den USA und in Frankreich (bis zur Verfassung von 1791 einschließlich) umfassend dar (S. 41-109). Dem schließt sich an die Darstellung der Verfassungsentwicklung in Frankreich in der napoleonischen Zeit (S. 11ff.) durch Michel Kerautret (Assemblée nationale, Paris). Parallele Entwicklungen werden von Wolfgang Neugebauer: „Verfassungswandel und Verfassungsdiskussion in Preußen um 1800“ (S. 147ff.) und von Winfried Müller: „Zwischen Stagnation und Modernität: Sachsens Weg zur Verfassung von 1831“ (S. 179ff.) aufgezeigt. Neugebauer weist nach, dass die königlichen Verfassungsversprechen und Repräsentationsankündigungen in der Zeit Steins und Hardenbergs nicht der Anfang der preußischen Verfassungsdiskussion waren, sondern viel ältere Wurzeln haben (S. 176). Insbesondere ist auf die ständischen Neuanfänge in Ostpreußen seit 1786 und auf die Tendenz zur „Ausweitung ständischer Partizipation“ hinzuweisen. Für Sachsen, wo, soweit bisher bekannt ist, so gut wie keine Diskussion über eine Rezeption französischen Rechts stattgefunden hat, ist bedeutsam, dass dort der auf Bayern lastende Homogenisierungsdruck fehlte; insbesondere waren keine neuen Gebiete zu integrieren. Auch hat Napoleon Sachsen sehr schonend behandelt und wohl auch hinsichtlich der Einführung des Code Napoléon kaum Druck ausgeübt.

 

Die zweite Gruppe der Beiträge befasst sich mit der Entstehung der bayerischen Konstitution und behandelt zudem mehrere „Einzelsektoren“ (S. 5). Die Konstitution von 1808 sollte – so Hermann Rumschöttel in seinem Beitrag über die Entstehung der Verfassung (S. 211ff.) – einer zentralistischen Gestaltung des Rheinbundstatuts und einer Einmischung Napoleons in die inneren Angelegenheiten Bayerns zuvorkommen (S. 227). Parallel zur Verfassung wurden „organische Edikte“ und diese ergänzende Gesetze erlassen, die als Teil des Verfassungswerkes anzusehen und zwischen 1807 und 1813 ergangen sind. Diese Gesetze – Rumschöttel führt 23 Edikte und Verordnungen auf – führten zu einer umfassenden Modernisierung vor allem der bayerischen Verwaltung und Gerichtsverfassung. Diese Bereiche werden detailliert beschrieben in der Abhandlung von Esteban Mauerer und Reinhard Stauber: „Verwaltung und Rechtswesen des Königreichs Bayern in der Konstitution von 1808“ (S. 257-315). Nachdem es schon 1802/03 zu einer Trennung von Justiz und Verwaltung in der mittleren und oberen Instanz gekommen war, brachte das Organisationsedikt vom 24. 7. 1808 über die „Gerichts-Verfassung“ die im Wesentlichen bis 1877 maßgebende Justizverfassung. Allerdings kam es zur Trennung der Justiz von der Verwaltung in der untersten Instanz erst im Jahre 1862. Die Reform- und Vereinheitlichungsansätze im Zivilrecht (1808/09 auf der Basis des Code Napoléon, 1811-1813 auf der Basis eines revidierten Codex Maximilianeus Bavaricus civilis) scheiterten. Hingewiesen wird schließlich auch auf das maßgebend von Feuerbach beeinflusste wegweisende Strafgesetzbuch von 1813 (S. 310ff.). Dirk Götschmann geht auf die Bestimmungen der Konstitution über die „Nationalrepräsentation“ ein (S. 229ff.), die niemals zusammentrat; die Ausfüllung der sehr knappen Regelung in der Verfassung sollte durch ein organisches, nicht mehr publiziertes Edikt erfolgen, das vom König noch 1808 genehmigt worden war. Ein Exemplar des Ediktentwurfs konnte bisher nicht aufgefunden werden. Die Beiträge über die Einzelbereiche der Verfassung werden abgeschlossen durch die Abhandlung Hans-Michael Körners: „Die Konstitution von 1808 und das System des bayerischen Staatskirchentums“ (S. 317ff.). Die weitere Entwicklung wird behandelt von Karl Möckl: „Reform und ,Nation’ Bayern. Von der Konstitution von 1808 zur Verfassung von 1818“ und von Wilhelm Brauneder: „Die Verfassungsentwicklung Österreichs und Bayerns im Vormärz: ein Vergleich“ (S. 129ff.).

 

Der Vorzug des Bandes ist darin zu sehen, dass die Zahl der wissenschaftlichen Beiträge auf elf beschränkt ist, so dass die Autoren die von ihnen behandelte Thematik in hinreichender Breite entfalten sowie gegebenenfalls neue Forschungsansätze vortragen konnten wie etwa Neugebauer und Götschmann. Die breite Überblicksdarstellung von Mauerer und Stauber bringt so etwas wie eine Rechts- und Institutionengeschichte Bayerns zwischen 1799 und 1814. Allerdings ist zu bedauern, dass ein Beitrag über die süddeutschen Rheinbundstaaten (Württemberg, Baden und Hessen-Darmstadt) fehlt. Insgesamt enthält der Band zahlreiche Anregungen zur bayerischen Verfassungs- und Institutionengeschichte der Rheinbundzeit und deren Einordnung in den zeitgenössischen Kontext und in den Verfassungsdiskurs des ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts, so dass er dazu beitragen dürfte, die Erforschung nicht nur der bayerischen Konstitution von 1808, sondern auch allgemein des Verfassungsdiskurses vor 1814 voranzutreiben.

 

Kiel

Werner Schubert