Original Ergebnisseite.

Österreichische Historiker 1900-1945. Lebensläufe und Karrieren in Österreich, Deutschland und der Tschechoslowakei in wissenschaftsgeschichtlichen Porträts, hg. v. Hruza, Karel Jan. Böhlau, Wien 2008. 859 S. Ill. Besprochen von Hiram Kümper. ZRG GA 126 (2009)

Österreichische Historiker 1900-1945. Lebensläufe und Karrieren in Österreich, Deutschland und der Tschechoslowakei in wissenschaftsgeschichtlichen Porträts, hg. v. Hruza, Karel Jan. Böhlau, Wien 2008. 859 S. Ill. Besprochen von Hiram Kümper.

 

Bei dem vorliegenden Band handelt es sich weder um ein historiographiegeschichtliches Handbuch noch um ein biographisches Lexikon, wie der Titel möglicherweise suggerieren würde, sondern um eine Zusammenstellung eingehender Portraits von 18 österreichischen Historikern und einer Historikerin. Vorweg umreißt der Herausgeber Karl Hruza in einem kundigen Überblick den Stand der österreichischen historiographiegeschichtlichen Forschung für den betrachteten Zeitraum (S. 13-38).

 

Zugleich wird in zweifacher Hinsicht Stellung bezogen und zeigt sich sehr deutlich: Dieser Band ist auch ein (wissenschafts-)politisches Statement. Zum einen setzt er sich konzeptionell gegen die bereits vorliegenden, älteren Arbeiten und das noch 2006 erschienene „biographisch-bibliographische Lexikon“ österreichischer Historikerinnen und Historiker (hg. von Doris A. Corradini und Fritz Fellner) ab, die „sich jeder Wertung der Personen und ihrer Arbeiten“ (S. 15) enthalten. Statt lexikalischer Verzeichnung geht es bei diesem Projekt also um wissenschafts- und zeithistorisch analytische Portraits. Zum anderen liest sich Hruzas Einleitung streckenweise als eine Apologie der österreichischen Zeitgeschichtsforschung, der verschiedentlich vorgeworfen worden ist, in der Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheiten so deutlich hinter den Anstrengungen der deutschen Kolleginnen und Kollegen zurückzustehen. Ob freilich mit Heinz Fischers Dokumentation des Skandals um Taras Borodajkewycz, die 1966 erschien, tatsächlich „wohl erstmals nach 1945 […] in breitester Form zur Diskussion gestellt [wurde], dass auch ein Historiker als Wissenschaftler mit den Denkmustern des Nationalsozialismus in Verbindungen stehen […] konnte“ (S. 14), was einen seltsam pokalartigen Impetus suggeriert, oder sich nicht vielmehr insgesamt im gemeinsamen österreichisch-deutschen Sprachraum (endlich) etwas bewegte, bliebe diskutabel – im selben Jahr jedenfalls erschien zum Beispiel Helmut Heibers umfängliche Studie über „Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands“, noch im Folgejahr Karl Ferdinand Werners kleine Arbeit über die Geschichtswissenschaft im Nationalsozialismus. Man kann aber auch ganz grundsätzlich die Frage stellen, ob das überhaupt ein so notwendiger Zank ist, der hier weiter aufgenommen wird. Denn jedenfalls leisten die Beiträger dieses Bandes einen sehr elaborierten Beitrag zur eingeforderten Auseinandersetzung mit dem Erbe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und das sollte doch wohl das Entscheidende sein.

 

Unter den besprochenen Wissenschaftlern findet sich zwar kein durch institutionelle Anbindung oder Publikationsprofil schwerpunktmäßig ausgewiesener Rechtshistoriker, wohl aber viele Forscher (und auch die einzige vertretene Forscherin, Mathilde Uhlirz, bearb. von Anne-Katrin Kunde), deren Arbeiten wichtige Ergebnisse für die rechtshistorische Forschung, vor allem die rechtshistorische Germanistik, erbracht haben. Das meint vor allem die österreichische Diplomatik, die ja in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Reihe wichtiger Fachvertreter hervorgebracht hat, von denen einige sich in diesem Band wieder finden. Insgesamt ist die überproportional hohe Zahl an Mediävisten unter den besprochenen Wissenschaftlern, die vielleicht auch der disziplinären Herkunft des Herausgebers geschuldet sein mag, sehr auffällig. Da aber ein solches Projekt notwendig auswählen muss und Exemplarität in der Auswahl nirgends behauptet wird, darf daraus kein Vorwurf gemacht werden. In gewisser Weise schließt dieser Umstand vielmehr an die mittlerweile schon dankenswert starke Tradition gerade der Mediävistik an, die unrühmliche Rolle der eigenen Disziplin innerhalb des Nationalsozialismus zu reflektieren – schon Werners oben genanntes Büchlein von 1967 wäre ein frühes Beispiel dafür. Die einzelnen Beiträge sind von durchaus unterschiedlicher Dichte und Schwerpunktsetzung, können aber insgesamt sehr überzeugen. Ein solides Stück Historiographie- und in mancher Hinsicht ein aufschlussreiches Stück Zeitgeschichtsschreibung.

 

Vechta                                                                                                                                  Hiram Kümper