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Mühlhausen, Walter, Friedrich Ebert 1871-1925. Reichspräsident der Weimarer Republik, 2. Aufl. Dietz, Bonn 2007. 1088 S. Besprochen von Karsten Ruppert. ZRG GA 126 (2009)

Mühlhausen, Walter, Friedrich Ebert 1871-1925. Reichspräsident der Weimarer Republik, 2. Aufl. Dietz, Bonn 2007. 1088 S. Besprochen von Karsten Ruppert.

 

Gerade weil über die Weimarer Republik schon unübersehbar viel geforscht und geschrieben worden ist, ist es um so erstaunlicher, dass zu deren erstem Reichspräsidenten immer noch keine wissenschaftliche Biografie vorliegt. Es gibt Studien zum Aufstieg des Arbeiterführers, zu Einzelaspekten der Präsidentschaft und einen gelungenen Essai Peter-Christian Witts, doch die große Synthese steht noch aus. Sie liefert auch Walter Mühlhausen nicht und er will das auch nicht. Seine Absicht ist vielmehr, eine „biografische Funktionsanalyse“ (S. 23) vorzulegen. Andere haben vergleichbare Unternehmen weniger geschraubt als „politische Biografie“ bezeichnet, denn „nicht die Person Friedrich Ebert steht hier im Mittelpunkt, sondern der Amtsträger“ (S. 23). Das Interesse gilt also dem Sozialdemokraten als Reichspräsident.

 

Einführend wird ein Rechenschaftsbericht über die disparate Quellenlage gegeben, der viel über Anlage und Ertrag der Studie verrät. Die amtliche Tätigkeit Eberts hat sich in einer unübersehbaren Zahl von Akten niedergeschlagen, sodass aus arbeitspraktischen Gründen die Konzentration auf einen Kernbestand (Reichskanzlei und Büro des Reichspräsidenten) durchaus nachvollziehbar ist. Das besondere Bemühen galt aber dem Nachspüren von Aussagen zu Ebert und seiner Politik in Erinnerungen und Nachlässen von Parteifreunden, Mitarbeitern, Mitgestaltern, Diplomaten, Militärs und Gegnern. Der Autor scheint den Ehrgeiz besessen zu haben, niemanden, der häufiger mit Reichspräsident Ebert zu tun gehabt hatte, zu vergessen. Beim Durchforsten dieser schätzungsweise gut 300 autobiografischen Hinterlassenschaften wird sich mehr als einmal die Frage nach dem Verhältnis von Aufwand zu Ertrag gestellt haben. Die Passagen der Darstellung, die sich auf solche Quellen stützen, legen jedenfalls die Vermutung nahe, dass sich in einer erklecklichen Anzahl nur mehr oder weniger belanglose Meinungen zu Ebert und seiner Politik gefunden haben. Vermutlich wurde unter anderem auf diesem Weg versucht, die in der Tat „schmerzlichen Lücken“ (S. 41) in Eberts Hinterlassenschaft zu kompensieren. Denn obwohl er autobiografische Aufzeichnungen gemacht hatte, es einen privaten Briefwechsel und auch einen geheimen dienstlichen gegeben hat, hat nichts davon den Krieg überstanden. Darüber hinaus hat der frühe und überraschende Tod verhindert, dass die beabsichtigten Erinnerungen geschrieben wurden und Ebert hat keine grundsätzlichen oder reflexiven Überlegungen verfasst, die Aufschluss über Motive und Leitvorstellungen seines politischen Handelns geben könnten. Das macht sicherlich das biografische Geschäft schwierig.

 

Freilich hätte es sich Mühlhausen einfacher machen können, indem er sich intensiver mit der Forschung zu den Jahren der Weimarer Republik auseinandergesetzt hätte, die Ebert mitgestaltet hat. Dann wären ihm deren Lücken deutlicher geworden und er hätte nicht das nochmals sagen müssen, was schon so oft geschrieben worden ist. Vor allem aber hätte sich so eine Anzahl operationalisierbarer Leitfragen ergeben, welche die Stoffmassen strukturiert hätten. Da solchen methodischen Überlegungen nicht mit der notwendigen Konsequenz nachgegangen wurde, ergibt sich eher eine additive als eine integrative Studie.

 

Ein Abriss von immerhin fast 200 Seiten führt, die Forschung zusammenfassend, zum Thema hin. Dabei ist es das Hauptanliegen, Ebert als Vorsitzenden des Rats der Volksbeauftragten gegen die immer wieder in der Forschung erhobenen Vorwürfe zu verteidigen. Die Erwartungen mussten enttäuscht werden, da er an die bolschewistische Gefahr glaubte, er sich nur als Treuhänder der zu konstituierenden Nationalversammlung verstand und die Zeit für einschneidende Maßnahmen zu kurz gewesen sei.

 

Mühlhausen geht auch im Hauptteil sein Thema weitgehend chronologisch an. Nach der überraschend lapidaren Darstellung von Eberts Weg zum Reichspräsidentenamt am 11. Februar 1919 werden ohne weiteren Erkenntnisgewinn die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Amtes rekapituliert. Deutlich mehr wissen wir nun aber über Gründung und Aufbau des Büros des Reichspräsidenten. Doch wird schon in diesen Kapiteln eine Schwäche in der Anlage der gesamten Studie offenbar: Mühlhausen kann sich von keiner Quelleninformation trennen. Das Gerangel um den Haushalt des Reichspräsidenten wird viel zu breit ausgeführt und mit welchen Möbeln sein Büro ausgestattet wurde und woher sie stammen, muss man nun wirklich nicht wissen. Dafür kann eine historisch interessante Frage kaum geklärt werden: die Ersetzung sozialdemokratischer Mitarbeiter durch Beamte, die bisher nicht durch ihren Einsatz für die Demokratie aufgefallen waren; darunter der unsägliche Meissner, der sogar in eine Schlüsselrolle gelangte und kein Problem damit hatte, Ebert genauso zu dienen wie Hitler.

 

Da der Oberbefehl über die bewaffnete Macht eine der wichtigsten Kompetenzen des Reichspräsidenten gewesen ist, ist dessen Beziehung zur Reichswehr eine zentrale Frage. Bezeichnend für den Ansatz der gesamten Studie ist, wie ihr nachgegangen wird. Nicht mit einer leitenden Fragestellung und systematisch, sondern in einer breiten mit viel zu viel Bekanntem durchsetzten Darstellung des Ringens um die militärischen Bestimmungen des Versailler Vertrags und Eberts Rolle während und nach dem Kapp-Putsch. Dies unter anderem ein Grund, warum dieses Buch viel zu umfangreich geworden ist; ein anderer liegt darin, dass hier wie auch in den anderen Teilen zu viel Entbehrliches mitgeschleppt wird. Wenn nicht Umstände aus deren Leben Eberts Verhalten beeinflusst haben, dann ist es völlig überflüssig, die Biografie von fast jedem Mit- und Gegenspieler des Reichspräsidenten auszubreiten. Deutlich wird, in welch problematische Abhängigkeit die neuen Machthaber durch die zahlreichen Putsche und Aufstände der Anfangsjahre von der Reichswehr kamen. Doch bleibt der Leser mit der Frage allein, warum Ebert, obwohl er diese Problematik erkannte und besonders nach dem Putsch entschlossen war, gegen antirepublikanische Elemente vorzugehen, überraschend schnell zurücksteckte.

 

Für die Rechts- und Verfassungsgeschichte von besonderem Interesse ist Eberts Umgang mit dem Artikel 48 der Reichsverfassung, dem auch ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Da zur Zeit seiner Reichspräsidentschaft die „Ruhe und Ordnung“ im Deutschen Reich allzu oft gestört war, kam der Artikel unter ihm auch häufig zur Anwendung. Zunächst ging es dem neu gewählten Reichspräsidenten darum, gegenüber den mit ihm darin konkurrierenden Ländern (Art. 48,4) seine Kompetenzen zu wahren, eine möglichst kurze Geltungsdauer der Notverordnungen einzufordern und Herr des Verfahrens zu bleiben. Ein zu Recht herausgestrichenes Verdienst Eberts war es, dass er aufgrund heftigster Kritik vor allem aus den Reihen der Arbeiterschaft, den Einsatz der „bewaffneten Macht“ domestizierte, indem er die Militärkommissare durch vom Reichsinnenminister zu ernennende Zivilkommissare und die Standgerichte der Militärs durch „außerordentliche Gerichte“ der Justiz ersetzte. Vielleicht erscheint auch deshalb die Auseinandersetzung des Verfassers mit der doch sehr problematischen Ausdehnung der Notverordnungspraxis auf fiskalische, wirtschaftliche und sozialpolitische Materien vor allem in den Jahren 1923 und 1924 zu nachsichtig, weil die Motive des Reichspräsidenten dafür nicht ganz deutlich werden. Da hier die Notverordnungen, wenn auch gewiss überwiegend wegen des Versagens des Reichstags, eindeutig an die Stelle von Gesetzen traten, wurde ein problematischer Weg beschritten. Wie überhaupt die Macht, welche die Verfassung dem Reichspräsidenten im Notfall einräumte, für Ebert wohl die größte Bürde des Amtes war: Dass er rechtlich wie politisch die Aktionen des Militärs zu verantworten hatte, hat ihn wie nichts der Arbeiterschaft, aus der er selbst kam, und seiner Partei entfremdet.

 

Das eigentliche Thema des Buches ist Reichspräsident Ebert in der Reichspolitik. Da er hier verfassungsmäßig eine Schlüsselrolle bei der Regierungsbildung hatte, wird erneut lang und detailliert das Gerangel um Koalitionen vor Augen geführt, das schon so oft an anderer Stelle geschildert wurde. Das gilt mehr oder weniger auch für das Verhältnis des Reichspräsidenten zu den jeweiligen Reichsregierungen, wo einer intensiven Forschung kaum mehr als Aspekte hinzugefügt werden können. Erneut wird Mühlhausen über weite Strecken Opfer der zahlreich sprudelnden Quellen. Alle Beteiligten kommen zu Wort, auch wenn sie wenig oder gar nichts zur Erhellung der Vorgänge beitragen. So tritt die Darstellung oft mehr auf der Stelle als dass sie vorwärtsschreiten würde. Eine Reduktion um die Hälfte durch konsequente Konzentration auf die Rolle Eberts hätte diesen wie allen anderen Teilen gut getan.

 

Mühlhausens „Ebert“ erweist sich über weite Strecken als ein Werk des neuerdings immer mehr gerade in der Zeitgeschichte ausufernden Enzyklopädismus. Denn hier gibt es meist eher zu viel als zu wenig Quellen und die Forschung ist oft nicht weniger umfangreich. Die sich daraus ergebende und viel zu wenig beachtete methodische Folgerung lautet: strengste Konzentration auf das Thema und die sich aus ihm ergebenden Leitfragen, Übernahme der unentbehrlichen Forschungsergebnisse; alles andere kann als bekannt vorausgesetzt werden. Genau das wird in hier zu wenig beachtet.

 

Wenn darüber hinaus durchaus auch eine schwierige Quellenlage hinsichtlich der Persönlichkeit Eberts zu konzedieren ist, so liegt es aber nicht nur daran, sondern auch am misslungenen Ansatz, dass das Buch letztlich nicht überzeugt. Denn Mühlhausen bemüht sich kaum darum, hinter dem Amtsträger die Person, ihre Motive und Leitideen zu fassen; das wäre, mehr als es hier geschieht, durchaus möglich gewesen, wenn Äußerungen, Reden. Selbstaussagen und Charakterisierungen von Zeitgenossen daraufhin systematischer befragt worden wären und wenn Eberts Handlungen nicht nur nacherzählt, sondern vergleichend deren gemeinsame Motive herausgearbeitet worden wären. Was anstelle einer politischen Biografie vorgelegt wird, ist eine stark auf das Regierungshandeln reduzierte Geschichte der Anfangsjahre der Weimarer Republik mit dem Hauptdarsteller Friedrich Ebert. Das ist um so bedauerlicher als der stupende Fleiß, der in der Erschließung einer großen Zahl von Quellen und der Verarbeitung der Forschung zum Ausdruck kommt, Respekt verdient und Mühlhausen anschaulich und verständlich zu schreiben versteht.

 

Sicher wissen wir nun eine Menge mehr über den Reichspräsidenten Friedrich Ebert, doch die Konturen seines Bildes müssen nicht neu ausgezogen werden. Sie hat, auf ältere Einzelleistungen aufbauend, vor allem eine seit gut zwanzig Jahren rege Ebert-Forschung herausgearbeitet; um die sich vor allem die „Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte“ verdient gemacht hat, deren stellvertrender Geschäftsführer der Verfasser ist. Nicht von seiner Herkunft, wohl aber von seinem Habitus her verkörperte Ebert innerhalb der SPD das, was schon den Zeitgenossen, vor allem aus dem Ausland, an dieser Partei als Besonderheit aufgefallen war: das Preußische. Ebert war ein mit Vorliebe bürokratisch arbeitender und auf Effektivität bedachter Pflichtmensch, ordnungsliebend und nicht frei von Nationalismus wie obrigkeitsstaatlichen Wertvorstellungen. Zweifellos ein Demokrat von Gesinnung, für den der Erhalt dieser politischen Form das wohl entscheidende Motiv für seinen ihn letztlich verzehrenden Einsatz war. Dennoch vermisst man an ihm die während der elementaren Herausforderungen der Republik geforderte Entschiedenheit. Ein Mann, dies hat die Studie deutlich gemacht, der durchaus in der Lage war, das ihm anvertraute Amt auszufüllen, dessen Schicksal es aber war, dass dies in seiner Zeit nicht reichte.

 

Eichstätt                                                                                                         Karsten Ruppert