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Lilla, Joachim, Der Reichsrat. Vertretung der deutschen Länder bei Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs 1919-1934. Ein biographisches Handbuch, unter Einbeziehung des Bundesrates Nov. 1918-Febr. 1919 und des Staatenausschusses Febr.-Aug. 1919 (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 14). Droste, Düsseldorf 2006. 248, 375 S. Besprochen von Werner Schubert. ZRG GA 126 (2009)

Lilla, Joachim, Der Reichsrat. Vertretung der deutschen Länder bei Gesetzgebung und Verwaltung des Reichs 1919-1934. Ein biographisches Handbuch, unter Einbeziehung des Bundesrates Nov. 1918-Febr. 1919 und des Staatenausschusses Febr.-Aug. 1919 (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 14). Droste, Düsseldorf 2006. 248, 375 S. Besprochen von Werner Schubert.

 

Seit 1867 existiert eine Vertretungskörperschaft der deutschen Bundesstaaten bzw. Länder bei und gegenüber dem Reich oder dem Bund. Dies geschah bis Februar 1919 durch den Bundesrat, anschließend vom 11. 2. bis August 1919 (48 Sitzungen) durch den Staatenausschuss und von dieser Zeit an bis Februar 1934 durch den Reichsrat. Nach der Weimarer Verfassung bedurfte die Einbringung von Gesetzesvorlagen der Reichsregierung der Zustimmung des Reichsrats. Kam eine Übereinstimmung zwischen der Reichsregierung und dem Reichsrat nicht zustande, konnte die Reichsregierung die Vorlage gleichwohl einbringen, hatte hierbei aber die abweichende Auffassung des Reichsrats darzulegen. Gegen vom Reichstag beschlossene Gesetze konnte der Reichsrat Einspruch einlegen, der durch Zweidrittelmehrheit des Reichstags aufgehoben werden konnte (Art. 69 Abs. 1, 74 Abs. 1 WV). Wegen der Mitwirkung des Reichsrats an der regulären Gesetzgebung sind seine Beratungen im Plenum und in den Ausschüssen für die Rechtsgeschichte von nicht unerheblicher Bedeutung. Es ist deshalb zu begrüßen, dass mit dem Werk Lillas, von dem bereits Biographische Handbücher über die Mitglieder des Reichstags von 1933-1945 und des preußischen Staatsrats vorliegen, ein biographisches Handbuch zum Reichsrat seit dem Untergang des Kaiserreichs zur Verfügung steht. In der umfangreichen Einleitung geht Lilla zunächst auf den Bundesrat des Deutschen Reichs ein (S. 9*ff.), behandelt dann den Staatenausschuss, der die Interessen der Länder bis zum Inkrafttreten der Weimarer Verfassung vertrat (S. 15*ff.), und beschreibt schließlich die Zuständigkeiten des Reichsrats (S. 21*ff.), seine Konstituierung und Zusammensetzung (S. 27*ff.), die Geschäftsordnung und die Ausschüsse (S. 32*ff.) sowie die Tätigkeit des Reichsrats (S. 35*ff.). Ein besonderer Abschnitt ist der Entstehung des preußischen Gesetzes über die Bestellung von Mitgliedern des Reichsrats durch die Provinzverwaltungen vom 3. 6. 1921, die in der Stimmabgabe „frei waren“, gewidmet. Der Reichsrat wurde, nachdem das Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. 1. 1934 die Hoheitsrechte der Länder dem Reich übertragen und die Landesregierungen dem Reich unterstellt hatte, durch Gesetz vom 14. 2. 1934 aufgehoben. Die Aushöhlung der Befugnisse des Reichsrats hatte mit der Verlagerung der rechtsetzenden Tätigkeit auf den Reichspräsidenten seit 1930 bereits zu einer erheblichen Schmälerung der bisher ausgeübten Befugnisse des Reichsrats geführt. Nach dem Preußenschlag vom 20. Juli 1932 war die Berechtigung zur Beteiligung des Reichskommissars in Preußen und sonstiger Reichsbeauftragter an den Abstimmungen im Reichsrat höchst umstritten (S. 72*ff.). Es verdient hervorgehoben zu werden, dass die noch nicht gleichgeschalteten Landesregierungen die Befugnisse des Reichsrats gegenüber der Reichsregierung bis Anfang März 1933 offensiv verteidigten (vgl. hierzu die mutige Ansprache des Ministerialdirektors Brecht als stimmführender Stellvertreter Preußens am 2. 2. 1933 in Anwesenheit Hitlers, S. 76*f.). Knapp zwei Monate später erging das Ermächtigungsgesetz, das die Mitwirkungsrechte der Länder an der Gesetzgebung des Reichs beseitigte. Die Bevollmächtigten des Reichsrats, d. h. die Mitglieder der Landesregierungen wie auch die von den preußischen Provinzen bestellten Vertreter wurden sämtlich durch Nationalsozialisten ersetzt.

 

Nach der von Lilla aufgestellten Übersicht sind zwischen 1919 und 1932 über 1280 Gesetze ergangen, mit denen grundsätzlich auch der Reichsrat befasst war. Hinzu kommen noch die Gesetzesvorlagen, mit denen sich zwar der Reichsrat befasst hatte, die vom Reichstag jedoch nicht mehr verabschiedet wurden. Von rechtshistorischem Interesse sind vor allem der Entwurf zu einem neuen Strafgesetzbuch (einschließlich eines Einführungsgesetzes) und der Entwurf zu einem Unehelichengesetz von 1925, mit denen sich der Reichsrat ausführlich befasst hat. Gleiches gilt ferner u. a. für die Vergleichsordnung und das Arbeitsgerichtsgesetz. Die tatsächliche Arbeit im Reichsrat wurde von den stellvertretenden Bevollmächtigten des jeweiligen Landes geleistet, deren Zahl nicht begrenzt war. Hierzu gehörten auch Ministerialräte, Oberregierungsräte und Regierungsräte. Die Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung begann nicht erst mit den Beratungen in den Ausschüssen des Reichsrats, in denen im Übrigen die Hauptarbeit geleistet wurde, sondern oft schon in vorbereitenden Besprechungen der Reichsministerien mit den Vertretern aller oder der größeren Länder. Besonders eng war die Verbindung der preußischen mit der Ministerialbürokratie des Reichs. An den vorbereitenden Beratungen waren oft stellvertretende Reichsratsbevollmächtigte beteiligt. Nach dem darstellenden Teil bringt Lilla eine systematische Übersicht über die Bevollmächtigten und stellvertretenden Bevollmächtigten der einzelnen Länder (S. 87*ff.) und im Anhang die Gesetzestexte über die Grundlagen des Reichsrats und die Geschäftsordnungen. S. 239ff. sind die Bevollmächtigten aufgeführt, die der nationalsozialistischen Repression und Verfolgung unterlagen. Nach dem ersten Teil (einschließlich der Anlagen) folgt S. 1-349 die Biographische Dokumentation, die 819 Personen umfasst. Von besonderem Interesse für den Rechtshistoriker sind die Kurzbiographien der Mitglieder des Ausschusses für Rechtspflege und der stellvertretenden Bevollmächtigten der jeweiligen Justizministerien. Beispielsweise werden die Juristen biographisch erschlossen, die an den umfangreichen Beratungen über den Entwurf zu einem Strafgesetzbuch von 1925 in den Jahren 1926/27 teilgenommen haben (hierzu die Quellen bei W. Schubert, Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts, I. Abt., Bd. 2, Berlin 1998). Beispielsweise finden sich im vorliegenden Band erstmals detaillierte Daten über den einflussreichen preußischen Strafrechtsreferenten Ministerialrat Hermann Lucas (S. 184). Sehr hilfreich für die Gesetzgebungsgeschichte der frühen NS-Zeit sind die Kurzbiographien der nationalsozialistischen Reichsratsmitglieder von 1933/34, über welche Daten bisher oft nur mit großer Mühe zu erlangen waren. Leider enthält das Werk keine näheren Hinweise auf die Arbeiten der Ausschüsse und Quellen über die Beratungen in den Ausschüssen und im Plenum; über Letztere liegen nur die sehr knapp gehaltenen „Niederschriften“ vor, die in der Regel nur die Erklärungen von Bevollmächtigten und die Beratungsergebnisse bringen. Die Ausschussberatungen sind anders als die Beratungen der Reichstagsausschüsse, überhaupt nicht amtlich protokolliert worden. Ausnahmsweise, etwa für die Beratungen des Strafgesetzbuch-Entwurfs im Rechtspflegeausschuss, liegen Niederschriften des Reichsjustizministeriums vor. Darüber hinaus existieren besonders im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München zahlreiche Berichte der bayerischen Bevollmächtigten über die Ausschuss- und Plenarberatungen. Insgesamt ist also die Forschung hinsichtlich detaillierter Informationen über die Inhalte der Arbeit des Reichsrats auf die archivalische Überlieferung angewiesen. Mit dem Handbuch Lillas über den Reichsrat liegt ein für die Gesetzgebungsgeschichte der Weimarer Zeit wichtiges Werk vor. Von noch größerer Wichtigkeit wird das Handbuch des Bundesrates von 1867 bis 1919 sein, das Lilla gegenwärtig vorbereitet. Dieses wird u. a. die an den grundlegenden Kodifikationen und Gesetzen der Kaiserzeit von Seiten der Bundesstaaten beteiligten Juristen erstmals biographisch vollständig erschließen.

 

Kiel

Werner Schubert