Heimann, Heinz-Dieter, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 2. Auflage (= UTB 1957). Ulmer, Stuttgart 2006. 304 S. Besprochen von Reinhard Schartl. ZRG GA 126 (2009)
Heimann, Heinz-Dieter, Einführung in die Geschichte des Mittelalters, 2. Auflage (= UTB 1957). Ulmer, Stuttgart 2006. 304 S. Besprochen von Reinhard Schartl.
Der Verfasser, der an der Universität Potsdam Mittelalterliche Geschichte lehrt, wendet sich mit seiner Einführung an Studierende und Fachinteressenten. Er will, wie es im Vorwort heißt, „in der Absicht einer epochenspezifischen Orientierung in Grundzügen über Probleme und Prozesse der Geschichte des Mittelalters mit Blick auf deutsche wie europäische Entwicklungen informieren“.
Das kleine Werk gliedert sich in vier Kapitel, von denen das erste unter der Überschrift „Mittelalter – Mittelalterliche Geschichte: Zeiten – Räume – Horizonte“ Mittelaltervorstellungen und Konzeptionen der Historiographie darstellt. Ausführlich behandelt der Verfasser hier unter anderem die unterschiedlichen Ansätze zur Epochenbildung der historischen Entwicklung. Deren Anfänge gehen in das 14. Jahrhundert zurück, als namentlich die Italiener Petrarca und Colonna eine Zweiteilung in eine alte und eine neue Zeit vornahmen. In der Folge setzte sich seit dem Humanismus jedoch eine Zeitentrias durch. Wie Heimann zu den Abgrenzungen des Mittelalters zur Antike einerseits und zur Neuzeit andererseits darstellt, sehe die Forschung heute ein Ursachenbündel von Gründen für den Umbruch der Spätantike zum Frühmittelalter, die aus Sicht der Althistoriker eher in einer weitgreifenden Krise der antiken Monarchie, Verwaltung, Wirtschaft und Religion, für die Mittelalterhistoriker mehr in der Ausbreitung des Christentums und in neuen Herrschaftsbildungen aus den Behauptungen der Germanen liegen. Die Epochendaten werden demgemäß zwischen dem Mailänder Toleranzedikt (313), der Anerkennung des Christentums als neue Reichsreligion, dem Ende des weströmischen Reiches (476) oder Mohammeds Hedschra (622) gesetzt. Als nicht weniger problematisch erweist sich der Übergang des mit dem „langen“ 15. Jahrhundert (Beginn des abendländischen Schismas 1378 bis zum Beginn der Reformation 1517) endenden Mittelalters zur Neuzeit. Das zweite Kapitel stellt unter der Überschrift „Leitbegriffe, Kategorien und systematische Zugänge“ neben Begriffen wie Renaissance, ständische Gesellschaftsordnung, Geschlecht, Krisen, Technik und Fortschritt sowie Migration/Mobilität auch den Bereich Feudalismus/Lehenswesen vor. Der Autor fasst hier die Kritik an Methode und Sichtweise Otto Brunners von „Land und Herrschaft“ zusammen, die auf dem Boden liberaler Begriffe von Staat und Gesellschaft differenzierter über die Bedeutung personaler Beziehungen, der Besitzverhältnisse, von Kriegsdienstpflichten und Herrschaftsrechten urteile. Heimann weist in diesem Abschnitt auch darauf hin, dass die Verrechtlichung der Beziehung zwischen dem durch den Lehenseid gebundenen Lehennehmer und dem Lehensherrn in Leiheverträgen die Grundlage des in den Libri feudorum und im Sachsenspiegel aufgezeichneten Lehensrechts bildete. In dem mit 157 Seiten umfangreichsten dritten Kapitel behandelt die Einführung unter der Überschrift „Faktoren, Tendenzen und Zusammenhänge der Geschichte des Mittelalters“ sechs zentrale Themen. Der erste Abschnitt „Bevölkerungs- und siedlungsgeschichtliche Grundlagen“ spricht unter anderem Aspekte des Ehe- und Erbrechts an und erklärt ausführlicher die Grundherrschaft als eine Grundform der feudalen Herrschaft, „in der Abhängige („Hörige“, „Hintersassen“ u. a.) in einer rechtlichen, dienstlichen, wirtschaftlichen und zeitlich unterschiedlich befristeten Beziehung zu einem König oder anderen weltlichen oder geistlichen Herren standen, der insoweit das Obereigentum gegenüber einem Nutzungsrecht der Abhängigen in Anspruch nahm“. Der zweite Abschnitt handelt von der „Politische(n) Ordnung und Organisationseinheiten“. Hier fasst der Autor die Entstehung der mittelalterlichen Verfassung zusammen und weist darauf hin, dass die mittelalterliche Rechtsgeschichte nicht ausschließlich im nationalen Rahmen erwuchs, sondern „das Recht in einem vielförmigen Austausch von Rechtsideen und Institutionen zu Konstitutionen in nationalen Bezugsrahmen“ gefunden habe. Damit wird zutreffend herausgestellt, dass die mittelalterlichen Rechtsordnungen aus unterschiedlichen Quellen gespeist wurden, wenngleich – wie Heimann ebenfalls erwähnt – die mittelalterliche Rechtstheorie Recht als göttlich verstand, das heißt allein auf Gott zurückführte. Hier zitiert er auch die bekannte Sachsenspiegelstelle: „Gott ist selber Recht, darum ist ihm Recht lieb“. Ein weiteres Thema dieses Abschnitts bildet die Reichsverfassung, wobei Heimann Inhalt und Tragweite der Königsherrschaft einerseits beschreibt als Resultat aus Rechtsansprüchen wie Heerbann, Gerichtsbann, Hoheit über die Kirche und Regaliennutzung, an anderer Stelle als Resultat aus der Fähigkeit, geographische Räume zu überbrücken, Präsenz zu organisieren und Interessen im Konsens durchzusetzen. Näher vorgestellt werden beispielsweise die Königswahl und das Verhältnis des Königs zu Adel und Reichsministerialität mit Blick auf die Unterschiede zu England und Frankreich. Der dritte Abschnitt zeigt detailreich die Entwicklung von mündlicher zu schriftlicher Kultur, wobei auch die anhaltende Praxis der Mündlichkeit in Gerichtsverfahren Erwähnung findet. Interessant ist Heimanns Sicht, dass Rechtsbücher in der Wechselseitigkeit zwischen Text und darauf bezogener Illustration den Übergang von oraler Kommunikation zu schriftlicher Dokumentation zeigen. Ebenso einleuchtend bewertet er, dass die kommunalen Verwaltungen zunächst und bis zum späteren 15. Jahrhundert den landesherrlichen Kanzleien überlegen waren. Die Erfindung des Buchdrucks wird allerdings nur kurz erwähnt. Breiten Raum nimmt im vierten Abschnitt die Forschung zu Städtewesen und Gemeinden ein. Hier erinnert Heimann unter anderem daran, dass Karl Beseler und Otto von Gierke das Genossenschaftswesen ins Zentrum der Verfassungsgeschichte der mittelalterlichen Stadt rückten. Neben einer Darstellung unterschiedlicher Gründungsepochen (römische Siedlungen an Rhein und Donau, Niederlassungen bei karolingischen Pfalzorten, Klöstern und Burgen, Handelsniederlassungen des Fernhandels, Städtegründungen des Hoch- und Spätmittelalters) widmet sich die Einführung dem Stadtrecht, dessen älteste Vorstufe und Wurzel nach Hans Planitz das Kaufmannsrecht war. Als wesentlichen Entwicklungsfaktor nennt der Verfasser die Gründungsprivilegien und beschreibt beispielhaft die Privilegien für Freiburg im Breisgau (1120) und Soest. Dass die coniuratio als eidlicher Schwurverband die prägendste Quelle der Stadtgemeindebildung gewesen sei, wie es Planitz vertreten hatte, gelte heute nur noch eingeschränkt. Der fünfte Abschnitt ist den wirtschaftshistorischen Themen Gewerbe – Handel – Ressourcen gewidmet, wobei Hansen und Messen eingehender angesprochen werden. Zu Recht nehmen als sechster Abschnitt die für alle Bereiche des mittelalterlichen Lebens grundlegenden Institutionen Kirche – Papsttum – Religion mit 36 Seiten den breitesten Raum ein. In einem Gang durch die Geschichte von Christianisierung und Kirche (unter Hervorhebung von Missionierung, Investiturstreit, morgenländischem und abendländischem Schisma, Konzilien) kommen unter anderem die Sachsenspiegelversion der Zwei-Schwerter-Lehre sowie die „Kodifikation“ des kanonischen Rechts (Decretum Gratiani und Corpus Iuris Canonici) zur Sprache. Heimann weist ferner darauf hin, dass das Kirchenrecht neben dem römischen Recht die zweite Säule der im 12. Jahrhundert aufblühenden Rechtswissenschaft war. Während das Klosterwesen ausführlicher vorgestellt wird, verzichtet der Verfasser auf eine zusammenhängende Darstellung der Kreuzzüge. Der Abschnitt schließt mit einem Blick auf die Ausgrenzung und Bekämpfung religiöser Minderheiten, in erster Linie der Juden (Brunnenvergiftungs- und Ritualmordvorwürfe), und zeigt in Kürze, dass die Vorstellung von einem schlicht „christlichen Mittelalters“ inzwischen als antiquiert gelte. Das vierte Kapitel ist mit „Neue Inhalte in neuen Medien“ überschrieben und geht unter anderem auf die Mittelalterarchäologie, die Nutzung elektronischer Hilfsmittel zur Geschichtsforschung und die Popularisierung mittelalterlicher Motive ein.
Heimann gelingt es, auf dem begrenzten Raum einer Einführung eine schwerlich zu überbietende Vielzahl von Einzelthemen anzusprechen. Dass er auch dabei noch Schwerpunkte setzen muss und nur eine Auswahl von Gegenständen eingehender darzustellen vermag, kann nicht ausbleiben. Die Lektüre verlangt vom Leser vor allem in den ersten beiden Kapiteln nicht unerhebliche Vorkenntnisse, um die zum Teil recht abstrakten Ausführungen nachvollziehen zu können. Von den Bedeutungen des Begriffs „Geschichte“ als Geschehnis, Darstellung des Geschehenen und Geschichtswissenschaft ist der Buchtitel „Einführung in die Geschichte des Mittelalters“ nicht nur im Sinne einer Geschichtsdarstellung, sondern vor allem als Einführung in die mediävistische Wissenschaft zu verstehen. Dazu referiert und kommentiert der Autor an vielen Stellen knapp wichtige wissenschaftliche Thesen und nennt ihre Vertreter. Insgesamt spricht der Verfasser die bedeutsamsten historischen Teilgebiete an, wie politische Geschichte, Wirtschaftsgeschichte, Sozialgeschichte oder Kirchengeschichte, nicht minder aber die in dieser Besprechung in den Vordergrund gestellte Rechtsgeschichte. Er erwähnt daneben einige Details der Kunstgeschichte (etwa den Teppich von Bayeux mit Abbildung auf Seite 50 oder Buchillustrationen, zum Beispiel des Sachsenspiegels mit Abbildung auf Seite 119), der Medizingeschichte (wie Lebenserwartung, Seuchen) oder der Technikgeschichte, wo er nicht nur den Bergbau anspricht, sondern auch die zunächst überraschende These Lewis Mumfords rechtfertigt, dass nicht die Dampfmaschine im 19. Jahrhundert, sondern die im 14. Jahrhundert verbesserte Uhr den Schlüssel der modernen technischen Welt darstelle. Heimann zeigt aber auch auf, dass sich einige geschichtliche Phänomene nicht ohne weiteres in eine überkommene Systematik einordnen lassen. So zitiert er Heinz Stoob, der von einer „geradezu ausweglose(n) Vieldeutigkeit“ des Stadtbegriffs sprach, Michael Borgolte, für den die Kirche im Mittelalter „ein völlig unübersehbarer Komplex, an dem alle Definitionsversuche scheitern“, darstellt, oder Volker Henn, nach dem sich die Hanse mit nachträglich entwickelten staatsrechtlichen Kriterien schwerlich befriedigend erfassen lasse. Die Einführung wird durch 36 Abbildungen (beispielsweise eine Karte der europäischen Universitätsgründungen oder mehrere Stadtgrundrisse) sowie durch ein Literaturverzeichnis ergänzt, das sich auf das neueste Schrifttum konzentriert. Ein kurzes Stichwortregister hilft bei der Erschließung des Werkes.
Bad Nauheim Reinhard Schartl