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Stirken, Hermann-Josef, Der Kölner Justizalltag im zweiten Weltkrieg dargestellt anhand der Lageberichte des Oberlandesgerichtspräsidenten und des Generalstaatsanwalts an das Reichsjustizministerium (= Berichte aus der Rechtswissenschaft). Shaker, Aachen 2008. XXVII, 200 S. Besprochen von Werner Schubert. ZRG GA 126 (2009)

Stirken, Hermann-Josef, Der Kölner Justizalltag im zweiten Weltkrieg dargestellt anhand der Lageberichte des Oberlandesgerichtspräsidenten und des Generalstaatsanwalts an das Reichsjustizministerium (= Berichte aus der Rechtswissenschaft). Shaker, Aachen 2008. XXVII, 200 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Die Berichte der Oberlandesgerichtspräsidenten und der Generalstaatsanwälte an das Reichsjustizministerium während der Kriegszeit stellen eine wichtige Quelle zur Justizgeschichte der NS-Zeit dar (Überblick bei Hans Michelberger, Berichte der Justiz des Dritten Reiches. Die Lageberichte der OLG-Präsidenten von 1940-1945 unter vergleichender Heranziehung der Lageberichte der Generalstaatsanwälte, Diss. iur. Freiburg i.Br. 1989; vgl. auch W. Schubert, in: Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2007, S. 354f.) und dienten dazu, die politische Führung über die allgemeine Lage in den Gerichtsbezirken zu informieren. Stirken stellt in seiner Dissertation den Kölner „Justizalltag“ anhand der Lageberichte der dortigen OLG-Präsidenten und Generalstaatsanwälte vom Januar 1940 bis Januar 1945 dar. Im Teil A geht Stirken zunächst ein auf den Gemeinschaftsgedanken als eine Säule der nationalsozialistischen Ideologie und in diesem Zusammenhang auch auf den Bericht des OLG-Präsidenten vom 1. 9. 1940, in dem dieser die Schwierigkeiten behandelt, die bei der Berichtigung von Grundbüchern bestanden (S. 6ff.). Es folgen (Kurz-)Biographien der Reichsjustizminister, der Justizstaatssekretäre und der Kölner Behördenleiter. Der OLG-Präsident Alexander Bergmann (Dez. 1933-Mitte 1943) dürfte trotz seiner NSDAP-Mitgliedschaft „kein opportunistischer Parteigänger“ gewesen, sondern „auch durchaus kritisch und distanziert den Organisationen der NSDAP gegenübergestanden“ haben (S. 30). Stirken behandelt die Lageberichte unter den Gesichtspunkten der „Einflussnahme der Politik auf die Justiz“ (S. 39-77), des „Einflusses des Krieges auf das alltägliche Justizleben in Köln“ (S. 77-152) und der „Strafjustiz im nationalsozialistischen Staat“ (S. 152-198). Die Lageberichte behandeln wiederholt kritisch die Behinderung der Justiz in der Verfolgung von Straftaten seitens der Gestapo, der Polizei und der Parteidienststellen (unzureichende Ermittlungen, Selbstjustiz, Urteilskorrekturen). Öfter bringen die Berichte des OLG-Präsidenten Bergmann rechtspolitische Stellungnahmen zu Gesetzen und Verordnungen. 1940 begrüßte Bergmann die Ausschaltung der Laien in der Strafgerichtsbarkeit und stimmte der Straffung des Rechtsmittelzuges in Strafsachen zu. Dagegen kritisierte er den Verzicht auf die Urteilsbegründung in Zivilsachen, die keinen Rechtsmitteln unterlagen (S. 115f.). Zur Rechtsprechung des Reichsgerichts zu § 55 EheG (Zerrüttung, Scheidung) stellte Bergmann Ende 1942 fest, dem Reichsgericht sei es nicht gelungen, „so feste Grundsätze herauszuarbeiten, dass im Einzelfall die Vorhersehbarkeit der Rechtsprechung ermöglicht werde“ (S. 127). Zur Reichstagsrede Hitlers vom 26. 4. 1942, in der dieser die Justiz scharf kritisierte, ließ Bergmann mehrere ihm nachgeordnete Richter zu Wort kommen (S. 55ff.), die nach Stirken zusammenfassend „die Betroffenheit und die Furcht der Richter davor“ dokumentieren, „dass durch die Führerrede das Ende der Unabhängigkeit des Richters gekommen sei“ (S. 57). Breiten Raum nehmen in den Berichten der Einfluss des Krieges auf die Gerichtsorganisation, der Zustand der Gerichtsgebäude, die Versorgungslage der Bevölkerung und die nach Meinung der OLG-Präsidenten unzureichende Besoldung der Richter ein. Im letzten Abschnitt geht es um die Sondergerichte, die Rechtsprechung zu den Kriegsstrafgesetzen und insbesondere um die Jugendkriminalität. Einen eigenen Abschnitt widmet Stirken der strafrechtlichen Verfolgung der Edelweißpiraten, die er als Widerstandsangehörige ansieht (S. 191ff.). Die Darstellung der Kölner Justiz zeigt, dass trotz der starken Einschränkungen des Handlungsspielraums der Rechtspflege „dennoch Richter gewillt waren, einen Korridor der Rechtsstaatlichkeit auch unter diesen Verhältnissen aufrechtzuerhalten“, so dass man „von einem generellen Opportunismus nicht sprechen“ könne (S. 199).

 

Das Werk Stirkens vermittelt einen guten Einblick in die Kölner Lageberichte, deren Inhalte immer mit den allgemeinen Entwicklungen in Bezug gesetzt werden. Keine Angaben enthält die Arbeit darüber, wie weit die für andere Oberlandesgerichte oft lückenhafte Überlieferung der Lageberichte für Köln vollständig ist; im Hinblick darauf, dass Kopien der Berichte in der Bibliothek des Oberlandesgerichts Köln vorhanden sind, dürften die Kölner Berichte lückenlos vorhanden sein. Die Funktion der einzelnen Ziffern bei der Zitierung der Berichte wird nicht ganz klar. Nützlich wäre es gewesen, wenn Stirken einige wichtige Berichte in vollem Wortlaut in einem Anhang wiedergegeben hätte, so dass sich auch der Leser einen unmittelbaren Eindruck über die Diktion der Berichte hätte verschaffen können. Erstmals liegt mit der Arbeit Stirkens für einen OLG-Bezirk für die Zeit von 1940-1945 eine detaillierte Analyse der Justizberichte vor. Es ist zu wünschen, dass ähnlich ausführliche Berichtsanalysen für weitere OLG-Bezirke in Angriff genommen werden.

 

Kiel

Werner Schubert