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Caroni, Pio, Gesetz und Gesetzbuch. Beiträge zu einer Kodifikationsgeschichte. Helbing & Lichtenhahn. Basel 2003. XXI, 373 S. Besprochen von Gerhard Köbler., ZRG GA 127 (2010)

Caroni, Pio, Gesetz und Gesetzbuch. Beiträge zu einer Kodifikationsgeschichte. Helbing & Lichtenhahn. Basel 2003. XXI, 373 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Kodifikation kann man wohl am besten durch das Kunstwort Gesetzbuchmachung wiedergeben. Zwar wird Recht seit den Anfängen der Schrift aufgezeichnet, doch werden Gesetzbücher erst nach vielen Gesetzen gemacht. Herkömmlicherweise verbindet man die Kodifikation mit Montesquieus berühmtem Werk Vom Geist der Gesetze und den danach in Preußen, Frankreich und Österreich gemachten Gesetzbüchern, wenn auch ein ausufernder unsorgfältiger Wortgebrauch fast alles und jedes kodifiziert werden und sein lässt.

 

Vielleicht der beste Kenner der Geschichte der Kodifikation ist seit langem Pio Caroni (* 1938), der sich nach seinen Untersuchungen über Le origini del dualismo comunale Svizzero (1964) und über Einflüsse des deutschen Rechts Graubündens südlich der Alpen (1970) 1996 Lecciones catalanas sobre la historia de la codificación zugewendet hat. Nach dem einige Auskünfte zur ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte der vorliegenden Sammlung zur Befriedigung der (allfälligen) Neugierde des Lesers anbietenden Vorwort haben ihn die vielfältigen Aspekte der während einer längeren Zeitspanne zwischen 1750 und 1900 auf dem europäischen Kontinent zu beobachtenden Entwicklung, die - wie das Endprodukt - als Kodifikation bezeichnet werde, seit Jahren in den Bann gezogen und beschäftigt. Dabei hat er die Überzeugung gewonnen, dass die Kodifikation eine epochale Wende der europäischen Rechtsgeschichte herbeiführte, zu der neben vielem anderen auch die um sich greifende Entstofflichung der Privatrechtsordnung mittels Abstraktion und die Änderung des Kontextes der Geltung der Regeln gehören.

 

Das Werk geht im Kern auf Vorlesungen zurück, die im Rahmen eines Fortbildungskurses an der Universität von Barcelona im Mai 1993 gehalten wurden. Der erst später aufgezeichnete italienische Text wurde in spanischer Sprache 1996 unter dem Titel Lecciones catalanas sobre la historia de la codificación veröffentlicht. 1998 erschien die um drei Beiträge erweiterte italienische Veröffentlichung Per la storia del pensiero moderno, der 2003 eine nochmals um drei Beiträge vermehrte, hauptsächlich von Karin Caroni in das Deutsche übertragene Gestalt der inhaltlich unveränderten Ausführungen folgte.

 

Gegliedert ist das beeindruckende Werk in sieben Abschnitte. Den katalanischen Vorlesungen folgen Grundanliegen bürgerlicher Privatrechtskodifikation, das entzauberte Gesetzbuch, Ungleiches Recht für alle - Vom Werden des ungleichen, aber nicht systemwidrigen Privatrechts -, die Geschichte der Kodifikation und jene des Gesetzbuches, das vertagte Gesetzbuch - Zu den Widerständen gegen die Ausarbeitung und Ausbreitung des kodifikatorischen Konzeptes - und Gesetzbücher - einmal in einer sozialhistorischen Perspektive -. Alle Beiträge durchwandern die gleiche Landschaft in den verschiedensten Richtungen, immer und immer wieder.

 

Im Mittelpunkt der Überlegungen stehen dabei die Gesetzbücher Preußens, Frankreichs und Österreichs sowie der Schweiz von 1794, 1804, 1811 und 1907. Dabei ist der Verfasser geneigt, das System der Kodifikation als neue und originelle Antwort auf jene rechtlichen Fragen zu deuten, die eine ebenso erneuerte (weil nun bürgerliche) Gesellschaft erstmals stellte. Dass bei der Bewältigung dieser neuen Aufgabe Teile der >Überlieferung verwertet wurden, steht nach dem Verfasser der Neuheit keineswegs entgegen, da beispielsweise nach 2000 Jahren dieselben Wörter doch nicht mehr dasselbe bedeuten dürften.

 

Am Ende gelangt der Verfasser zu einer Betrachtung, die nicht bei der logischen Erörterung des Begriffes bzw. bei der Schilderung des plangemäßen Funktionierens seines Mechanismus stehen bleibt, sondern darüber hinausgeht und den Blick weiter schweifen lässt, bis er auf den Sand trifft, der vom Wind der Zeit gelegentlich in die Räder des Mechanismus geblasen wird. Gestützt werden alle diese Gedankengänge durch ein 36 Auszüge umfassendes Florilegium. Neben einem Verzeichnis der Erstveröffentlichungen hätte dem interessierten Leser vielleicht auch ein Sachregister zu dem anregenden, mit einem Paesaggio Guido Gonzatos von 1943 geschmückten Band willkommen sein können.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler