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AAAKöbler, Gerhard, Freiheit in Bismarcks Gedanken und Erinnerungen, 2016

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In mein erstes Semester fiel die Hambacher Feier (27. Mai 1832), deren Festgesang mir in der Erinnerung geblieben ist, in mein drittes der Frankfurter Putsch (3. April 1833). Diese Erscheinungen stießen mich ab, meiner preußischen Schulung widerstrebten tumultuarische Eingriffe in die staatliche Ordnung; ich kam nach Berlin mit weniger liberaler Gesinnung zurück, als ich es verlassen hatte, eine Reaction, die sich wieder abschwächte, nachdem ich mit dem staatlichen Räderwerke in unmittelbare Beziehung getreten war. Was ich etwa über auswärtige Politik dachte, mit der das Publikum sich damals wenig beschäftigte, war im Sinne der Freiheitskriege, vom preußischen Offizierstandpunkt gesehn. Beim Blick auf die Landkarte ärgerte mich der französische Besitz von Straßburg, und der Besuch von Heidelberg, Speier und der Pfalz stimmte mich rachsüchtig und kriegslustig. In der Zeit vor 1848 war für einen KammergerichtsAuscultator und Regirungs-Referendar, dem jede Beziehung zu ministeriellen und höhern amtlichen Kreisen fehlte, kaum eine Aussicht zu einer Betheiligung an der preußischen Politik vorhanden, so lange er nicht den einförmigen Weg zurückgelegt hatte, der durch die Stufen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Und ihre Freiheit Schein, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Aus dieser Theorie wurde die Nothwendigkeit der Pflege des natürlichen Bündnisses mit England entwickelt, mit dunkeln Andeutungen, daß England, wenn Preußen ihm mit seiner Armee gegen Rußland diene, seinerseits die preußische Politik in dem Sinne, den man damals den "Gothaer" nannte, fördern würde. Von der angeblichen öffentlichen Meinung des englischen Volkes im Bunde bald mit dem Prinzen Albert, welcher dem Könige und dem Prinzen von Preußen unerbetene Lectionen ertheilte, bald mit Lord Palmerston, der im November 1851 gegen eine Deputation radicaler Vorstädter England als den einsichtigen Sekundanten (judicious bottleholder) jedes für seine Freiheit kämpfenden Volkes (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

"... Berliner Nachrichten sagen mir, daß man mich am Hofe als Bonapartisten bezeichnet. Man thut mir Unrecht damit. Im Jahre 50 wurde ich von unsern Gegnern verrätherischer Hinneigung zu Oestreich angeklagt, und man nannte uns die Wiener in Berlin; später fand man, daß wir nach Juchten rochen, und nannte uns Spreekosaken. Ich habe damals auf die Frage, ob ich russisch oder westmächtlich sei, stets geantwortet, ich bin Preußisch, und mein Ideal für auswärtige Politiker ist die Vorurtheilsfreiheit, die Unabhängigkeit der Entschließungen von den Eindrücken der Abneigung oder Vorliebe für fremde Staaten und deren Regenten. Ich habe, was das Ausland anbelangt, in meinem Leben nur für England und seine Bewohner Sympathie gehabt und bin stundenweis noch nicht frei davon; aber die Leute wollen sich ja von uns nicht lieben lassen, und ich würde, sobald man mir nachweist, daß es im Interesse einer gesunden und wohldurchdachten preußischen Politik liegt, unsre Truppen mit derselben Genugthuung auf die französischen, russischen, englischen oder östreichischen feuern sehen. In Friedenszeiten halte ich es für muthwillige Selbstschwächung, sich Verstimmungen zuzuziehn oder solche zu unterhalten, ohne daß man einen praktischen politischen Zweck damit verbindet, und die Freiheit seiner künftigen Entschließungen und Verbindungen vagen und unerwiderten Sympathien zu opfern, Concessionen, wie sie Oestreich jetzt in Betreff Rastatts von uns (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Es ist menschlich natürlich, daß die Unterdrückung und schändliche Behandlung unsres Landes durch den ersten Napoleon in Allen, die es erlebt haben, einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen hat, und daß in deren Augen das böse Prinzip, welches wir in Gestalt der Revolution bekämpfen, sich allein mit der Person und dem Geschlechte dessen identificirt, den man l'heureux soldat héritier de la révolution nannte; aber mir scheint, daß Sie dem jetzigen Napoleon zu viel aufbürden, wenn Sie grade in ihm und nur in ihm die zu bekämpfende Revolution personificiren und aus diesem Grunde die Proscription über ihn aussprechen, so daß es wider die Ehre sei, mit ihm umzugehn. Jedes Kennzeichen der Revolution, welches er an sich trägt, finden Sie auch an andern Stellen wieder, ohne daß Sie Ihren Haß mit derselben Strenge der Doctrin auch dahin richteten. Das bonapartistische Regiment im Innern mit seiner rohen Centralisation, seiner Vernichtung der Selbständigkeiten, seiner Nichtachtung von Recht und Freiheit, seiner offiziellen Lüge, seiner Corruption in Staat und Börse, seinen gefügigen und überzeugungslosen Schreibern blüht in dem von Ihnen mit unverdienter Vorliebe betrachteten Oestreich ebenso wie in Frankreich und wird an der Donau aus freier Machtvollkommenheit mit Bewußtsein in's Leben gerufen, während Louis Napoleon es in Frankreich als vorhandenes, ihm selbst unwillkommnes, aber nicht leicht zu änderndes Resultat der Geschichte vorfand. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-194] Napoleon gehalten hätte. Es sei wünschenswerth, unser Gebiet durch die Erwerbung Hanovers und der Elbherzogthümer zu consolidiren, um damit die Unterlage einer stärkern preußischen Seemacht zu gewinnen. Es fehle an Seemächten zweiten Ranges, die durch Vereinigung ihrer Streitkräfte mit der französischen das jetzt erdrückende Uebergewicht Englands aufhöben. Eine Gefahr für sie selbst und für das übrige Europa könne darin nicht liegen, weil sie sich ja zu einseitig egoistisch-französischen Unternehmungen nicht einigen würden, nur für die Freiheit der Meere von der englischen Uebermacht. Zunächst wünsche er sich der Neutralität Preußens zu versichern für den Fall, daß er wegen Italien mit Oestreich in Krieg geriethe. Ich möge den König über dieses Alles sondiren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Darauf ich: "Sobald Ew. Königliche Hoheit mir dieses Zeugniß geben, so muß ich natürlich schweigen, kann aber doch bei der Freiheit des Wortes, die Ew. Königliche Hoheit mir jederzeit gestattet haben, nicht umhin, meine Sorge über die heimische Situation und ihren Einfluß auf die deutsche Frage auszusprechen. Usedom ist ein brouillon, kein Geschäftsmann. Seine Instruction wird er von Berlin erhalten; wenn Graf Schlieffen Decernent für deutsche Sachen bleibt, so werden die Instructionen gut sein; an ihre gewissenhafte Ausführung glaube ich bei Usedom nicht." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

*) Dazu wäre Freiheit der Zeit erforderlich gewesen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Das Deficit auf unsrer Seite war einmal durch Verwandschafts-Gefühl, durch die Gewohnheit der Abhängigkeit, in welcher die geringere Energie von der größern stand, sodann durch den Irrthum bedingt, als ob Nicolaus dieselben Gesinnungen wie Alexander I. für uns hege, und dieselben Ansprüche auf Dankbarkeit aus der Zeit der Freiheitskriege habe. In der That aber trat während der Regirung des Kaisers Nicolaus kein im deutschen Gemüth wurzelndes Motiv hervor, unsre Freundschaft mit Rußland auf dem Fuße der Gleichheit zu pflegen und mindestens einen analogen Nutzen daraus zu ziehn, wie Rußland aus unsrer Dienstleistung. Etwas mehr Selbstgefühl und Kraftbewußtsein würde unsern Anspruch auf Gegenseitigkeit in Petersburg zur Anerkennung gebracht haben, um so mehr, als 1830 nach der Juli-Revolution Preußen, trotz der Schwerfälligkeit seines Landwehr-Systems, diesem überraschenden Ereigniß gegenüber reichlich ein Jahr lang ohne Zweifel der stärkste, vielleicht der einzige zum Schlagen befähigte Militärstaat in Europa war. Wie sehr nicht nur in Oestreich, sondern auch in Rußland die militärischen Einrichtungen in 15 Friedensjahren vernachlässigt worden waren, vielleicht mit alleiniger Ausnahme der Garde des Kaisers und der polnischen Armee des Großfürsten Constantin, bewies die Schwäche und Langsamkeit der Rüstung des gewaltigen russischen Reichs gegen den Aufstand des kleinen Warschauer Königreichs. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-289] Anlehnung von Oestreich und Preußen ein Jugendtraum war, entstanden durch Nachwirkung der Freiheitskriege und der Schule, nachdem ich mich überzeugt hatte, daß das Oestreich, mit dem ich bis dahin gerechnet, für Preußen nicht existirte: gewann ich die Ueberzeugung, daß auf der Basis der bundestäglichen Autorität nicht einmal die vormärzliche Stellung Preußens im Bunde zurückzugewinnen, geschweige denn eine Reform der Bundesverfassung möglich sein werde, durch die das deutsche Volk der Verwirklichung seines Anspruchs auf völkerrechtliche Existenz als eine der großen europäischen Nationen Aussicht erhalten hätte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

[1-290] Preußen war nominell eine Großmacht, jedenfalls die fünfte; es hatte diese Stellung durch die geistige Ueberlegenheit Friedrichs des Großen erlangt und durch die gewaltigen Leistungen der Volkskraft 1813 rehabilitirt. Ohne die ritterliche Haltung des Kaisers Alexander I., die er von 1812 unter Steinischem, jedenfalls deutschem Einfluß bis zum Wiener Congreß beobachtete, wäre es fraglich geblieben, ob die nationale Begeisterung der vier Millionen Preußen des Tilsiter Friedens und einer andern vielleicht gleichen Zahl von sympathizers in altpreußischen oder deutschen Ländern genügt hätte, von der damaligen Humboldtischen und Hardenbergischen Diplomatie und der Schüchternheit Friedrich Wilhelms III. so verwerthet zu werden, daß auch nur die künstliche Neubildung Preußens, so wie sie 1815 geschah, zu Stande gekommen wäre. Das Körpergewicht Preußens entsprach damals nicht seiner geistigen Bedeutung und seiner Leistung in den Freiheitskriegen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Seite 2. Die Freiheit der Entschließungen Sr. K. H. wird dadurch nicht verkümmert, daß Se. K. H. den Sitzungen beiwohnt, Sich durch Zuhören und eigne Meinungsäußerung au courant der Staatsgeschäfte hält, wie es die Pflicht jedes Thronerben ist. Die Erfüllung dieser Pflicht, wenn sie in den Zeitungen bekannt wird, kann überall nur eine gute Meinung von der Gewissenhaftigkeit hervorrufen, mit der der Kronprinz Sich für Seinen hohen und ernsten Beruf vorbereitet. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Es geschah hauptsächlich unter dem Einfluß dieser Erwägungen auf dem Gebiete der auswärtigen Politik, daß ich mich entschloß, jeden Schachzug im Innern danach einzurichten, ob der Eindruck der Solidität unsrer Staatskraft dadurch gefördert oder geschädigt werden könne. Ich sagte mir, daß das nächste Hauptziel die Selbständigkeit und Sicherheit nach Außen sei, daß zu diesem Zwecke nicht nur die thatsächliche Beseitigung innern Zwiespaltes, sondern auch jeder Schein davon nach dem Auslande und in Deutschland vermieden werden müsse; daß, wenn wir erst Unabhängigkeit von dem Auslande hätten, wir auch in unsrer innern Entwicklung uns frei bewegen könnten, wir uns dann so liberal oder so reactionär einrichten könnten, wie es gerecht und zweckmäßig erschiene; daß wir alle innern Fragen vertagen könnten bis zur Sicherstellung unsrer nationalen Ziele nach Außen. Ich zweifelte nicht an der Möglichkeit, der königlichen Macht die nöthige Stärke zu geben, um unsre innere Uhr richtig zu stellen, wenn wir erst nach Außen die Freiheit erworben haben würden, als große Nation selbständig zu leben. Bis dahin war ich bereit, der Opposition nach Bedürfniß black-mail zu zahlen, um zunächst unsre volle Kraft und in der Diplomatie den Schein dieser einigen Kraft und die Möglichkeit in die Wagschale werfen zu können, im Falle der Noth auch revolutionäre Nationalbewegungen gegen unsre Feinde entfesseln zu können. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-60] Bahnen, in denen sie einer unbekannten Zukunft entgegenlaufen, nicht geglättete Eisenschienen haben. Jedes große staatliche Gemeinwesen, in welchem der vorsichtige und hemmende Einfluß der Besitzenden, materiellen oder intelligenten Ursprungs, verloren geht, wird immer in eine der Entwicklung der ersten französischen Revolution ähnliche, den Staatswagen zerbrechende Geschwindigkeit gerathen. Das begehrliche Element hat das auf die Dauer durchschlagende Uebergewicht der größern Masse. Es ist im Interesse dieser Masse selbst zu wünschen, daß dieser Durchschlag ohne gefährliche Beschleunigung und ohne Zertrümmerung des Staatswagens erfolge. Geschieht die letztre dennoch, so wird der geschichtliche Kreislauf immer in verhältnißmäßig kurzer Zeit zur Dictatur, zur Gewaltherrschaft, zum Absolutismus zurückführen, weil auch die Massen schließlich dem Ordnungsbedürfniß unterliegen, und wenn sie es a priori nicht erkennen, so sehn sie es infolge mannigfaltiger Argumente ad hominem schließlich immer wieder ein und erkaufen die Ordnung von Dictatur und Cäsarismus durch bereitwilliges Aufopfern auch des berechtigten und festzuhaltenden Maßes von Freiheit, das europäische staatliche Gesellschaften vertragen, ohne zu erkranken. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-78] Am 2. Juli 1870 entschied sich das spanische Ministerium für die Thronbesteigung des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern. Damit war die erste völkerrechtliche Anregung zu der spätern Kriegsfrage gegeben, aber doch nur in Gestalt einer specifisch spanischen Angelegenheit. Ein völkerrechtlicher Vorwand für Frankreich, in die Freiheit der spanischen Königswahl einzugreifen, war schwer zu finden; er wurde, seitdem man es in Paris auf den Krieg mit Preußen abgesehn hatte, künstlich gesucht in dem Namen Hohenzollern, welcher an sich für Frankreich nichts Bedrohlicheres hatte als jeder andre deutsche Name. Im Gegentheil konnte man in Spanien sowohl als in Deutschland annehmen, daß der Prinz Leopold wegen seiner persönlichen und Familienbeziehungen in Paris eher persona grata sein werde als mancher andre deutsche Prinz. Ich erinnere mich, daß ich in der Nacht nach der Schlacht von Sedan in tiefer Finsterniß mit einer Anzahl unsrer Offiziere nach der Rundfahrt des Königs um Sedan auf dem Wege nach Donchery ritt und auf Befragen, ich weiß nicht welches Begleiters, die Vorbereitung zu diesem Kriege besprach und dabei erwähnte, daß ich geglaubt hätte, der Prinz Leopold werde dem Kaiser Napoleon kein unerwünschter Nachbar in Spanien sein und seinen Weg über Paris nach Madrid nehmen, um dort die Fühlung mit der kaiserlich französischen Politik zu gewinnen, die zu den Vorbedingungen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-80] Beziehungen beruhigende und consolidirende Ergebnisse, die den Spaniern zu mißgönnen ich keinen Anlaß hatte. Spanien gehört zu den wenigen Ländern, die nach ihrer geographischen Lage und ihrem politischen Bedürfniß keinen Grund haben, antideutsche Politik zu treiben; es ist außerdem in wirthschaftlicher Beziehung nach Production und Bedarf für einen entwickelten Verkehr mit Deutschland wohl geeignet. Ein uns befreundetes Element in der spanischen Regirung wäre ein Vortheil gewesen, den a limine abzuweisen in den Aufgaben der deutschen Politik kein Grund vorhanden war, es sei denn, daß man die Besorgniß, Frankreich könne unzufrieden werden, als einen solchen gelten lassen wollte. Wenn Spanien sich wieder kräftiger entwickelte, als seither geschehn ist, konnte die Thatsache, daß die spanische Diplomatie uns befreundet wäre, im Frieden für uns von Nutzen sein; daß der König von Spanien bei Eintritt des früher oder später vorauszusehenden deutsch-französischen Krieges, auch wenn er den besten Willen gehabt hätte, seine deutschen Sympathien durch einen Angriff oder eine Aufstellung gegen Frankreich zu bethätigen, im Stande sein werde, war mir nicht wahrscheinlich, und das Verhalten Spaniens nach Ausbruch des Krieges, den wir uns durch die Gefälligkeit deutscher Fürsten zugezogen hatten, bewies die Richtigkeit meiner Zweifel. Der ritterliche Eid hätte Frankreich wegen der Einmischung in die Freiheit der spanischen Königswahl zur Rechenschaft gezogen und die Wahrung der spanischen Unabhängigkeit nicht Fremden überlassen. Die früher zu Wasser und Lande mächtige Nation kann heut nicht die stammverwandte Bevölkerung von Cuba im Zaume halten; wie sollte man von ihr erwarten, daß sie eine Macht wie Frankreich aus Liebe zu uns angriffe? Keine spanische Regirung und am wenigsten ein ausländischer König würde im Lande die Macht besitzen, auch nur ein Regiment aus Liebe zu Deutschland an die Pyrenäen zu schicken. Politisch stand ich der ganzen Frage ziemlich gleichgültig gegenüber. Mehr als ich war Fürst Anton geneigt, sie friedlich zu dem (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

[2-125] aufgenommen von dem Bischof von Mainz, Freiherrn von Ketteler, zu welchem Zweck er mich bei Beginn des Reichstags, 1871, mehrmals aufsuchte. Ich war 1865 mit ihm in Verbindung getreten, indem ich ihn befragte, ob er das Erzbisthum Posen annehmen würde, wobei mich die Absicht leitete, zu zeigen, daß wir nicht antikatholisch, sondern nur antipolnisch wären. Ketteler hatte, vielleicht auf Anfrage in Rom, abgelehnt wegen Unkenntniß der polnischen Sprache. 1871 stellte er mir im Großen und Ganzen das Verlangen, in die Reichsverfassung die Artikel der preußischen aufzunehmen, welche das Verhältniß der katholischen Kirche im Staate regelten und von denen drei (15, 16, 18) durch das Gesetz vom 18. Juni 1875 aufgehoben worden sind. Für mich war die Richtung unsrer Politik nicht durch ein confessionelles Ziel bestimmt, sondern lediglich durch das Bestreben, die auf dem Schlachtfelde gewonnene Einheit möglichst dauerhaft zu festigen. Ich bin in confessioneller Beziehung jeder Zeit tolerant gewesen bis zu den Grenzen, die die Nothwendigkeit des Zusammenlebens verschiedener Bekenntnisse in demselben staatlichen Organismus den Ansprüchen eines jeden Sonderglaubens zieht. Die therapeutische Behandlung der katholischen Kirche in einem weltlichen Staate ist aber dadurch erschwert, daß die katholische Geistlichkeit, wenn sie ihren theoretischen Beruf voll erfüllen will, über das kirchliche Gebiet hinaus den Anspruch auf Betheiligung an weltlicher Herrschaft zu erheben hat, unter kirchlichen Formen eine politische Institution ist und auf ihre Mitarbeiter die eigne Ueberzeugung überträgt, daß ihre Freiheit in ihrer Herrschaft besteht, und daß die Kirche überall, wo sie nicht herrscht, berechtigt ist, über Diocletianische Verfolgung zu klagen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Dem Vortheile, den der deutschen Politik ihre Freiheit von directen orientalischen Interessen gewährt, steht der Nachtheil der centralen und exponirten Lage des Deutschen Reiches mit seinen ausgedehnten Vertheidigungsfronten nach allen Seiten hin und die Leichtigkeit antideutscher Coalitionen gegenüber. Dabei ist Deutschland vielleicht die einzige große Macht in Europa, die durch keine Ziele, die nur durch siegreiche Kriege zu erreichen wären, in Versuchung geführt wird. Unser Interesse ist, den Frieden zu erhalten, während unsre continentalen Nachbarn ohne Ausnahme Wünsche haben, geheime oder amtlich bekannte, die nur durch Krieg zu erfüllen sind. Dementsprechend müssen wir unsre Politik einrichten, das heißt den Krieg nach Möglichkeit hindern oder einschränken, uns in dem europäischen Kartenspiele die Hinterhand wahren und uns durch keine Ungeduld, keine Gefälligkeit auf Kosten des Landes, keine Eitelkeit oder befreundete Provocation vor der (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Unsre Zurückhaltung kann vernünftiger Weise nicht den Zweck haben, über irgend einen unsrer Nachbarn oder möglichen Gegner mit geschonten Kräften herzufallen, nachdem die andern sich geschwächt hätten. Im Gegentheil sollten wir uns bemühn, die Verstimmungen, die unser Heranwachsen zu einer wirklichen Großmacht hervorgerufen hat, durch den ehrlichen und friedliebenden Gebrauch unsrer Schwerkraft abzuschwächen, um die Welt zu überzeugen, daß eine deutsche Hegemonie in Europa nützlicher und unparteiischer, auch unschädlicher für die Freiheit andrer wirkt als eine französische, russische oder englische. Die Achtung vor den Rechten andrer Staaten, an der namentlich Frankreich in den Zeiten seines Uebergewichts es hat fehlen lassen, und die in England doch nur so weit reicht, als die englischen Interessen nicht berührt werden, wird dem Deutschen Reiche und seiner Politik erleichtert, einerseits durch die Objectivität des deutschen Charakters, andrerseits durch die verdienstlose Thatsache, daß wir eine Vergrößerung unsres unmittelbaren Gebietes nicht brauchen, auch nicht herstellen könnten, ohne die centrifugalen Elemente im eignen Gebiete zu stärken. Mein ideales Ziel, nachdem wir unsre Einheit innerhalb der erreichbaren Grenzen zu Stande gebracht hatten, ist stets gewesen, das Vertrauen nicht nur der mindermächtigen europäischen Staaten, sondern auch der großen Mächte zu erwerben, daß die deutsche Politik, nachdem sie die injuria temporum, die Zersplitterung der Nation, gut gemacht hat, friedliebend und gerecht sein will. Um dieses Vertrauen zu erzeugen, ist vor allen Dingen Ehrlichkeit, Offenheit und Versöhnlichkeit im Falle von Reibungen oder von untoward events nöthig. Ich habe dieses Recept nicht ohne Widerstreben meiner persönlichen Empfindlichkeiten befolgt in Fällen wie Schnäbele (April 1887), Boulanger, Kaufmann (September 1887), Spanien gegenüber in der Carolinen-Frage, den Vereinigten Staaten gegenüber in Samoa, und vermuthe, daß die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Neben dem Fleiße, zu dem ihn sein hohes Pflichtgefühl trieb, kam ihm in Erfüllung seiner Regentenpflicht ein ungewöhnliches Maß von klarem, durch Erlerntes weder unterstützten noch beeinträchtigten gesunden Menschenverstande, common sense, zu Statten. Hinderlich für das Verständniß der Geschäfte war die Zähigkeit, mit der er an fürstlichen, militärischen und localen Traditionen hing; jeder Verzicht auf solche, jede Wendung zu neuen Bahnen, wie sie der Lauf der Ereignisse nothwendig machte, wurde ihm schwer und erschien ihm leicht im Lichte von etwas Unerlaubtem oder Unwürdigem. Wie an Personen seiner Umgebung und an Sachen seines Gebrauchs, so hielt er auch an Eindrücken und Ueberzeugungen fest, unter der Mitwirkung der Erinnerung an das, was sein Vater in ähnlichen Lagen gethan hatte oder gethan haben würde; insbesondre im französischen Kriege hatte er die Erinnerung an den parallelen Verlauf der Freiheitskriege immer vor Augen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

König Wilhelm, der mich während der schleswig-holsteinischen Episode einmal vorwurfsvoll fragte: „Sind Sie denn nicht auch ein Deutscher?“ weil ich mich seiner durch häusliche Einflüsse bedingten Neigung, ein neues gegen Preußen stimmendes Großherzogthum in Kiel zu schaffen, widersetzte, derselbe Herr war, wenn er, ohne durch politische Gedanken angekränkelt zu sein, in naturwüchsiger Freiheit seinen Empfindungen folgte, einer der entschlossensten Particularisten unter den deutschen Fürsten, in der Richtung eines patriotischen und conservativ gesinnten preußischen Offiziers aus der Zeit seines (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)