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Senk, Norman, Junghegelianisches Rechtsdenken. Die Staats-, Rechts- und Justizdiskussion der „Hallischen“ und „Deutschen Jahrbücher“ 1838-1843 (= fundamenta iuris 3). Mentis, Paderborn  2007. 578 S. Besprochen von Walter Pauly. ZRG GA 126 (2009)

Senk, Norman, Junghegelianisches Rechtsdenken. Die Staats-, Rechts- und Justizdiskussion der „Hallischen“ und „Deutschen Jahrbücher“ 1838-1843 (= fundamenta iuris 3). Mentis, Paderborn  2007. 578 S. Besprochen von Walter Pauly.

 

Die von Hermann Klenner angeregte und von Michael Kahlo betreute Leipziger juristische Dissertation widmet sich mit den Hallischen und seit 1841 Deutschen Jahrbüchern einem zentralen publizistischen Organ des Vormärzes, in dem namentlich die Junghegelianer ein Sprachrohr fanden. An Untersuchungen zum Jung- und damit nahezu deckungsgleich Linkshegelianismus gebricht es nicht. Auch die in den Jahrbüchern geführte Diskussion um Staat und Verfassung wird in der vorliegenden Arbeit nicht erstmalig thematisiert. Wohl aber betritt der Verfasser Neuland, wenn er auch die in den seit Anfang 1838 wochentäglich erscheinenden „vier Quartseiten“ (S. 49) erfolgten Auseinandersetzungen um die Grundfragen von Recht und Rechtswissenschaft, insbesondere in kritischer Absetzung von der Historischen Rechtsschule, sowie um die Reform des Justizwesens ausleuchtet. Dabei geht es ihm nicht um den Aufweis einer homogenen Rechtsphilosophie, sondern um eine Erfassung der „ganzen Vielstimmigkeit“ (S. 32). Geschildert wird nach einer Einleitung zunächst die Entstehung der Jahrbücher unter der Führung Arnold Ruges in jenem geistig lebendigen „jungen Halle“, in dem kampfeslustige jüngere Wissenschaftler, zumeist der Hegelschen Philosophie verpflichtet, die eingesessenen Professoren der einst bedeutenden Aufklärungsuniversität herausforderten. Skizziert werden die auf die Reflexion der Wissenschaftsentwicklung gerichtete Programmatik und  diverse Wandlungen der Blätter, in denen keineswegs nur Hegelianer zu Wort kamen. Auf bald 200 Seiten wird sodann die anfangs propreußisch geführte Staatsdiskussion in den Jahrbüchern referiert, die zunehmend in eine Kritik und schließlich ab 1841 regelrechte Opposition zum Preußen des seit 1840 regierenden Friedrich Wilhelm IV. mündete. Aufbereitet werden u. a. Hegels weltgeschichtliche Verortung des Protestantismus, die anfängliche Unterstützung Preußens durch die Jahrbuchautoren im Konflikt mit dem römischen Katholizismus sowie die Wendung gegen den protestantischen Konservativismus, die 1839 die Zensur eines Beitrages Ludwig Feuerbachs einträgt. Im zunehmenden Konflikt der kritischen Hegelianer mit dem einst gelobten „Geist-Staat Preußen“ (S. 118) verlässt Ruge Ende 1839 die hallische philosophische Fakultät; bald wird er Preußen verlassen und seinen Wohnort in Sachsen nehmen. Statt hegelscher Versöhnung von Philosophie und konkreter Staatlichkeit werden nun konstitutionelle Töne eines praxisgerichteten Idealismus vernehmbar.

 

Gegen Hegels Verknöcherung und Verharren in der Vernunft des Gewordenen setzen die Autoren der Jahrbücher auf die philosophisch auszubuchstabierende „Vernunft der Zukunft“ (S. 169). Im Kapitel über den „absoluten“, gerade nicht absolutistisch verstandenen Staat in den Jahrgängen 1840/41, die einen kritischen Patriotismus zum Programm erklären, rückt die Verfassungsfrage in den Vordergrund. Volkssouveränität findet sich dabei nicht als „Willkür der Masse“ (S. 181) eingeführt, sondern als vernünftige Bestimmung des Volkswillens, wobei „geistige und sittliche Bildung zum agens im Staat zu machen“ seien (S. 185) unter Ausschluss des „faulen vegetierenden Genusses“ des „Pöbels“ (S. 188). Preußen wird Ruge dabei in der Vollendungsperspektive zum fünften Weltreich und Deutschland zur „Zukunft der europäischen Menschheit“ (S. 202). Bis zur Erstürmung der Druckerei und dem endgültigen Verbot der Jahrbücher Anfang 1843 erfolgt ab 1841 unter religionskritischen Auspizien eine radikale Abkehr vom Konzept des christlichen Staates, weil gerade auch der protestantische Staat nicht „frei“ sein könne. Am Ende steht das „Gebet am Altar des Radikalismus“ (S. 239) und eine Ausrichtung an einer, bei aller Verschwommenheit, an der römischen res publica orientierten Republikvorstellung, die zunächst durchaus noch mit der preußischen Monarchie vereinbar sein sollte (S. 244), bis die Zuspitzung auf entweder Republik oder Monarchie erfolgte. Gleichwohl bleibt die Staatsverfassung als „zeitgeistabhängige Daseinsform des objektiven Geistes“ letztlich relativ und zukunftoffen (S. 249). Im auseinanderdriftenden Lager des Junghegelianismus werden auch anarchistische Stimmen vernehmbar, die mit der Republik den Staat als Institution überhaupt zu überwinden trachteten (S. 250). Die einschlägigen Debatten werden von Verfasser filigran in ihrem breiten Kontext aufgearbeitet, wenn auch das Zerwürfnis von Ruge und Marx hier nur kurz aufscheint (S. 254).

 

Die zweite Hälfte des Werkes gilt zunächst der Rechts-, dann der Justizdiskussion in den Jahrbüchern, die beide bisher der Aufarbeitung harrten und die von Verfasser sorgsam, teils weit ausholend in die überaus komplexe zeitgenössische Literaturlandschaft eingebettet werden. Zentral ist das Anliegen der Junghegelianer, neben der historischen Rechtsschule eine, später weithin in Vergessenheit geratene philosophische Rechtsschule unter Anknüpfung u. a. an P. J. A. Feuerbach, J. Thibaut und den Hegelianer Eduard Gans fortzuführen (S. 282ff.). Auch hier wird die althegelianische Verbindung von Vernunft und Wirklichkeit zugunsten der Vernunft des Werdenden aufgebrochen (S. 298f.). Gefordert wird ein geschichtlich wie philosophisch fundiertes Rechtsstudium, das sich zugleich der Rechtsvergleichung verschreiben und seine Lehrform nicht in der Mitteilung, sondern im Diskurs finden soll. Gegen den in seiner Größe, aber auch Begrenztheit differenziert gewürdigten Savigny, der für die Jahrbücher selbst nur Häme aufbrachte (S. 376), treten die hier versammelten Autoren für die Kodifikationsidee ein. Köstlich ist Ruges Bemerkung, Savignys philosophische Bildung gehöre einer „früheren Zeit mit geringeren Ansprüchen und einem philosophisch viel bescheideneren Maßstabe“ an (S. 393), wie insgesamt seinen, auch anonym veröffentlichenden Mitstreitern jener „Cultus der Rechtsgeschichte“ suspekt erscheint, der „jedes Adressbuch eines römischen Registrators für eine Offenbarung ansieht, an der das Heil der Rechtswissenschaft hänge“ (S. 394). Entsprechend wird die antiquarische mit einer philosophischen Rechtsgeschichte konfrontiert. Nicht nur mit J. C. Bluntschlis 1839 erschienenem Aufsatz über „Die neueren Rechtsschulen der deutschen Juristen“ unterstreichen die Jahrbücher ihre weitgehende (geschichts)politische Kongenialität mit den Germanisten. Auch in der Justizdiskussion der Jahrbücher spiegelt sich die Kehre von Preußenapologetik zu Preußenkritik wider. Insbesondere die liberale Vorreiterrolle in der Reform des Prozessrechts wird klar herausgeabeitet, wobei man über das ebenfalls vertretene Projekt einer echten Verwaltungsgerichtsbarkeit und das damit verbundene Gewaltenteilungskonzept gerne mehr erfahren hätte (knapp S. 494). Die Schlussbemerkungen weisen nicht zuletzt auf den zentralen Stellenwert der Jahrbücher für die Rechts- und Staatskritik von Karl Marx hin (S. 502f.), der den tatphilosophischen Ansatz nutzen und die schon hier problematisierte Trennung von bourgeois einerseits und citoyen andererseits aufheben wird (S. 506). Über Gewinn und Verlust von Freiheit in diesem Vorgang zu urteilen, ist ein anderes Thema. Ihr Thema hat die luzide Studie gründlich ausgeschöpft.

 

Jena                                                                                       Walter Pauly