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AAAKöbler, Gerhard, conservativ in Bismarcks Gedanken und Erinnerungen, 2016

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Abs. 80 Als Beitrag zu der Geschichte der Märztage seien hier Gespräche aufgezeichnet, welche ich einige Wochen danach mit Personen hatte, die mich, den sie als Vertrauensmann der Conservativen betrachteten, aufsuchten, die einen, um sich über ihr Verhalten vor und an dem 18. März rechtfertigend auszusprechen, die andern, um mir die gemachten Wahrnehmungen mitzutheilen. Der Polizeipräsident von Minutoli beklagte sich dabei, daß ihm der Vorwurf gemacht werde, er habe den Aufstand vorausgesehn und nichts zur Verhinderung desselben gethan, und bestritt, daß irgend welche auffallende Symptome zu seiner Kenntniß gekommen wären. Auf meine Entgegnung, mir sei in Genthin von Augenzeugen gesagt worden, daß während der Tage vor dem 18. März fremdländisch aussehende Männer, meistens polnisch sprechend, einige offen Waffen mit sich führend, die andern mit schweren Gepäckstücken, in der Richtung nach Berlin passirt wären, erzählte Minutoli, der Minister von Bodelschwingh habe ihn Mitte März kommen lassen und Besorgniß über die herrschende Gährung geäußert; darauf habe er denselben in eine Versammlung vor den Zelten geführt. Nachdem Bodelschwingh die dort gehaltenen Reden angehört, habe er gesagt: "Die Leute sprechen ja ganz verständig, ich danke Ihnen, Sie haben mich vor einer Thorheit bewahrt." Bedenklich für die Beurtheilung Minutoli's war seine Popularität in den nächsten Tagen nach dem Straßenkampfe. Sie war für einen Polizeipräsidenten als Ergebniß eines Aufruhrs unnatürlich. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 191 Die Abneigung, Minister zu werden, wurde verstärkt durch die Vorstellung, daß persönliche Gefahr damit verbunden sein könne, wie das Vorkommen körperlicher Mißhandlung conservativer Abgeordneter auf der Straße schon gezeigt habe. Nach den Gewöhnungen, welche die Straßenbevölkerung angenommen habe, und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 246 Die Erwägungen eines sachkundigen und ehrliebenden Generals, wie Stockhausen, konnte ich einer Kritik nicht unterziehn und vermag das auch heut noch nicht. Die Schuld an unsrer militärischen Gebundenheit, die er mir schilderte, lag nicht an ihm, sondern an der Planlosigkeit, mit der unsre Politik auf militärischem Gebiete sowohl wie auf diplomatischem in und seit den Märztagen mit einer Mischung von Leichtfertigkeit und Knauserei geleitet worden war. Auf militärischem namentlich war sie von der Art, daß man nach den getroffenen Maßregeln voraussetzen muß, daß eine kriegerische oder auch nur militärische Lösung der schwebenden Fragen in letzter Instanz in Berlin überhaupt nicht in Erwägung gezogen wurde. Man war zu sehr mit öffentlicher Meinung, Reden, Zeitungen und Verfassungsmacherei präoccupirt, um auf dem Gebiete der auswärtigen, selbst nur der außerpreußischen deutschen Politik zu festen Absichten und praktischen Zielen gelangen zu können. Stockhausen war nicht im Stande, die Unterlassungssünden und die Planlosigkeit unsrer Politik durch plötzliche militärische Leistungen wieder gut zu machen, und gerieth so in eine Situation, die selbst der politische Leiter des Ministeriums, Graf Brandenburg, nicht für möglich gehalten hatte. Denn derselbe erlag der Enttäuschung, welche sein hohes patriotisches Ehrgefühl in den letzten Tagen seines Lebens erlitten hatte 1). Es ist Unrecht, Stockhausen der Kleinmüthigkeit anzuklagen, und ich habe Grund zu glauben, daß auch König Wilhelm I. zu der Zeit, da ich sein Minister wurde, meine Auffassung bezüglich der militärischen Situation im November 1850 theilte. Wie dem auch sei, nur fehlte damals jede Unterlage zu einer Kritik, die ich als conservativer Abgeordneter einem Minister auf militärischem Gebiete, als Landwehr-Lieutenant dem General gegenüber hätte ausüben können. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 459 [1-134] mit ihm zu reden, es ist aber nichts dabei herausgekommen. Ich habe ihm gesagt, daß ich nicht zu denen gehöre, welche Quehl in das Elend schicken wollten, aber er möge sich doch mit ordentlichen Leuten in Verbindung setzen und sich in der Gemeinschaft mit ihnen stärken. Aber vergebens. Jetzt treibt er wieder sein Wesen mit dem Bonapartisten Frantz. Ich will das, was Wagener thut, nicht rechtfertigen, besonders nicht sein eigensinniges Widerstreben gegen jeden Rath und jede Warnung, die ihm zukommt, aber darin hat er Recht, daß Manteuffel die conservative Partei gründlich zerstört und ihn, Wagener, auf das Aeußerste reizt. Es ist doch eine merkwürdige Erscheinung, daß die Kreuzzeitung die einzige Zeitung in Deutschland ist, die verfolgt und confiscirt wird. Von dem, was mich bei dem Allem am meisten afficirt, von der Wirkung dieser Lage der Dinge auf S. M., will ich gar nicht reden. Sinnen Sie doch auf Mittel, Menschen heranzuziehen, die das Ministerium stärken. Kommen Sie doch einmal wieder her und sehen Sie sich selbst die Dinge an 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 490 Ich schrieb dem General Gerlach 1), ich sei eins der jüngsten Mitglieder unter diesen Leuten. Wenn ich die Wünsche Sr. Majestät früher gekannt hätte, hätte ich vielleicht einen Einfluß gewinnen können; aber der Befehl des Königs, von mir in Berlin ausgeführt und in der conservativen Partei beider Häuser vertreten, würde meine parlamentarische Stellung, die für den König und seine Regirung in andern Fragen von Nutzen sein könnte, zerstören, wenn ich rein als königlicher Beauftragter, ohne eigne Gedanken zu vertreten, meinen Einfluß in der kurzen Frist von zwei Tagen verwerthen sollte. Ich fragte daher an, ob ich nicht den vom Könige erhaltenen Auftrag, mit dem Prinzen von Augustenburg zu verhandeln, als Grund für mein Wegbleiben von dem Landtage geltend machen dürfte. Ich erhielt durch den Telegraphen die Antwort, mich auf das Augustenburger Geschäft nicht zu berufen, sondern sofort nach Berlin zu kommen, reiste also am 26. April ab. Inzwischen war in Berlin auf Betrieb der conservativen Partei ein Beschluß gefaßt worden, der (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 493 Nach etwa einer Stunde wurde ich durch den Adjutanten vom Dienst zum Könige berufen und etwas kühler als sonst, aber doch nicht so ungnädig empfangen, wie ich befürchtet hatte. Se. Majestät hatte erwartet, daß ich auf die erste Anregung erscheinen würde, und darauf gerechnet, daß ich im Stande sein würde, in den 24 Stunden bis zur Abstimmung die conservative Fraction wie auf militärisches Commando Kehrt machen und in des Königs Richtung einschwenken (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 495 [1-142] zu lassen. Ich setzte auseinander, daß damit mein Einfluß auf die Fraction über- und die Unabhängigkeit derselben unterschätzt werde. Ich hätte in dieser Frage persönlich keine Ueberzeugung, die der des Königs entgegenstände, und sei bereit, die letztre bei meinen Fractionsgenossen zu vertreten, wenn er mir Zeit dazu lassen wolle und geneigt sei, seine Wünsche in neuer Gestalt nochmals geltend zu machen. Der König, sichtlich versöhnt, ging darauf ein und entließ mich mit dem Auftrage, Propaganda für seinen Plan zu machen. Letztres geschah mit mehr Erfolg, als ich selbst erwartet hatte; der Widerspruch gegen die Umgestaltung der Körperschaft hatte nur die Führer der Fraction zu Trägern, und seine Nachhaltigkeit beruhte nicht auf der Ueberzeugung der Gesammtheit, sondern auf der Autorität, welche in jeder Fraction die anerkannten Leiter zu haben pflegen - und nicht mit Unrecht, da sie in der Regel die besten Redner und gewöhnlich die einzigen arbeitsamen Geschäftsleute sind und den Uebrigen die Mühe abnehmen, die vorkommenden Fragen zu studiren. Ein Opponent in der Fraction, der nicht das gleiche Ansehn hat, wird von dem Fractionsführer, welcher gewöhnlich der schlagfertigere Redner ist, sehr leicht in einer Weise abgeführt, welche ihm für die Zukunft die Lust zur Auflehnung benimmt, wenn er nicht mit einem Mangel an Schüchternheit begabt ist, der bei uns grade in den Klassen, denen die Conservativen meistens angehören, nicht häufig ist. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 498 Wenn ich heut auf diese Vorgänge zurückblicke, so scheint es mir, daß die drei oder sechs Führer, gegen welche ich die conservative Fraction aufwiegelte, im Grunde dem Könige gegenüber Recht hatten. Die Erste Kammer war zur Lösung der Aufgaben, welche einer solchen im constitutionellen Leben zufallen, befähigter als das heutige Herrenhaus. Sie genoß in der Bevölkerung eines Ansehns, welches das Herrenhaus sich bisher nicht erworben hat. Das letztre hat zu einer hervorragenden politischen Leistung nur in der Conflictszeit Gelegenheit gehabt und sich damals durch die furchtlose Treue, mit der es zur Monarchie stand, auf dem defensiven Gebiete der Aufgabe eines Oberhauses völlig gewachsen gezeigt. Es ist wahrscheinlich, daß es in kritischen Lagen der Monarchie dieselbe tapfere Festigkeit beweisen wird. Ob es aber für Verhütung solcher Krisen in den scheinbar friedlichen Zeiten, in denen sie sich vorbereiten können, denselben Einfluß ausüben wird, wie jene Erste Kammer gethan hat, ist mir zweifelhaft. Es verräth einen Fehler in der Constitution, wenn ein Oberhaus in der Einschätzung der öffentlichen Meinung ein Organ der Regirungspolitik oder selbst der königlichen Politik wird. Nach der preußischen Verfassung hat der König mit seiner Regirung an und für sich einen gleichwerthigen Antheil an der Gesetzgebung, wie jedes der beiden Häuser; er hat nicht nur sein volles Veto, sondern die ganze vollziehende Gewalt, vermöge deren die Initiative in der Gesetzgebung factisch und die Ausführung der Gesetze auch rechtlich der Krone zufällt. Das Königthum ist, wenn es sich seiner Stärke bewußt ist und den Muth hat, sie anzuwenden, mächtig genug für eine verfassungsmäßige Monarchie, ohne eines ihm gehorsamen Herrenhauses als einer Krücke zu bedürfen. Auch wenn das Herrenhaus in der Conflictszeit sich für die ihm zugehenden Etatsgesetze (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 503 Die Haltung, welche ich in der conservativen Fraction angenommen hatte, griff störend in die Pläne ein, die der König mit mir hatte oder zu haben behauptete. Als er zu Anfang des Jahres 1854 das Ziel, mich zum Minister zu machen, directer in's Auge zu fassen begann, wurde seine Absicht nicht nur von Manteuffel bekämpft, sondern auch von der Camarilla, deren Hauptpersonen der General Gerlach und Niebuhr waren. Diese, ebenso wie Manteuffel, waren nicht geneigt, den Einfluß auf den König mit mir zu theilen, und glaubten sich mit mir im täglichen Zusammenleben nicht so gut wie in der Entfernung zu vertragen. Gerlach wurde in dieser Voraussetzung bestärkt durch seinen Bruder, den Präsidenten, der die Gewohnheit hatte, mich als einen PilatusCharakter zu bezeichnen auf der Basis: Was ist Wahrheit? also als einen unsichern Fractionsgenossen. Dieses Urtheil über mich kam auch in den Kämpfen innerhalb der conservativen Fraction und ihres intimern Comités mit Schärfe zum Ausdruck, als ich, auf Grund meiner Stellung als Bundestagsgesandter und weil ich im Besitz des Vortrags bei dem Könige über die deutschen Angelegenheiten sei, einen größern Einfluß auf die Haltung der Fraction in der deutschen und der auswärtigen Politik verlangte, während der Präsident Gerlach und Stahl die absolute Gesammtleitung nach allen Seiten hin in Anspruch nahmen. Ich befand mich im Widerspruche mit Beiden, mehr aber mit Gerlach als mit Stahl, und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 504 [1-146] der Erstere erklärte schon damals, vorauszusehn, daß unsre Wege sich trennen und wir als Gegner enden würden. - In Uebereinstimmung habe ich mich in den wechselnden Phasen der conservativen Fraction stets mit Below-Hohendorf und Alvensleben-Erxleben befunden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 596 [1-177] prätendirten, unsern Vorfahren für durchaus koscher, und den Vereinigten Staaten von Nordamerika haben wir schon in dem Haager Vertrage von 1785 ihren revolutionären Ursprung verziehn. Der jetzige König von Portugal hat uns in Berlin besucht, und mit dem Hause Bernadotte hätten wir uns verschwägert, wenn nicht zufällige Hindernisse eintraten. Wann und nach welchen Kennzeichen haben alle diese Mächte aufgehört, revolutionär zu sein? Es scheint, daß man ihnen die illegitime Geburt verzeiht, sobald wir keine Gefahr von ihnen besorgen, und daß man sich alsdann auch nicht prinzipiell daran stößt, wenn sie fortfahren, ohne Buße, ja mit Rühmen sich zu ihrer Wurzel im Unrecht zu bekennen. Ich sehe nicht, daß vor der französischen Revolution ein Staatsmann, sei er auch der christlichste und gewissenhafteste, auf den Gedanken gekommen wäre, sein gesammtes politisches Streben, sein Verhalten zur äußern wie zur innern Politik dem Prinzipe des ,Kampfes gegen die Revolution' unterzuordnen und die Beziehungen seines Landes zu andern lediglich an diesem Probirstein zu prüfen; und doch waren die Grundsätze der amerikanischen Revolution und der englischen Revolution, abgesehn von dem Maße des Blutvergießens und dem nach dem Nationalcharakter sich verschieden gestaltenden Unfug mit der Religion, ziemlich dieselben, wie diejenigen, welche in Frankreich die Unterbrechung der Continuität des Rechtes herbeiführten. Ich kann nicht annehmen, daß es vor 1789 nicht einige ebenso christliche und conservative Politiker, ebenso richtige Erkenner des Bösen gegeben hätte, wie wir sind, und daß die Wahrheit eines von uns als Grundlage aller Politik hinzustellenden Prinzips ihnen entgangen sein sollte. Ich finde auch nicht, daß wir auf alle revolutionäre Erscheinungen nach 1789 das Prinzip ebenso rigoros anwenden wie auf Frankreich. Die analogen Rechtszustände in Oestreich, das Prosperiren der Revolution in Portugal, Spanien, Belgien und in dem durch und durch revolutionären heutigen Dänemark, das offne Bekennen und Propagiren der revolutionären Grundideen von Seiten der englischen Regirung und das (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 735 Es ist in der Geschichte der europäischen Staaten wohl kaum noch einmal vorgekommen, daß ein Souverän einer Großmacht einem Nachbarn dieselben Dienste erwiesen hat, wie der Kaiser Nicolaus der östreichischen Monarchie. In der gefährdeten Lage, in welcher diese sich 1849 befand, kam er ihr mit 150000 Mann zu Hülfe, unterwarf Ungarn, stellte dort die königliche Gewalt wieder her und zog seine Truppen zurück, ohne einen Vortheil oder eine Entschädigung zu verlangen, ohne die orientalischen und polnischen Streitfragen beider Staaten zu erwähnen. Dieser uninteressirte Freundschaftsdienst auf dem Gebiet der innern Politik OestreichUngarns wurde von dem Kaiser Nicolaus in der auswärtigen Politik in den Tagen von Olmütz auf Kosten Preußens unvermindert fortgesetzt. Wenn er auch nicht durch Freundschaft, sondern durch die Erwägungen kaiserlich russischer Politik beeinflußt war, so war es immerhin mehr, als ein Souverän für einen andern zu thun pflegt, und nur in einem so eigenmächtigen und übertrieben ritterlichen Autokraten erklärlich. Nicolaus sah damals auf den Kaiser Franz Joseph als auf seinen Nachfolger und Erben in der Führung der conservativen Trias. Er betrachtete die letztre als solidarisch der Revolution gegenüber und hatte bezüglich der Fortsetzung der Hegemonie mehr Vertrauen zu Franz Joseph als zu seinem eignen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 818 [1-243] gefällt, und wenn man meinem Könige ein Recht bestreitet, welches er ausüben will und kann, so fühle ich mich verpflichtet es zu verfechten, wenn ich auch an sich nicht von der practischen Wichtigkeit seiner Ausübung durchdrungen bin. In diesem Sinne telegraphirte ich an Schlieffen, daß ich den ,Besitztitel', auf dessen Grund ein neues Ministerium sich etabliren soll, für richtig halte, und sehe die Weigerung der andern Partei und die Wichtigkeit, welche sie auf Verhütung des Huldigungsactes legt, als doctrinäre Verbissenheit an. Wenn ich hinzufügte, daß ich die sonstige Vermögenslage nicht kenne, so meinte ich damit nicht die Personen und Fähigkeiten, mit denen wir das Geschäft übernehmen könnten, sondern das Programm, auf dessen Boden wir zu wirthschaften haben würden. Darin wird m. E. die Schwierigkeit liegen. Meinem Eindruck nach lag der Hauptmangel unsrer bisherigen Politik darin, daß wir liberal in Preußen und conservativ im Auslande auftraten, die Rechte unsres Königs wohlfeil, die fremder Fürsten zu hoch hielten. Eine natürliche Folge des Dualismus zwischen der constitutionellen Richtung der Minister und der legitimistischen, welche der persönliche Wille Seiner Majestät unsrer auswärtigen Politik gab. Ich würde mich nicht leicht zu der Erbschaft Schwerins entschließen, schon weil ich mein augenblickliches Gesundheits-Capital dazu nicht ausreichend halte. Aber selbst wenn es der Fall wäre, würde ich auch im Innern das Bedürfniß einer andern Färbung unsrer auswärtigen Politik fühlen. Nur durch eine Schwenkung in unsrer, ‚auswärtigen' Haltung kann, wie ich glaube, die Stellung der Krone im Innern von dem Andrang degagirt werden, dem sie auf die Dauer sonst thatsächlich nicht widerstehn wird, obschon ich an der Zulänglichkeit der Mittel dazu nicht zweifle. Die Pression der Dämpfe im Innern muß ziemlich hoch gespannt sein, sonst ist es garnicht verständlich, wie das öffentliche Leben bei uns von Lappalien wie Stieber, Schwark, Macdonald, Patzke, Twesten u. dergl. so aufgeregt werden konnte, und im Auslande wird man nicht begreifen, wie die Huldigungsfrage das Cabinet sprengen konnte. Man sollte (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 853 [1-253] sollte, zuckte er die Achseln, und als ich hinzusetzte, es bliebe dann nichts übrig, als daß er sich selbst erbarmte, schlüpfte er darüber hinweg, nicht abwehrend, nicht zustimmend. Daß mich dies beunruhigt, kann Sie nicht wundern. Ich nahm daher gestern Gelegenheit, an maßgebender Stelle die Ministerpräsidenten-Frage auf die Bahn zu bringen, und fand die alte Hinneigung zu Ihnen neben der alten Unentschlossenheit. Wer kann da helfen? Und wie soll dies enden? - - Keine regierungsfähige Partei! Die Demokraten sind selbstverständlich ausgeschlossen, aber die große Majorität besteht aus Demokraten und solchen, die es werden wollen, wenngleich ihr Adreßentwurf von Loyalitätsversicherungen trieft. Daneben die Constitutionellen, d. h. die Eigentlichen, ein Häuflein von wenig mehr als 20 Köpfen, Vincke an der Spitze, circa 15 Conservative, 30 Katholiken, einige 20 Polen. Wo also findet eine mögliche Regierung die nöthige Unterstützung? Welche Parthei kann bei dieser Gruppirung regieren außer den Demokraten, und diese können es, dürfen es erst recht nicht. Unter diesen Umständen, so sagt meine Logik, muß die jetzige Regierung im Amte bleiben, so schwierig es auch sein mag. Und eben deshalb muß sie sich mit Nothwendigkeit verstärken und zwar je eher, je lieber. - - Daß Graf Bernstorff immer zwei große Posten in Beschlag habe, scheint mir nun nicht eben durch Preußens Interesse geboten zu sein. Ich werde mich daher sehr freuen, wenn Sie nächstens zum Ministerpräsidenten ernannt werden, obgleich ich überzeugt bin, daß B. dann binnen Kurzem aus seiner Doppelstellung treten und nicht länger den Koloß, 1 Fuß in Berlin, 1 in London, spielen wird. Ich schiebe es Ihnen in's Gewissen, keinen Gegenzug zu thun, da er schließlich dahin führen könnte und würde, den König in die offenen Arme der Demokraten zu treiben. - - Zum 11. ds. M. ist Hohenlohes Urlaub um. Er wird nicht wiederkommen, sondern nur sein Entlassungsgesuch. Und dann, ja dann hoffe ich, wird der Telegraph Sie herrufen. Alle Patrioten ersehnen dies. Wie könnten Sie da zaudern und manövriren?" (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 913 Der König forderte mich auf, ihn in den Park zu begleiten. Auf diesem Spaziergange gab er mir ein Programm zu lesen, das in seiner engen Schrift acht Folioseiten füllte, alle Eventualitäten der damaligen Regirungspolitik umfaßte und auf Details wie die Reform der Kreistage einging. Ich lasse es dahin gestellt sein, ob dieses Elaborat schon Erörterungen mit meinen Vorgängern zur Unterlage gedient hatte, oder ob es zur Sicherstellung gegen eine mir zugetraute conservative Durchgängerei dienen sollte. Ohne Zweifel war, als er damit umging mich zu berufen, eine Befürchtung der Art in ihm von seiner Gemalin geweckt worden, von deren politischer Begabung er ursprünglich eine hohe Meinung hatte, die aus der Zeit datirte, wo Sr. Majestät nur eine kronprinzliche Kritik der Regirung des Bruders, ohne Pflicht zu eigner besserer Leistung, zugestanden hatte. In der Kritik war die Prinzessin ihrem Gemal überlegen. Die ersten Zweifel an dieser geistigen Ueberlegenheit waren ihm gekommen, als er genöthigt war, nicht mehr nur zu kritisiren, sondern selbst zu handeln und die amtliche Verantwortung für das Bessermachen zu tragen. Sobald die Aufgaben beider Herrschaften praktisch wurden, hatte der gesunde Verstand des Königs begonnen, sich allmälig von der schlagfertigen weiblichen Beredsamkeit mehr zu emancipiren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 914 Es gelang mir, ihn zu überzeugen, daß es sich für ihn nicht um Conservativ oder Liberal in dieser oder jener Schattirung, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 969 Ich erinnere mich eines Wendepunkts, der in meinen Ansichten eintrat, als ich in Frankfurt die mir bis dahin unbekannte Depesche des Fürsten Schwarzenberg vom 7. December 1850 zu lesen bekam, in welcher er die Olmützer Ergebnisse so darstellt, als ob es von ihm abgehangen hätte, Preußen "zu demüthigen" oder großmüthig zu pardonniren. Der mecklenburgische Gesandte, Herr von Oertzen, mein ehrlicher und conservativer Gesinnungsgenosse in dualistischer Politik, mit dem ich darüber sprach, suchte mein durch diese Schwarzenbergische Depesche verletztes preußisches Gefühl zu besänftigen. Trotz der für preußisches Gefühl demüthigenden Inferiorität unsres Auftretens in Olmütz und Dresden war ich noch gut östreichisch nach Frankfurt gekommen; der Einblick in die Schwarzenbergische Politik "avilir, puis démolir", den ich dort actenmäßig gewann, enttäuschte meine jugendlichen Illusionen. Der gordische Knoten deutscher Zustände ließ sich nicht in Liebe dualistisch lösen, nur militärisch zerhauen; es kam darauf an, den König von Preußen, bewußt oder unbewußt, und damit das preußische Heer für den Dienst der nationalen Sache zu gewinnen, mochte man vom borussischen Standpunkte die Führung Preußens oder auf dem nationalen die Einigung Deutschlands als die Hauptsache betrachten; beide Ziele deckten einander. Das war mir klar, und ich deutete es an, als ich in der Budgetcommission (30. September 1862) die vielfach entstellte Aeußerung über Eisen und Blut that (s. o. S. 283). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1037 Während die polnische Frage die öffentliche Meinung bei uns beschäftigte, und die Alvenslebensche Convention die unverständige Entrüstung der Liberalen im Landtage erregte, wurde mir in einer Gesellschaft bei dem Kronprinzen Herr Hintzpeter vorgestellt. Da er im täglichen Verkehr mit den Herrschaften war und sich mir als ein Mann von conservativer Gesinnung zu erkennen gab, ließ ich mich auf ein Gespräch mit ihm ein, in dem ich ihm meine Auffassung der polnischen Frage auseinandersetzte, in der Erwartung, daß er hin und wieder Gelegenheit finden werde, im Sinne derselben zu sprechen. Einige Tage darauf schrieb er mir, die Frau Kronprinzessin habe ihn gefragt, was ich so lange mit ihm gesprochen hätte. Er habe ihr Alles erzählt und dann eine Aufzeichnung seiner Erzählung gemacht, die er mir mit der Bitte um Prüfung oder Berichtigung überschickte. Ich antwortete ihm, daß ich diese Bitte ablehnen müsse; wenn ich sie erfüllte, so würde ich nach dem, was er selbst meldete, nicht zu ihm, sondern zu der Frau Kronprinzessin mich schriftlich über die Frage äußern, was ich nur mündlich zu thun bereit sei. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1190 Eure Majestät setzen mit Recht voraus, daß auch ich von der Centralisation kein Heil erwarte, sondern grade in der Erhaltung der Rechte, welche die Bundesverfassung den einzelnen Gliedern des Bundes sichert, die dem deutschen Geiste entsprechende Form der Entwicklung und zugleich die sicherste Bürgschaft gegen die Gefahren erblicke, welchen Recht und Ordnung in der freien Bewegung des heutigen politischen Lebens ausgesetzt sein können. Daß die Herstellung der Kaiserwürde durch Initiative Eurer Majestät und der verbündeten Fürsten den monarchisch-conservativen Interessen förderlich ist, beweist die feindliche Stellung, welche die republikanische Partei in ganz Deutschland zu derselben genommen hat. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1283 Für Ihre beiden mir sehr willkommenen Schreiben vom 4. und 7. dieses Monats, in denen Sie mir über den Stand der Parteien und über die Lage der römischen Angelegenheit so interessante Aufschlüsse gaben, sende ich Ihnen meinen wärmsten Dank. - Schon jetzt sind Ihre Unterhandlungen mit Rom erfolgreich gewesen, da das erheblich gebesserte Verhältniß zur Curie entschieden auf die Centrumspartei und durch sie auf das Gelingen Ihres Finanzreformwerkes von Einfluß war. So möge auch im Uebrigen Ihr kräftiges Bestreben, eine große conservative Partei zu schaffen, vom Glück begünstigt sein. Es ist mein inniger Wunsch, daß Ihnen, mein lieber Fürst, Gesundheit und Kraft zur Bewältigung Ihrer großen, hochwichtigen Aufgaben bewahrt bleiben, und habe (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 11 [2-6] zu bringen. Ich bin dabei in keiner Weise kriegsscheu, im Gegentheil; bin auch gleichgültig gegen Revolutionär oder Conservativ, wie gegen alle Phrasen; Sie werden sich vielleicht sehr bald überzeugen, daß der Krieg auch in meinem Programme liegt; ich halte nur Ihren Weg, dazu zu gelangen, für einen staatsmännisch unrichtigen. Daß Sie dabei im Einverständniß mit Pfordten, Beust, Dalwigk und wie unsre Gegner alle heißen, sich befinden, macht für mich die Seite, die Sie vertreten, weder zur revolutionären noch zur conservativen, aber nicht zur richtigen für Preußen. Wenn der Bierhaus-Enthusiasmus in London und Paris imponirt, so freut mich das, es paßt ganz in unsern Kram; deshalb imponirt er mir aber noch nicht und liefert uns im Kampfe keinen Schuß und wenig Groschen. Mögen Sie den Londoner Vertrag revolutionär nennen: die Wiener Tractate waren es zehnmal mehr und zehnmal ungerechter gegen viele Fürsten, Stände und Länder, das europäische Recht wird eben durch europäische Tractate geschaffen. Wenn man aber an letztre den Maßstab der Moral und Gerechtigkeit legen wollte, so müßten sie ziemlich alle abgeschafft werden. Wenn Sie statt meiner hier im Amte wären, so glaube ich, daß Sie sich von der Unmöglichkeit der Politik, die Sie mir heut empfehlen und als so ausschließlich ,patriotisch‘ ansehn, daß Sie die Freundschaft darüber kündigen, sehr bald überzeugen würden. So kann ich nur sagen: la critique est aisée; die Regirung, namentlich eine solche, die ohnehin in manches Wespennest hat greifen müssen, unter dem Beifall der Massen zu tadeln, hat nichts Schwieriges; beweist der Erfolg, daß die Regirung richtig verfuhr, so ist von Tadeln nicht weiter die Rede; macht die Regirung Fiasco in Dingen, die menschliche Einsicht und Wille überhaupt nicht beherrschen, so hat man den Ruhm, rechtzeitig vorhergesagt zu haben, daß die Regirung auf dem Holzwege sei. Ich habe eine hohe Meinung von Ihrer politischen Einsicht; aber ich halte mich selbst auch nicht für dumm; ich bin darauf gefaßt, daß Sie (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 26 „Was Eure Majestät stets gefürchtet und vermieden, was alle Einsichtigen voraussahen, daß ein ernstliches Zerwürfniß mit Oesterreich von Frankreich benutzt werden würde, um sich auf Kosten Deutschlands zu vergrößern (wo?) 2), liegt jetzt in L. Napoleons ausgesprochenem Programm aller Welt vor Augen. ... Die ganzen Rheinlande für die Herzogthümer wäre für ihn kein schlechter Tausch, denn mit den früher beanspruchten petites rectifications des frontières wird er sich gewiß nicht begnügen. Und Er ist der allmächtige Gebieter in Europa! ... Gegen den Urheber dieser (unsrer) Politik hege ich keine feindliche Gesinnung. Ich erinnere mich gerne, daß ich 1848 Hand in Hand mit ihm ging, um den König zu stärken. Im März 1862 rieth ich Eurer Majestät, einen Steuermann von conservativen Antecedentien zu wählen, der Ehrgeiz, Kühnheit und Geschick genug besitze, um das Staatsschiff aus den Klippen, in die es gerathen, herauszuführen, und ich würde Herrn von Bismarck genannt haben, hätte ich geglaubt, daß er mit jenen Eigenschaften die Besonnenheit und Folgerichtigkeit des Denkens und Handelns verbände, deren Mangel der Jugend kaum verziehen wird, bei einem Manne aber für den Staat, den er führt, lebensgefährlich ist. In der That war des Grafen Bismarck Thun von Anfang an voller Widersprüche. ... Von jeher ein entschiedener Vertreter der russisch-französischen Allianz, knüpfte er an die im preußischen Interesse Rußland zu leistende Hilfe gegen den polnischen Aufstand politische Projecte 3), (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 46 [2-18] einen Canal durch Holstein zu bauen, in Friede und Freundschaft mit Oestreich gewonnen worden war. Ich denke mir, daß das Verfügungsrecht über den Kieler Hafen bei Sr. Majestät schwerer in das Gewicht gefallen ist, als der Eindruck der neuerworbenen freundlichen Landschaft von Ratzeburg mit seinem See. Die deutsche Flotte, und der Kieler Hafen als Unterlage ihrer Errichtung, war seit 1848 einer der zündenden Gedanken gewesen, an deren Feuer die deutschen Einheitsbestrebungen sich zu erwärmen und zu versammeln pflegten. Einstweilen aber war der Haß meiner parlamentarischen Gegner stärker als das Interesse für die deutsche Flotte, und es schien mir, daß die Fortschrittspartei damals die neuerworbenen Rechte Preußens auf Kiel und die damit begründete Aussicht auf unsre maritime Zukunft lieber in den Händen des Auctionators Hannibal Fischer, als in denen des Ministeriums Bismarck gesehn hätte 1). Das Recht zu Klagen und Vorwürfen über die Vernichtung deutscher Hoffnungen durch diese Regirung hätte den Abgeordneten größere Befriedigung gewährt als der gewonnene Fortschritt auf dem Wege zu ihrer Erfüllung. Ich schalte einige Stellen aus der Rede ein, welche ich am 1. Juni 1865 für den außerordentlichen Geldbedarf der Marine gehalten habe 2). „Es hat wohl keine Frage die öffentliche Meinung in Deutschland in den letzten 20 Jahren so einstimmig interessirt, wie grade die Flottenfrage. Wir haben gesehn, daß die Vereine, die Presse, die Landtage ihren Sympathien Ausdruck gaben, diese Sympathien haben sich in Sammlung von verhältnißmäßig recht bedeutenden Beträgen bethätigt. Den Regirungen, der conservativen Partei wurden Vorwürfe gemacht über die Langsamkeit und über die Kargheit, mit der in dieser Richtung vorgegangen würde; es waren besonders die liberalen Parteien, die dabei thätig 1) Vgl. die Rede vom 1. Juni 1865, Politische Reden II 356. 2) Politische Reden a. a. O. S. 355 ff. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 55 [2-22] nicht in einer Stärke vor, die hinreichte, um die leidenschaftlichen Kämpfe zu motiviren, welche die Fractionen gegen einander glauben ausfechten zu müssen und Conservative und Freiconservative in getrennte Lager verweisen. Auch innerhalb der conservativen Partei haben wohl viele das Gefühl, daß sie mit der Kreuzzeitung und ihrem Zubehör nicht im Einverständnisse sind. Aber die prinzipielle Scheidelinie in einem Programme zu präcisiren und überzeugend auszudrücken, würden auch die Führer und Unterführer für eine schwere Aufgabe halten, grade so wie confessionelle Fanatiker, und nicht blos Laien, in der Regel der Nothwendigkeit ausweichen, oder die Auskunft schuldig bleiben, wenn man sie nach den unterscheidenden Merkmalen der verschiedenen Bekenntnisse und Glaubensrichtungen und nach dem Schaden fragt, welchen sie für ihr Seelenheil befürchten, wenn sie eine der Abweichungen des Andersgläubigen nicht angriffsweise bekämpfen. So weit die Parteien sich nicht lediglich nach wirthschaftlichen Interessen gruppiren, kämpfen sie im Interesse der rivalisirenden Führer der Fractionen und nach deren persönlichem Willen und Streberthum; nicht Verschiedenheit von Prinzipien, sondern „Kephisch oder Paulinisch?“ ist die Frage. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 191 Die Eröffnung des Landtags stand unmittelbar nach unsrer Ankunft in Berlin bevor, und die Thronrede kam in Prag zur Berathung. Dort trafen Abgeordnete der conservativen Fraction ein, die während des Conflicts zeitweise bis auf elf Mitglieder herabgegangen war und durch die Wahlen am 3. Juli unter dem Eindruck der ersten Siege vor Königgrätz sich auf mehr als (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 192 [2-62] hundert gehoben hatte. Das Ergebniß würde der Regirung noch günstiger gewesen sein, wenn die Wahl einige Tage nach der entscheidenden Schlacht stattgefunden hätte; aber auch so war es in Verbindung mit der schwunghaften Stimmung im Lande immerhin geeignet, nicht blos conservativen, sondern auch reactionären Bestrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für diejenigen, welche nach der Rückbildung zum Absolutismus oder doch nach einer Restauration im ständischen Sinne strebten, war durch die Vergrößerung der Monarchie, durch die parlamentarische Situation beim Ausbruch des Krieges und den ungeschickten und ehrgeizigen Eigensinn der Führer der Opposition ein Anknüpfungspunkt gegeben, um die preußische Verfassung zu suspendiren und zu revidiren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zugeschnitten, noch weniger aber auf die Einschichtung in die zukünftige Verfassung Deutschlands. Die Verfassungsurkunde selbst enthielt einen Artikel (118), welcher, entstanden unter dem Eindruck der nationalen Stimmung zur Zeit der Verfassungsbildung und aus dem Entwurf von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußischen Verfassung unter eine neu zu schaffende deutsche berechtigte. Es war also eine Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anstrich der Legalität die Verfassung und die Bestrebungen der Conflictsmajorität nach parlamentarischer Herrschaft aus den Angeln zu heben, und dies lag im Hintergrunde des Bemühns der äußersten Rechten und ihrer nach Prag abgeordneten Mitglieder. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 209 Dies waren ungefähr die Gedanken und Argumente, mit denen ich während der viele Stunden langen Fahrt von Prag nach Berlin (4. August) die Schwierigkeiten zu bekämpfen suchte, die die eignen Ansichten, noch mehr aber andre Einflüsse, namentlich auch der Einfluß der conservativen Deputation, in dem Könige hinterlassen hatten. Es kam dazu eine staatsrechtliche Auffassung Sr. Majestät, die ihm ein Verlangen nach Indemnität als ein Eingeständniß begangenen Unrechts erscheinen ließ *). Ich suchte vergeblich diesen sprachlichen und rechtlichen Irrthum zu entkräften, indem ich geltend machte, daß in Gewährung der Indemnität nichts weiter liege als die Anerkennung der Thatsache, daß die Regirung und ihr königlicher Chef rebus sic stantibus richtig gehandelt hätten; die Forderung der Indemnität sei ein Verlangen nach dieser Anerkennung. In jedem constitutionellen Leben, in dem Spielraum, den es den Regirungen gestatte, liege es, daß der Regirung nicht für jede Situation eine Zwangsroute in der Verfassung angewiesen sein könne. Der König blieb bei seiner Abneigung gegen Indemnität, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 366 Nach seinem Abgange war ich vor die Frage gestellt, ob und wie weit ich bei der Wahl eines neuen Cultuscollegen die mehr juristische als politische Linie Falks im Auge behalten, oder meinen mehr gegen Polonismus als gegen Katholicismus gerichteten Auffassungen ausschließlich folgen sollte. In dem Culturkampfe war die parlamentarische Regirungspolitik durch den Abfall der Fortschrittspartei und ihren Uebergang zum Centrum gelähmt, indem sie im Reichstage einer durch gemeinsame Feindschaft zusammengehaltnen Majorität von Demokraten aller Schattirungen, im Bunde mit Polen, Welfen, Franzosenfreunden und Ultramontanen, ohne Unterstützung durch die Conservativen gegenüberstand. Die Consolidirung unsrer neuen Reichseinheit wurde durch diese Zustände gehemmt und, wenn sie dauerten oder sich verschärften, gefährdet. Der nationale Schaden konnte auf diesem Wege größer werden, als auf dem eines Verzichtes auf den meiner Ansicht nach entbehrlichen Theil der Falkschen Gesetzgebung. Für nicht entbehrlich hielt ich die Beseitigung der Verfassungsartikel, die Kampfmittel gegen den Polonismus und vor allen die Herrschaft des Staates über die Schule. Wahrten wir die, so behielten wir aus dem Culturkampfe beim Frieden immer einen werthvollen Siegespreis im Vergleich mit den Zuständen vor Ausbruch des Kampfes. Ueber die Grenze, bis zu der wir der Curie (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 387 Blanckenburg war ein Kampfgenosse, dessen Hauptwerth für mich in unsrer aus den Kinderjahren datirenden und bis zu seinem Tode fortdauernden Freundschaft bestand. Dieselbe war aber auf seiner Seite nicht identisch mit Vertrauen oder Hingebung auf dem politischen Gebiete; auf diesem hatte ich die Concurrenz seiner politischen und confessionellen Beichtväter zu bestehn, und bei diesen war nicht die Absicht, bei Blanckenburg nicht die Befähigung vorhanden, das historische Fortschreiten deutscher und europäischer Politik in breitem Ueberblick zu beurtheilen. Er selbst war ohne Ehrgeiz und frei von der Krankheit vieler altpreußischer Standesgenossen, dem Neide gegen mich; aber sein politisches Urtheil konnte sich schwer losreißen von dem preußisch-particularistischen, ja pommerisch-lutherischen Standpunkte. Sein hausbackner gesunder Menschenverstand und seine Ehrlichkeit machten ihn unabhängig von conservativen Partei-Strömungen, denen beides fehlte; von dieser Unabhängigkeit war jedoch die vorsichtige Bescheidenheit in Abrechnung zu bringen, mit der ihn die Fremdartigkeit erfüllte, die das politische Gebiet für ihn behielt. Er war weich und gegen Beredsamkeit nicht gepanzert, keine unerschütterliche Säule, auf die ich mich hätte stützen können. Der Kampf zwischen seinem Wohlwollen für mich und seinem Mangel an Energie andern Einflüssen gegenüber bewog ihn schließlich, sich von der Politik überhaupt zurückzuziehn. Als ich ihn das erste Mal zum landwirthschaftlichen Minister vorgeschlagen hatte, scheiterte die Ausführung an dem Widerstande derselben Collegen, die vorher meine an Blanckenburg gerichtete Anfrage gebilligt hatten. Ich lasse dahingestellt sein, ob die Abneigung meines Freundes, unter übelwollender Aufsicht dauernd auf dem Präsentirteller der Oeffentlichkeit zu stehn, bei dem Mißlingen meiner Absicht, diese conservative Kraft in das Ministerium zu ziehn, mitgewirkt hat; bei seiner zweiten und definitiven Ablehnung unter dem 10. November 1873 war (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 388 [2-140] dies zweifellos der Fall 1). Mangel an Klarheit zeigt sich in seinem Briefe an Roon vom April 1874 2), in welchem er gleichzeitig von seiner Ablehnung und von meinem Fallenlassen Falk gegenüber spricht. Wenn die conservative Partei in der Person ihrer damaligen Hauptredner und Führer Blanckenburg und Kleist-Retzow bereitwillig mit mir gegangen wäre, so würde die Mischung des Ministeriums eine andre und das, was in dem Briefe die Falksche Sackgasse genannt ist, vielleicht nicht nothwendig geworden sein. Die Ablehnung der Ministerstellung ist aber, wie der Brief documentirt, von Blanckenburg selbst ausgegangen, vielleicht nicht unbeeinflußt durch die Residuen der Kämpfe der „armen Lutheraner“, der „Alt-Lutheraner“, zu denen Blanckenburg sich hielt, in den dreißiger Jahren. Als er sich von der Politik zurückzog, hatte ich die Empfindung, daß er mich im Stiche ließ. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 395 Bruch mit den Conservativen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 397 Der Bruch der Conservativen mit mir, der 1872 mit Geräusch vollzogen wurde, hatte zuerst 1868 vorgespukt in den Debatten über den hanöverschen Provinzialfonds. Nachdem der Gesetzentwurf, den die Regirung in Erfüllung einer den Hanoveranern im Jahr zuvor gemachten Zusage dem Landtage vorgelegt hatte, schon in der Commission von den conservativen Mitgliedern lebhaft bekämpft worden war, brachten die Abgeordneten von Brauchitsch und von Diest im Plenum einen Antrag ein, der die Vorlage wesentlich einschränkte. Der erstre entwickelte als Wortführer die Gründe, aus denen die conservative Partei nicht für das Gesetz stimmen könne. Meine eingehende Widerlegung habe ich damals mit den Worten geschlossen: „Es ist eine constitutionelle Regirung nicht möglich, wenn die Regirung nicht auf eine der größern Parteien mit voller Sicherheit zählen kann, auch in solchen Einzelheiten, die der Partei vielleicht nicht durchweg gefallen, — wenn nicht diese Partei das Facit ihrer Rechnung dahin zieht: wir gehn im Großen und Ganzen mit der Regirung; wir finden zwar, daß sie ab und zu eine Thorheit begeht, aber doch bisher noch weniger Thorheiten brachte, als annehmbare Maßregeln; um deswillen wollen wir ihr die Einzelheiten zu Gute halten. Hat eine Regirung nicht wenigstens Eine Partei im Lande, die auf ihre Auffassungen und Richtungen in dieser Art eingeht, dann ist ihr das (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 398 [2-143] constitutionelle Regiment unmöglich, dann muß sie gegen die Constitution manövriren und pactisiren; sie muß sich eine Majorität künstlich schaffen oder vorübergehend zu erwerben suchen. Sie verfällt dann in die Schwäche der Coalitions-Ministerien, und ihre Politik geräth in Fluctuationen, die für das Staatswesen und namentlich für das conservative Prinzip von höchst nachtheiliger Wirkung sind“1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 399 Ungeachtet dieser Warnung gelangte das Gesetz mit einer von der Regirung zugestandenen Abschwächung am 7. Februar nur mit einer Mehrheit von 32 Stimmen zur Annahme, weil die meisten Conservativen dagegen stimmten. Auch in der Commission des Herrenhauses wiederholte sich der Angriff von conservativer Seite. Mit welchen Mitteln damals operirt wurde, zeigt folgender Vorgang. Karl von Bodelschwingh, während des Conflicts Finanzminister, der 1866 die Beschaffung der für den Krieg erforderlichen Geldmittel abgelehnt hatte und deshalb durch den Freiherrn von der Heydt ersetzt worden war, hatte in der conservativen Fraction verbreitet, daß mir die Ablehnung der Vorlage eigentlich recht sein würde, und erbot sich, dafür einen Beweis zu erbringen. Er trat in dem Sitzungssaale beim Beginn der Verhandlungen an mich heran, leitete ein gleichgültiges Gespräch mit der Frage nach dem Befinden meiner Frau ein und kehrte in die Mitte seiner Fractionsgenossen zurück mit der Erklärung, er sei nach Rücksprache mit mir seiner Sache sicher. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 400 Wenn man die sehr sachkundigen Berichte liest, welche Roon, damals in Bordighera, im Februar 1868 von Mitgliedern der conservativen Partei empfing, abgedruckt in der „Deutschen Revue“ vom April 1891 2), so sieht man, daß die Conservativen von mir verlangten, in ihre Fraction einzutreten. Ich hatte wenig Zeit übrig, war präoccupirt durch das, was wir von Frankreich zu erwarten (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 405 „Wie es nach den Zeitungen scheint, so haben Sie sich und Andre wieder weidlich geärgert. Mich wundert das nicht, aber es wurmt mich, daß Dissonanzen so ernster Art nicht vermieden werden konnten, Dissonanzen, welche die Liberalen von Profession in einen lauten Freudenrausch versetzen und die Conservativen von Metier noch confuser zu machen scheinen, als sie es leider ohnehin schon sind. Was sollen Sie nach Galignani 1) nicht alles gesagt haben! Man hat mir die bezüglichen stenographischen Berichte verheißen; leider sind sie noch nicht in meinen Händen. Ohnehin bin ich in der Hauptsache — in der Ihres gedrohten Rücktritts — vollkommen ruhig, denn ich halte einen solchen, den Fall der physischen Unmöglichkeit ausgenommen, für absolut unmöglich. Beunruhigt aber bin ich dennoch über die immer drohendere Zersetzung der conservativen Partei, welche, falls sie sich in der von den Liberalen gehofften Weise vollziehen sollte, von mir für eine sehr ernste und (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 408 [2-145] bedeutungsschwere Sache gehalten werden würde, für einen Vorgang, der Sie und die Regierung zu einem gehorsamen Werkzeug der liberalen Partei herabwürdigen müßte. Zwar verstehe ich, daß es für unsre Politik nützlich, wenn die Liberalen die Hoffnung behalten, die Hand mit an's Ruder legen zu können. Aber ebenso begreife ich, daß es schädlich sein würde, wenn die Situation sich so gestaltete, daß ihre Theilnahme am Regiment eine unvermeidliche Nothwendigkeit wäre. Sie werden dagegen vielleicht bemerken, daß die Verworrenheit, Rath- und Kopflosigkeit der Conservativen — ganz abgesehen von der neidischen und boshaften Ueberhebung Einzelner — von selbst dahin führen werde, und daß Sie dagegen nichts thun können. Aber ist denn das ganz richtig? Hätten Sie Ihre bedeutenden Ressourcen ernstlich dazu verwandt, die conservative Partei, die leider noch immer nicht klar erkennt, daß ihre heutige Aufgabe eine andre sein muß, als 1862 und in den folgenden Jahren, zu endoctriniren und zu organisiren, und wollen Sie das heute noch versuchen, so wird nicht nur die Mesalliance mit den Liberalen vermieden werden können, sondern auch aus der reformirten conservativen Partei der dauerhafteste und sicherste Stab für die Wanderung auf dem schwierigen aber unvermeidlichen Wege conservativen Fortschritts in innerer reformatorischer Erneuerung gemacht werden können. — Wohl kann Ein Mensch, wie bedeutend er auch von Gott ausgestattet worden, nicht Alles selbst thun, was gethan werden muß. Indem ich dies ausspreche, schließe ich jeden Vorwurf aus, der für Sie in Vorstehendem gefunden werden könnte. Ich erkenne vielmehr gern und wiederholt an, daß Ihre amtlichen Helfer Ihnen und Ihren Zielen nicht die entsprechende Unterstützung gewähren. Und wenn ich von der Reform der conservativen Partei sprach, so erkenne ich an, daß diese Aufgabe zunächst die des Ministers des Innern sein sollte. Aber besitzt Graf E. das zu der Lösung derselben unentbehrliche Vertrauen? (und Pflichtgefühl!) 1) (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 410 [2-146] Wo sollen Sie andre Collegen hernehmen, namentlich einen andern Minister des Innern? Aus der Reihe der Nationalliberalen? Der Gedanke ist mir unerträglich. Aus den Conservativen? Wen aber? Die organisatorisch schöpferischen Geister unter ihnen sind unbekannte Größen, und so sehr ich unsrem bureaukratischen Unwesen abhold bin, das sehe ich ein, der Betreffende müßte es kennen, um es reformiren zu können.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 412 „... Ueber Politik und Conflict möchte ich am liebsten gar nichts schreiben, nachdem ich auf Grund des am 9. mir gesandten vertraulichen Berichtes am 19. an Graf Bismarck geschrieben, um ihm mein Bedauern auszusprechen, daß die Dinge so verlaufen sind u. s. w. Die stenographischen Berichte, welche mir verheißen sind, können wahrscheinlich an meiner Auffassung der Dinge nichts ändern: Bismarck kann unmöglich Alles selbst thun. Die nothwendig gewordene Organisation oder Reorganisation der conservativen Partei ist rite Sache des Ministers des Innern, und weder Bismarck, noch ich, noch Blanckenburg oder sonst Jemand hat dazu den amtlichen Beruf. Ist der dazu allein Berufene dazu nicht geneigt oder geeignet, so fehlt ihm etwas Unentbehrliches für sein Amt, und die daraus sich ergebende Folgerung mag man ziehen und darnach verfahren. Was durch Bismarcks Verhalten gegen die Conservativen, durch meine oder Blanckenburgs Abwesenheit an heilsamer Einwirkung etwa unterblieben ist: daraus kann man auch für Bismarck kaum einen wohlbegründeten Vorwurf ableiten. Wenn man, wie ich, ganz sicher weiß, wie Ungeheures B. zu leisten hat und auch leistet, so kann man ihn billigerweise nicht schelten, daß er nicht auch noch mehr leistet und für seines Collegen Versäumniß oder Unfähigkeit eintritt. Der allein gegen ihn zu begründende Vorwurf würde vielmehr nur darin bestehen, wenn man mit Grund 1) Denkwürdigkeiten III 4 70 ff. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 413 [2-147] behaupten könnte, daß er nicht Alles was möglich gethan, um sich wirksamere Gehülfen zu verschaffen, und vielleicht kann man dies; aber ich, der ich die betreffenden persönlichen Beziehungen, trotz meiner Entfernung, vielleicht besser und richtiger beurtheilen kann, als sonst Jemand, vermag doch kaum eine solche Behauptung mit voller Bestimmtheit auszusprechen. Uebrigens wird der Bruch heilen, denn er muß heilen; wir können uns auf keine andre Partei in der Hauptsache stützen, aber die Partei muß endlich begreifen, daß ihre heutigen Auffassungen und Aufgaben wesentlich andre sein müssen, als zur Zeit des Conflicts; sie muß eine Partei des conservativen Fortschritts sein und werden und die Rolle des Hemmschuhs aufgeben, so wesentlich und nothwendig solche zur Zeit der Uebermacht des demokratischen Fortschritts und der damit angedrohten demagogischen Ueberstürzung auch sein mochte und in der That gewesen ist. Dies sind in nuce meine Gedanken über die neueste Situation; natürlich sind sie nur für die allervertrautesten Kreise zur Mittheilung geeignet. ...“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 415 Roons Erwartung erfüllte sich nicht; die conservative Partei blieb, was sie war; der Conflict, in den sie sich mit mir versetzt hatte, dauerte mehr oder weniger latent fort. Ich begreife, daß meiner Politik die mit dem vulgären Namen Kreuzzeitung bezeichnete conservative Richtung feindlich war, in manchen Mitgliedern aus achtbaren prinzipiellen Gründen, die in dem Einzelnen eine stärkere Triebkraft ausübten, als ihr mehr preußisches wie deutsches Nationalgefühl. In andern, ich möchte sagen in meinen Gegnern zweiter Classe, lag das Motiv der Opposition im Streberthum — ôte-toi, que je m'y mette — deren Prototyp Harry Arnim, Robert Goltz und Andre waren. Als dritte Classe möchte ich meine Standesgenossen im Landadel bezeichnen, die sich (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 417 [2-149] begründet gewesen wäre. Sie fand ihren Ausdruck und ihre Vorwände in der verurtheilenden Kritik, welcher meine Politik von Seiten der preußischen Conservativen unter der Führung des mir verwandten Herrn von Kleist-Retzow bei Gelegenheit des Schulaufsichtsgesetzes 1872 und bei einigen andern Anlässen unterzogen wurde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 418 Die Opposition der Conservativen gegen das noch von Mühler vorgelegte Schulaufsichtsgesetz begann schon im Abgeordnetenhause und ging darauf aus, die Localinspection über die Volksschule gesetzlich dem Ortsgeistlichen zu vindiciren, auch in Polen, während die Vorlage den Behörden freie Hand in der Wahl des Schulinspectors ließ. In der erregten Debatte, an die manche alte Mitglieder des Landtags sich 1892 erinnert haben werden, sagte ich am 13. Februar 1872: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 419 „Der Vorredner (Lasker) hat gesagt, es sei ihm und den Seinigen undenkbar gewesen, daß in einer prinzipiellen und von uns für die Sicherheit des Staates für wichtig erklärten Frage, in einer Frage von der Bedeutung die bisherige conservative Partei der Regirung offen den Krieg erklärte. Ich will mir diesen letztern Ausdruck nicht aneignen, aber ich darf das wohl bestätigen, daß es auch mir undenkbar gewesen ist, daß diese Partei die Regirung in einer Frage im Stiche lassen werde, in welcher die Regirung ihrerseits entschlossen ist, jedes constitutionelle Mittel zur Anwendung zu bringen, um sie durchzuführen“ 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 420 Nachdem das Gesetz in der von der Regirung genehmigten Fassung mit 207 Stimmen gegen 155 Stimmen von Clericalen, Conservativen und Polen angenommen war, gelangte es am 6. März in dem Herrenhause zur Berathung. Aus meiner Rede will ich eine Stelle anführen: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 423 [2-150] die wir fordern, den evangelischen Staat auf den Kopf stellen. Wären diese Uebertreibungen nicht geschehn, so wären die bedauerlichen Streitigkeiten und Reibungen bei diesem Gesetz vollständig überflüssig gewesen; das Gesetz hat seine übertriebene Wichtigkeit erst durch den uns ganz unerwarteten Widerstand der conservativen Partei evangelischer Confession erhalten, einen Widerstand, in dessen Genesis ich hier nicht näher eingehn will — ich könnte es nicht, ohne persönlich zu werden — der aber für die Staatsregirung eine tief schmerzliche und für die Zukunft entmuthigende Erfahrung bildet. Nachdem ich Ihnen mit einer Offenheit, zu der conservative Leute die Staatsregirung niemals zwingen sollten, die Genesis und Tendenz dieses Gesetzes dargelegt habe, sollten Sie die Nothwendigkeit, daß unsre bisher nicht deutsch sprechenden Landsleute Deutsch lernen, anerkennen. Das ist für mich der Hauptpunkt dieses Gesetzes“ 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 424 In einem Hause von 202 stimmten 76 gegen das Gesetz. Ich hatte noch am Abend vorher mit großer Anstrengung versucht, Herrn von Kleist die muthmaßlichen Folgen der Politik darzustellen, zu der er seine Freunde verleitete, fand mich aber einem parti pris gegenüber, bezüglich dessen Unterlage ich keine Conjectur machen will. Der Bruch mit mir wurde von jener Seite mit einer Schärfe äußerlich vollzogen, aus der ebenso viel persönliche als politische Leidenschaft hervorleuchtete. Die Ueberzeugung, daß dieser mir persönlich nahestehende Parteimann das Land und die conservative Sache schwer geschädigt hat, währt bis auf den heutigen Tag. Wenn die conservative Partei, anstatt mit mir zu brechen und mich mit einer Bitterkeit und einem Fanatismus zu bekämpfen, worin sie keiner staatsfeindlichen Partei etwas nachgab, der Regirung des Kaisers geholfen hätte, in ehrlicher gemeinsamer Arbeit die Reichsgesetzgebung auszubauen, so würde der Ausbau nicht ohne tiefe Spuren solcher conservativen Mitarbeit geblieben sein. Ausgebaut mußte werden, wenn die politischen und militärischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 427 Ich weiß nicht, wie weit ich conservativer Mitwirkung hätte entgegenkommen können, jedenfalls weiter, als es in den durch den Bruch entstandenen Verhältnissen geschehn ist. Ich hielt für die damalige Zeit bei den Gefahren, die unsre Kriege geschaffen hatten, die Unterschiede der Parteidoctrinen für untergeordnet im Vergleiche mit der Nothwendigkeit der politischen Deckung nach Außen durch möglichst geschlossene Einheit der Nation in sich. Als erste Bedingung galt mir die Unabhängigkeit Deutschlands auf Grund einer zum Selbstschutz hinreichend starken Einheit, und ich hatte und habe zu der Einsicht und Besonnenheit der Nation das Vertrauen, daß sie Auswüchse und Fehler der nationalen Einrichtungen heilen und ausmerzen wird, wenn sie daran nicht durch die Abhängigkeit von dem übrigen Europa und von innern Fractions- und Sonderinteressen verhindert wird, wie es bis 1866 der Fall war. In dieser Auffassung kam es mir auf die Frage, ob liberal, ob conservativ, in der damaligen Kriegs- und Coalitionsgefahr so wenig wie heut in erster Linie an, sondern auf die freie Selbstbestimmung der Nation und ihrer Fürsten. Ich gebe auch heut diese Hoffnung nicht auf, wenn auch ohne die Gewißheit, daß unsre politische Zukunft nicht noch durch Mißgriffe und Unfälle im weitern Ausbau geschädigt werden wird. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 429 Die exclusivere Fühlung mit den Nationalliberalen, zu welcher der Abfall der Conservativen mich nothwendig führte, wurde in Kreisen der letztern Grund oder Vorwand zu gesteigerter Animosität gegen mich. In der Zeit, während deren ich, durch Krankheit genöthigt, dem Grafen Roon den Vorsitz im Staatsministerium (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 430 [2-152] abgetreten hatte, von Neujahr bis November 1873, fanden bei ihm in kleinen und größern Kreisen abendliche Begegnungen mir feindlicher Politiker der rechten Seite statt. An diesen nahm Graf Harry Arnim, der Herrngesellschaften ohne politischen Zweck nicht zu besuchen pflegte, wenn er sich auf Urlaub in Berlin befand, in der Rolle Theil, daß er auf die Anwesenden den Eindruck machte, den mir Roon selbst mit den Worten wiedergab: „In dem steckt doch ein tüchtiger Junker!“ Die gesprächliche Verbindung, in welcher dieses Urtheil ausgesprochen wurde, und die öftere scharf accentuirte Wiederholung desselben im Munde meines Freundes und Collegen hatte die Tragweite eines Vorwurfs für mich wegen Mangels gleicher Eigenschaften, und einer Andeutung, als ob Arnim die innere Politik schneidiger und conservativer behandeln würde, wenn er an meiner Stelle wäre. In den Unterredungen, in denen dieses Thema des Arnimschen Junkerthums breit entwickelt wurde, gewann ich den Eindruck, daß auch mein alter Freund Roon unter der Einwirkung der bei ihm stattfindenden Conventikel in dem Vertrauen zu meiner Politik einigermaßen erschüttert war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 442 In der Politik wie auf dem Gebiete des religiösen Glaubens kann der Conservative dem Liberalen, der Royalist dem Republikaner, der Gläubige dem Ungläubigen niemals ein andres Argument entgegenhalten, als das in tausend Variationen der Beredsamkeit breitgetretene Thema: meine politischen Ueberzeugungen sind richtig und die deinigen falsch; mein Glaube ist Gott wohlgefällig, dein Unglaube führt zur Verdammniß. Es ist daher erklärlich, daß aus kirchlichen Meinungsverschiedenheiten Religionskriege entstehn und durch politische Parteikämpfe, so lange nicht ihre Erledigung durch Bürgerkrieg stattfindet, doch ein Umsturz der Schranken herbeigeführt wird, die durch Anstand und Ehrgefühl wohlerzogner Leute im außerpolitischen Lebensverkehr aufrecht erhalten werden. Welcher gebildete und wohlerzogne Deutsche würde versuchen, im gewöhnlichen Verkehr auch nur einen geringen Theil der Grobheiten und Bosheiten zur Verwendung zu bringen, die er nicht ansteht, von der Rednertribüne vor hundert Zeugen seinem bürgerlich gleich achtbaren Gegner in einer schreienden, in keiner anständigen Gesellschaft üblichen Tonart in's Gesicht zu werfen? Wer würde es außerhalb des politischen Parteitreibens mit der von ihm selbst beanspruchten Stellung eines Edelmannes von gutem Hause verträglich halten, sich in den Gesellschaften, wo er verkehrt, gewerbsmäßig zum Colporteur von Lügen und Verleumdungen gegen andre Genossen seiner Gesellschaft und seines Standes zu machen? Wer würde sich nicht schämen, auf diese Weise unbescholtene Leute unehrlicher Handlungen zu beschuldigen, ohne sie beweisen zu können? Kurz, wer würde anderswo als auf dem Gebiete politischer Parteikämpfe die Rolle eines gewissenlosen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 443 [2-156] Verleumders bereitwillig übernehmen? Sobald man aber vor dem eignen Gewissen und vor der Fraction sich damit decken kann, daß man im Parteiinteresse auftritt, so gilt jede Gemeinheit für erlaubt oder doch für entschuldbar. Gegen mich begannen die Verleumdungen in dem Blatte, das unter dem christlichen Symbol des Kreuzes und mit dem Motto „Mit Gott für König und Vaterland“ seit Jahren nicht mehr die conservative Fraction und noch weniger das Christenthum, sondern nur den Ehrgeiz und die gehässige Verbissenheit einzelner Redacteure vertritt. Als ich über die Giftmischereien des Blattes am 9. Februar 1876 in öffentlicher Rede Klage geführt hatte 1), antwortete mir die Kundgebung der sogenannten Declaranten, deren wissenschaftliches Contingent aus einigen Hundert evangelischen Geistlichen bestand, die in ihrem amtlichen Charakter mir in dieser Form als Eideshelfer der Kreuzzeitungslügen entgegentraten und ihre Mission als Diener der christlichen Kirche und ihres Friedens dadurch bethätigten, daß sie die Verleumdungen des Blattes öffentlich contrasignirten. Ich habe gegen Politiker in langen Kleidern, weiblichen und priesterlichen, immer Mißtrauen gehegt, und dieses Pronunciamiento einiger Hundert evangelischer Pfarrer zu Gunsten einer der frivolsten, gegen den ersten Beamten des Landes gerichteten Verleumdung war nicht geeignet, mein Vertrauen grade zu Politikern, die im Priesterrock, auch in einem evangelischen, stecken, zu stärken. Zwischen mir und allen Declaranten, von denen viele bis dahin zu meinen Bekannten, sogar zu meinen Freunden gehört hatten, war, nachdem sie sich die ehrenrührigen Beschimpfungen aus der Feder Perrots angeeignet hatten, die Möglichkeit eines persönlichen Verkehrs vollständig abgeschnitten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 450 Man hätte glauben sollen, daß die nationalliberale Partei, durch deren Begünstigung ich mir das Uebelwollen meiner frühern conservativen Parteigenossen zugezogen hatte, durch die rohen und unwürdigen Angriffe auf meine persönliche Ehrenhaftigkeit bewogen worden wäre, mir in der Abwehr irgendwie beizustehn, oder doch zu erkennen zu geben, daß sie die Angriffe nicht billigte und die Ansicht meiner Verleumder über mich nicht theilte; ich erinnere mich aber nicht, in jener Zeit irgend einen nationalliberalen Versuch, mir zur Hülfe zu kommen, in der Presse oder sonst im öffentlichen Leben, wahrgenommen zu haben. Es schien im Gegentheil, als ob im nationalliberalen Lager eine gewisse Genugthuung darüber herrschte, daß die conservative Partei mich angriff (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 451 [2-159] und mit mir brach, und als ob man bemüht wäre, den Bruch zu erweitern und bei mir den Stachel tiefer einzudrücken. Liberale und Conservative waren darüber einig, je nach dem Fractionsinteresse mich zu verbrauchen, fallen zu lassen und anzugreifen. Die Frage, ob es dem Lande, dem allgemeinen Interesse nützlich sei, wird theoretisch natürlich von jeder Fraction als die dominirende bezeichnet, und jede behauptet, daß sie eben auf dem Fractionswege das Wohl der Gesammtheit suche und finde. In der That aber ist mir der Eindruck verblieben, daß jede unsrer Fractionen ihre Politik betreibt, als ob sie allein da sei, ohne Rücksicht auf das Ganze und auf das Ausland sich auf ihrer Fractionsinsel isolirt. Dabei kann man nicht einmal sagen, daß die verschiedenen Wege der Fractionen auf dem politischen Kampfplatz durch Verschiedenheit der politischen Grundsätze und Ueberzeugungen in jedem Einzelnen zu einer Gewissensfrage und Nothwendigkeit würden; es geht den meisten Fractionsmitgliedern wie den meisten Bekennern verschiedener Confessionen; sie gerathen in Verlegenheit, wenn man sie bittet, die unterscheidenden Merkmale der eignen Ueberzeugung den andern concurrirenden gegenüber anzuführen. In unsern Fractionen ist der eigentliche Krystallisationspunkt nicht ein Programm, sondern eine Person, ein parlamentarischer Condottiere. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 453 [2-160] zusammen aus den zufriedenen Staatsbürgern, die den status quo angreifenden recrutiren sich naturgemäß mehr aus den mit den bestehenden Einrichtungen unzufriedenen; und unter den Elementen, auf denen die Zufriedenheit beruht, nimmt die Wohlhabenheit nicht die letzte Stelle ein. Nun ist es eine Eigenthümlichkeit, wenn nicht der Menschen im Allgemeinen, so doch der Deutschen, daß der Unzufriedene arbeitsamer und rühriger ist als der Zufriedene, der Begehrliche strebsamer als der Satte. Die geistig und körperlich satten Deutschen sind gewiß zuweilen aus Pflichtgefühl arbeitsam, aber in der Mehrheit nicht, und unter den gegen das Bestehende Ankämpfenden findet sich der Wohlhabende bei uns seltener aus Ueberzeugung, öfter von einem Ehrgeiz getrieben, der auf diesem Wege schnellere Befriedigung hofft oder durch Verstimmung über politische oder confessionelle Widerwärtigkeiten auf ihn gedrängt worden ist. Das Ergebniß im Ganzen ist immer eine größere Arbeitsamkeit unter den Kräften, die das Bestehende angreifen, als unter denen, die es vertheidigen, also den Conservativen. Dieser Mangel an Arbeitsamkeit der Mehrheit erleichtert wiederum die Leitung einer conservativen Fraction in höherm Maße, als dieselbe durch individuelle Selbständigkeit und stärkern Eigensinn der Einzelnen erschwert werden könnte. Nach meinen Erfahrungen ist die Abhängigkeit der conservativen Fractionen von dem Gebote ihrer Leitung mindestens ebenso stark, vielleicht stärker als auf der äußersten Linken. Die Scheu vor dem Bruch ist auf der rechten Seite vielleicht größer als auf der linken, und der damals auf jeden Einzelnen stark wirkende Vorwurf, „ministeriell zu sein“, war der objectiven Beurtheilung auf der rechten Seite oft hinderlicher als auf der linken. Dieser Vorwurf hörte sofort auf, den Conservativen und andern Fractionen empfindlich zu sein, als durch meine Entlassung die regirende Stelle vacant geworden war, und jeder Parteiführer in der Hoffnung, bei ihrer Wiederbesetzung betheiligt zu werden, bis zur unehrlichen Verleugnung und Boycottirung des frühern Kanzlers und seiner Politik servil und ministeriell wurde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 512 [2-182] etwa die bezeichnete Richtung einhalten wollte, bald zwischen dem Könige und seiner Fraction zu wählen haben. Er möge sich klar machen, daß wenn es mir gelänge, seine Ernennung durchzusetzen, damit ihm und seiner Partei eine mächtige Handhabe zur Verstärkung und Erweiterung ihres Einflusses geboten sei; er möge sich das Beispiel Roons vergegenwärtigen, der als der einzige Conservative in das liberale Auerswaldsche Ministerium trat und der Krystallisationspunkt wurde, um den es sich in ein conservatives verwandelte. Er möge nichts Unmögliches von mir verlangen, ich kennte den König und die Grenzen meines Einflusses genau genug; mir wären die Parteien ziemlich gleichgültig, sogar ganz gleichgültig, wenn ich von den eingestandenen und nicht eingestandenen Republikanern absähe, die nach rechts mit der Fortschrittspartei abschlössen. Mein Ziel sei die Befestigung unsrer nationalen Sicherheit; zu ihrer innern Ausgestaltung werde die Nation Zeit haben, wenn erst ihre Einheit und damit ihre Sicherheit nach Außen consolidirt sein werde. Für die Erreichung des letztern Zwecks sei gegenwärtig auf dem parlamentarischen Gebiete die nationalliberale Partei das stärkste Element. Die conservative Partei, der ich im Parlament angehört, habe die geographische Ausdehnung, deren sie in der heutigen Bevölkerung fähig sei, erreicht und trage nicht das Wachsthum in sich, um zu einer nationalen Majorität zu werden; ihr naturgeschichtliches Vorkommen, ihr Standort sei beschränkt in unsern neuen Provinzen; im Westen und Süden von Deutschland habe sie nicht dieselben Unterlagen wie in Alt-Preußen; in Bennigsens Heimath, Hanover, namentlich habe man nur zwischen Welfen und Nationalliberalen zu wählen, und die letztern böten einstweilen die beste Unterlage von allen denen, auf welchen das Reich Wurzel schlagen könne. Diese politische Erwägung veranlasse mich, ihnen, als der gegenwärtig stärksten Partei, entgegen zu kommen, indem ich ihren Führer zum Collegen zu werben suchte, ob für die Finanzen oder das Innere, sei mir gleichgültig. Ich sähe die Sache von dem rein politischen Standpunkte (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 513 [2-183] an, bedingt durch die Auffassung, daß es für jetzt und bis nach den nächsten großen Kriegen nur darauf ankomme, Deutschland fest zusammenwachsen zu lassen, es durch seine Wehrhaftigkeit gegen äußere Gefahren und durch seine Verfassung gegen innere dynastische Brüche sicher zu stellen. Ob wir uns nachher im Innern etwas conservativer oder etwas liberaler einrichteten, das werde eine Zweckmäßigkeitsfrage sein, die man erst ruhig erwägen könne, wenn das Haus wetterfest sei. Ich hätte den aufrichtigen Wunsch, ihn zu überreden, daß er, wie ich mich ausdrückte, zu mir in das Schiff springe und mir bei dem Steuern helfe; ich läge am Landungsplatze und wartete auf sein Einsteigen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 514 Bennigsen blieb aber dabei, nicht ohne Forckenbeck und Stauffenberg eintreten zu wollen, und ließ mich unter dem Eindrucke, daß mein Versuch mißlungen sei, einem Eindrucke, der schnell verstärkt wurde durch das Einlaufen eines ungewöhnlich ungnädigen Schreibens des Kaisers, aus dem ich ersah, daß Graf Eulenburg zu ihm mit der Frage in das Zimmer getreten sei: „Haben Eure Majestät schon von dem neuen Ministerium gehört? Bennigsen.“ Dieser Mittheilung folgte der lebhafte schriftliche Ausbruch kaiserlicher Entrüstung über meine Eigenmächtigkeit und über die Zumuthung, daß Er aufhören solle, „conservativ“ zu regiren. Ich war unwohl und abgespannt, und der Text des kaiserlichen Schreibens und der Eulenburgische Angriff fielen mir dermaßen auf die Nerven, daß ich von Neuem ziemlich schwer erkrankte, nachdem ich dem Kaiser durch Roon geantwortet hatte, ich könne ihm einen Nachfolger Eulenburgs doch nicht vorschlagen, ohne mich vorher vergewissert zu haben, daß der Betreffende die Ernennung annehmen werde; ich hätte Bennigsen für geeignet gehalten und seine Stimmungen sondirt, bei ihm aber nicht die Auffassung gefunden, die ich erwartet hätte, und die Ueberzeugung gewonnen, daß ich ihn nicht zum Minister vorschlagen könne; die ungnädige Verurtheilung, die ich durch das Schreiben erfahren hätte, nöthige mich, mein Abschiedsgesuch vom Frühjahr zu erneuern. Diese (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 517 Es ist eine der vielen unwahren Legenden, daß ich die Nationalliberalen hätte „an die Wand drücken“ wollen. Im Gegentheil, die Herrn versuchten es so mit mir zu machen. Durch den Bruch mit den Conservativen infolge der ganzen Verleumdungsära durch die „Reichsglocke“ und die „Kreuzzeitung“ und der Kriegserklärung, die unter Führung meines mißvergnügten frühern Freundes Kleist- Retzow erfolgte, durch das neidische Uebelwollen meiner Standesgenossen, der Landjunker, durch alle diese Verluste von Anlehnungen, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 563 [2-196] Intrigen. nicht durch sachliche Schwierigkeiten entmuthigt. Um letztres herbeizuführen, mußte die feindliche Intrige der Kreise hinzutreten, auf deren Unterstützung ich vorzugsweise glaubte rechnen zu können, und die sich zur Zeit der „Reichsglocke“ in den Beziehungen der durch dieses Blatt vertretenen Elemente in erster Linie zum Hofe und den Conservativen und zu vielen meiner amtlichen Mitarbeiter kennzeichnete. Die Thatsache, daß ich bei dem mir sonst so gnädigen Monarchen keinen genügenden Beistand gegen die Hof- und Hauseinflüsse des Reichsglockenringes fand, hatte mich am meisten entmuthigt und das Gewicht der Erwägungen vervollständigt, die mich zu meinem Abschiedsgesuche vom 27. März 1877 bewogen hatten. Die Gürtelrose, an welcher ich krank war, als Graf Schuwalow 1878 von mir die Berufung des Congresses verlangte, kennzeichnete den Fehlbetrag in dem damaligen Zustande meiner Gesundheit, war eine Quittung über Erschöpfung der Nerven. Mehr als die „Reichsglocke“ und deren Zubehör am Hofe hatte daran der Mangel an Aufrichtigkeit in der Mitwirkung einiger meiner amtlichen Mitarbeiter Antheil. Meine Vertretung durch das Vicepräsidium des Grafen Stolberg nahm durch den Einfluß, den die Minister Friedenthal und dann Graf Botho Eulenburg auf meinen Vertreter ausübten, eine Gestalt an, die mir schließlich den Eindruck machte, daß ich mich einem Systeme allmäligen Abdrängens von den Geschäften der politischen Leitung gegenüber befand. Das Symbol dieses Systems machte sich in der Thatsache kenntlich, daß die amtlichen Kundgebungen des Staatsministeriums aus der damaligen Zeit meiner Mitunterschrift entbehrten. Es geschah das nicht auf meinen Wunsch oder mit meiner Zustimmung, sondern unter Benutzung meiner Gleichgültigkeit gegen Aeußerlichkeiten, und ich habe diese Vorgänge ungerügt gelassen, bis ich über die systematische Absichtlichkeit derselben keinen Zweifel mehr haben konnte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 676 Auf diese Episode folgten die unruhigen Bestrebungen des russischen Reichskanzlers, unsre und besonders meine persönlich guten Beziehungen zum Kaiser Alexander zu trüben, unter anderm dadurch, daß er, wie im 28. Kapitel erzählt ist, durch Vermittlung des Generals von Werder die Ablehnung des Versprechens der Neutralität für den Fall eines russisch-östreichischen Krieges von mir erpreßte. Daß das russische Cabinet sich alsdann direct und im Geheimen an das Wiener wandte, bezeichnet wiederum eine Phase der Gortschakowschen Politik, die meinem Streben nach einem monarchisch-conservativen Dreibunde nicht günstig war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 687 In dieser Erwägung nöthigte mich der drohende Brief des Kaisers Alexander (1879) zu festem Entschlusse behufs Abwehr und Wahrung unsrer Unabhängigkeit von Rußland. Ein östreichisches Bündniß war ziemlich bei allen Parteien populär, bei den Conservativen aus einer geschichtlichen Tradition, bezüglich deren man zweifelhaft sein kann, ob sie grade von dem Standpunkt einer conservativen Fraction heut zu Tage als folgerichtig gelten könne. Thatsache ist aber, daß die Mehrheit der Conservativen in Preußen die Anlehnung an Oestreich als ihren Tendenzen entsprechend ansieht, auch wenn vorübergehend eine Art von Wettlauf im Liberalismus zwischen den beiden Regirungen stattfand. Der conservative Nimbus des östreichischen Namens überwog bei den meisten Mitgliedern dieser Fraction den Eindruck der theils überwundenen, theils neuen Vorstöße auf dem Gebiete des Liberalismus und der gelegentlichen Neigung zu Annäherungen an die Westmächte und speciell an Frankreich. Noch näher lagen die Erwägungen, welche den Katholiken den Bund mit der vorwiegend katholischen Großmacht als nützlich erscheinen ließen. Der nationalliberalen Partei war ein vertragsmäßig verbrieftes Bündniß des neuen Deutschen Reiches mit Oestreich ein Weg, auf dem man der Lösung der 1848er Cirkelquadratur näher kam, ohne an den Schwierigkeiten zu scheitern, die einer unitarischen Verbindung nicht nur zwischen Oestreich und Preußen- Deutschland, sondern schon innerhalb des östreichisch-ungarischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 698 Wenn es zweifellos ist, daß der Kaiser Alexander, ohne den Türkenkrieg zu wollen, unter dem Drucke der panslavistischen Einflüsse denselben dennoch geführt hat, und wenn inzwischen dieselbe Partei ihren Einfluß dadurch gesteigert hat, daß dem Kaiser die Agitation, welche hinter ihr steht, heut mehr und gefährlicheren Eindruck macht als früher, so liegt die Befürchtung nahe, daß es ihr ebenso gelingen kann, die Unterschrift des Kaisers Alexander für weitre kriegerische Unternehmungen nach Westen zu gewinnen. Die europäischen Schwierigkeiten, welchen Rußland auf diesem Wege begegnen könnte, können einen Minister wie Milutin oder Makoff wenig schrecken, wenn es wahr ist, was die Conservativen in Rußland befürchten, daß die Bewegungspartei, indem sie Rußland in schwere Kriege zu verwickeln sucht, weniger einen Sieg Rußlands über das Ausland, als einen Umsturz im Innern Rußlands erstrebt. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 708 Zwingt uns Rußland, zwischen ihm und Oestreich zu optiren, so glaube ich, daß Oestreich die conservative und friedliebende Richtung für uns anzeigen würde, Rußland aber eine unsichre. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 730 [2-245] haben. In Wien fand ich eine ähnliche Stimmung in den Straßen, die Begrüßungen der dicht gedrängten Menge waren so zusammenhängend, daß ich, da ich in Civil war, in die unbequeme Nothwendigkeit gerieth, die Fahrt zum Gasthofe so gut wie mit bloßem Kopfe zurückzulegen. Auch während der Tage, die ich in dem Gasthofe zubrachte, konnte ich mich nicht am Fenster zeigen, ohne freundliche Demonstrationen der dort Wartenden oder Vorübergehenden hervorzurufen. Diese Kundgebungen vermehrten sich, nachdem der Kaiser Franz Joseph mir die Ehre erzeigt hatte, mich zu besuchen. Alle diese Erscheinungen waren der unzweideutige Ausdruck des Wunsches der Bevölkerung der Hauptstadt und der durchreisten deutschen Provinzen, eine enge Freundschaft mit dem neuen Deutschen Reiche als Signatur der Zukunft beider Großmächte sich bilden zu sehn. Daß dieselben Sympathien im Deutschen Reiche, im Süden noch mehr als im Norden, bei den Conservativen mehr als bei der Opposition, im katholischen Westen mehr als im evangelischen Osten, der Blutsverwandschaft entgegenkamen, war mir nicht zweifelhaft. Die angeblich confessionellen Kämpfe des dreißigjährigen Krieges, die einfach politischen des siebenjährigen und die diplomatischen Rivalitäten vom Tode Friedrichs des Großen bis 1866 hatten das Gefühl dieser Verwandschaft nicht erstickt, so sehr sonst der Deutsche auch geneigt ist, den Landsmann, wenn ihm Gelegenheit dazu geboten wird, mit mehr Eifer zu bekämpfen als den Ausländer. Es ist möglich, daß der slavische Keil, durch den in Gestalt der Czechen die urdeutsche Bevölkerung der östreichischen Stammlande von den nordwestlichen Landsleuten getrennt ist, die Wirkungen, die nachbarliche Reibungen auf Deutsche gleichen Stammes, aber verschiedener dynastischer Angehörigkeit, auszuüben pflegen, abgeschwächt und das germanische Gefühl der Deutsch-Oestreicher gekräftigt hat, das durch den Schutt, den historische Kämpfe hinterlassen, wohl verdeckt, aber nicht erstickt worden ist. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 830 König Wilhelm, der mich während der schleswig-holsteinischen Episode einmal vorwurfsvoll fragte: „Sind Sie denn nicht auch ein Deutscher?“ weil ich mich seiner durch häusliche Einflüsse bedingten Neigung, ein neues gegen Preußen stimmendes Großherzogthum in Kiel zu schaffen, widersetzte, derselbe Herr war, wenn er, ohne durch politische Gedanken angekränkelt zu sein, in naturwüchsiger Freiheit seinen Empfindungen folgte, einer der entschlossensten Particularisten unter den deutschen Fürsten, in der Richtung eines patriotischen und conservativ gesinnten preußischen Offiziers aus der Zeit seines (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 834 Die Prinzessin Augusta vertrat unter Friedrich Wilhelm IV. in der Regel den Gegensatz zur Regirungspolitik; die Neue Aera der Regentschaft sah sie als ihr Ministerium an, wenigstens bis zum Rücktritt des Herrn von Schleinitz. Es lebte in ihr vorher und später ein Bedürfniß des Widerspruchs gegen die jedesmalige Haltung der Regirung ihres Schwagers und später ihres Gemals. Ihr Einfluß wechselte und zwar so, daß derselbe bis auf die letzten Lebensjahre stets gegen die Minister in's Gewicht fiel. War die Regirungspolitik conservativ, so wurden die liberalen Personen und Bestrebungen in den häuslichen Kreisen der hohen Frau ausgezeichnet und gefördert; befand sich die Regirung des Kaisers in ihrer Arbeit zur Befestigung des neuen Reiches auf liberalen Wegen, so neigte die Gunst mehr nach der Seite der conservativen und namentlich der katholischen Elemente, deren Unterstützung, da sie unter einer evangelischen Dynastie sich häufig und bis zu gewissen Grenzen regelmäßig in der Opposition befanden, überhaupt der Kaiserin nahe lag. In den Perioden, wo unsre auswärtige Politik mit Oestreich Hand in Hand gehn konnte, war die Stimmung gegen Oestreich unfreundlich und fremd; bedingte unsre Politik den Widerstreit gegen Oestreich, so fanden dessen Interessen Vertretung durch die Königin und zwar bis in die Anfänge des Krieges 1866 hinein. Während an der böhmischen Grenze schon gefochten wurde, fanden in Berlin unter dem Patronate Ihrer Majestät durch das Organ von Schleinitz noch Beziehungen und Unterhandlungen bedenklicher Natur statt. Herr von Schleinitz hatte, seit ich Minister des Aeußern und er selbst Minister des königlichen Hauses geworden, das Amt einer Art Gegenministers der Königin, um Ihrer Majestät Material zur Kritik und zur Beeinflussung des Königs zu liefern. Er hatte zu diesem Behufe die Verbindungen benutzt, die er in der Zeit, wo er mein Vorgänger war, im Wege (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 835 [2-284] der Privatcorrespondenz angeknüpft hatte, um eine förmliche diplomatische Berichterstattung in seiner Hand zu concentriren. Ich erhielt die Beweise dafür durch den Zufall, daß einige dieser Berichte, aus deren Fassung die Thatsache der Continuität der Berichterstattung ersichtlich war, durch Mißverständniß der Feldjäger oder der Post an mich gelangten und amtlichen Berichten so genau ähnlich sahn, daß ich erst durch einzelne Bezugnahmen im Texte stutzig wurde, mir das dazu gehörige Couvert aus dem Papierkorb suchte und darauf die Adresse des Herrn von Schleinitz vorfand. Zu den Beamten, mit denen er solche Verbindungen unterhielt, gehörte unter Andern ein Consul, über den mir Roon unter dem 25. Januar 1864 schrieb, derselbe stehe im Solde von Drouyn de L'Huys und schreibe unter dem Namen Siegfeld Artikel für das „Mémorial Diplomatique“, die u. A. der Occupation der Rheinlande durch Napoleon das Wort redeten und sie in Parallele stellten mit unsrer Occupation Schleswigs. Zur Zeit der „Reichsglocke“ und der gehässigen Angriffe der conservativen Partei und der „Kreuzzeitung“ auf mich konnte ich ermitteln, daß die Colportage der „Reichsglocke“ und ähnlicher verleumderischer Preßerzeugnisse im Bureau des Hausministeriums besorgt wurde. Der Vermittler war ein höherer Subalternbeamter Namens Bernhard (?), der der Frau von Schleinitz die Federn schnitt und den Schreibtisch in Ordnung hielt. Durch ihn wurden allein an unsre höchsten Herrschaften dreizehn Exemplare der „Reichsglocke“, davon zwei in das Kaiserliche Palais, berichtmäßig eingesandt und andre an mehre verwandte Höfe. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 963 [2-308] Es leuchtet ein, daß eine Aenderung der bisherigen Verhältnisse, infolge deren die bisher dem Kanzler zugeschriebene Verantwortlichkeit auf die Anordnungen der kaiserlichen Executiv-Gewalt beschränkt und ihm die Befugniß, geschweige denn die Verpflichtung, im Reichstage zu erscheinen und zu discutiren, entzogen würde, nicht eine nur formelle sein, sondern auch die Schwerkraft der Factoren unsres öffentlichen Lebens wesentlich verändern würde. Ich habe mir die Frage, ob es sich empföhle, derartigen Eventualitäten näher zu treten, vorgelegt zu der Zeit, als ich mich im December 1884 einer Reichstagsmehrheit gegenüber fand, die sich aus einer Coalition der verschiedenartigsten Elemente zusammensetzte, aus der Socialdemokratie, den Polen, Welfen, Franzosenfreunden aus dem Elsaß, den freisinnigen Krypto-Republikanern und gelegentlich aus mißgünstigen Conservativen am Hofe, im Parlamente und in der Presse — der Coalition, die zum Beispiel die Geldbewilligung für einen zweiten Director im Auswärtigen Amt ablehnte. Die Unterstützung, die ich dieser Opposition gegenüber am Hofe, im Parlamente und außerhalb desselben fand, war keine unbedingte, und nicht frei von der Mitwirkung mißgünstiger und rivalisirender Streber. Ich habe damals die Frage Jahre hindurch mit wechselnder Ansicht über ihre Dringlichkeit bei mir und mit Andern erwogen, ob das Maß nationaler Einheit, welches wir gewonnen hatten, zu seiner Sicherstellung nicht einer andern Form bedürfe, als der zur Zeit gültigen, die aus der Vergangenheit überliefert und durch die Ereignisse und durch Compromisse mit Regirungen und Parlamenten entwickelt war. Ich habe in jener Zeit, wie ich glaube, auch in öffentlichen Reden angedeutet, daß der König von Preußen, wenn ihm der Reichstag die kaiserliche Wirksamkeit über die Grenzen der Möglichkeit monarchischer Einrichtungen erschwere, sich zu einer stärkern Anlehnung an die Unterlagen veranlaßt sehn könne, welche die preußische Krone und Verfassung ihm gewähre 1). Ich hatte bei (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 966 Auf der andern Seite hatte ich darauf gerechnet, in den gemeinsamen öffentlichen Einrichtungen, namentlich in dem Reichstage, in Finanzen, basirt auf indirecten Steuern und in Monopolen, deren Erträge nur bei dauernd gesichertem Zusammenhange flüssig bleiben, Bindemittel herzustellen, die haltbar genug wären, um centrifugaler Anwandlung einzelner Bundesregirungen Widerstand zu leisten. Die Ueberzeugung, daß ich mich in dieser Rechnung geirrt, daß ich die nationale Gesinnung der Dynastien unterschätzt, die der deutschen Wähler oder doch des Reichstags überschätzt hatte, war Ende der siebziger Jahre in mir noch nicht zum Durchbruch gekommen, mit so viel Uebelwollen ich auch im Reichstage, am Hofe, in der conservativen Partei und deren „Declaranten“ zu kämpfen gehabt hatte. Jetzt habe ich den Dynastien Abbitte zu leisten; ob die Fractionsführer mir ein pater peccavi schuldig sind, darüber wird die Geschichte einmal entscheiden. Ich kann nur das Zeugniß ablegen, daß ich den Fractionen, den arbeitsscheuen Mitgliedern sowohl wie den Strebern, in deren Hand die Führung und das Votum ihrer Gefolgschaften lag, eine schwerere Schuld an der Schädigung unsrer Zukunft beimesse, als sie selbst fühlen. „Get you home, you fragments,“ sagt Coriolan. Nur die Führung des Centrums kann ich nicht eine unfähige nennen, aber sie (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)