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Bareiß, Andreas Friedrich, Herschel Feibel Grynszpan – Der Attentäter und die „Reichskristallnacht“. Eine Tatsachenerzählung. Haland & Wirth/Psychosozial-Verlag, Gießen 2005. 161 S. Besprochen von Gerhard Köbler., ZRG GA 127 (2010)

Bareiß, Andreas Friedrich, Herschel Feibel Grynszpan – Der Attentäter und die „Reichskristallnacht“. Eine Tatsachenerzählung. Haland & Wirth/Psychosozial-Verlag, Gießen 2005. 161 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Am 7. November 1938 dringt ein junger Mann in ein Arbeitszimmer der Botschaft des Deutschen Reiches in Paris ein und gibt um 9.35 Uhr fünf Schüsse auf den neunundzwanzigjährigen Legationssekretär Ernst Eduard vom Rath ab. Er lässt sich danach widerstandslos festnehmen. Das Opfer stirbt zwei Tage später an den durch zwei Schüsse hervorgerufenen Verletzungen an Magen und Milz.

 

Andreas Friedrich Bareiß, Jahrgang 1980, Student der Rechtswissenschaft in Berlin und Paris, sucht auf knappem Raum die Geschichte hinter der Geschichte. Zu diesem Zweck hat er nach authentischen Dokumenten geforscht. Aus ihnen erzählt er einen wichtigen Teil der Vorgeschichte der sogenannten Reichskristallnacht meist in eigenen, literarisierenden Worten nach.

 

Gegliedert ist das schmale Buch in drei Teile. Von ihnen beginnt der erste Teil mit dem 7. November 1938 im Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches in Berlin. Es endet mit der Beruhigung des deutschen Volkes dahingehend, dass der Attentäter, Herschel Feibel Grynszpan, Vertreter des Judentums war, das Opfer Vertreter des deutschen Volkes, dass also das Judentum in Paris auf das deutsche Volk geschossen hat und die deutsche Regierung darauf (angeblich) „legal“, (tatsächlich) „aber hart“ antworten wird, wie die „spontanen“ unzähligen Straftaten des 9. November 1938 unmittelbar nachdrücklich unter Beweis stellten.

 

Der zweite Teil beginnt mit dem Bahnhof Valenciennes im August 1936, von dem der fünfzehnjährige, am 28. März 1921 als Sohn eines aus Polen gekommenen Schneiders und Trödlers geborene, arbeitslose Herschel Feibel Grynspan aus Hannover zu seinem in Paris lebenden Onkel fuhr. Dort geriet er rasch in eine hoffnungslose Lage. Im Homosexuellenmilieu der Metropole traf er den deutschen Diplomaten, für den er sich als Strichjunge und Kontaktmann betätigte, wofür ihm vom Rath versprach, sich für seine in Deutschland lebende Familie einzusetzen.

 

Da er sein Versprechen nicht einhalten konnte und die Familie am 29. Oktober 1938 mit 12000 anderen Juden in das sie abweisende Polen ausgewiesen wurde, beschloss Gryspan sich zu rächen. Am 7. November 1938 kaufte er in der Rue du Faubourg Saint Martin bei dem Waffenhändler Carpe einen Trommelrevolver der Marke Hammerless Kaliber 6 x 35 für 245 Francs unter Vorlage seines polnischen Passes und ließ sich, obwohl er den Botschafter vor der Botschaft traf und leicht hätte töten können, nur zu vom Rath führen, auf den er nach den Worten „Im Namen von 12000 Juden übergebe ich hiermit die Dokumente“ schoss. Diese besonderen Hintergründe wurden in der Öffentlichkeit nach Möglichkeit verschleiert.

 

Der dritte Teil nimmt seinen Anfang mit einem Brief Grynszpans aus dem Gefängnis vom 2. Dezember 1938. Am 14. Juli 1940 wurde der Gefangene von Vichy-Frankreich gegen den in deutscher Kriegsgefangenschaft befindlichen französischen Staatsanwalt Ribeyre ausgeliefert. Wegen des allmählichen Bekanntwerdens der besonderen Umstände veranlasste jedoch Adolf Hitler persönlich den Abbruch der bald begonnenen Prozessvorbereitungen.

 

Im Konzentrationslager Sachsenhausen verlieren sich die Spuren. Das Schicksal Grynszpans ist, trotz der Behauptung des Henkers, er habe auch den Mörder vom Raths erhängen müssen, so ungewiss, dass der Autor errechnet, dass, wenn Grynszpan den Krieg überlebt hätte, er im Jahre 2004 83 Jahre alt wäre und durchaus noch leben könnte. Insofern bleibt hinter der eindrucksvoll dokumentierten, dreiteiligen Geschichte hinter der Geschichte noch immer eine weiter unbekannte Geschichte eines Mannes, der die verhängnisvollen und grauenvollen Unrechtsfolgen seiner Rache für sein eigenes Volk weder wollte noch ahnte.

 

Innsbruck                                                                                                                  Gerhard Köbler