Ein Staatsstreich? Die Reichsexekution gegen Preußen („Preußenschlag“) vom 20. Juli 1932 und die Folgen. Darstellungen und Dokumente, red. Weiduschat, Gerhard. Bundesrat, Berlin 2007 167 S. Besprochen von Wolfgang Pöggeler. ZRG GA 126 (2009)
Ein Staatsstreich? Die Reichsexekution gegen Preußen („Preußenschlag“) vom 20. Juli 1932 und die Folgen. Darstellungen und Dokumente, red. Weiduschat, Gerhard. Bundesrat, Berlin 2007 167 S. Besprochen von Wolfgang Pöggeler.
Die europäische Großmacht Preußen ist heute vollständig in der Geschichte versunken, aber dennoch weiterhin Gegenstand des historischen Interesses. Seine Liebhaber sehen eine kontinuierliche territoriale Expansion verbunden mit der Idee einer effektiven, sparsamen und korruptionsfreien Verwaltung, mit religiöser Toleranz, Gewerbefleiß und Aufklärung, mit der Humboldtschen Universität und einer spezifischen Ästhetik (Schinkel, Lenné usw.).
Die Geschichte Preußens zu erzählen, müsste spätestens im 17. Jahrhundert beginnen. Das Ende dieses bemerkenswerten Staates ist nicht erst mit dem Jahr 1947 gekennzeichnet, als die Siegermächte Preußen „auflösten“. Den Anfang vom Ende markiert das Jahr 1871 mit dem Zusammenschluss der deutschen Einzelstaaten ohne Österreich zum Deutschen Reich. Und das Ende vom Ende Preußens war cum grano salis der 20. Juli 1932, der Tag des Preußenschlags.
An diesem Tage wurde der rechtskonservative Reichskanzler von Papen durch Verordnung des Reichspräsidenten von Hindenburg zum Reichskommissar für das Land Preußen bestellt - formal mehr schlecht als recht gestützt auf Art. 48 der Weimarer Reichsverfassung. Papens erste Amtshandlung bestand darin, den SPD-Ministerpräsidenten Braun und den preußischen Innenminister Severing ihrer Ämter zu entheben. Papen selbst übernahm die Dienstgeschäfte des Ministerpräsidenten. Die Verfassungsmäßigkeit dieses unerhörten Vorgehens war im Herbst 1932 Gegenstand eines berühmten Prozesses vor dem Staatsgerichtshof, ist aber weder dort, noch an anderer Stelle überzeugend dargelegt worden. Im Prozess standen sich unter anderem Gerhard Anschütz und Carl Schmitt gegenüber.
Das hier zu besprechende Buch, das auf Betreiben des Deutschen Bundesrates entstand, enthält zwei profunde Aufsätze, die den Preußenschlag zum Gegenstand haben; darüber hinaus eine Sammlung aus Quellen und Sekundärliteratur. Das Buch bietet eine Gelegenheit, sich mit geringem zeitlichen Aufwand mit dem skandalösen Ereignis, dem historischen Kontext und dem Forschungsstand vertraut zu machen.
Der erste Aufsatz stammt aus der Feder Eberhard Kolbs. Es geht es um die Frage, ob am 20. Juli 1932 militante Widerstandshandlungen der demokratischen Kräfte (SPD, Zentrum, Gewerkschaften usw.) gegen das Vorgehen der Reichsregierung möglich und verantwortbar gewesen wären. Den zweiten Aufsatz steuert Rudolf Morsey bei. Auch er fragt nach den Gründen für die Passivität der demokratischen Kräfte. Er beginnt mit einem provokanten Diktum Konrad Adenauers, der aus der ex post-Perspektive sogar einen unmittelbaren historischen Zusammenhang der Gleichschaltung Preußens mit der Machtergreifung Hitlers behauptete und das Verhalten Brauns und Severings als „feige“ bezeichnete: „Mit ihrer Polizei hätten sie den Staatsstreich von Papens im Sommer 1932 doch niederschlagen können und müssen“. Die Historiker Kolb und Morsey kommen dagegen zu deutlich differenzierteren und milderen Urteilen als der Zeitzeuge Adenauer. In ihren Darstellungen wird das politische, ökonomische und kulturelle Chaos der ausgehenden Weimarer Republik lebendig. Als Gutenacht-Lektüre ist das Buch also völlig ungeeignet, ansonsten sehr zu empfehlen.
Berlin und Nemesnádudvar Wolfgang Pöggeler