Deppenkemper, Gunter, Beweiswürdigung als Mittel prozessualer Wahrheitserkenntnis. Eine dogmengeschichtliche Studie zu Freiheit, Grenzen und revisionsgerichtlicher Kontrolle tatrichterlicher Überzeugungsbildung (§ 261 StPO, § 286 ZPO) (= Osnabrücker Schriften zur Rechtsgeschichte 12). V&Runipress, Göttingen 2004. 527 S. Besprochen von Gerhard Köbler., ZRG GA 127 (2010)
Deppenkemper, Gunter, Beweiswürdigung als Mittel prozessualer Wahrheitserkenntnis. Eine dogmengeschichtliche Studie zu Freiheit, Grenzen und revisionsgerichtlicher Kontrolle tatrichterlicher Überzeugungsbildung (§ 261 StPO, § 286 ZPO) (= Osnabrücker Schriften zur Rechtsgeschichte 12). V&Runipress, Göttingen 2004. 527 S. Besprochen von Gerhard Köbler.
Die Arbeit ist die von Dieter Temming angeregte, von Wulf Eckart Voß betreute und im Wintersemester 2002/2003 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Osnabrück angenommene Dissertation des Verfassers. Sie gliedert sich insgesamt in vier Teile, die sich auf ein umfangreiches Literaturverzeichnis gründen. Dabei befasst sich der erste Teil mit der geschichtlichen Entwicklung der freien Beweiswürdigung, der zweite Teil mit der Freiheit der Beweiswürdigung im geltenden deutschen Recht und der dritte Teil mit der der richterlichen Überzeugung bzw. ihrer Nachvollziehbarkeit als Wahrheitskriterium, während der vierte Teil Ergebnis und Ausblick bietet.
Bei der geschichtlichen Entwicklung beginnt der Verfasser mit dem römischen Beweisrecht, für das er trotz einiger Beweisregeln den Grundsatz der Beweiswürdigung ermittelt. Für das alte germanische Recht, für das zwar Quellen weitgehend fehlen, für das der Verfasser aber mit der Literatur etwa durchaus von Elementarordalen ausgeht, legt er dar, dass die Bedingung des bedingten Beweisurteils nicht durch Beweiswürdigung, sondern durch rein formale Beweisführung festgestellt wurde. Demgegenüber sei im fränkischen Recht das Gericht Adressat der Beweisaufnahme geworden und in einem ersten Schritt in die Würdigung, ob der Beweis als erbracht angesehen werden könne, einbezogen worden.
Erst nach dem fränkischen Recht beginnt für den Verfasser das Mittelalter. Das kurze Fazit für diese Zeit lautet mit Udo Kornblum (HRG), dass es „eine freie gerichtliche Beweiswürdigung auch im ma. Gerichtsverfahren nicht“ gibt. Im Ansatz ausgenommen ist davon nur das Inquisitionsverfahren, in dem aber das zentrale Beweismittel der Erzwingung eines Geständnisses die freie Beweiswürdigung sachlich ausschließt.
Auch für die Constitutio Criminalis Carolina von 1532 lehnt der Verfasser die freie richterliche Beweiswürdigung ab. Dem entspricht der gemeine deutsche Strafprozess, für den Benedikt Carpzov im Mittelpunkt steht. Erst unter dem Einfluss der Aufklärung wird in Frankreich 1791 und unter maßgeblichem Einfluss Savignys in Berlin 1846 sowie in Preußen 1849 der Grundsatz der freien Beweiswürdigung durchgesetzt.
In der Gegenwart sieht der Verfasser diese Errungenschaft bedroht. Mit dem Erfordernis einer hohen Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeugung rücke man den klassischen Beweisregeln wieder bedenklich nahe. Mathematisch objektive Modelle seien aber auch heute für die Entscheidungsbildung weniger tauglich als die bereits den Römern vertraute freie tatrichterliche Beweiswürdigung.
Innsbruck Gerhard Köbler