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Der Kreis um Hans Kelsen - die Anfangsjahre der Reinen Rechtslehre, hg. v. Walter, Robert/Jabloner, Clemens/Zeleny, Klaus (= Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts 30). Manz, Wien 2008. XVI, 581 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen., ZRG GA 127 (2010)

Der Kreis um Hans Kelsen - die Anfangsjahre der Reinen Rechtslehre, hg. v. Walter, Robert, Jabloner, Clemens/Zeleny, Klaus (= Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts 30). Manz, Wien 2008. XVI, 581 S. Besprochen von Albrecht Götz von Olenhusen.

 

Der von einer Gruppe internationaler Autoren mit bearbeitete Sammelband konzentriert sich auf 28 Persönlichkeiten des hochinteressanten frühen Kelsen-Kreises in ihrer biographischen und rechtswissenschaftlichen Dimension vor Hans Kelsens Emigration in die USA. Wien war sein wesentlicher Mittelpunkt, der Kontakt zum Lehrer blieb aber in der Folgezeit über Köln, Genf und Prag und auch in den USA vielfach erhalten. Die bemerkenswerten Untersuchungen verstehen sich als Beitrag zur –österreichischen – Rechts- und Wissenschaftsgeschichte, aber auch zur österreichischen, durch viele tragische Schicksale charakterisierten Emigrations- und Zeitgeschichte. Die Reine Rechtslehre als „typisches Produkt der Wiener Moderne“ (S. 1) wird hier in ihren persönlichen und wissenschaftlichen Wirkungen bei herausragenden „Schülerinnen und Schülern“ dargestellt. Dabei bleiben Franz Weyr, Julius Moór, Adolf Merkl und Alfred Verdroß, wie die Editoren in ihrer einleitenden Darstellung der Forschungsergebnisse anmerken, aus einsichtigen Gründen außer Betracht. Zu den Gemeinsamkeiten der untersuchten Gruppe zählt, dass sie – weitaus jünger als Kelsen - als Studenten, Assistenten, Doktoranden, Habilitanden und Mitarbeiter Kelsens mit ihm in Kontakt kamen, zumeist eine Universitätskarriere einschlugen und überwiegend wie ihr Lehrer in die Emigration gezwungen wurden. Anders als manche andere „Schule“ ist diejenige Kelsens nicht durch rigide Gefolgschaft geprägt. Sie hatte entscheidende Wirkung auf die Verfassungskultur Österreichs, wurde aber auch durch das Moment der Internationalität bestimmt.

 

Wir können in diesem Rahmen nicht alle der außerordentlich fundierten, durch immense Recherchearbeiten im Inland und Ausland ermöglichten Beiträge Revue passieren lassen. Sie sind ähnlich strukturiert, zeichnen also Biographie, den Beitrag zur Lehre, kritische Stellungnahmen und Weiterentwicklungen zuverlässig und eingehend nach und verzeichnen die jeweils einschlägige Literatur. Der Einfluss auf eine andere dogmatische und rechtspolitische Tradition wird am Beispiel Charles Eisenmanns in Frankreich deutlich (Otto Pfersmann). Eine ähnliche Konstellation gilt für Luis Legaz y Lacambra in Spanien (Gregorio Robles Morchon) oder für Alf Ross in Dänemark (Jes Bjarup). Bei manchen, die wie Leo Gross in den USA als Völkerrechtler zu wissenschaftlichem Rang und politischen Einfluss gelangten (Jörg Kammerhofer), sind die späteren Berührungspunkte geringer; bei einem renommierten Experten für internationale Politik wie John Herz (Gerhard Donhauser) ist die frühe Kritik in der Dissertation (Die Identität des Staates, 1931) bemerkenswert. Exemplarisch für manche der Personen des Kreises ist das Schicksal Hans Klinghoffers in seinen Exilstationen in Frankreich, Brasilien bis zur wissenschaftlichen und politischen Karriere in Israel (Claude Klein). Julius Kraft gehört zu den Gelehrten, die - wie seine Frau, die Sozialwissenschaftlerin Margit Kraft-Fuchs (Michael Stolleis) – über die Niederlande in die USA flüchteten; er kehrte über London schließlich als Professor für Soziologie nach Frankfurt am Main zurück (Gerhard Donhauser). Margit Kraft-Fuchs hat sich in einer Fundamentalkritik schon 1930 mit Carl Schmitts Verfassungslehre von 1928, aber später auch akzentuiert aus sozialwissenschaftlicher Sicht mit Kelsen selbst auseinandergesetzt.

 

Als widersprüchlich und schillernd muss der von Kelsen abgefallene „Meisterschüler“ Fritz Sander erscheinen. Seine „Kampfschrift“ gegen den Lehrer führt zu heftigen Kontroversen in den zwanziger Jahren (Christoph Kletzer). Den relativ einmaligen, einflussreichen „wissenschaftlichen Salon“ Georg Fleischers , eines Lieblingsschülers Kelsens, später ebenfalls Emigrant, im Wien der 30er Jahre schildert Clemens Jabloner, Leiter des Instituts, aus dessen Rahmen der Band der Reihe hervorgegangen ist. Von Sigmunt Rohatyn, 1939 emigriert, stammt eine „Juristische Theorie der Revolution“ (1929/30). Rohatyn ist der Beitrag Robert Walters gewidmet. Kein typischer Schüler ist auch Eric Voegelin (Eckhart Arnold). Seine Promotion bei Othmar Spann und Hans Kelsen hindert ihn nicht, sich einige Jahre später in „Der Autoritäre Staat“ kritisch mit Kelsen zu befassen und totalitäres Staatsdenken eines Carl Schmitt oder E. R. Huber zu rezipieren. Nicht von ungefähr wird Voegelin auch Max Webers und Kelsens Werke als Versuche kennzeichnen, auf „methodisch verschiedener Basis die Verfallserscheinung der ,Legalität’ zu rationalisieren“. Kelsens Kritik an Voegelin ist erst postum, fünfzig Jahre nach Erscheinen von Voegelins „Neue Wissenschaft der Politik“ (1952) herausgegeben worden. Kletzer räumt mit einigen Legenden auf und stellt die spannenden Kontroversen in ihren diffizilen persönlichen und wissenschaftlichen Aspekten in Bezug auf Kelsens Agnostik und Voegelins zunehmende religiöse Orientierung eindringlich dar. Eine Ausnahmeerscheinung ist gleichfalls der bedeutende Literaturwissenschaftler Hans Mayer (Günter Hefler). Als - marxistisch orientierter - Schüler Kelsens in Köln setzt er sich in seiner Dissertation bei Stier-Somlo mit Smend, Carl Schmitt und Kelsen auseinander, Kelsens Smend-Kritik bildet Anknüpfungs- und Kritikpunkt. In Genf und über Kelsen kommt Mayer zu Max Horkheimers Institut für Sozialforschung, bevor er – auch mit seiner Arbeit über Büchner – nach 1945 zum renommierten Literaturwissenschaftler in Leipzig, Hannover und Tübingen wird. Ebenso aus der Reihe fällt der spätere Musikwissenschaftler Emanuel Winternitz (Christoph Kletzer).

 

Die Herausgeber wollen mit diesem außerordentlich ertragreichen Band einen ersten Forschungsschritt abschließen. Es wäre zu wünschen, dass nach diesem Kreis, der sich vornehmlich in der Zwischenkriegszeit entwickelte, auch weitere vergleichbare Bezüge zu Kelsen in ähnlicher Weise untersucht würden. Mit diesem Sammelband wird bereits eine wesentliche Grundlage gelegt für beachtliche Aspekte der Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte eines der bedeutendsten Rechtstheoretiker des 20 Jahrhunderts.

 

Freiburg im Breisgau                                       Albrecht Götz von Olenhusen