AAAKöbler, Gerhard, Großmächte in Bismarcks Gedanken und Erinnerungen, 2016
Suchtext: Großmächte
exakte Suche, Groß-/Kleinscheibung
Ausgabe: Absatz
21 Ergebnis(se) gefunden
Abs. 262 Mit den Mitteln und Gewohnheiten des auswärtigen Dienstes noch nicht so vertraut wie später, war ich doch als Laie nicht zweifelhaft, daß der Krieg, wenn er für uns überhaupt geboten oder annehmbar erschien, auch nach Olmütz in den Dresdner Verhandlungen jederzeit gefunden und durch Abbruch derselben herbeigeführt werden konnte. Stockhausen hatte mir gelegentlich sechs Wochen als die Frist bezeichnet, deren er bedürfte, um fechten zu können, und es wäre nach meiner Ansicht nicht schwer gewesen, das Doppelte derselben durch geschickte Leitung der Verhandlungen in Dresden zu gewinnen, wenn bei uns die momentane Unfertigkeit der militärischen Rüstungen der einzige Grund gewesen wäre, uns eine kriegerische Lösung zu versagen. Wenn die Dresdner Verhandlungen nicht dazu benutzt worden sind, im preußischen Sinne entweder ein höheres Resultat oder einen berechtigt erscheinenden Anlaß zum Kriege zu gewinnen, so ist mir niemals klar geworden, ob die auffällige Beschränkung unsrer Ziele in Dresden von dem Könige oder von Herrn von Manteuffel, dem neuen auswärtigen Minister, ausgegangen ist. Ich habe damals nur den Eindruck gehabt, daß letztrer nach seinem Vorleben als Landrath, RegirungsPräsident und Director im Ministerium des Innern sich in der Sicherheit seines Auftretens durch die renommirenden vornehmen Verkehrsformen des Fürsten Schwarzenberg genirt fühlte. Schon die häusliche Erscheinung Beider in Dresden - Fürst Schwarzenberg mit Livreen, Silbergeschirr und Champagner im ersten Stock, der preußische Minister mit Kanzleidienern und Wassergläsern eine Treppe höher - war geeignet, auf das Selbstgefühl der betheiligten Vertreter beider Großmächte und auf ihre Einschätzung durch die übrigen deutschen Vertreter nachtheilig für uns zu wirken. Die alte preußische Einfachheit, die Friedrich der Große seinem Vertreter in London mit der Redensart empfahl: "Sage Er, wenn Er zu Fuß geht, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 542 Ich glaube, Sie werden mir Recht geben, wenn ich behaupte, daß unser Ansehn in Europa heut nicht dasselbe ist wie vor 1848; ich meine sogar, es war größer zu jeder Zeit zwischen 1763 und 1848, mit Ausnahme natürlich der Zeit von 7 bis 13. Ich räume ein, daß unser Machtverhältniß zu andern Großmächten, namentlich aggressiv, vor 1806 ein stärkeres war als jetzt, von 15 bis 48 aber nicht; damals waren ziemlich Alle, was sie jetzt noch sind, und doch müssen wir sagen wie der Schäfer in Goethe's Gedicht: ,Ich bin heruntergekommen und weiß doch selber nicht wie.' Ich will auch nicht behaupten, daß ich es weiß, aber viel liegt ohne Zweifel in dem Umstande: wir haben keine Bündnisse und treiben keine auswärtige Politik, das heißt, keine active, sondern wir beschränken uns darauf, die Steine, die in unsern Garten fallen, aufzusammeln und den Schmutz, der uns anfliegt, abzubürsten, wie wir können. Wenn ich von Bündnissen rede, so meine ich damit keine Schutz- und Trutzbündnisse, denn der Frieden ist noch nicht bedroht; aber alle die Nuancen von Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit oder Absicht, für den Fall eines Krieges dieses oder jenes Bündniß schließen, zu dieser oder jener Gruppe gehören zu können, bleiben doch die Basis des Einflusses, den ein Staat heut zu Tage in Friedenszeiten üben kann. Wer sich in der für den Kriegsfall schwächern Combination befindet, ist nachgiebiger gestimmt; wer sich ganz isolirt, verzichtet auf Einfluß, besonders wenn es die schwächste (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 543 [1-159] unter den Großmächten ist. Bündnisse sind der Ausdruck gemeinsamer Interessen und Absichten. Ob wir Absichten und bewußte Ziele unsrer Politik überhaupt jetzt haben, weiß ich nicht; aber daß wir Interessen haben, daran werden uns Andre schon erinnern. Wir aber haben die Wahrscheinlichkeit eines Bündnisses bisher nur mit denen, deren Interessen sich mit den unsrigen am mannigfachsten kreuzen und ihnen widersprechen, nämlich mit den deutschen Staaten und Oestreich. Wollen wir damit unsre auswärtige Politik abgeschlossen betrachten, so müssen wir uns auch mit dem Gedanken vertraut machen, in Friedenszeiten unsern europäischen Einfluß auf ein Siebzehntel der Stimmen des engern Rathes im Bunde reducirt zu sehn und im Kriegsfalle mit der Bundesverfassung in der Hand allein im Taxis'schen Palais übrig zu bleiben. Ich frage Sie, ob es in Europa ein Cabinet gibt, welches mehr als das Wiener ein gebornes und natürliches Interesse daran hat, Preußen nicht stärker werden zu lassen, sondern seinen Einfluß in Deutschland zu mindern; ob es ein Cabinet gibt, welches diesen Zweck eifriger und geschickter verfolgt, welches überhaupt kühler und cynischer nur seine eignen Interessen zur Richtschnur seiner Politik nimmt, und welches uns, den Russen und den Westmächten mehr und schlagendere Beweise von Perfidie und Unzuverlässigkeit für Bundesgenossen gegeben hat? Genirt sich denn Oestreich etwa mit dem Auslande jede seinem Vortheil entsprechende Verbindung einzugehn und sogar die Theilnehmer des Deutschen Bundes vermöge solcher Verbindungen offen zu bedrohen? Halten Sie den Kaiser Franz Joseph für eine aufopfernde, hingebende Natur überhaupt und insbesondre für außeröstreichische Interessen? Finden Sie zwischen seiner Buol-Bach'schen Regirungsweise und der Napoleonischen vom Standpunkte des ,Prinzips' einen Unterschied? Der Träger der letztern sagte mir in Paris, es sei für ihn ,qui fais tous les efforts pour sortir de ce système de centralisation trop tendue qui en dernier lieu a pour pivot un gend'arme-sécrétaire et que je considère comme une des causes principales des malheurs de la France' sehr (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 607 [1-183] spielen werden. Ich habe eine solche Allianz auch nie als etwas von uns zu Erstrebendes hingestellt, sondern als eine Thatsache, die wahrscheinlich früher oder später aus dem jetzigen décousu hervorgehn wird, ohne daß wir sie hindern können, mit der man also rechnen, über deren Wirkungen wir uns klar machen müssen. Ich habe hinzugefügt, daß wir sie, nachdem Frankreich um unsre Freundschaft wirbt, durch unser Eingehn auf diese Werbung vielleicht hindern, oder doch in der Wirkung modificiren, jedenfalls vermeiden können, als ‚der Dritte' in dieselbe zu treten. Verhältnißmäßig schwach werden wir in jeder Verbindung mit andern Großmächten erscheinen, so lange wir eben nicht stärker sind, als wir jetzt sind. Oestreich und England werden, wenn wir mit ihnen im Bunde sind, ihre Ueberlegenheit auch nicht grade in unserm Interesse geltend machen, das haben wir auf dem Wiener Congreß zu unserm Schaden erlebt. Oestreich kann uns keine Bedeutung in Deutschland gönnen, England keine Chancen maritimer Entwicklung in Handel oder Flotte, und ist neidisch auf unsre Industrie. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 608 Sie parallelisiren mich mit Haugwitz und der damaligen ‚Defensiv-Politik'. Die Verhältnisse damals waren aber andre. Frankreich war schon im Besitz der drohendsten Uebermacht, an seiner Spitze ein notorisch gefährlicher Eroberer, und auf England war dagegen sicher zu rechnen. Ich habe den Muth, den Baseler Frieden nicht zu tadeln; mit dem damaligen Oestreich und seinen Thugut, Lehrbach und Cobenzl war ebensowenig ein Bündniß auszuhalten, wie mit dem heutigen, und daß wir 1815 nur schlecht fortkamen, kann ich nicht auf den Baseler Frieden schieben, sondern wir konnten gegen die uns entgegenstehenden Interessen von England und Oestreich nicht aufkommen, weil unsre physische Schwäche im Vergleich mit den andern Großmächten nicht gefürchtet wurde. Die Rheinbundstaaten hatten noch ganz anders ‚gebaselt' wie wir und kamen doch in Wien vorzüglich gut fort. Daß wir aber 1805 nicht die Gelegenheit ergriffen, um Frankreichs Uebermacht (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 935 [1-276] nach der Juli-Revolution mehr als ein Jahr, um den Verfall seiner Heereseinrichtungen so weit auszubessern, daß es eben nur seine italienischen Interessen zu schützen im Stande war. Die östreichische Politik war unter Metternich geschickt genug, um jede Entschließung der drei östlichen Großmächte so lange zu verschleppen, bis Oestreich sich hinlänglich gerüstet fühlte, um mitzureden. Nur in Preußen functionirte die militärische Maschine, so schwerfällig sie war, mit voller Genauigkeit, und hätte die preußische Politik eigne Entschlüsse zu fassen vermocht, so würde sie Kraft genug gefunden haben, die Lage von 1830 in Deutschland und den Niederlanden nach ihrem Ermessen zu präjudiciren. Aber eine selbständige preußische Politik hat in der Zeit von 1806 bis in die vierziger Jahre überhaupt nicht bestanden; unsre Politik wurde abwechselnd in Wien und in Petersburg gemacht. So weit sie in Berlin von 1786 bis 1806 und 1842 bis 1862 selbständig ihre Wege suchte, wird sie vor der Kritik vom Standpunkte eines strebsamen Preußen kaum Anerkennung finden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1133 Nachdem der König auf der Rückreise von Baden-Baden (31. August) nach Berlin so nahe an Frankfurt vorüber gefahren war, daß der entschlossene Wille, sich nicht zu betheiligen, zu Tage lag, wurde die Mehrheit oder wurden wenigstens die mächtigsten Fürsten von einem Unbehagen erfaßt bei dem Gedanken an den Reformentwurf, der sie, wenn Preußen fern blieb, mit Oestreich allein in einem Verbande ließ, in dem sie nicht durch die Rivalität der beiden Großmächte gedeckt waren. Das Wiener Cabinet muß an die Möglichkeit geglaubt haben, daß die übrigen Bundesfürsten auf die dem Congreß am 17. August gemachte Vorlage auch dann eingehn würden, wenn sie in dem reformirten Bundesverhältniß schließlich mit Oestreich allein geblieben wären. Man würde sonst nicht den in Frankfurt verbliebenen Fürsten die Zumuthung gemacht haben, die östreichische Vorlage auch ohne Preußens Zustimmung anzunehmen und in die Praxis überzuführen. Die Mittelstaaten wollten aber in Frankfurt weder eine einseitig preußische, noch eine einseitig östreichische Leitung, sondern für sich ein möglichst einflußreiches Schiedsamt im Sinne der Trias, welches jede der beiden Großmächte auf das Bewerben um die Stimmen der Mittelstaaten anwies. Die östreichische Zumuthung, auch ohne Preußen abzuschließen, wurde beantwortet durch den Hinweis auf die Nothwendigkeit neuer Verhandlungen mit Preußen und die Kundgebung der eignen Neigung zu solchen. Die Form der Beantwortung der östreichischen Wünsche war nicht glatt genug, um in Wien keine Empfindlichkeit zu erregen. Die Wirkung auf den Grafen Rechberg, vorbereitet durch die guten Beziehungen, in denen unsre Frankfurter Collegenschaft abgeschlossen hatte, war, daß er sagte, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1138 Wenige Monate nach dem Frankfurter Congreß starb der König Friedrich VII. von Dänemark (15. November 1863). Das Mißlingen des östreichischen Vorstoßes, die Weigerung der übrigen Bundesstaaten, nach der preußischen Ablehnung mit Oestreich allein in engere Beziehung zu treten, brachten den Gedanken einer dualistischen Politik der beiden deutschen Großmächte, infolge der Eröffnung der schleswigholsteinischen Frage und Succession, in Wien der Erwägung nahe, und mit mehr Aussicht auf Verwirklichung, als im December 1862 vorgelegen hatte. Graf Rechberg machte in der Verstimmung über die Weigerung der Bundesgenossen, sich ohne Mitwirkung Preußens zu verpflichten, einfach Kehrt mit dem Bemerken, daß die Verständigung mit Preußen für Oestreich noch leichter sei als für (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1139 [1-343] die Mittelstaaten 1). Darin hatte er für den Augenblick Recht, für die Dauer aber doch nur dann, wenn Oestreich bereit war, Preußen als gleichberechtigt in Deutschland thatsächlich zu behandeln und Preußens Beistand in den europäischen Interessen, die Oestreich in Italien und im Orient hatte, durch die Gestattung freier Bewegung des preußischen Einflusses wenigstens in Norddeutschland zu vergelten. Der Anfang der dualistischen Politik gewährte ihr eine glänzende Bethätigung in den gemeinsamen Kämpfen an der Schlei, dem gemeinsamen Einrücken in Jütland und dem gemeinsamen Friedensschlusse mit Dänemark. Das preußisch-östreichische Bündniß bewährte sich selbst unter der Abschwächung, die in der Verstimmung der übrigen Bundesstaaten lag, doch als hinreichendes Schwergewicht, um die widerstrebende Verstimmung der andern Großmächte, unter deren Deckung Dänemark dem gesammten Deutschthum den Handschuh hatte hinwerfen können, im Zaume zu halten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1146 "Zu einer politischen Gemeinschaft geschichtlich berufen, machen wir dynastisch und politisch beiderseits bessere Geschäfte, wenn wir zusammenhalten und diejenige Führung Deutschlands übernehmen, welche uns nicht entgehn wird, sobald wir einig sind. Wenn Preußen und Oestreich sich die Aufgabe stellen, nicht blos ihre gemeinsamen Interessen, sondern auch beiderseits jedes die Interessen des andern zu fördern, so kann das Bündniß der beiden deutschen Großstaaten von einer weittragenden deutschen und europäischen Wirksamkeit werden. Der Staat Oestreich hat kein Interesse an der Gestaltung der dänischen Herzogthümer, dagegen ein erhebliches an seinen Beziehungen zu Preußen. Sollte aus dieser zweifellosen Thatsache nicht die Zweckmäßigkeit einer für Preußen wohlwollenden Politik hervorgehn, die das bestehende Bündnis der beiden deutschen Großmächte consolidirt und in Preußen Dankbarkeit für Oestreich erweckt? Wenn die gemeinsame Erwerbung statt in Holstein, in Italien läge, wenn der Krieg, den wir geführt haben, statt Schleswig-Holstein die Lombardei zur Verfügung der beiden Mächte gestellt hätte, so würde es mir nicht eingefallen sein, bei meinem Könige dahin zu wirken, daß Wünschen unsres Verbündeten ein Widerstand entgegengesetzt oder die Forderung eines Aequivalents erhoben würde, wenn ein solches nicht zu gleicher Zeit disponibel wäre. Ihm aber für Schleswig-Holstein altpreußisches Land abzutreten, das würde kaum möglich sein, selbst wenn die Einwohner es wünschten; in Glatz protestirten aber sogar die (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1147 [1-345] dort angesessenen Oestreicher dagegen. Ich hätte das Gefühl, daß die vortheilhaften Ergebnisse der Freundschaft der deutschen Großmächte mit der holsteinischen Frage nicht abgeschlossen wären, und daß sie, wenn jetzt in der äußersten Entfernung von dem östreichischen Interessengebiete gelegen, doch ein andermal sehr viel näher liegen könnten, und daß es für Oestreich nützlich sein werde, jetzt Preußen gegenüber freigebig und gefällig zu sein." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 1150 [1-346] keinen Anspruch darauf machen. Durch diese Aeußerung, aus welcher ich die Einwirkung der königlichen Verwandten und der hofliberalen Einflüsse heraushörte, war ich natürlich dem Kaiser gegenüber außer Gefecht gesetzt. Ich trat demnächst noch für das Festhalten der Einigkeit beider deutschen Großmächte ein, und es wurde eine dieser Richtung entsprechende kurze Redaction, in der die Zukunft Schleswig-Holsteins unentschieden blieb, von Rechberg und mir entworfen und von den beiden hohen Herrn genehmigt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)
Abs. 7 [2-4] Stimme hat in London und Petersburg das Gewicht, was ihr seit 20 Jahren verloren war; und das acht Monate, nachdem Sie mir die gefährlichste Isolirung wegen unsrer polnischen Politik prophezeiten. Wenn wir jetzt den Großmächten den Rücken drehn, um uns der in dem Netze der Vereinsdemokratie gefangenen Politik der Kleinstaaten in die Arme zu werfen, so wäre das die elendeste Lage, in die man die Monarchie nach Innen und Außen bringen könnte. Wir würden geschoben statt zu schieben; wir würden uns auf Elemente stützen, die wir nicht beherrschen und die uns nothwendig feindlich sind, denen wir uns aber auf Gnade oder Ungnade zu ergeben hätten. Sie glauben, daß in der ‚deutschen öffentlichen Meinung‘, Kammern, Zeitungen ꝛc. irgend etwas steckt, was uns in einer Unions- oder Hegemonie-Politik stützen und helfen könnte. Ich halte das für einen radicalen Irrthum, für ein Phantasiegebilde. Unsre Stärkung kann nicht aus Kammern- und Preßpolitik, sondern nur aus waffenmäßiger Großmachtspolitik hervorgehn, und wir haben nicht nachhaltiger Kraft genug, um sie in falscher Front und für Phrasen und Augustenburg zu verpuffen. Sie überschätzen die ganze dänische Frage und lassen sich dadurch blenden, daß dieselbe das allgemeine Feldgeschrei der Demokratie geworden ist, die über das Sprachrohr von Presse und Vereinen disponirt und diese an sich mittelmäßige Frage zum Moussiren bringt. Vor zwölf Monaten hieß es zweijährige Dienstzeit, vor acht Monaten Polen, jetzt Schleswig-Holstein. Wie sahn Sie selbst die europäische Lage im Sommer an? Sie fürchteten Gefahren jeder Art für uns und haben in Kissingen kein Hehl gemacht über die Unfähigkeit unsrer Politik; sind denn nun diese Gefahren durch den Tod des Königs von Dänemark plötzlich geschwunden und sollen wir jetzt an der Seite von Pfordten, Coburg und Augustenburg, gestützt auf alle Schwätzer und Schwindler der Bewegungspartei, plötzlich stark genug sein, alle vier Großmächte zu brüskiren, und sind letztre plötzlich so gutmüthig oder so machtlos geworden, daß wir uns dreist in jede Verlegenheit (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 18 Wäre auch das nach der europäischen Situation und nach dem Willen des Königs nicht zu erreichen gewesen ohne Isolirung Preußens von allen Großmächten einschließlich Oestreichs, so stand zur Frage, auf welchem Wege für die Herzogthümer, sei es in Form der Personalunion oder in einer andern, ein vorläufiger Abschluß erreichbar bliebe, der immerhin eine Verbesserung der Lage der Herzogthümer hätte sein müssen. Ich habe von Anfang an die Annexion unverrückt im Auge behalten, ohne die andern Abstufungen aus dem Gesichtsfelde zu verlieren. Als die Situation, welche ich absolut glaubte vermeiden zu müssen, betrachtete ich diejenige, welche in der öffentlichen Meinung von unsern Gegnern als Programm aufgestellt war, d. h. den Kampf und Krieg Preußens für die Errichtung eines neuen Großherzogthums, durchzufechten an der Spitze der Zeitungen, der Vereine, der Freischaaren und der Bundesstaaten außer Oestreich, und ohne die Sicherheit, daß die Bundesregirungen die Sache auf jede Gefahr hin durchführen würden. Dabei hatte die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 171 [2-55] Ich nahm zwar an, daß wir gegen eine Coalition, die Frankreich etwa gegen uns aufbringen würde, auf russischen Beistand würden zählen können, aber doch erst, wenn wir das Unglück gehabt haben sollten, Niederlagen zu erleiden, vermöge deren die Frage näher gerückt wäre, ob Rußland die Nachbarschaft einer siegreichen französisch-östreichischen Coalition an seinen polnischen Grenzen vertragen könne. Die Unbequemlichkeit einer solchen Nachbarschaft wäre vielleicht noch größer geworden, wenn statt des antipäpstlichen Königreichs Italien das Papstthum selbst der Dritte im Bunde der beiden katholischen Großmächte geworden wäre. Bis zum Näherrücken solcher Gefährlichkeit infolge preußischer Niederlagen hielt ich aber für wahrscheinlich, daß Rußland es nicht ungern sähe, wenigstens es nicht hindern würde, wenn eine numerisch überlegne Coalition einiges Wasser in unsern Wein von 1866 gegossen hätte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 624 Irrthümer in der Cabinetspolitik der großen Mächte strafen sich nicht sofort, weder in Petersburg noch in Berlin, aber unschädlich sind sie nie. Die geschichtliche Logik ist noch genauer in ihren Revisionen als unsre Oberrechenkammer. Bei Ausführung der Congreßbeschlüsse erwartete und verlangte Rußland, daß die deutschen Commissarien bei localen Verhandlungen darüber im Orient, bei Divergenzen zwischen russischen und andern Auffassungen, generell der russischen zustimmen sollten 1). Uns konnte in manchen Fragen allerdings die objective Entscheidung ziemlich gleichgültig sein, es kam für uns nur darauf an, die Stipulationen ehrlich auszulegen und unsre Beziehungen auch zu den übrigen Großmächten nicht durch parteiisches Verhalten zu stören in Localfragen, die ein deutsches (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 679 Graf Schuwalow hatte vollkommen Recht, wenn er mir sagte, daß mir der Gedanke an Coalitionen böse Träume verursache 1). Wir hatten gegen zwei der europäischen Großmächte siegreiche Kriege geführt; es kam darauf an, wenigstens einen der beiden mächtigen Gegner, die wir im Felde bekämpft hatten, der Versuchung zu entziehn, die in der Aussicht lag, im Bunde mit andern Revanche nehmen zu können. Daß Frankreich das nicht sein konnte, lag für jeden Kenner der Geschichte und der gallischen Nationalität auf der Hand, und wenn ein geheimer Vertrag von Reichstadt ohne unsre Zustimmung und unser Wissen möglich war, so war auch die alte Kaunitzsche Coalition von Frankreich, Oestreich, Rußland nicht unmöglich, sobald die ihr entsprechenden, in Oestreich latent vorhandenen Elemente dort an das Ruder kamen. Sie konnten Anknüpfungspunkte finden, von denen aus sich die alte Rivalität, das alte Streben nach deutscher Hegemonie als Factor der östreichischen Politik wieder beleben ließ in Anlehnung, sei es an Frankreich, die zur Zeit des Grafen Beust und der Salzburger Begegnung mit Louis Napoleon, August 1867, in der Luft schwebte, sei es in Annäherung an Rußland, wie sie sich in dem geheimen Abkommen von Reichstadt erkennen ließ. Die Frage, welche Unterstützung Deutschland von England in einem solchen Falle zu erwarten haben würde, will ich nicht ohne Weitres im Rückblick auf die Geschichte des siebenjährigen Krieges und des Wiener Congresses beantworten, es aber doch als wahrscheinlich bezeichnen, daß ohne die Siege Friedrichs des Großen die Sache des Königs von Preußen damals noch früher von England wäre fallen gelassen worden. In dieser Situation lag die Aufforderung zu dem Versuch, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 681 [2-234] die Möglichkeit der antideutschen Coalition durch vertragsmäßige Sicherstellung der Beziehungen zu wenigstens einer der Großmächte einzuschränken. Die Wahl konnte nur zwischen Oestreich und Rußland stehn, da die englische Verfassung Bündnisse von gesicherter Dauer nicht zuläßt und die Verbindung mit Italien allein ein hinreichendes Gegengewicht gegen eine Coalition der drei übrigen Großmächte auch dann nicht gewährte, wenn die zukünftige Haltung und Gestaltung Italiens nicht nur von Frankreich, sondern auch von Oestreich unabhängig gedacht wurde. Es blieb, um das Feld der Coalitionsbildung zu verkleinern, nur die bezeichnete Wahl. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 730 [2-245] haben. In Wien fand ich eine ähnliche Stimmung in den Straßen, die Begrüßungen der dicht gedrängten Menge waren so zusammenhängend, daß ich, da ich in Civil war, in die unbequeme Nothwendigkeit gerieth, die Fahrt zum Gasthofe so gut wie mit bloßem Kopfe zurückzulegen. Auch während der Tage, die ich in dem Gasthofe zubrachte, konnte ich mich nicht am Fenster zeigen, ohne freundliche Demonstrationen der dort Wartenden oder Vorübergehenden hervorzurufen. Diese Kundgebungen vermehrten sich, nachdem der Kaiser Franz Joseph mir die Ehre erzeigt hatte, mich zu besuchen. Alle diese Erscheinungen waren der unzweideutige Ausdruck des Wunsches der Bevölkerung der Hauptstadt und der durchreisten deutschen Provinzen, eine enge Freundschaft mit dem neuen Deutschen Reiche als Signatur der Zukunft beider Großmächte sich bilden zu sehn. Daß dieselben Sympathien im Deutschen Reiche, im Süden noch mehr als im Norden, bei den Conservativen mehr als bei der Opposition, im katholischen Westen mehr als im evangelischen Osten, der Blutsverwandschaft entgegenkamen, war mir nicht zweifelhaft. Die angeblich confessionellen Kämpfe des dreißigjährigen Krieges, die einfach politischen des siebenjährigen und die diplomatischen Rivalitäten vom Tode Friedrichs des Großen bis 1866 hatten das Gefühl dieser Verwandschaft nicht erstickt, so sehr sonst der Deutsche auch geneigt ist, den Landsmann, wenn ihm Gelegenheit dazu geboten wird, mit mehr Eifer zu bekämpfen als den Ausländer. Es ist möglich, daß der slavische Keil, durch den in Gestalt der Czechen die urdeutsche Bevölkerung der östreichischen Stammlande von den nordwestlichen Landsleuten getrennt ist, die Wirkungen, die nachbarliche Reibungen auf Deutsche gleichen Stammes, aber verschiedener dynastischer Angehörigkeit, auszuüben pflegen, abgeschwächt und das germanische Gefühl der Deutsch-Oestreicher gekräftigt hat, das durch den Schutt, den historische Kämpfe hinterlassen, wohl verdeckt, aber nicht erstickt worden ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 755 [2-255] der Monarchie in Frankreich würde die durch die italienische Rivalität nicht mehr abgeschwächte gegenseitige Anziehung der beiden katholischen Großmächte unternehmende Politiker in Versuchung führen können, mit der Wiederbelebung derselben zu experimentiren. In der Beurtheilung Oestreichs ist es auch heut noch ein Irrthum, die Möglichkeit einer feindseligen Politik auszuschließen, wie sie von Thugut, Schwarzenberg, Buol, Bach und Beust getrieben worden ist. Kann sich nicht die Politik für Pflicht gehaltner Undankbarkeit, deren Schwarzenberg sich Rußland gegenüber rühmte, in andrer Richtung wiederholen, die Politik, die uns von 1792 bis 1795, während wir mit Oestreich im Felde standen, Verlegenheit bereitete und im Stiche ließ, um uns gegenüber in den polnischen Händeln stark genug zu bleiben, die bis dicht an den Erfolg bestrebt war, uns einen russischen Krieg auf den Hals zu ziehn, während wir als nominelle Verbündete für das Deutsche Reich gegen Frankreich fochten, die sich auf dem Wiener Congreß bis nahe zum Kriege zwischen Rußland und Preußen geltend machte? Die Anwandlungen, ähnliche Wege einzuschlagen, werden für jetzt durch die persönliche Ehrlichkeit und Treue des Kaisers Franz Joseph niedergehalten, und dieser Monarch ist nicht mehr so jung und ohne Erfahrung, wie zu der Zeit, da er sich von der persönlichen Rancüne des Grafen Buol gegen den Kaiser Nicolaus zum politischen Druck auf Rußland bestimmen ließ, wenig Jahre nach Vilagos; aber seine Garantie ist eine rein persönliche, fällt mit dem Personenwechsel hinweg, und die Elemente, die die Träger einer rivalisirenden Politik zu verschiedenen Epochen gewesen sind, können zu neuem Einflusse gelangen. Die Liebe der galizischen Polen, des ultramontanen Clerus für das Deutsche Reich ist vorübergehender und opportunistischer Natur, ebenso das Uebergewicht der Einsicht in die Nützlichkeit der deutschen Anlehnung über das Gefühl der Geringschätzung, mit dem der vollblütige Magyar auf den Schwaben herabsieht. In Ungarn, in Polen sind französische Sympathien auch heut lebendig, und im Clerus der habsburgischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)
Abs. 764 [2-259] worden, und es mag gelingen, ihn weiter zu verlängern; aber ewige Dauer ist keinem Vertrage zwischen Großmächten gesichert, und es wäre unweise, ihn als sichre Grundlage für alle Möglichkeiten betrachten zu wollen, durch die in Zukunft die Verhältnisse, Bedürfnisse und Stimmungen verändert werden können, unter denen er zu Stande gebracht wurde. Er hat die Bedeutung einer strategischen Stellungnahme in der europäischen Politik nach Maßgabe ihrer Lage zur Zeit des Abschlusses; aber ein für jeden Wechsel haltbares ewiges Fundament bildet er für alle Zukunft ebenso wenig, wie viele frühere Tripel- und Quadrupel-Allianzen der letzten Jahrhunderte und insbesondre die heilige Allianz und der Deutsche Bund. Er dispensirt nicht von dem toujours en vedette! (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)