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Signori, Gabriela, Vorsorgen – Vererben – Erinnern. Kinder- und familienlose Erblasser in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 160). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001. XI, 449 S. Besprochen von Gerhard Köbler. ZRG GA 126 (2009)

Signori, Gabriela, Vorsorgen – Vererben – Erinnern. Kinder- und familienlose Erblasser in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 160). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001. XI, 449 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Die Verfasserin, 1992 durch Klaus Schreiner von Basel nach Bielefeld geholt, ist seit 1993 durch zahlreiche Veröffentlichungen hervorgetreten. So veröffentlichte sie beispielsweise 1995 Maria zwischen Kathedrale, Kloster und Welt - hagiographische und historiographische Annäherungen an den Typus der hochmittelalterlichen Wunderpredigt. Ihre Habilitationsschrift führte sie zu „Unsummen dröger Verträge“, die sie mit freundschaftlicher Hilfe und Ermunterung vieler Kollegen und Freunde zum Sprechen bringen konnte.

 

Ihre Einleitung beginnt sie mit Till Eulenspiegels Testament. Dabei stellt sie Schelmisches einerseits und Erbauliches andererseits einander gegenüber. Das Tauziehen zwischen Kirche und Welt führt sie über Kaplan Büchsenmeister bis zu Corporate Identities.

 

Ihre Untersuchung eines rechtsgeschichtlich durchaus bedeutsamen Themas gliedert sie in fünf Kapitel. Dabei beginnt sie, ihrer wissenschaftlichen Herkunft entsprechend mit dem Basler Schöffengericht und legt dessen Zusammensetzung und Aktivitäten dar. Insbesondere befasst sie sich mit den Fertigungsbüchern, in denen sie zwischen 1450 und 1500 etwa 4600 Käufe, 1800 Mächtnisse, 250 Erbeinsetzungen, 100 Gaben, 90 Notpfründen und 70 Testamente findet.

 

Im zweiten Kapitel konzentriert sie sich auf Mächtnis und Widem als zwei Formen gegenseitiger Altersvorsorge. Dabei beginnt sie mit den rechtlichen Voraussetzungen. Danach befasst sie sich mit verschiedensten Wechselfällen des bürgerlichen Familienlebens, in dem aber dann, wenn Verwandte als Erben vorhanden waren, die meisten Mächtnisnehmer das gültige (gesetzliche) Erbrecht respektierten.

 

Von dort aus geht sie zu Familie/familia über. Beispielhaft verwendet sie dabei die Familie Amerbach. Ebenso bedeutsam sind ihr aber Kleriker und ihre Mägde in ihrer eigenen Welt, wobei mit rund sechzig Nennungen die natürlichen Kinder hinter den etwa neunzig Mal genannten Geschwisterkindern die zweitgrößte Gruppe unter den Empfängern der von ihr betrachteten letztwilligen Verfügungen sind.

 

Der weltlichen Familie stellt sie im vierten Kapitel die spirituelle Familie gegenüber. Dabei betrachtet sie insbesondere drei Pfarreien im Profil Bei Sankt Leonhard hebt sie die mächtigen Laienbruderschaften hervor, bei Sankt Peter Repräsentation und gesellige Frömmigkeit, bei Sankt Theodor Ulrich Surgant und Ludwig Kilchmann.

 

Das letzte Kapitel hat drei Ratsherrentestamente zum Gegenstand. Bei Michel Iselin und Elisabeth Bischofin geht es um ein nie vollzogenes Gemeinschaftstestament, bei Maria Zscheckabürlin und Morand von Brunn um zwei Testamente im Zwiegespräch. Das etwas jüngere eigenwillige Testament des Junkers Lienhard Grieb erlaubt es ihr, abschließend Revue passieren zu lassen, was Gegenstand der vorangehenden Kapitel war.

 

Im Ergebnis stellt sie fest, dass es in den oberrheinischen Städten zu Einschränkungen der Testierfreiheit kam, weil nicht jeder nach Belieben über sein Vermögen verfügen dürfen sollte, sondern Kinderlosigkeit dafür Voraussetzung war. Ein Testament ohne Erbeinsetzung durfte zwar jeder verfassen, doch wurde davon durch bekindete Erblasser in ihren Quellen kaum je Gebrauch gemacht. Vorsorgen ging dem Vererben meistens vor.

 

Das sind nur einige der Erkenntnisse, die der Verfasserin auf ihrer Reise durch eine spätmittelalterliche Stadtgesellschaft aus dem eigenwilligen Blickwinkel letztwilliger Verfügungen kinderloser Erblasser gelangen. Sie zeigen die Möglichkeiten, welche die Gegenüberstellung von Sollen und Sein bietet. Durch eine umfangreiche Literaturgrundlage, in der Hans Hattenhauers Entdeckung der Verfügungsmacht vielleicht auch aufgenommen hätte werden können, gestützt, ist die Untersuchung ein lebendiger Baustein der Geschichtswissenschaft für die Rechtsgeschichte des Spätmittelalters.

 

Innsbruck                                                                                           Gerhard Köbler