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Die weltanschaulichen Grundlagen des NS-Regimes. Ursprünge, Gegenentwürfe, Nachwirkungen. Tagungsband der XXIII. Königswinterer Tagung im Februar 2010,. hg. v. Becker, Manuel/Bongartz, Stephanie,  (= Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e. V. 15). LIT, Berlin 2011. II, 237 S. Besprochen von Martin Moll.

Die weltanschaulichen Grundlagen des NS-Regimes. Ursprünge, Gegenentwürfe, Nachwirkungen. Tagungsband der XXIII. Königswinterer Tagung im Februar 2010,. hg. v. Becker, Manuel/Bongartz, Stephanie,  (= Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e. V. 15). LIT, Berlin 2011. II, 237 S. Besprochen von Martin Moll.

 

Die Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944 e. V. veranstaltet regelmäßig wissenschaftliche Konferenzen zu Geschichte und Nachwirkungen des Widerstands gegen das NS-Regime. Bei der 2010 in Königswinter abgehaltenen Tagung sollten neue Wege beschritten und das Themenfeld über den Widerstand hinaus erweitert werden: Ausgehend von der durch die „new intellectual history“ neuerdings bekräftigten Erkenntnis Karl Dietrich Brachers, wonach das 20. Jahrhundert ein Zeitalter der Ideologien war, wurde beschlossen, sich mit den „ideengeschichtlichen Grundlagen“ des NS-Staates und des als Konterpart verstandenen Widerstandes zu befassen (S. 3). Erweitert um einige zusätzliche Beiträge bildet der Tagungsband eine Mischung unterschiedlichster Themen, Ansätze und Zugänge, die der Haupttitel nur teilweise wiedergibt.

 

Der Band gliedert sich in vier Abschnitte, wovon nur die ersten beiden der NS-Ideologie gewidmet sind. Aufgrund der Bedeutung des Wissens um die Vordenker des Nationalsozialismus befasst sich die erste Sektion mit „Wurzeln und Vorläufern“. Hans-Christof Kraus’ Beitrag „Über einige geistesgeschichtliche Voraussetzungen des Nationalsozialismus“ bietet exzellente methodologische Überlegungen über das Verhältnis der Geistesgeschichte zur Realgeschichte. Wie auch andere Autoren dieses Bandes schätzt er die Weltanschauung des Nationalsozialismus ungeachtet diverser Atavismen als eine genuin moderne Ideologie ein, deren von Kraus beschriebene Elemente allesamt seit der Spätaufklärung nachweisbar seien (S. 29f.). Mehr ins Detail geht sodann Armin Pfahl-Traughbers Untersuchung der Bedingungsfaktoren der NS-Judenfeindschaft. Daran anknüpfend thematisiert die zweite Sektion „Ideologische Grundmuster“ vor allem die Feindbilder der NS-Bewegung: Friedrich Pohlmann behandelt Antibolschewismus und Antisemitismus, Barbara Zehnpfennig Hitlers Anti-Marxismus anhand von „Mein Kampf“. Wenn Pohlmann konstatiert, der Nationalsozialismus sei „ohne seine reaktive Beziehung auf den Bolschewismus gar nicht denkbar“ (S. 65), fühlt man sich an den von Ernst Nolte mit ähnlichen Argumenten in der Mitte der 1980er ausgelösten „Historikerstreit“ erinnert. Offenbar entspricht Noltes damals vehement zurückgewiesene These inzwischen dem Stand der Forschung. Im dritten Beitrag dieser Sektion stellt Hans Maier die von ihm bejahte Frage: „Der Nationalsozialismus – eine politische Religion?“

 

Der dritte Themenblock „Gegenentwürfe“ hat mit den vorigen Ausführungen wenig gemein, werden doch Zukunftsprogramme verschiedener Widerstandszirkel (Goerdeler-Gruppe, Kreisauer und Freiburger Kreis) ohne explizite Bezüge zum an der Macht befindlichen Nationalsozialismus abgehandelt. Sektion 4 „Erfahrungen und Nachwirkungen“ bringt zunächst zwei lesenswerte, im Wesentlichen Bekanntes resümierende Beiträge über Nachfolgeparteien der NSDAP: Die Sozialistische Reichspartei um 1950 (Henning Hansen) und die rezente NPD (Steffen Kailitz). Ein wirkliches Glanzstück stellt der methodisch reflektierte Aufsatz des Mitherausgebers Manuel Becker über die Chancen und Grenzen eines deutsch-deutschen Diktaturvergleichs anhand der Ideologie des NS-Staates und der DDR dar.

 

Insgesamt handelt es sich um einen inhaltlich ziemlich heterogenen, wenngleich gut lesbaren Sammelband. Dies mag zum Teil daran liegen, dass die Verfasser verschiedene Disziplinen vertreten; ihre Geburtsjahre bewegen sich zwischen 1931 und 1984. Vielleicht wäre es besser gewesen, den Schwerpunkt stärker auf das Hauptthema zu setzen und die etwas angehängt wirkenden Gegenentwürfe und Nachwirkungen entweder wegzulassen oder sie stärker mit dem eigentlichen Gegenstand zu verzahnen. So könnte deutlicher aufgezeigt werden, worum es dem Band geht: Um die Herausbildung der NS-Weltanschauung vor und nach dem Machtantritt Hitlers, aber jeweils im engen Konnex der Auseinandersetzung mit ihren vermeintlichen und wirklichen ideologischen Gegnern.

 

Graz                                                                           Martin Moll