Aktienrecht im Wandel, hg. v. Bayer, Walter/Habersack, Mathias, Band 1 Entwicklung des Aktienrechts, Band 2 Grundsatzfragen des Aktienrechts. Mohr (Siebeck), Tübingen 2007. V, 1153, VI, 1288 S. Besprochen von Werner Schubert. ZRG GA 126 (2009) 89. ZRG GA 126 (2009)
Aktienrecht im Wandel, hg. v. Bayer, Walter/Habersack, Mathias, Band 1 Entwicklung des Aktienrechts, Band 2 Grundsatzfragen des Aktienrechts. Mohr (Siebeck), Tübingen 2007. V, 1153, VI, 1288 S. Besprochen von Werner Schubert.
Das zweihundertjährige Jubiläum des Code de commerce, der in Teilen Deutschlands galt und das Aktienrecht erstmals kodifizierte, war für die Herausgeber Bayer und Habersack Anlass, die 200jährige Geschichte des deutschen Aktienrechts zusammen mit 44 Aktienrechtlern und Rechtshistorikern umfassend aufzuarbeiten. In Band 1 wird die Entwicklung des Aktienrechts chronologisch nachgezeichnet, während in Band 2 die wichtigsten Teilaspekte im Stil einer Institutionengeschichte behandelt werden. Im ersten Beitrag des ersten Bandes befasst sich Cordes mit den Zielen, Bedingungen und Hilfsmitteln der Beschäftigung mit der Frühphase des Aktienrechts, d. h. der Zeit der Handelscompagnien des 17. und 18. Jahrhunderts. Nach Cordes kann es dabei nur um eine selbstständige Erfassung der Handelscompagnien als Voraussetzung für einen Vergleich mit dem späteren Aktienrecht gehen (S. 6). Die rechtliche Struktur der Handelscompagnien wird S. 14ff. von Jahntz unter den Stichworten Gründung/Aufhebung, Kapital/Beteiligungsformen und Organisation/Leitung beschrieben. In ihrem Beitrag über die Geschichte der Aktiengesellschaft in Frankreich bis zum Code de commerce stellen E. Rothweiler und St. Geyer fest (S. 23ff.), dass der Begriff société anonyme, den der Gesetzgeber des Code de commerce als Bezeichnung für die Aktiengesellschaft gewählt hatte, auf eine gesellschaftliche Praxis des 17. und 18. Jahrhunderts verwies, die mit den Kapitalgesellschaften nichts zu tun hatte. Die Verfasser des Code de commerce waren sich darüber einig gewesen, dass es sich bei der Aktiengesellschaft um ein neues Phänomen handle, das man zunächst noch nicht im Detail regeln sollte (S. 38ff.). Auch wenn der Code de commerce die Erwartungen, die an ein modernes Handelsgesetzbuch zu stellen waren, nur zum Teil erfüllte, markierten die 12 aktienrechtlichen Artikel dieser Kodifikation einen der wichtigsten Wendepunkte in der Aktienrechtsgeschichte und wurden zur „primären Vorlage für alle nachfolgenden Gesetze“ (S. 47f., 97), so A. Deutsch in seinem Beitrag über die Aktiengesellschaft im Code de commerce und ihre Vorbildfunktion für die deutsche Entwicklung (S. 46ff.). Aufschlussreich ist die breite Analyse der Handhabung des französischen Aktienrechts unter Berücksichtigung der Konzessionspraxis und der hierzu ergangenen Ministerialerlasse. Die deutsche Rezeptionsgeschichte (S. 91ff.) ist zumindest für Rheinpreußen etwas knapp behandelt. Die weitere Entwicklung bis zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 wird im Wesentlichen von E. Kießling in drei Einzelbeiträgen beschrieben, wenn man von der Abhandlung von Chr. Bergfeld über die aktienrechtlichen Vorhaben vor dem ADHGB (in Sachsen, Württemberg, Nassau, Hamburg; Frankfurter Kommissionsentwurf von 1849; S. 168ff.) absieht. Kießling stellt zunächst den Eisenbahnbau und die beginnende Industrialisierung als Katalysatoren der Entwicklung des Aktienrechts heraus (S. 98ff.). Es folgen zwei umfangreiche Abschnitte über das preußische Eisenbahngesetz von 1838 und dessen aktienrechtliche Regelungen (hierzu auch W. Schubert, ZRG GA, Bd. 116 [1999], S. 152ff.) und zum bahnbrechenden preußischen Aktiengesetz von 1843 (S. 126ff., 193ff.). Während in Frankreich von Anfang an Einigkeit darüber bestand, dass die Aktiengesellschaft eine eigenständige juristische Person darstellte (Deutsch, S. 74ff.), war dies in der deutschen Kodifikationsgeschichte und Rechtslehre lange umstritten. Kießling analysiert hierzu insbesondere die Stellungnahme Savignys und des preußischen Staatsrats, die in der Aktiengesellschaft wohl eine juristische Person sahen (S. 206f.), ohne dass dies allerdings im Gesetz von 1843 (wie auch später nicht im ADHGB) zum Ausdruck kam. Das Gesetz von 1843 stellte die erste umfassende Regelung des Aktienrechts in Deutschland dar und beeinflusste über den preußischen HGB-Entwurf von 1857 insbesondere das Aktienrecht des ADHGB. Mit letzterem befasst sich L. Pahlow sehr quellennah unter den Stichworten Aktiengesellschaft als juristische Person, Verhältnis der Gesellschaft zum Staat, Schutz des Grundkapitals und Verfassung der AG (Generalversammlung und Aufsichtsrat). Obwohl der Aufsichtsrat lediglich fakultativ ausgestaltet war, ebnete damit das ADHGB den Weg für die dreistufige Verfassung der Aktiengesellschaft (S. 269f.). Th. Bühler stellt in seinem Beitrag über die Aktiengesellschaft in den kantonalen Gesetzgebungen bis zum alten Obligationenrecht 1881-1883 (S. 287ff.) fest, dass meist die Regelungen des Code de commerce rezipiert bzw. weiterentwickelt worden seien. Leider ist das Aktienrecht des Obligationenrechts nicht mehr berücksichtigt, das für den deutschen Gesetzgeber von 1884 nicht ohne Bedeutung war. Es fehlt auch ein Beitrag über die Entwicklung des Aktienrechts in Österreich zumindest bis 1884, dessen Aktienrecht bzw. Gesetzentwürfe für den Gesetzgeber von 1884 ebenfalls von Interesse waren (vgl. S. Kalss/Chr. Burger/G. Eckert, Die Entwicklung des österreichischen Aktienrechts, Wien 2003, S. 186ff.).
„Auf dem Weg der Aktiengesellschaft aus der Umklammerung der Staatsgewalt hin zu einer selbstständigen privatrechtlichen Korporation“ (S. 386) bildete, so J. Lieder, Verfasser einer wichtigen Arbeit über den Aufsichtsrat im Wandel der Zeit (Jena 2006) in seinem Beitrag über die Aktienrechtsnovelle von 1870 (S. 318ff.), „die 1. Aktienrechtsnovelle eine einzigartige Leistung.“ Mit der Einführung des Aufsichtsrats als obligatorischem Organ wurde das dualistische Verwaltungssystem zwingend. Neuland betrat der Gesetzgeber mit der breiten Einführung von Normativbestimmungen, die allerdings erst der Gesetzgeber von 1884 konsequent zu Ende dachte. Dessen Arbeiten – das Aktiengesetz von 1884 – sind Gegenstand des Beitrags von S. Hofer. Nach Hofer entschied sich der Gesetzgeber trotz der Missbräuche, zu der die Vertragsfreiheit in der Gründerzeit (hierzu u. a. auch R. Ogorek, ZHR 150 [1986], S. 87ff.) geführt hatte, nicht für ein Staatshilfemodell, sondern für das Prinzip der Selbsthilfe (Informationsmodell). Allerdings sei dies „nicht mit letzter Konsequenz“ geschehen (S. 414), so dass man insoweit von einem Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Konzeptionen sprechen kann. Insgesamt erscheint der Beitrag Hofers auch im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber mit den zahlreichen restriktiven Regelungen einen deutschen Sonderweg eingeschlagen haben dürfte (hierzu A. M. Fleckner, S. 1007), zu wenig detailliert. Insoweit lässt der Beitrag Pahlows über das Aktienrecht im HGB von 1897 keine Wünsche offen (S. 415 ff.). Mit Recht weist Pahlow darauf hin, dass das Aktienrecht des HGB (mit immerhin 145 Änderungen) keine bloße Kopie des Aktienrechts von 1870/84 sei, sondern ihm vielmehr eine eigenständige Bedeutung zukomme. Schwerpunkte der Diskussion waren der Schutz der Aktionäre und Gläubiger durch eine stärkere Transparenz, die Abkehr von der Beschränkung des Aktionärs auf Leistung einer Kapitalanlage und die Frage der staatlichen Eingriffsbefugnisse. – G. Spindler erörtert in seinem umfangreichen Beitrag (S. 440-569) über die aktienrechtliche Diskussion in der Weimarer Republik als zentrale Aspekte die Kriegsfolgen, Konzernbildung und die Machtfrage. Im Mittelpunkt stehen die Reformanstöße des 34. Deutschen Juristentags und der Wirtschaftsenquete sowie die Aktiengesetzentwürfe von 1930/31 und die Entstehung des Konzernrechts. Das Kapitel über das Notverordnungsrecht von 1931 (u. a. Einführung der Pflichtprüfung) stammt von S. Engelke und R. Maltschew, letztere Verfasserin einer Arbeit über den Rückerwerb von eigenen Aktien (S. 570ff.). W. Bayer und S. Engelke behandeln die Revision des Aktienrechts durch das Aktiengesetz von 1937, das die Grundlage für das Aktiengesetz von 1965 wurde. Bayer/Engelke arbeiten heraus, dass insbesondere unter dem Einfluss des Wirtschaftsministers Schacht die Vorlagen zum Aktiengesetz sukzessive ihrer immerhin nur noch wenigen nationalsozialistischen Ideologiebezüge entkleidet worden seien (S. 642ff.). Nicht ohne Grund sei das Aktiengesetz, so zitieren die Verfasser W. Schmidt/Mayer-Landrut ein „wohldurchdacht, technisch und sprachlich auf großer Höhe stehendes Gesetzeswerk“. (S. 669). Hierzu ist anzumerken, dass weite Passagen und Inhalte des Gesetzes auf den Vorarbeiten der Weimarer Zeit beruhen, an denen auch herausragende jüdische Aktienrechtler beteiligt waren (z. B. M. Hackenburg, A. Pinner, J. Flechtheim). Eine eigene, auf den ministeriellen und parlamentarischen Materialien beruhende Monographie mit über 200 Seiten (S. 670-888) bildet der Abschnitt D. Kropffs, eines der Referenten des Aktiengesetzes im Bundesministerium der Justiz (vgl. S. 723), über die Reformbestrebungen im Nachkriegsdeutschland und die Aktienrechtsreform von 1965. Kropff behandelt zunächst die „Wortführer der Reformdiskussion“ (Denkschriften und Stellungnahmen der Verbände und der Studienkommissionen des Deutschen Juristentages) und kommt dann zu den im Vordergrund stehenden Reformanliegen und zum (äußeren) Ablauf der Reform (S. 720ff.) mit Hinweisen auf die Organisation und Zuständigkeit in den Ministerien, die handelnden Personen (zur Bedeutung Geßlers ferner S. 886f.) und zur räumlichen Situation. Im Abschnitt über die Hauptstreitpunkte der Reform wird „das politische Kräftespiel und das Verfahren beim Zustandekommen der Entscheidungen“ (S. 766, Fn. 512) dargestellt. Im Einzelnen behandelt Kropff die Aktien ohne Nennbetrag, die Mehrstimmrechtsaktien, die Mitteilungspflicht (wechselseitige Beteiligung), das Depotstimmrecht der Banken, die Kompetenz zur Bildung von offenen Rücklagen, die stillen Reserven, die Substanzerhaltungsrücklage sowie die faktischen Konzernverhältnisse. Die folgenden Abschnitte befassen sich mit der „Modernisierung und Weiterentwicklung des Aktiengesetzes und des Aktienrechts von 1965 bis zur Gegenwart“ (Beiträge von M. Habersack/J. Schürnbrand und W. Bayer/J. Schmidt). Abschließend bringt A. M. Fleckner eine tabellarische Übersicht über die Quellen zu den behandelten Gesetzen und Änderungsübersichten für die Gesetze von 1937 und 1965 (S. 1027ff.). Unter der Überschrift „Konzeptionelle Grundlagen“ (S. 1000ff.) entwickelt Fleckner Fragestellungen, die für eine „nähere Untersuchung des Entstehungsprozesses von Aktienrecht aussichtsreich“ sein könnten (S. 1000). Wichtig erscheint der Hinweis auf die Erkenntnisquellen (S. 1010ff.). In diesem Zusammenhang wäre es interessant zu erfahren, welchen Einfluss die englische und französische Aktiengesetzgebung der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts auf die Aktiengesetznovellen von 1870 und 1884 gehabt hatten (vgl. auch S. 1013).
Hinsichtlich des zweiten Bandes – Teilaspekte des Aktienrechts – ging die Vorstellung der Herausgeber dahin, „dass die jeweilige Thematik vom Standpunkt des aktuellen Betrachters rückblickend analysiert wird und die hierbei gewonnenen Erkenntnisse für die Bewertung der lex lata fruchtbar gemacht werden; ein Ausblick in die Zukunft soll das Bild abrunden“ (S. V). Hieran haben sich die meisten Autoren, allerdings in unterschiedlichem Umfang, im Wesentlichen gehalten. Am wenigsten Anlass zu rechtshistorischen Analysen boten die Beiträge des Abschnitts über die „Grundlagen“ (M. Henssler/H. Wiedemann, St. Grundmann/F. Möslein, P. Ulmer und J. Oechsler). Der Band 2 enthält ferner Abschnitte über die Gründung der Aktiengesellschaft (C. Schäfer/K. Jahntz), die Organisationsverfassung (Vorstand, Aufsichtsrat, Hauptversammlung, Beschlussfassung, Aktien, Informationsrecht, Treupflicht, Aktionärsklagen, Abschlussprüfer; Beiträge von U. Hüffer, M. Lutter, H. Fleischer, W. Zöllner, U. Noack, D. A. Verse, Th. Raiser und M. Habersack), die Finanzverfassung (W. Bayer, A. Cahn, H. Hirte, W. Schön/Chr. Osterloh-Konrad, Th. Baums) und über Strukturveränderungen (G. Spindler, H. Altmeppen, R. Veil, U. Ehricke/J. P. Rotstegge), die Kommanditgesellschaft auf Aktien (K. Schmidt) und über das Steuerrecht der Aktiengesellschaft (A. Hüttemann). Aufschlussreich wäre noch ein Beitrag über das Verhältnis des Aktienrechts zum Recht der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (und umgekehrt) gewesen, die 1892 als Reaktion auf das restriktive Aktienrecht von 1884 geschaffen wurde (vgl. Umwandlungsrecht des GmbHG von 1892 Veil, S. 1067f.). Ein Großteil der Autoren hat die historische Entwicklung einbezogen, besonders prägnant Schäfer/Jahntz und Bayer (Kapitalaufbringung und Kapitalschutz). Hervorgehoben sei der konsequent entwicklungsgeschichtlich angelegte Beitrag M. Lutters über den Aufsichtsrat im Wandel der Zeit (S. 389ff.), der zugleich einen zusammenfassenden Beitrag über das duale Verwaltungssystem des deutschen Aktienrechts darstellt. Ferner sei noch hingewiesen auf den Beitrag K. Schmidts „150 Jahre Kommanditgesellschaft auf Aktien: Balanceakte eines Sonderlings“ (S. 1188), der u. a. ähnlich wie Pahlow auf die nicht geringe Bedeutung des HGB von 1897 hinweist. Insgesamt verdeutlichen die Beiträge die Kontinuitätslinien, aber auch die Richtungsänderungen, denen das deutsche Aktienrecht insbesondere mit den Gesetzen von 1870/84 und von 1931/37 unterlag. Fast alle Beiträge, soweit sie auf das Aktienrecht aus der Zeit vor 1945 eingehen, stellen die oft richtungsweisende Judikatur des Reichsgerichts für die Zeit bis zum Inkrafttreten des Aktiengesetzes heraus.
Auch wenn das Werk eine Gesamtdarstellung der Geschichte des deutschen Aktienrechts insbesondere des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts durch einen einzigen Autor nicht ganz ersetzen kann, so vermitteln gleichwohl die Einzelbeiträge in ihrer Gesamtheit ein sehr geschlossenes Bild der aktienrechtlichen Entwicklung und Praxis der letzten zwei Jahrhunderte. Manche Forschungslücken konnten geschlossen und lange tradierte Sichtweisen unter anderen Kriterien bzw. Blickwinkeln beleuchtet werden. Zu nennen ist hier die Novelle von 1870 und das HGB von 1897, der Beitrag über die französische Aktienrechtspraxis nach 1807 und die Herausarbeitung der Bedeutung der höchstrichterlichen Aktienrechtsjudikatur. Insgesamt liegt mit den beiden Bänden „Aktienrecht im Wandel“ ein einzigartiges und ungewöhnlich inhaltsreiches Werk zur Geschichte des Aktienrechts vor, das seit den Novellen von 1870/84 einen auch im Ausland viel beachteten Schwerpunkt des deutschen Gesellschaftsrechts darstellt.
Kiel
Werner Schubert